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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 27.08.1998
Aktenzeichen: III B 41/98
Rechtsgebiete: AO 1977, BGB, FGO, ZPO


Vorschriften:

AO 1977 § 174 Abs. 5
AO 1977 § 4 Satz 1
AO 1977 § 174 Abs. 5 Satz 2
AO 1977 § 174 Abs. 5 Satz 1
BGB § 133
FGO § 60
ZPO § 575
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe

Streitig ist, ob ein Dritter zu einem von den Klägern angestrengten Klageverfahren gemäß § 174 Abs. 5 der Abgabenordnung (AO 1977) beizuladen ist.

Die Kläger und Beschwerdegegner (Kläger) werden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger betreibt eine .... Nach Aktenlage ist er im wesentlichen für die D-GmbH (GmbH) tätig. Aufgrund einer Kontrollmitteilung des FA A wurde bekannt, daß der Kläger im Streitjahr (1987) von der GmbH insgesamt Zahlungen in Höhe von ... DM erhalten haben sollte. Anläßlich einer Außenprüfung, die auch das Streitjahr umfaßte, stellte die Prüferin fest, daß hiervon ein Betrag in Höhe von ... DM von den Klägern nicht versteuert worden war. Der Beklagte und Beschwerdeführer (das Finanzamt --FA--) erhöhte daraufhin die Erlöse und den Gewinn aus Gewerbebetrieb entsprechend und änderte den Einkommensteuerbescheid, den Gewerbesteuermeßbescheid sowie den Umsatzsteuerbescheid für das Streitjahr. Während des sich anschließenden Einspruchsverfahrens konnten aufgrund von Bankauszügen Zahlungseingänge bei dem Kläger in Höhe von insgesamt ... DM geklärt werden. Ob der Kläger darüber hinaus noch weitere Teilbeträge von der GmbH in bar erhalten hatte, blieb ungewiß.

Im Rahmen des Klageverfahrens machte der Kläger insbesondere geltend, die angeblich erhaltenen Teilbeträge basierten auf zwei Rechnungen vom 10. und 30. Dezember 1987. Diese Rechnungen seien nicht von ihm, sondern von dem Anteilseigner und Geschäftsführer der GmbH, K, fingiert worden, um die Einkünfte der GmbH herabzusetzen. K habe dies ihm gegenüber eingeräumt. Zudem sei K in entsprechender Weise mit dem Zeugen X verfahren. Aus einem vom Finanzgericht (FG) eingeholten Gutachten des Landeskriminalamts geht hervor, daß der Kläger mit "sehr hoher Wahrscheinlichkeit" als Urheber der beiden fraglichen Rechnungen auszuschließen ist. Nachdem das FA hiervon Kenntnis erlangt hatte, beantragte es unter Bezugnahme auf § 174 Abs. 5 AO 1977, K als Geschäftsführer der GmbH zu dem Verfahren der Kläger beizuladen.

Das FG hat den Antrag abgewiesen. Es war der Auffassung, die Voraussetzungen für eine Beiladung nach § 174 Abs. 5 i.V.m. Abs. 4 Satz 1 AO 1977 seien im Streitfall nicht gegeben. In dem Verfahren, zu dem der Dritte beigeladen werden könne, müsse die steuerliche Würdigung eines bestimmten Sachverhalts streitig sein, also eines einheitlichen Lebensvorgangs, aus dem steuerrechtliche Folgen sowohl für den Steuerpflichtigen als auch bei dem Dritten zu ziehen seien (Hinweis auf das Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 24. November 1987 IX R 158/83, BFHE 152, 203, BStBl II 1988, 404). Im Streitfall bezögen sich die steuerlichen Würdigungen jedoch nicht auf denselben, sondern auf völlig verschiedene Sachverhalte. Ursprünglich sei das FA in tatsächlicher Hinsicht davon ausgegangen, daß der Kläger Ende 1987 Leistungen gegenüber der GmbH erbracht und abgerechnet, diese steuerlich jedoch nicht erfaßt habe, was Anlaß für die Erlös- und Gewinnerhöhungen gewesen sei. Nunmehr gehe das FA davon aus, daß den strittigen Rechnungen überhaupt keine Leistungen des Klägers zugrunde lägen, sondern daß der Geschäftsführer der GmbH --wie vom Kläger behauptet-- diese Rechnungen fingiert habe mit der Folge, daß bei der GmbH möglicherweise der Betriebsausgabenabzug zu versagen sei.

Hiergegen wendet sich das FA mit seiner Beschwerde. Zur Begründung trägt es im wesentlichen vor: Der Begriff des "bestimmten" Sachverhalts i.S. des § 174 Abs. 5 Satz 2 i.V.m. Abs. 4 Satz 1 AO 1977 sei nicht auf eine einzelne steuererhebliche Tatsache oder ein einzelnes steuerrechtlich bedeutsames Merkmal beschränkt, sondern erfasse den einheitlichen, für diese Besteuerung maßgeblichen Sachverhaltskomplex. Sachverhalt in diesem Sinne sei die vermeintliche Zahlung an den Kläger durch die GmbH, dokumentiert durch Rechnungen vom 10. und 30. Dezember 1987, und die sich dahinter verbergende Leistungserbringung durch den Kläger. Aus der Beurteilung des Sachverhalts hätten sich auf der Klägerseite Betriebseinnahmen und auf der Seite des Dritten Betriebsausgaben ergeben. Einnahme bei der einen und Ausgabe bei der anderen Person bildeten einen einheitlichen Vorgang. Nach dem bisherigen Ergebnis der Beweisaufnahme erscheine es möglich, daß der angenommene Sachverhalt tatsächlich nicht vorgelegen habe, sondern fingierte Rechnungen erstellt worden seien. Insoweit liege unter Umständen ein Irrtum über das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts vor. Aufgrund der vorliegenden Rechnungen sei man irrig der Ansicht gewesen, es seien tatsächlich Leistungen erbracht worden. Entgegen der Ansicht des FG werde dadurch kein neuer, anderer Sachverhalt begründet. Die bloße Negierung der "entgeltlichen Leistungserbringung" erlange insoweit keine eigenständige Bedeutung, sondern führe lediglich zu einer anderen Beurteilung desselben Sachverhalts dahingehend, daß er nicht vorgelegen habe. Es gehe im Streitfall lediglich darum, ob eine Leistung des Klägers gegen Entgelt vorgelegen habe und damit um das "ob" eines bestimmten Sachverhalts. Die anderweitige Beurteilung des Sachverhalts begründe somit die Möglichkeit, die Steuerbescheide der Kläger zu ändern oder aufzuheben und hieraus evtl. auch Folgen für einen Dritten, nämlich die GmbH, zu ziehen. Allein diese Möglichkeit rechtfertige die Beiladung. Ohne die Beiladung der GmbH würde zudem das Risiko entstehen, im Falle einer Änderung der Bescheide der GmbH erneut in eine Beweisaufnahme eintreten zu müssen.

Das FA beantragt, unter Aufhebung des Beschlusses des FG die GmbH, vertreten durch ihren Geschäftsführer K, zu dem Verfahren beizuladen.

Die Kläger beantragen, die Beschwerde abzuweisen.

Die Beschwerde des FA gegen den die Beiladung ablehnenden Beschluß des FG ist begründet.

1. Das Begehren des FA, die GmbH, vertreten durch ihren Geschäftsführer K, zu dem Verfahren beizuladen, bedeutet gegenüber dem ursprünglich im Klageverfahren gestellten Antrag keine unzulässige Änderung. Die vom FA eingereichte Antragsschrift ist dahin auszulegen, daß nicht --wie das FG angenommen hat-- der Geschäftsführer K, sondern die durch ihn vertretene GmbH zu dem Verfahren beigeladen werden sollte. Auch Prozeßerklärungen sind auslegungsfähig; Ziel der Auslegung ist es, den wirklichen Willen des Erklärenden zu erforschen (vgl. § 133 des Bürgerlichen Gesetzbuches; BFH-Urteile vom 1. April 1981 II R 38/79, BFHE 133, 151, BStBl II 1981, 532; vom 15. Dezember 1981 VIII R 116/79, BFHE 135, 267, BStBl II 1982, 385). Der --in der Antragsschrift zum Ausdruck kommende-- wirkliche Wille geht nach Auffassung des Senats dahin, daß nicht K, sondern die GmbH beigeladen werden solle. Das geht schon aus der Formulierung "... K als Geschäftsführer der Firma ..." hervor, sowie aus dem zu dem Antrag führenden Umstand, daß die strittigen Rechnungen an die GmbH gerichtet sind.

2. Das FG hat nach dem derzeitigen Sachstand zu Unrecht das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Beiladung der GmbH nach § 174 Abs. 5 AO 1977 verneint.

Die Beiladung eines Dritten ist nach § 174 Abs. 5 Satz 2 i.V.m. Abs. 4 Satz 1 AO 1977 --unabhängig von den Voraussetzungen des § 60 der Finanzgerichtsordnung (FGO)-- zulässig, wenn ein Steuerbescheid aufgrund eines Rechtsbehelfs oder sonst auf Antrag des Steuerpflichtigen möglicherweise wegen irriger Beurteilung eines Sachverhalts zugunsten des Steuerpflichtigen aufzuheben oder zu ändern ist und hieraus rechtliche Folgerungen bei dem Dritten zu ziehen sind (BFH-Beschlüsse vom 19. Mai 1981 VIII B 90/79, BFHE 133, 348, BStBl II 1981, 633; vom 17. Oktober 1985 IV B 62/85, BFH/NV 1987, 479) und das FA die Beiladung des Dritten beantragt oder veranlaßt hat (BFH-Beschluß vom 27. Januar 1982 VII B 141/81, BFHE 134, 537, BStBl II 1982, 239). Denn die Möglichkeit zur Korrektur von Steuerbescheiden wegen irriger Beurteilung von bestimmten Sachverhalten besteht nicht nur gegenüber dem Steuerpflichtigen, aufgrund dessen Antrag der ursprünglich ergangene Steuerbescheid aufgehoben oder geändert wird, sondern gemäß § 174 Abs. 5 Satz 1 AO 1977 auch gegenüber Dritten. Um dies zu gewährleisten, kann das FA die Beiladung dieses Dritten in dem gegen den ursprünglich ergangenen Bescheid angestrengten Klageverfahren beantragen. Der in mehreren Steuerfestsetzungen steuerrechtlich zu würdigende Sachverhalt, das zu würdigende tatsächliche Geschehen, muß jedoch identisch sein (vgl. BFH-Urteil in BFHE 152, 203, BStBl II 1988, 404).

So wie sich der Sachverhalt für den Senat beim derzeitigen Verfahrensstand darstellt, sind diese Voraussetzungen im Streitfall erfüllt. Die im Klageverfahren möglicherweise erfolgende Aufhebung oder Änderung der gegenüber den Klägern ergangenen Steuerbescheide kann dazu führen, daß sich die bisherige ertrags- und umsatzsteuerrechtliche Behandlung bei der GmbH durch das für diese zuständige Finanzamt als unzutreffend erweist. Das FA hat angenommen, daß der Kläger auch die mit den strittigen Rechnungen vom 10. und 30. Dezember 1987 abgerechneten Leistungen gegenüber der GmbH erbracht hat. Es hat die dadurch (angeblich) erzielten Erlöse dem Gewinn bzw. den Umsätzen für das Streitjahr hinzugerechnet. Wie das vom FG im Klageverfahren eingeholte graphologische Gutachten zeigt, kann sich herausstellen, daß der Kläger diese Leistungen gar nicht erbracht hat und damit "korrespondierend" die Betriebsausgaben bzw. die Vorsteuerbeträge von der GmbH bei der Gewinnermittlung bzw. der Ermittlung der zu entrichtenden Umsatzsteuer zu hoch angesetzt worden sind. Ausreichend für eine Beiladung gemäß § 174 Abs. 5 Satz 2 i.V.m. Abs. 4 AO 1977 ist es, daß bei der --jeweils selbständig vorzunehmenden-- Prüfung der Steuerschuld des Klägers und des Dritten aus demselben Lebenssachverhalt Folgerungen bei beiden an diesem Vorgang Beteiligten zu ziehen sind.

Die mögliche Auswirkung auf die Ertragssteuern bzw. Vorsteuer der Beigeladenen reicht für eine Beiladung aus. Für die Beiladung ist es nicht erforderlich, daß bereits im Zeitpunkt der Beiladung die materiell-rechtliche Auswirkung auf den Beigeladenen feststeht und diese dann auch verfahrensmäßig gegen den Beigeladenen durchgesetzt werden kann. Für die Beiladung genügt vielmehr, daß die Möglichkeit einer Folgeänderung nicht von der Hand zu weisen ist (vgl. BFH-Beschlüsse vom 25. April 1986 IV B 126/85, BFH/NV 1988, 69; in BFHE 133, 348, BStBl II 1981, 633, und in BFHE 134, 537, BStBl II 1982, 239).

Liegen diese Voraussetzungen vor, erhält der Beigeladene die Stellung eines notwendig Beigeladenen. Die Beteiligung des Dritten am Verfahren soll dem FA die Möglichkeit eröffnen, gegen ihn einen Bescheid zu erlassen oder einen bestandskräftigen Bescheid zu ändern, weil ein bestimmter Sachverhalt einheitlich und zutreffend beurteilt werden soll. Da die Interessenlage des gemäß § 174 Abs. 5 Satz 2 AO 1977 Beigeladenen der eines notwendig Beigeladenen vergleichbar ist, ist es gerechtfertigt, diesem entsprechende Rechte einzuräumen (vgl. BFH-Urteil vom 25. August 1987 IX R 98/82, BFHE 151, 506, BStBl II 1988, 344, und den Beschluß vom 12. Oktober 1993 IV B 123/91, BFH/NV 1994, 681).

Die Vorentscheidung, die den vorstehenden Grundsätzen nicht entspricht, ist aufzuheben. Der Senat könnte zwar als Beschwerdegericht in der Sache selbst entscheiden; er kann die Sache aber auch unter Aufhebung der Vorentscheidung zur erneuten Entscheidung über die Beiladung an das FG zurückverweisen (vgl. BFH-Beschluß vom 26. Juni 1990 V B 41/90, BFH/NV 1992, 787, m.w.N.). Im Hinblick auf eine möglicherweise für zweckmäßig zu erachtende Anhörung des Beizuladenden (vgl. Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., § 60 Anm. 28; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., § 60 FGO Rz. 16) macht der Senat von der Möglichkeit der Zurückverweisung der Sache an das FG Gebrauch (§ 155 FGO i.V.m. § 575 der Zivilprozeßordnung).

Ende der Entscheidung

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