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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 16.11.2006
Aktenzeichen: III B 76/05
Rechtsgebiete: AnfG, AO 1977, FGO


Vorschriften:

AnfG § 3
AO 1977 § 42
AO 1977 § 42 Abs. 1 Satz 1
AO 1977 § 278 Abs. 2
FGO § 76
FGO § 116 Abs. 3 Satz 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) wurde mit ihrem 2002 verstorbenen Ehemann für die Veranlagungszeiträume 1984 bis 1990 zunächst erklärungsgemäß zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Nach einer den Ehemann betreffenden Steuerfahndungsprüfung ergingen am 16. August 1994 geänderte Bescheide. Eine Einkommensteuererklärung für 1991 war noch nicht abgegeben worden; der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) setzte die Einkommensteuer aufgrund geschätzter Besteuerungsgrundlagen am 7. April 1995 durch einen unter Nachprüfungsvorbehalt gestellten Zusammenveranlagungsbescheid fest. Die gemeinsamen Steuerschulden wurden im Januar und Mai 1995 antragsgemäß aufgeteilt (§ 268 der Abgabenordnung --AO 1977--).

Der Ehemann der Klägerin, auf den nach der Aufteilung Steuerschulden von mehreren Millionen DM entfielen, war bereits 1994 aus der gemeinsamen Wohnung ausgezogen und gab im Mai 1995 die eidesstattliche Versicherung über sein Vermögen ab. Da er 1990 bis 1992 erhebliches Vermögen auf die Klägerin übertragen hatte, nahm das FA sie am 1. März 1995 durch einen auf § 3 des Anfechtungsgesetzes (AnfG) gestützten Duldungsbescheid in Anspruch. Außerdem erging wegen der Vermögensübertragungen ein auf § 278 Abs. 2 AO 1977 gestützter Bescheid. Die von der Klägerin gegen diese Bescheide angestrengten Klageverfahren ruhen.

Die 1997 von den Eheleuten gestellten Anträge auf getrennte Veranlagung zur Einkommensteuer 1985 und 1987 bis 1991 lehnte das FA ab, weil diese nur der Vereitelung der Vollstreckung dienten.

Die Klage blieb ohne Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte aus, die Anträge beider Ehegatten auf getrennte Veranlagung dienten nur der Umgehung der erweiterten Haftung nach § 278 Abs. 2 AO 1977 und seien rechtsmissbräuchlich. Der Umgehung des § 278 Abs. 2 AO 1977 stehe nicht entgegen, dass bereits getroffene Vollstreckungsmaßnahmen nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 18. Dezember 2001 VII R 56/99 (BFHE 197, 19, BStBl II 2002, 214) trotz einer späteren getrennten Veranlagung bestehen blieben; Missbrauch könne sich auch auf künftige Vollstreckungsmaßnahmen beziehen. Die Umgehungsabsicht ergebe sich schon daraus, dass der Antrag unmittelbar nach einer mündlichen Verhandlung in dem Rechtsstreit wegen des Bescheides gemäß § 278 Abs. 2 AO 1977 gestellt worden sei und die getrennte Veranlagung zu einer insgesamt höheren Steuer führe. Andere Gründe für die Wahl der getrennten Veranlagung schieden aus, insbesondere hätten die Eheleute sich weder gegenseitig schädigen noch ihre steuerlichen Verhältnisse voreinander geheim halten wollen.

Gegen die Nichtzulassung der Revision hat die Klägerin Beschwerde eingelegt. Die Rechtsfrage, ob ein Antrag auf getrennte Veranlagung nach § 42 AO 1977 mit der Begründung eingeschränkt werden könne, dass dadurch § 278 Abs. 2 AO 1977 für zukünftige Maßnahmen unterlaufen werden könne, wenn das FA über andere Vollstreckungsmaßnahmen abgesichert sei und im Zeitpunkt der Urteilsverkündung wegen des zwischenzeitlichen Todes eines Ehegatten zukünftige Handlungen i.S. des § 278 Abs. 2 AO 1977 nicht mehr vorgenommen werden könnten, habe grundsätzliche Bedeutung, denn sie sei von allgemeinem Interesse, bisher noch nicht entschieden, nicht ohne weiteres aus dem Gesetz zu beantworten und betreffe eine Vielzahl von Fällen. Da der Wortlaut des § 42 AO 1977 den vollzogenen Gebrauch von Gestaltungsmöglichkeiten voraussetze, das FG-Urteil aber bereits die Möglichkeit, künftige Vollstreckungsmaßnahmen zu verhindern, als missbräuchlich angesehen habe, weise es einen offensichtlichen und schwer wiegenden Fehler auf, der es als willkürlich und greifbar gesetzwidrig erscheinen lasse.

Das FG-Urteil beruhe auch auf Verfahrensmängeln. Es handele sich um eine Überraschungsentscheidung, denn das BFH-Urteil vom 15. Juli 2004 III R 66/98 (BFH/NV 2005, 186), welches der Grund der zwischenzeitlichen Verfahrensruhe gewesen sei, sei nicht einschlägig. Da das FG bereits die Möglichkeit neuer Vollstreckungsmaßnahmen für ausreichend gehalten habe, um den Antrag auf getrennte Veranlagung als rechtsmissbräuchlich anzusehen, hätte es ermitteln müssen, ob derartige Handlungen tatsächlich erfolgt seien. Dann wäre festgestellt worden, dass keine entsprechenden Handlungen vorgenommen wurden; eine Umgehungsabsicht wäre dann ausgeschlossen gewesen. Schließlich habe das FG den Antrag auf Verschiebung des Termins zur mündlichen Verhandlung zu Unrecht abgelehnt.

Das FA ist der Beschwerde entgegengetreten.

II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

1. Soweit sie auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache gestützt wird, genügt sie den Begründungserfordernissen des § 116 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) nicht und ist unzulässig.

Eine Rechtsfrage hat grundsätzliche Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO), wenn ihre Beantwortung durch den BFH aus Gründen der Rechtssicherheit, der Rechtseinheitlichkeit oder der Rechtsentwicklung im allgemeinen Interesse liegt. Es muss sich um eine klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage handeln (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 115 Rz. 23, m.w.N. aus der Rechtsprechung des BFH). Die grundsätzliche Bedeutung muss --vom hier nicht gegebenen Fall ihrer Offenkundigkeit abgesehen-- schlüssig und substantiiert dargelegt werden. Dies erfordert ein konkretes Eingehen des Beschwerdeführers darauf, inwieweit die aufgeworfene Rechtsfrage im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig und in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchen Gründen sie umstritten ist.

Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht. Ob ein Antrag auf getrennte Veranlagung nach § 42 AO 1977 mit der einzigen Begründung eingeschränkt werden kann, dass dadurch § 278 Abs. 2 AO 1977 für zukünftige Maßnahmen unterlaufen werden könne, wenn das FA über andere Vollstreckungsmaßnahmen abgesichert ist und im Zeitpunkt der Urteilsverkündung wegen des zwischenzeitlichen Todes eines Ehegatten zukünftige Handlungen i.S. des § 278 Abs. 2 AO 1977 nicht mehr vorgenommen werden können, ist zwar eine Rechtsfrage. Die Ausführungen der Klägerin beschränken sich aber darauf, diese aus ihrer Sicht für den Streitfall klärungsbedürftige Frage zu stellen, ohne darzulegen, warum sie rechtssystematisch bedeutsam ist oder ein --über das persönliche Interesse der Klägerin am Ausgang des Verfahrens hinausgehendes-- allgemeines Interesse an der Klärung besteht. Tatsächlich bezieht sich die von der Klägerin formulierte Frage entgegen ihrer nicht belegten Behauptung, eine Vielzahl von Fällen sei davon betroffen, auf die höchst ungewöhnliche Sachverhaltskonstellation des Streitfalles. Darüber hinaus würde sie sich in dem angestrebten Revisionsverfahren nicht stellen, weil dem FG-Urteil nicht entnommen werden kann, dass das FA bereits durch andere Vollstreckungsmaßnahmen abgesichert ist.

2. Die Klägerin hat auch die grundsätzliche Bedeutung der von ihr für entscheidungserheblich gehaltenen Frage nicht dargelegt, ob § 42 AO 1977 den vollzogenen Gebrauch von Gestaltungsmöglichkeiten voraussetzt oder sich auch auf Gestaltungen --wie im Streitfall den Antrag auf getrennte Veranlagung-- beziehen kann, die der Verhinderung künftiger Vollstreckungsmaßnahmen dienen. Die vom FG insoweit vertretene Auffassung ist auch nicht, wie die Klägerin meint, willkürlich und greifbar gesetzwidrig, so dass die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO) keine Entscheidung des BFH erfordert (BFH-Beschlüsse vom 13. Februar 2003 IX B 83/02, BFH/NV 2003, 805; vom 28. Juli 2003 III B 125/02, BFH/NV 2003, 1445).

3. Die geltend gemachten Verfahrensverstöße (§ 115 Abs. 3 Nr. 3 FGO) hat die Klägerin ebenfalls nicht entsprechend den gesetzlichen Anforderungen bezeichnet (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO); auch insoweit ist die Beschwerde deshalb unzulässig.

a) Die Rüge der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 96 Abs. 2 FGO) durch eine sog. Überraschungsentscheidung erfordert substantiierte Darlegungen dazu, dass das Gericht seine Entscheidung auf einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt gestützt und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gegeben hat, mit der auch ein kundiger Beteiligter nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht rechnen konnte. Bezieht sich die Rüge --wie im Streitfall-- auf einzelne Feststellungen bzw. rechtliche Gesichtspunkte, hat der Beschwerdeführer zudem darzutun, wozu er sich nicht äußern konnte, was er bei ausreichender Gewährung des rechtlichen Gehörs noch vorgetragen hätte und dass die Entscheidung des FG bei Berücksichtigung dieses Sachvortrags anders hätte ausfallen können (BFH-Beschlüsse vom 29. Juli 2003 X B 135/02, BFH/NV 2003, 1574; vom 19. April 2005 III B 19/04, juris). Der Vortrag der Klägerin, das Senatsurteil in BFH/NV 2005, 186 sei nicht einschlägig, da das FA bereits weitere Vollstreckungsmaßnahmen getroffen habe und der von ihm erlassene Duldungsbescheid auch nach Durchführung einer getrennten Veranlagung nicht wieder aufzuheben sei, genügt diesen Anforderungen nicht.

b) Bei der Prüfung, ob das FG die ihm gemäß § 76 FGO obliegende Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung verletzt hat, ist von seinem materiell-rechtlichen Standpunkt auszugehen. Da das FG bereits die Absicht, durch den Antrag auf getrennte Veranlagung die Rechtsfolge des § 278 Abs. 2 AO 1977 entfallen zu lassen, für rechtsmissbräuchlich i.S. von § 42 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 gehalten hat, waren Feststellungen zu künftigen Vollstreckungsmaßnahmen entbehrlich.

4. Die Beschwerde ist unbegründet, soweit sie auf die Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes i.V.m. § 96 Abs. 2 FGO) gestützt wird, denn das FG brauchte den Termin zur mündlichen Verhandlung (§ 91 Abs. 1 FGO) nicht aufzuheben oder zu verlegen.

Da der Verlegungsantrag einen Tag vor der mündlichen Verhandlung beim FG und damit "in letzter Minute" (vgl. BFH-Beschluss vom 26. August 1999 X B 58/99, BFH/NV 2000, 441) einging, hätte der Prozessbevollmächtigte seinen Antrag aussagefähig begründen müssen, was mit dem nicht näher erläuterten Hinweis auf Genesungsurlaub nach einer plötzlichen Erkrankung nicht geschehen ist. Er hätte zudem seine Verhinderung glaubhaft machen müssen; auch daran fehlt es.

Ende der Entscheidung

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