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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 19.04.2007
Aktenzeichen: III R 106/06
Rechtsgebiete: EStG, FGO, BVerfGG


Vorschriften:

EStG § 32 Abs. 4 Satz 2
EStG § 62 Abs. 1
EStG § 63 Abs. 1 Satz 2
EStG § 70 Abs. 4
FGO § 47 Abs. 1 Satz 1
BVerfGG § 78
BVerfGG § 79 Abs. 2 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) erhielt für ihre im Jahr 1985 geborene Tochter, die sich von Oktober 2002 bis September 2005 in Ausbildung zur Krankenschwester befand, Kindergeld.

Mit Bescheid vom 6. April 2004 hob die Beklagte und Revisionsklägerin (Familienkasse) die Festsetzung des Kindergeldes für die Tochter ab Januar 2004 auf, da deren Einkünfte und Bezüge voraussichtlich den Jahresgrenzbetrag im Jahr 2004 von 7 680 € (§ 32 Abs. 4 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes --EStG-- in der für das Jahr 2004 geltenden Fassung) überschritten. Der hiergegen gerichtete Einspruch der Klägerin wurde zurückgewiesen. Die Klägerin erhob keine Klage.

Mit Schreiben vom 14. Mai 2005 beantragte die Klägerin unter Hinweis auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 11. Januar 2005 2 BvR 167/02 (BVerfGE 112, 164, BFH/NV 2005, Beilage 3, 260) die Festsetzung von Kindergeld ab 1. Januar 2004, da die Einkünfte der Tochter nach Abzug der gesetzlichen Sozialversicherungsbeiträge den Jahresgrenzbetrag nicht überstiegen. Das BVerfG hatte in BVerfGE 112, 164, BFH/NV 2005, Beilage 3, 260 entschieden, die Einbeziehung von Sozialversicherungsbeiträgen des Kindes in die Bemessungsgröße für den Jahresgrenzbetrag gemäß § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG verstoße gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG).

Die Familienkasse ermittelte daraufhin Einkünfte und Bezüge der Tochter im Jahr 2004 in Höhe von 5 618 €. Mit Bescheid vom 30. August 2005 setzte die Familienkasse Kindergeld für die Monate Mai bis Dezember 2004 fest. Für die Monate Januar bis April 2004 lehnte sie die Festsetzung von Kindergeld ab, da die Kindergeldfestsetzung für diesen Zeitraum mit Bescheid vom 6. April 2004 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 19. Oktober 2004 bestandskräftig aufgehoben worden sei. Der hiergegen gerichtete Einspruch blieb ohne Erfolg.

Das Finanzgericht (FG) verpflichtete die Familienkasse unter Aufhebung des Bescheids vom 30. August 2005 in der Fassung der Einspruchsentscheidung, der Klägerin für die Monate Januar bis April 2004 Kindergeld zu gewähren. Es führte im Wesentlichen aus, die Bestandskraft des Aufhebungsbescheids vom 6. April 2004 stehe einer Kindergeldfestsetzung für diesen Zeitraum nicht entgegen, da der Bescheid nach § 70 Abs. 4 EStG aufzuheben bzw. zu ändern sei.

Die Familienkasse rügt mit ihrer Revision die Verletzung des § 70 Abs. 4 EStG.

Sie beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin hat keinen Antrag gestellt.

II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

Entgegen der Auffassung des FG kann für den Zeitraum Januar bis April 2004 kein Kindergeld gewährt werden, da der Bescheid, mit dem die Familienkasse die Kindergeldfestsetzung für diesen Zeitraum aufgehoben hat, bestandskräftig geworden ist und die Voraussetzungen für eine Aufhebung dieses Bescheids nach § 70 Abs. 4 EStG nicht vorliegen.

1. Nach § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG besteht für ein volljähriges Kind kein Anspruch auf Kindergeld, wenn das Kind Einkünfte und Bezüge, die zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmt oder geeignet sind, von mehr als 7 680 € im Kalenderjahr (2004) hat.

2. Die Familienkasse hat mit dem Bescheid vom 6. April 2004 die Kindergeldfestsetzung ab Januar 2004 aufgehoben, weil nach ihrer Berechnung die Einkünfte und Bezüge des Kindes im Kalenderjahr 2004 den Jahresgrenzbetrag überstiegen. Da die Klägerin nicht innerhalb der Monatsfrist des § 47 Abs. 1 Satz 1 FGO Anfechtungsklage erhoben hat, ist der Bescheid bestandskräftig geworden. Die darin getroffene Regelung über den Kindergeldanspruch ist bindend bis zum Ende des Monats der Bekanntgabe dieses Bescheids (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 25. Juli 2001 VI R 78/98, BFHE 196, 253, BStBl II 2002, 88). Dem Bescheid vom 6. April 2004 kommt danach jedenfalls bis Ende April 2004 Bindungswirkung zu. Da Streitgegenstand nur das Kindergeld für die Monate Januar bis April 2004 ist, kann offen bleiben, ob die Bindungswirkung des Bescheids aufgrund des im Streitfall durchgeführten Einspruchsverfahrens bis zum Ende des Monats der Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung reicht (so Urteil des FG Düsseldorf vom 23. Januar 2007 10 K 5107/05 Kg, Entscheidungen der Finanzgerichte 2007, 600).

Die Bestandskraft des Aufhebungsbescheids vom 6. April 2004 wird durch den Beschluss des BVerfG in BVerfGE 112, 164, BFH/NV 2005, Beilage 3, 260 nicht berührt. Nach § 79 Abs. 2 Satz 1 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht (BVerfGG) bleiben nicht mehr anfechtbare Entscheidungen, die auf einer gemäß § 78 BVerfGG für nichtig erklärten Norm beruhen, grundsätzlich unberührt. Dies gilt analog, wenn das BVerfG --wie im Streitfall-- lediglich die Auslegung einer Norm für unvereinbar mit dem GG erklärt hat (Senatsurteil vom 28. Juni 2006 III R 13/06, BFH/NV 2006, 2204, m.w.N.).

Der Bescheid ist auch wirksam. Denn ein Bescheid, der auf einer von einer Entscheidung des BVerfG abweichenden Auslegung einer Rechtsnorm beruht, ist zwar rechtswidrig, aber nicht nichtig (Senatsurteil in BFH/NV 2006, 2204, m.w.N.).

3. Der Bescheid vom 6. April 2004 ist entgegen der Auffassung des FG nicht nach § 70 Abs. 4 EStG aufzuheben. § 70 Abs. 4 EStG ist nicht anwendbar, wenn der Jahresgrenzbetrag --wie im Streitfall-- allein deshalb unterschritten wird, weil sich hinsichtlich der gesetzlichen Sozialversicherungsbeiträge des Kindes die Rechtsauffassung zur Auslegung des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG geändert hat. § 70 Abs. 4 EStG ermöglicht nur dann die Aufhebung oder Änderung eines Kindergeldbescheids, wenn sich nach Ablauf des Kalenderjahrs von der Prognose der Familienkasse abweichende tatsächliche Änderungen hinsichtlich des Betrags der Einkünfte und Bezüge ergeben haben (Senatsurteil vom 28. November 2006 III R 6/06, BFH/NV 2007, 338).

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