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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 03.08.2000
Aktenzeichen: III R 11/96
Rechtsgebiete: FGO, AO 1977


Vorschriften:

FGO § 68
FGO § 68 Satz 2
FGO § 68 Satz 3
FGO § 56 Abs. 2
AO 1977 § 130
AO 1977 § 131
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe

I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) handelt mit Gasen aller Art. Damit die im Fördergebiet ansässigen Abnehmer das Gas fachgerecht lagern können, erwirbt sie Propangasbehälter und vermietet diese an ihre Kunden. Im Streitjahr 1991 schaffte sie u.a. 562 Propangasbehälter an. Die Tanks werden auf einer Betonplatte oberirdisch aufgestellt und mit Schrauben mit dieser verbunden. Zudem wird eine Gasleitung angeschlossen. Nach dem Mustervertrag soll der Tank im Eigentum der Klägerin verbleiben. Im Streitjahr lieferte die Klägerin 621 Tanks aus, davon 33 an öffentliche Einrichtungen, 58 an gewerbliche Kunden und 530 an private Kunden.

Durch Investitionszulagenbescheid 1991 vom 28. Oktober 1992 wurde für die Gasbehälter eine Investitionzulage zunächst gewährt. Unter dem 11. April 1994 änderte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) den Bescheid und forderte die auf die Gasbehälter entfallende Investitionszulage in Höhe von ... DM zurück.

Der nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobenen Klage gab das Finanzgericht (FG) mit in Entscheidungen der Finanzgerichte 1996, 1000 veröffentlichtem Urteil statt. Es war der Ansicht, bei den Gastanks handele es sich entgegen der Auffassung des FA um bewegliche Wirtschaftsgüter, die zum Anlagevermögen der Klägerin gehörten und trotz der Vermietung an gewerbliche, aber auch an private Endabnehmer in einer Betriebsstätte im Fördergebiet verblieben seien.

Mit seiner Revision erhebt das FA materiell-rechtliche Einwendungen gegen das Urteil des FG.

Während des Revisionsverfahrens erließ das FA am 4. Oktober 1996 einen an den Prozessbevollmächtigten der Klägerin gerichteten Änderungsbescheid, der gemäß § 68 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) einen Hinweis auf die Möglichkeit enthält, den Bescheid zum Gegenstand des anhängigen Revisionsverfahrens zu machen. Gegen diesen Änderungsbescheid legte die Klägerin fristgerecht Einspruch ein, den sie jedoch mit Schreiben vom 27. März 1997 zurücknahm. Mit Schriftsatz vom 14. März 1997 --beim Bundesfinanzhof (BFH) eingegangen am 18. März 1997-- ließ die Klägerin mitteilen, dass das FA durch den geänderten Bescheid vom 4. Oktober 1996 seine bisherige Rechtsauffassung hinsichtlich der Vermietung der Tankanlagen an gewerbliche Kunden geändert habe und insoweit der Ansicht des FG folge. Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass gegen den geänderten Bescheid vom 4. Oktober 1996 Einspruch erhoben worden sei, da das FA nicht alle an gewerbliche Kunden vermietete Tankanlagen als förderungswürdig angesehen habe. Da es sich insoweit jedoch nur um geringe Beträge handle, sei der Einspruch zurückgenommen worden, so dass hinsichtlich des geänderten Bescheides insoweit Rechtskraft eingetreten sei. Durch den Schriftsatz des FA vom 5. Mai 1997 darauf aufmerksam gemacht, dass die Klägerin den geänderten Bescheid vom 4. Oktober 1996 trotz des Hinweises in der Rechtsbehelfsbelehrung nicht zum Gegenstand des Revisionsverfahrens gemacht habe, dieser vielmehr nach Rückname des Einspruchs rechtskräftig geworden sei, teilte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin mit Schriftsatz vom 25. Juni 1997 mit, ihm sei die rechtliche Wirkung, dass ein Änderungsbescheid den ursprünglichen Bescheid ersetze, aufgrund seiner verwaltungsrechtlichen Erfahrung nicht bekannt gewesen. Es sei nicht Absicht der Klägerin gewesen, durch die Rücknahme des Einspruchs das Revisionsverfahren zum Abschluss zu bringen. Dies ergebe sich auch aus dem Schriftsatz vom 14. März 1997, in dem ausgeführt worden sei, dass sich der Rechtsstreit in Höhe der Investitionszulage nach dem Änderungsbescheid vom 4. Oktober 1996 nur teilweise erledigt habe.

Mit Datum vom 27. August 1997 hat das FA einen weiteren Änderungsbescheid erlassen, den die Klägerin mit Schriftsatz vom 29. August 1997 zum Gegenstand des Verfahrens gemacht hat. Sie ist der Ansicht, auf der Grundlage des neuen Änderungsbescheides und des nunmehr nach § 68 FGO gestellten Antrags sei die Zulässigkeit des Klage- und Revisionsverfahrens wieder gegeben. Sie verweist hierzu u.a. auf die BFH-Entscheidungen vom 16. Januar 1991 IV B 23/88 (BFH/NV 1992, 390), vom 30. August 1994 IX R 19/92 (BFH/NV 1995, 596) und vom 16. Juli 1992 VII R 57, 58/91 (BFH/NV 1993, 152).

Mit Schriftsatz vom 30. Juni 1998 hat die Klägerin unter Hinweis auf die BFH-Entscheidung vom 15. Mai 1997 XI R 53/88 (BFHE 182, 304, BStBl II 1997, 514) auch den Bescheid vom 4. Oktober 1996 zum Gegenstand des Verfahrens gemacht.

Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin ist der Revision entgegengetreten.

II. 1. Die Revision des FA ist zulässig. Das FA hat ein schutzwürdiges Interesse (Rechtsschutzinteresse) daran, dass über sein Begehren auf Aufhebung des angefochtenen Urteils entschieden wird. Dabei ist es für die Bejahung des Rechtsschutzinteresses des FA ohne Bedeutung, wie das Revisionsverfahren letztlich ausgehen wird, ob es zu einer Überprüfung des angefochtenen Urteils seinem materiellen Inhalt nach oder ob es lediglich zu einer formellen Aufhebung des angefochtenen Urteils kommen wird.

2. Die Revision ist auch begründet. Die Klage der Klägerin gegen den Investitionszulagenbescheid vom 11. April 1994 (Rückforderungsbescheid) ist unzulässig geworden. Der diesen Bescheid ändernde Bescheid vom 4. Oktober 1996 wurde nicht --oder zumindest nicht fristgerecht-- zum Gegenstand des Revisionsverfahrens erklärt. Die Klägerin ist durch den von ihr angefochtenen Bescheid vom 11. April 1994 nicht mehr beschwert.

Wird der angefochtene Verwaltungsakt nach Klageerhebung durch einen anderen Verwaltungsakt geändert oder ersetzt, so wird dieser auf Antrag des Klägers Gegenstand des Verfahrens (§§ 121, 68 FGO). Wird ein derartiger Antrag nicht gestellt und auch kein Einspruch gegen den Änderungsbescheid eingelegt, wird die Klage, die sich damit nach wie vor gegen den ursprünglichen Bescheid richtet, mangels Beschwer unzulässig (ständige Rechtsprechung seit Beschluss des Großen Senats des BFH vom 25. Oktober 1972 GrS 1/72, BFHE 108, 1, BStBl II 1973, 231). Seit dem 1. Januar 1993 ist --in Abweichung von der früheren Rechtslage (vgl. Beschluss des Großen Senats des BFH vom 8. November 1971 GrS 9/70, BFHE 103, 549, BStBl II 1972, 219)-- der Antrag, den ändernden oder ersetzenden Verwaltungsakt zum Gegenstand des Verfahrens zu machen, gemäß § 68 Satz 2 FGO innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des neuen Verwaltungsaktes zu stellen. Hierauf ist gemäß § 68 Satz 3 FGO in der Rechtsbehelfsbelehrung hinzuweisen.

Die Klägerin hat zwar gegen den Änderungsbescheid vom 4. Oktober 1996 fristgerecht Einspruch eingelegt, diesen jedoch unstreitig zurückgenommen. Mit Eintritt der Bestandskraft ist der vorgenannte Bescheid an die Stelle des Bescheides vom 11. April 1994 getreten, so dass diesem kein Regelungsgehalt mehr zukommt. Die Klage ist deshalb als unzulässig abzuweisen (BFH-Urteil vom 6. November 1991 III R 25/89, BFH/NV 1992, 364, m.w.N.).

Es kann dahinstehen, ob die Äußerungen der Klägerin in dem Schriftsatz vom 14. März 1997, das Revisionsverfahren sei durch den Änderungsbescheid noch nicht erledigt, als Antrag nach § 68 FGO verstanden werden könnten. Denn ein solcher Antrag ist jedenfalls verfristet. Der Schriftsatz der Klägerin ist dem Gericht am 18. März 1997 zugegangen. Da der Änderungsbescheid am 4. Oktober 1996 zur Post gegeben wurde, ist der Antrag nicht innerhalb der Monatsfrist, also verspätet bei Gericht eingegangen. In der im Bescheid, der an den Prozessbevollmächtigten der Klägerin gerichtet war, enthaltenen Rechtsbehelfsbelehrung wurde auf die Antragsfrist ordnungsgemäß hingewiesen (§ 68 Satz 3 FGO).

Es kann im Streitfall auch dahingestellt bleiben, ob im Zusammenhang mit der Versäumung der Antragsfrist ein der Klägerin zuzurechnendes Verschulden vorliegt, denn innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist des § 56 Abs. 2 FGO ging kein Antrag zur Wiedereinsetzung in die versäumte Antragsfrist ein. Die Wiedereinsetzungsfrist begann spätestens mit der Kenntnisnahme des dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin mit Schreiben des BFH vom 7. Mai 1997 zugeleiteten Schriftsatzes des FA vom 5. Mai 1997 zu laufen. Selbst wenn man den Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 25. Juni 1997 als Wiedereinsetzungsantrag ansieht, lag dieser außerhalb der Frist.

Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand von Amts wegen --ohne entsprechenden Antrag-- scheidet ebenfalls aus, da auch in diesem Fall die die Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist anzugeben sind oder offenkundig sein müssen. Dies ist aber nicht der Fall, da die Klägerin bis zum Ende der 14-tägigen Wiedereinsetzungsfrist am 26. Mai 1997 keine entsprechenden Tatsachen vorgetragen hat und der Grund der Fristversäumnis auch nicht offenkundig war.

Der Antrag nach § 68 FGO ist auch nicht etwa deshalb rechtzeitig gestellt worden, weil das Schreiben vom 14. März 1997 den BFH während des noch laufenden Einspruchsverfahrens erreicht hat. Nach der Rechtsprechung des BFH wird ein Änderungsbescheid, der mit dem Einspruch angegriffen und für den außerdem ein Antrag nach § 68 FGO gestellt wird, zwar grundsätzlich in das anhängige gerichtliche Verfahren überführt, da in diesem Fall der Einspruch als zurückgenommen gilt (BFH-Urteil vom 8. Oktober 1985 VIII R 78/82, BFHE 145, 106, BStBl II 1986, 302). Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass der Antrag rechtzeitig, d.h. binnen eines Monats nach Bekanntgabe des Änderungsbescheides gestellt wird (BFH-Beschluss vom 16. Juni 1999 I B 165/98, BFH/NV 1999, 1611; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., § 68 FGO Tz. 21).

Die unterlassene bzw. verspätete Antragstellung nach § 68 FGO wird auch nicht dadurch geheilt, dass die Klägerin den während des Revisionsverfahrens ergangenen weiteren Änderungsbescheid vom 27. August 1997 innerhalb der Monatsfrist zum Gegenstand des Verfahrens erklärt hat. Die Überleitung eines zweiten Änderungsbescheides in ein laufendes Verfahren gemäß § 68 FGO setzt voraus, dass ein vorausgegangener Änderungsbescheid ebenfalls Verfahrensgegenstand geworden ist (vgl. BFH-Beschluss in BFHE 182, 304, BStBl II 1997, 514). Der vorausgegangene Änderungsbescheid vom 4. Oktober 1996 wurde aber, wie dargestellt, nicht Verfahrensgegenstand.

Der Auffassung, dass die Überleitung eines zweiten Änderungsbescheides in ein laufendes Verfahren gemäß § 68 FGO voraussetzt, dass ein vorangegangener erster Änderungsbescheid ebenfalls Verfahrensgegenstand geworden ist, steht --entgegen der Ansicht der Klägerin-- nicht entgegen, dass ein geänderter Bescheid nur solange keine Wirkung zeigt, als der folgende Bescheid Bestand hat - hier der Bescheid vom 4. Oktober 1996. Nach der Rechtsprechung des BFH nimmt ein Änderungsbescheid den ursprünglichen Bescheid in seinen Regelungsgehalt mit auf. Solange der Änderungsbescheid Bestand hat, entfaltet der ursprüngliche Bescheid keine Wirkung. Dieser ist vielmehr in dem Umfang, in dem er in den Änderungsbescheid aufgenommen worden ist, suspendiert und bleibt dies auch für die Dauer der Wirksamkeit des Änderungsbescheides. Der ursprüngliche Bescheid tritt jedoch wieder in Kraft, wenn der Änderungsbescheid aufgehoben wird (Beschluss des Großen Senats des BFH in BFHE 108, 1, BStBl II 1973, 231, 233; BFH-Beschluss vom 11. Februar 1994 III B 127/93, BFHE 173, 14, BStBl II 1994, 658, m.w.N.).

Übertragen auf den Streitfall bedeutet dies, dass der durch den Änderungsbescheid vom 4. Oktober 1996 bewirkte Suspensiveffekt für den ursprünglichen Bescheid entfällt und dieser in seiner Wirksamkeit wieder auflebt, wenn der Änderungsbescheid vom 4. Oktober 1996 aufgehoben wird. Die Aufhebung bewirkt im Gegensatz zu der Änderung eines Bescheides eine abschließende und endgültige Beseitigung des Bescheides, d.h. der Bescheid verliert im Zeitpunkt der Bekanntgabe (§ 124 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung --AO 1977--; Tipke/Kruse, a.a.O., § 172 AO 1977 Tz. 53) der Aufhebung seine Wirkung (§ 124 Abs. 2 AO 1977).

Im Streitfall hat das FA den Änderungsbescheid vom 4. Oktober 1996 jedoch nicht aufgehoben, sondern erneut geändert, ihn lediglich inhaltlich abgewandelt. Durch die Änderung eines Bescheides wird dessen Existenz vom Zeitpunkt der Änderung ab in neuer Gestalt fortgesetzt, soweit der neue Bescheid die Regelung des alten Bescheides übernimmt (v. Groll in Hübschmann/ Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., vor §§ 172 bis 177 Rz. 113, m.w.N.). Hinsichtlich des ursprünglichen Bescheids vom 11. April 1994 ist der "Schwebezustand" dagegen beendet, weil dieser Bescheid weder durch eine Anfechtung des Änderungsbescheides vom 4. Oktober 1996 noch durch einen Antrag nach § 68 FGO wieder aufleben kann.

Die Klägerin kann auch nicht mit dem Hinweis Erfolg haben, dass nach dem Beschluss des XI. Senats in BFHE 182, 304, BStBl II 1997, 514 mehrere, denselben Veranlagungszeitraum betreffende Änderungsbescheide gleichzeitig zum Gegenstand des Verfahrens erklärt werden können. Der Sachverhalt, über den der XI. Senat des BFH zu entscheiden hatte, unterscheidet sich vom Streitfall dadurch, dass der erste Änderungsbescheid vor dem 1. Januar 1993 ergangen war und damit gemäß Art. 7 des Gesetzes zur Änderung der Finanzgerichtsordnung und anderer Gesetze vom 21. Dezember 1992 (FGOÄndG, BGBl I 1992, 2109) nicht von der Neufassung des § 68 FGO zum 1. Januar 1993 erfasst wurde.

Da es sich bei der mit Bescheid vom 4. Oktober 1996 vorgenommenen Änderung nicht um eine Teilrückname bzw. einen Teilwiderruf des Bescheides vom 11. April 1994 nach den §§ 130, 131 AO 1977 handelt (vgl. dazu BFH-Urteil vom 6. August 1996 VII R 77/95, BFHE 181, 107, BStBl II 1997, 79), kann sich die Klägerin auch nicht auf die Entscheidung des VII. Senats in BFH/NV 1993, 152 berufen. Für Steuerbescheide, auch Zulagenbescheide (§ 155 Abs. 6 AO 1977 i.V.m. § 7 Abs. 1 Satz 1 des Investitionszulagengesetzes 1991), ist die Anwendbarkeit der §§ 130, 131 AO 1977 ausdrücklich ausgeschlossen (vgl. § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 d AO 1977).



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