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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 13.12.2001
Aktenzeichen: III R 13/00
Rechtsgebiete: AO 1977


Vorschriften:

AO 1977 § 27
AO 1977 § 29
AO 1977 § 122 Abs. 2 Nr. 1
AO 1977 § 127
AO 1977 § 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1
AO 1977 § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2
Ein materiell unrichtiger Einkommensteuerbescheid eines örtlich unzuständigen FA wahrt die Festsetzungsfrist nicht, wenn er dem Steuerpflichtigen erst nach Ablauf der Festsetzungsfrist zugeht.
Gründe:

I.

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger), zur Einkommensteuer zusammen veranlagte Eheleute, gaben ihre Einkommensteuererklärung für das Jahr 1990 am 25. September 1991 beim Finanzamt H ab. Wohnhaft sind sie seit Ende 1986 in V, das sich im Bezirk des Finanzamtes B (Hessen), Beklagter und Revisionsbeklagter (Finanzamt --FA--) befindet. Ihren Wohnsitzwechsel hatten sie dem Finanzamt H mit Schreiben vom 5. Dezember 1986 mitgeteilt. Die Kläger gaben auch nach ihrem Umzug ihre Einkommensteuererklärungen beim Finanzamt H ab. Die Einkommensteuererklärungen enthalten zutreffend ihre V Anschrift.

Am 31. Mai 1995 übersandte das Finanzamt B dem Finanzamt H Kontrollmaterial zur Auswertung im Rahmen der Einkommensteuerveranlagungen der Jahre 1990 bis 1992. In den Akten befindet sich ein Vermerk des Sachbearbeiters beim Finanzamt B, wonach die Sachbearbeiterin für die Einkommensteuer der Kläger im Finanzamt H "noch die Veranlagung 1990 bis 1992 durchführen möchte, dann erfolgt ggf. Aktenabgabe an uns".

Nach den --zwischenzeitlich unstreitigen-- Feststellungen des Finanzgerichts (FG) wurde der Einkommensteuerbescheid 1990 vom Finanzamt H am 29. Dezember 1995 zur Post gegeben.

Gegen den Einkommensteuerbescheid 1990 legten die Kläger Einspruch mit der Begründung ein, es sei Festsetzungsverjährung eingetreten. Sie hätten den Einkommensteuerbescheid 1990 erst am 3. Januar 1996 erhalten. Während des Einspruchsverfahrens machten sie ferner geltend, die erklärten negativen ausländischen Einkünfte seien nicht vom Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen, sondern diesem hinzugerechnet worden. Außerdem beantragten sie die Berücksichtigung von Pauschbeträgen nach § 33a und § 33b des Einkommensteuergesetzes (EStG). Die Akten wurden während des Einspruchsverfahrens an das örtlich zuständige Finanzamt B abgegeben, das den Einspruch am 25. Juli 1997 als unbegründet zurückwies. Die weiteren während des Einspruchsverfahrens vorgebrachten materiell-rechtlichen Einwendungen wurden nicht erörtert. Während des Klageverfahrens erließ das FA einen geänderten Einkommensteuerbescheid 1990 (15. Oktober 1998), in dem diesen Streitpunkten abgeholfen wurde.

Die Kläger begründeten ihre Klage im Wesentlichen wie folgt: Der Einkommensteuerbescheid 1990 hätte nicht mehr ergehen dürfen, weil Festsetzungsverjährung eingetreten sei. Es sei unglaubhaft, dass der Bescheid am 29. Dezember 1995 das Finanzamt H verlassen habe. Selbst wenn dies der Fall sei, greife § 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) nicht ein, weil ein Bescheid nur dann innerhalb der Verjährungsfrist ergehe, wenn er von der zuständigen Behörde erlassen worden sei. Das Finanzamt H sei aber örtlich unzuständig gewesen.

Unabhängig davon, ob der Einkommensteuerbescheid 1990 innerhalb der Verjährungsfrist ergangen sei oder nicht, seien der ursprüngliche Bescheid, der Änderungsbescheid und die Einspruchsentscheidung aufzuheben, weil der ursprüngliche Bescheid und die Einspruchsentscheidung auch materielle Mängel aufgewiesen hätten. Nach § 127 AO 1977 sei die falsche örtliche Zuständigkeit nur dann unbeachtlich, wenn in der Sache keine andere Entscheidung hätte getroffen werden können.

Zwar stehe es dem FA grundsätzlich frei, dem Klagebegehren während des finanzgerichtlichen Verfahrens durch einen Änderungsbescheid zu entsprechen. Wenn das FA aber durch die Beseitigung der materiellen Mängel des Ursprungsbescheides den Klägern die Grundlage für die Aufhebungsmöglichkeit der Bescheide hierdurch entziehe, komme dies einer Umgehung des § 127 AO 1977 gleich.

Das FG --dessen Urteil in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2000, 766 veröffentlicht ist-- hat nach einer Beweisaufnahme, die den Zeitpunkt der Absendung des Einkommensteuerbescheides 1990 zum Gegenstand hatte, die Klage abgewiesen. Der Bescheid sei formell und materiell rechtmäßig. Zum Zeitpunkt des Erlasses des Änderungsbescheides sei noch keine Festsetzungsverjährung eingetreten gewesen. Die Beweisaufnahme habe ergeben, dass der ursprüngliche Einkommensteuerbescheid 1990 am 29. Dezember 1995 und demnach vor Ablauf der Festsetzungsfrist zur Post gegeben worden sei. Dieser Bescheid sei auch wirksam, da die von den Klägern gerügten formellen Mängel --örtlich unzuständige Behörde und Verletzung des Zeichnungsrechtes durch die Sachbearbeiter-- allenfalls zur bloßen Fehlerhaftigkeit, nicht aber zur Nichtigkeit bzw. Unwirksamkeit des Bescheides geführt hätten. Hinsichtlich der örtlichen Zuständigkeit folge dies bereits aus § 125 Abs. 3 Nr. 1 AO 1977.

Mit der Revision rügen die Kläger eine Verletzung des § 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 AO 1977 und wiederholen im Wesentlichen ihr bisheriges Vorbringen.

Sie beantragen, das Urteil des Hessischen FG vom 15. Dezember 1999 1 K 4359/97, die Einkommensteuerbescheide 1990 vom 15. Oktober 1998 und vom 29. Dezember 1995 und die Einspruchsentscheidung vom 4. August 1997 aufzuheben.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Es ist der Auffassung, das FG habe § 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 AO 1977 zutreffend ausgelegt. Auch aus § 29 AO 1977 ergäbe sich, dass der Gesetzgeber der örtlichen Zuständigkeit eines Finanzamtes kein großes Gewicht beimesse.

II.

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und des Einkommensteueränderungsbescheids 1990, des Einkommensteuerbescheids 1990 sowie der dazu ergangenen Einspruchsentscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

Entgegen der Auffassung des FG ist die Einkommensteuer 1990 verjährt.

1. Der am 29. Dezember 1995 zur Post gegebene Einkommensteuerbescheid 1990 ist erst nach Ablauf der Festsetzungsfrist wirksam geworden.

Die Festsetzungsfrist für die Einkommensteuer beträgt nach § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 grundsätzlich vier Jahre. Die Kläger haben nach den Feststellungen des FG am 25. September 1991 die Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 1990 abgegeben. Daher begann die Festsetzungsfrist nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 mit Ablauf des Kalenderjahres 1991 und endete nach § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 mit Ablauf des 31. Dezember 1995. Der Einkommensteuerbescheid 1990 ist zwar innerhalb dieser Frist erstellt und zur Post gegeben worden, aber den Klägern erst danach zugegangen.

Gemäß § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 gilt ein schriftlicher Verwaltungsakt, der durch die Post übermittelt wird, am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben, im Streitfall also erst nach Ablauf der Festsetzungsfrist am 1. Januar 1996. Ob die Kläger --wie sie vortragen-- den Bescheid tatsächlich erst am 3. Januar 1996 erhalten haben, ist somit unerheblich.

2. Die Festsetzungsfrist ist auch nicht nach § 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 AO 1977 gewahrt, denn der Bescheid hat nicht vor Ablauf der Festsetzungsfrist den Bereich der für die Steuerfestsetzung zuständigen Finanzbehörde verlassen.

Das Finanzamt H, das den angefochtenen Einkommensteuerbescheid 1990 erlassen hat, war für die Besteuerung der Kläger nach dem Einkommen 1990 örtlich nicht zuständig. Örtlich zuständiges Finanzamt war vielmehr gemäß § 19 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 das (beklagte) Finanzamt B, in dessen Bezirk die Kläger seit 1986 wohnen.

Zu Recht ist das FG in Übereinstimmung mit den Beteiligten davon ausgegangen, dass zwischen den FÄ H und B keine Zuständigkeitsvereinbarung getroffen worden war. Nach § 27 AO 1977 setzt eine Zuständigkeitsvereinbarung das "Einvernehmen", also zwei übereinstimmende Entschließungen der beteiligten Behörden sowie das Einverständnis des Betroffenen voraus. An beiden Voraussetzungen mangelt es. Aus den Akten ist ersichtlich, dass die beteiligten FÄ eine Zuständigkeitsvereinbarung nicht treffen wollten (vgl. Aktenvermerke der Sachbearbeiter der FÄ H und B vom 31. Mai 1995 und vom 30. September 1996). Zudem haben die Kläger nicht zugestimmt. Zwar ist keine bestimmte Form für die Zustimmung des Betroffenen vorgeschrieben. Sie muss jedoch ausdrücklich erklärt werden. Schweigen oder fehlender Widerspruch können für sich nicht als Zustimmung gewertet werden (Sunder-Plassmann in Hübschmann/ Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 27 AO 1977 Rz. 8; Klein/Brockmeyer, Abgabenordnung, 7. Aufl., § 27 Rz. 4). Auch die Einreichung der Steuererklärung beim örtlich unzuständigen FA reicht hierfür nicht aus, zumal die Kläger auf die örtliche Zuständigkeit des Finanzamt B hingewiesen haben (vgl. Schreiben des Klägers an das Finanzamt H vom 30. Dezember 1986). Die Zuständigkeit ist auch nicht nach § 26 AO 1977 begründet, denn die Kläger haben bereits Ende 1986 dem Finanzamt H ihren Wohnsitzwechsel angezeigt und auch in den nachfolgenden Einkommensteuererklärungen jeweils ihre V Adresse mitgeteilt. § 26 Satz 2 AO 1977 gestattet nur, ein bereits begonnenes Veranlagungsverfahren fortzuführen (vgl. Klein/Brockmeyer, a.a.O., § 26 Rz. 3).

Die örtliche Zuständigkeit des Finanzamts H folgt auch nicht aus § 29 AO 1977. Nach dieser Vorschrift ist bei Gefahr im Verzug jede Finanzbehörde örtlich zuständig, in deren Bezirk der Anlass für die Amtshandlung hervortritt. Diese Vorschrift greift dann ein, wenn entweder die Zuständigkeit nicht sofort eindeutig zu klären ist oder eine sonst nicht zu bewältigende Notsituation vorliegt (vgl. Sunder-Plassmann in Hübschmann/ Hepp/Spitaler, a.a.O., § 29 AO 1977 Rz. 3 und 6). Diese Voraussetzungen lagen nicht vor. Weder war die örtliche Zuständigkeit zweifelhaft noch war das zuständige FA gehindert, selbst den Einkommensteuerbescheid für das Jahr 1990 zu erlassen.

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat bislang nicht entschieden, wie das Tatbestandsmerkmal "zuständige Finanzbehörde" in § 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 AO 1977 auszulegen ist. Auch in der Rechtsprechung der FG hat, soweit ersichtlich, diese Frage bisher keine Rolle gespielt. In der Literatur wird entweder die Auffassung vertreten, aus § 127 AO 1977 folge, dass auch der Bescheid einer örtlich unzuständigen Finanzbehörde die Verjährungsfrist wahre (Ruban in Hübschmann/Hepp/Spitaler, a.a.O., § 169 AO 1977 Rz. 62; Koch/Scholz, Abgabenordnung, 5. Aufl., § 169 Rz. 18), oder der gegenteilige Standpunkt eingenommen (Klein/Rüsken, a.a.O., § 169 Rz. 41).

§ 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 AO 1977 bewirkt eine Verlängerung der Festsetzungsfrist in den Fällen, in denen der Bescheid zwar innerhalb der Festsetzungsfrist den Bereich des FA verlassen hat, dem Steuerpflichtigen aber erst --wie im Streitfall-- nach Ablauf der Festsetzungsfrist zugeht und damit wirksam wird (§§ 122, 124 Abs. 1 AO 1977). Die Gesetzesmaterialien wie der Gesetzeszweck lassen keinen eindeutigen Rückschluss darauf zu, ob sich die normale Festsetzungsfrist nur verlängern soll, wenn das FA alle Verfahrensvorschriften über die Zuständigkeit eingehalten hat.

Nach der Begründung des Regierungsentwurfs zur AO 1977 bezweckt die Vorschrift, die Einhaltung der Festsetzungsfrist von den Zufälligkeiten des Bekanntgabevorganges unabhängig zu machen. Bei einer Bekanntgabe im Geltungsbereich des Gesetzes werde darüber hinaus der sonst mögliche Streit vermieden, wann der Steuerbescheid zugegangen sei (BTDrucks VI/1982, S. 150). Die Regierungsbegründung enthält im Übrigen keinen Hinweis darauf, ob mit der zuständigen Finanzbehörde nur die sachlich zuständige oder darüber hinaus auch die örtlich zuständige Finanzbehörde gemeint ist. Vielmehr wird nur ausgeführt, dass die Wirkungen des § 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 AO 1977 nur eintreten sollen, wenn der Bescheid den Bereich der "zuständigen" Finanzbehörde verlassen habe.

Schon der Wortlaut der Vorschrift, der die sachliche, die verbandsmäßige und die örtliche Zuständigkeit umfasst, spricht gegen eine Begrenzung lediglich auf Fälle der sachlichen oder verbandsmäßigen Zuständigkeit. Des Weiteren legt es der Ausnahmecharakter der Vorschrift nahe, die Wirkungen des § 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 AO 1977 nur dann eintreten zu lassen, wenn das FA sachlich und örtlich für den Erlass des Bescheides zuständig war. Eine für den Steuerpflichtigen nachteilige Vorschrift im Bereich der Eingriffsverwaltung ist, wenn sich kein eindeutiger Gesetzeszweck ermitteln lässt, im Zweifel zugunsten des Steuerpflichtigen auszulegen, insbesondere wenn der Wortlaut der Vorschrift diese Auslegung nahe legt.

Hinzu kommt, dass das Tatbestandsmerkmal "zuständige Finanzbehörde" weitgehend überflüssig wäre, umfasste es lediglich die sachliche und verbandsmäßige Zuständigkeit. Bescheide, die unter Verletzung der sachlichen oder verbandsmäßigen Zuständigkeit ergehen, sind entweder nichtig oder rechtswidrig. Wird daher ein Steuerbescheid, der von einer sachlich unzuständigen Finanzbehörde erlassen wurde, angefochten, wird er ersatzlos aufgehoben, denn die Regelung des § 127 AO 1977 gilt nach allgemeiner Auffassung bei Verstößen gegen die sachliche oder verbandsmäßige Zuständigkeit nicht (BFH-Urteil vom 21. April 1993 X R 112/91, BFHE 171, 15, BStBl II 1993, 649, unter II. 2. d, m.w.N.). Mit der Aufhebung entfallen rückwirkend auch die Wirkungen des § 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 AO 1977, denn ein Bescheid muss, um den Lauf der Festsetzungsfrist beeinflussen zu können, nicht nur wirksam werden, sondern auch wirksam bleiben (BFH-Urteil vom 16. Mai 1990 X R 147/87, BFHE 161, 398, BStBl II 1990, 942). Diese Folge träte bei sachlicher und verbandsmäßiger Unzuständigkeit auch ein, wenn die Vorschrift keine entsprechende Regelung über die Zuständigkeit enthielte. Da nicht unterstellt werden kann, der Gesetzgeber habe ein überflüssiges Merkmal in das Gesetz aufgenommen, ist im Zweifel die Auslegung des Gesetzes zu bevorzugen, die einem Tatbestandsmerkmal einen sinnvollen Gehalt zuweist. Danach ist davon auszugehen, dass die Wirkungen des § 169 Abs. 1 Satz 3 AO 1977 nur eintreten sollen, wenn der Bescheid auch von der örtlich zuständigen Finanzbehörde erlassen wurde.

Allerdings kann nach § 127 AO 1977 die Aufhebung eines Verwaltungsaktes, der nicht nach § 125 AO 1977 nichtig ist, nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist, wenn keine andere Entscheidung in der Sache hätte getroffen werden können. Dem liegt die Erwägung zugrunde, dass der Steuerpflichtige allein durch die Verletzung dieser Vorschriften nicht beschwert ist, wenn sich die Entscheidung als sachlich richtig erweist. Die Vorschrift dient der Prozessökonomie und soll verhindern, dass ein Verwaltungsakt allein wegen formaler Mängel aufgehoben wird, wenn ein Verwaltungsakt gleichen Inhalts erneut erlassen werden müsste (vgl. BFH-Urteil vom 2. Juli 1980 I R 74/77, BFHE 131, 180, BStBl II 1980, 684).

§ 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 AO 1977 dagegen befasst sich nicht mit den Folgen eines Verstoßes gegen Verfahrensvorschriften hinsichtlich der Anfechtbarkeit eines Steuerbescheides, sondern verlängert die normale Festsetzungsfrist, sofern der Steuerbescheid vor Ablauf der Festsetzungsfrist den Bereich des zuständigen Finanzamtes verlassen hat. Wegen der unterschiedlichen Zielrichtung beider Vorschriften sowie dem Wortlaut und dem Ausnahmecharakter des § 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 AO 1977 kann aus dem Gesetzeszweck des § 127 AO 1977 nicht zwingend abgeleitet werden, dass der Bescheid einer örtlich unzuständigen Behörde auch dann die Festsetzungsfrist wahrt, wenn er erst nach deren Ablauf dem Steuerpflichtigen zugeht. Denn der Gesetzgeber kann der Einhaltung von Verfahrensvorschriften in unterschiedlichen Regelungszusammenhängen ein unterschiedliches Gewicht beimessen. Zudem könnte der Steuerpflichtige, dem ein die Festsetzungsfrist wahrender Steuerbescheid einer örtlich unzuständigen Behörde erst nach Ablauf der Festsetzungsfrist zugeht, allein durch Verletzung der Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit beschwert sein, weil offen ist, ob die örtlich zuständige Behörde innerhalb der Festsetzungsfrist einen Bescheid hätte erlassen oder eine die Verjährung unterbrechende Handlung hätte vornehmen können.

Der Senat kann im Streitfall aber offen lassen, ob die Festsetzungsfrist stets nur verlängert wird, wenn der Bescheid vor Ablauf der Festsetzungsfrist den Bereich der sachlich und örtlich zuständigen Finanzbehörde verlassen hat. Der Steuerbescheid einer örtlich unzuständigen Finanzbehörde wahrt jedenfalls dann nicht gemäß § 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 AO 1977 die Festsetzungsfrist, wenn er zusätzlich materielle Mängel aufweist, er deswegen und unter Hinweis auf die Mängel der örtlichen Unzuständigkeit angefochten und nach Ablauf der Festsetzungsfrist aufgehoben oder geändert wird (vgl. auch BFH in BFHE 131, 180, BStBl II 1980, 684, unter II. 3. d.; wohl auch Ruban in Hübschmann/ Hepp/Spitaler, a.a.O., § 169 AO 1977, Rz. 62). Dabei ist unschädlich, dass die Aufhebung --wie hier-- nur deshalb unterbleibt, weil die örtlich zuständige Finanzbehörde während des Klageverfahrens den Steuerpflichtigen klaglos stellt, indem es einen geänderten Bescheid erlässt, der den materiellen Einwänden Rechnung trägt.

Der vom Finanzamt H erlassene Einkommensteuerbescheid 1990 vom 29. Dezember 1995 war nicht nur von einem örtlich unzuständigen Finanzamt erlassen worden, sondern wies auch materielle Rechtsfehler auf, weil das Finanzamt H die negativen ausländischen Einkünfte der Kläger dem Gesamtbetrag der Einkünfte zugerechnet hatte, statt sie abzuziehen. Aus diesem Grund hat das örtlich zuständige FA nach Erlass der Einspruchsentscheidung einen geänderten Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr erlassen, in dem es diesem Fehler abhalf und außerdem die nachträglich geltend gemachten Pauschbeträge berücksichtigte.

3. Das FG ist von anderen Grundsätzen ausgegangen. Die Vorentscheidung war daher aufzuheben. Die Sache ist entscheidungsreif. Da feststeht, dass der Einkommensteuerbescheid 1990 den Klägern erst im Jahr 1996 zugegangen ist, ist er, die Einspruchsentscheidung sowie der während des Klageverfahrens ergangene geänderte Einkommensteuerbescheid 1990 wegen eingetretener Festsetzungsverjährung rechtswidrig.

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