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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 28.08.1997
Aktenzeichen: III R 195/94
Rechtsgebiete: EStG


Vorschriften:

EStG § 33
BUNDESFINANZHOF

Aufwendungen eines anläßlich der Wiederherstellung der deutschen Einheit aus der ehemaligen Nationalen Volksarmee ausgeschiedenen Berufsoffiziers im Zusammenhang mit einer Umschulungsmaßnahme sind grundsätzlich nicht als außergewöhnliche Belastung i.S. von § 33 EStG zu berücksichtigen.

EStG § 33

Urteil vom 28. August 1997 - III R 195/94

Vorinstanz: FG des Landes Brandenburg


Gründe

Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Eheleute. Der Kläger war Berufsoffizier in der ehemaligen Nationalen Volksarmee (NVA). An der Offiziershochschule hatte er ein Studium als Diplom-Gesellschaftswissenschaftler abgeschlossen. Dieser Bildungsabschluß wurde auf der Grundlage von Beschlüssen der Kultusministerkonferenz zur Feststellung der Gleichwertigkeit von in der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik {DDR) erworbenen Bildungsabschlüssen mit Hochschulabschlüssen vom 10./11. Oktober 1991 und 30./31. Januar 1992 i.V.m. Art. 37 Abs. 1 Satz 3 des Einigungsvertrages (EinigVtr) nicht anerkannt. Der Kläger wurde im September 1990 aus der NVA entlassen. In der Zeit vom 29. Oktober 1990 bis 30. Oktober 1992 nahm er an einer vom Arbeitsamt geförderten Umschulung teil.

In ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr (1991) machten die Kläger die im Zusammenhang mit der Umschulung entstandenen und vom Arbeitsamt nicht erstatteten Aufwendungen (Kosten für Fahrten zu den jeweiligen Ausbildungsorten) als Sonderausgaben (900 DM) und als außergewöhnliche Belastung geltend. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) berücksichtigte bei der Veranlagung zur Einkommensteuer nur 900 DM als Sonderausgaben. Der gegen den Einkommensteuerbescheid vom 2. September 1992 eingelegte Einspruch war erfolglos.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Es bejahte die Zwangsläufigkeit der Aufwendungen für die Umschulung. Das FG ging davon aus, daß die Umschulungsmaßnahme durch die 1990 eingetretene besondere Situation in den neuen Bundesländern für den Kläger unumgänglich gewesen sei. Infolge der Nichtanerkennung seines Berufsabschlusses sei der Kläger aus der NVA entlassen worden. Mit seinen an einer Offiziershochschule erworbenen Kenntnissen, die auf eine spezielle Verwendung in den Streitkräften der ehemaligen DDR ausgerichtet und nach den Feststellungen der Kultusministerkonferenz einem Hochschulabschluß nicht gleichwertig gewesen seien, habe der Kläger ohne jeglichen Berufsabschluß dagestanden.

Mit seiner Revision rügt das FA die unrichtige Auslegung von § 33 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Das FA macht im wesentlichen geltend: Ausnahmen von dem Grundsatz, daß Kosten für die eigene Berufsausbildung nicht zwangsläufig seien, habe die Rechtsprechung dann für denkbar gehalten, wenn die Entschließungsfreiheit eines Steuerpflichtigen zur Berufsausbildung tatsächlich nicht bestehe, etwa weil er wegen unfall- oder krankheitsbedingter Behinderung einen erlernten Beruf nicht mehr ausüben könne und so zu einer Umschulung gezwungen sei (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 22. März 1967 VI R 300/66, BFHE 89, 69, BStBl III 1967, 596). Eine solche tatsächliche Zwangslage könne nur durch ein unausweichliches Ereignis tatsächlicher Art --Katastrophe, Krankheit etc.-- begründet werden, nicht jedoch durch die besondere Situation der Umstrukturierung der Streitkräfte als Folge der Wiederherstellung der deutschen Einheit. Eine Auslegung des Begriffs der Zwangsläufigkeit, wie sie das FG vorgenommen habe, führe zu einer Anerkennung von Aufwendungen für Umschulungsmaßnahmen als außergewöhnliche Belastung auch in all den Fällen, in denen Berufsabschlüsse im Rahmen der Umstrukturierung des Wirtschafts- und Arbeitsmarktes wertlos werden.

Das FA beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen.

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage, weil das FG die im Zusammenhang mit der Umschulung entstandenen Fahrtkosten zu Unrecht als außergewöhnliche Belastung zum Abzug zugelassen hat.

1. Der BFH unterscheidet in ständiger Rechtsprechung zwischen Berufsausbildungs- und Berufsfortbildungskosten. Zu den ersteren zählt er solche Aufwendungen, die dem Ziel dienen, Kenntnisse zu erwerben, die als Grundlage für die Ausübung eines künftigen Berufs notwendig sind oder die es ermöglichen, von einer Berufsart zu einer anderen überzuwechseln. Fortbildungskosten sind demgegenüber solche Aufwendungen, die getätigt werden, um in dem ausgeübten Beruf auf dem laufenden zu bleiben und den jeweiligen Anforderungen gerecht zu werden (vgl. dazu BFH-Urteil vom 28. September 1984 VI R 44/83, BFHE 142, 262, BStBl II 1985, 94, sowie aus jüngster Zeit z.B. das BFH-Urteil vom 19. April 1996 VI R 24/95, BFHE 180, 360, BStBl II 1996, 452). Während Fortbildungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit als Werbungskosten abziehbar sind, sieht der BFH die Berufsausbildungskosten als Kosten der allgemeinen Lebensführung an, die gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG in begrenztem Umfang als Sonderausgaben abziehbar sind. Bei der Umschulung des Klägers handelt es sich --was zwischen den Beteiligten unstreitig ist-- um eine Berufsausbildung im oben genannten Sinn, denn der Kläger wollte sich mit der Ausbildung eine nicht nur vorübergehende Betätigungsmöglichkeit schaffen, die dem Aufbau und damit der Erhaltung und Sicherung seiner Lebensgrundlagen dienen sollte (vgl. BFH-Urteil vom 18. Dezember 1987 VI R 149/81, BFHE 152, 337, BStBl II 1988, 494).

2. Der Auffassung des FG, die über den in § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG genannten Betrag von 900 DM hinausgehenden Aufwendungen seien als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen, kann der Senat nicht folgen. Einer Abzugsfähigkeit steht zwar nicht schon das Abzugsverbot des § 33 Abs. 2 Satz 2 EStG entgegen; die Berücksichtigung scheitert jedoch daran, daß die dem Kläger entstandenen Aufwendungen die Merkmale einer außergewöhnlichen Belastung i.S. des § 33 Abs. 1 EStG nicht erfüllen.

Nach dieser Vorschrift wird die Einkommensteuer auf Antrag ermäßigt, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstandes erwachsen.

Im Rahmen des § 33 EStG sollen nur solche Aufwendungen Berücksichtigung finden, die den Steuerpflichtigen belasten. Daran fehlt es nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats, wenn der Steuerpflichtige für seine Aufwendungen einen Gegenwert oder einen nicht nur vorübergehenden Vorteil erlangt. Denn in einem solchen Fall ist eine bloße Umschichtung von Vermögenswerten gegeben, die den Steuerpflichtigen nicht (außergewöhnlich) belastet. Nur soweit Werte aus seinem Vermögen oder seinem laufenden Einkommen endgültig abfließen, liegt bei ihm eine Belastung vor (vgl. Senatsurteil vom 29. November 1991 III R 74/87, BFHE 166, 266, BStBl II 1992, 290).

Erleidet der Steuerpflichtige aufgrund eines außergewöhnlichen Ereignisses unverschuldet einen endgültigen Verlust in einem existentiell wichtigen Bereich, können die zu dessen Ausgleich aufgewendeten Kosten eine solche nach § 33 EStG zu berücksichtigende Belastung darstellen (vgl. dazu z.B. die Urteile des Senats in BFHE 166, 266, BStBl II 1992, 290; vom 6. Mai 1994 III R 27/92, BFHE 175, 332, BStBl II 1995, 104, und vom 10. Oktober 1996 III R 209/94, BFHE 182, 333, BStBl II 1997, 491). Ob es sich bei einer akademischen Erstausbildung bzw. einer Fachausbildung --wie sie der Kläger während seiner Zugehörigkeit zur NVA erhalten hat-- um ein existentiell notwendiges Gut in diesem Sinn handelt, braucht der Senat nicht zu entscheiden, denn die Anerkennung der Kosten für die hier durchgeführte Zweitausbildung als außergewöhnliche Belastung würde nach der angeführten Rechtsprechung zudem voraussetzen, daß ein endgültiger Verlust des wirtschaftlichen Wertes der Erstausbildung gegeben ist. Davon kann im Streitfall jedoch nicht ausgegangen werden.

Eine erfolgreich abgeschlossene Ausbildung ist in der Regel nicht ohne wirtschaftlichen Wert, da sie dem Steuerpflichtigen bessere Berufschancen eröffnet und in vielen Fällen auch zu einer wirtschaftlichen und sozialen Besserstellung führt. Mit dieser Begründung hat der BFH bereits in früheren Entscheidungen die steuerliche Anerkennung von Aufwendungen für eine Berufsausbildung als außergewöhnliche Belastung versagt (vgl. BFH-Urteile in BFHE 89, 69, BStBl III 1967, 596; vom 20. März 1959 VI 92/58, Der Betrieb 1959, 476, Deutsche Steuer-Rundschau 1959, 237, und vom 6. März 1964 VI 133/63 U, BFHE 79, 269, BStBl III 1964, 330). Auch das Bundesverfassungsgericht spricht im Zusammenhang mit Ausbildungskosten (von Eltern für ihre Kinder) von einer Zukunftsinvestition und verneint das Vorliegen eines "verlorenen Zuschusses" der Eltern (s. Beschluß vom 26. Januar 1994 1 BvL 12/86, BVerfGE 89, 346, BStBl II 1994, 307, Abschn. B I Nr. 2). Ein endgültiger Verlust des wirtschaftlichen Wertes einer Ausbildung kann daher nur für den Fall angenommen werden, in dem eine berufliche Nutzung oder Verwertung der bisher erlernten Kenntnisse schlechthin unmöglich geworden ist. So liegen die Verhältnisse im Streitfall jedoch nicht.

Der Kläger sah sich nach seinem Ausscheiden aus der NVA zwar gezwungen, sich einer neuen Tätigkeit zuzuwenden, um den Lebensunterhalt für sich und seine Familie zu bestreiten. Er hatte jedoch die Wahl zu entscheiden, auf welchem Feld er sich betätigen wollte; ob er sich --trotz der sich im Jahre 1990 schon abzeichnenden und durch die Beschlüsse der Kultusministerkonferenz in den Jahren 1991 und 1992 dann bestätigten Entwertung seiner Qualifikation als Diplom-Gesellschaftswissenschaftler-- unter Verwertung der erlernten Kenntnisse um einen Arbeitsplatz z.8. im journalistischen Bereich, in Forschung, Lehre, Verlagswesen o.ä. bemühen sollte, ob er sich --wie geschehen-- durch Umschulung einem völlig anderen Beruf zuwenden oder ob er z.B. auch einer Beschäftigung nach einer bloßen Fortbildungsmaßnahme nachgehen sollte.

Außerdem ist der Kläger auch nicht etwa wie ein durch Krankheit oder einen Unfall berufsunfähig gewordener Steuerpflichtiger (vgl. dazu BFH-Urteile in BFHE 89, 69, BStBl III 1967, 596, und vom 21. Juli 1982 I R 173/78, nicht veröffentlicht) aus in seiner Person liegenden Gründen an der beruflichen Verwendung seiner in der Erstausbildung erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten gehindert. Der Entzug der staatlichen Anerkennung seiner Ausbildung steht so gravierenden Ereignissen nicht gleich, auch wenn dadurch --ebenso wie durch die Entwicklung des Arbeitsmarktes-- seine Berufsaussichten verschlechtert wurden.

3. Die Vorentscheidung, die der Rechtsauffassung des Senats nicht entspricht, ist aufzuheben. Die Sache ist spruchreif (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Die Klage ist abzuweisen.

Ende der Entscheidung

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