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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 25.09.2008
Aktenzeichen: III R 29/07
Rechtsgebiete: GG, EStG


Vorschriften:

GG Art. 3 Abs. 1
EStG § 2 Abs. 2
EStG § 32 Abs. 4 S. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I.

Der im Jahr 1978 geborene Sohn (S) des Klägers und Revisionsklägers (Kläger) befand sich im Streitjahr 2004 in Ausbildung und hatte Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit.

Die Beklagte und Revisionsbeklagte (Familienkasse) gewährte für das Jahr 2004 Kindergeld für S, da nach ihrer --auf den Angaben des Klägers beruhenden-- Prognoseentscheidung die voraussichtlichen Einkünfte des S unter dem Jahresgrenzbetrag lagen:

 Bruttoarbeitslohn15 000 EUR
Werbungskosten ./. 9 694 EUR
 5 306 EUR

In den von S angegebenen Werbungskosten waren Aufwendungen für "doppelte Haushaltsführung" in Höhe von 9 252 EUR (Fahrtkosten, Verpflegungsmehraufwendungen für 82 Tage und Miete) enthalten.

Bei der Prüfung der Einkünfte und Bezüge nach Ablauf des Jahres 2004 ergab sich, dass S einen Bruttoarbeitslohn in Höhe von 21 205 EUR erhalten hatte. Als Mehraufwendungen für "doppelte Haushaltsführung" gab der Kläger nunmehr einen Betrag von 14 187 EUR an. Dieser Mehrbetrag beruhte im Wesentlichen auf einem Ansatz von Verpflegungsmehraufwendungen für 270 Tage. Nach seiner Berechnung lagen die Einkünfte des S für 2004 somit unter dem Jahresgrenzbetrag von 7 680 EUR:

 Bruttoarbeitslohn21 205 EUR
Werbungskosten./. 15 221 EUR
 5 984 EUR

Die Familienkasse berücksichtigte Werbungskosten nur in Höhe von 10 313 EUR. Die Kosten für die "doppelte Haushaltsführung" seien zwar grundsätzlich anzuerkennen, Verpflegungsmehraufwendungen aber nur für 82 Tage:

 Bruttoarbeitslohn21 205 EUR
Werbungskosten./. 10 314 EUR
 10 891 EUR

Wegen Überschreitens des Jahresgrenzbetrags von 7 680 EUR hob die Familienkasse mit Bescheid vom 25. April 2005 die Kindergeldfestsetzung für 2004 auf und forderte das gezahlte Kindergeld zurück. Der Einspruch des Klägers war erfolglos.

Im Klageverfahren brachte der Kläger vor, unter Berücksichtigung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 11. Januar 2005 2 BvR 167/02 (BVerfGE 112, 164, BFH/NV 2005, Beilage 3, 260) seien von den Einkünften seines Sohnes die Sozialversicherungsbeiträge, die Lohn- und Kirchensteuer sowie der Solidaritätszuschlag abzuziehen, sodass der Jahresgrenzbetrag --auch wenn nur die von der Familienkasse berücksichtigten Werbungskosten in Höhe von 10 314 EUR angesetzt würden-- unterschritten sei:

 Bruttoarbeitslohn21 204 EUR
Werbungskosten./. 10 314 EUR
Sozialversicherungsbeiträge./. 2 067 EUR
Lohnsteuer./. 2 526 EUR
Solidaritätszuschlag./. 128 EUR
Kirchensteuer./. 227 EUR
 5 942 EUR

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Es war der Auffassung, der Jahresgrenzbetrag sei überschritten, da die Einkünfte nicht um die einbehaltene Lohn- und Kirchensteuer sowie den Solidaritätszuschlag zu kürzen seien.

Mit der Revision trägt der Kläger vor, nach den Grundsätzen der Entscheidung des BVerfG in BVerfGE 112, 164, BFH/NV 2005, Beilage 3, 260 seien die Lohn- und Kirchensteuer sowie der Solidaritätszuschlag von den Einkünften abzusetzen. Das Urteil des Senats vom 26. September 2007 III R 4/07 (BFHE 219, 112, BStBl II 2008, 738), nach dem Lohn- und Kirchensteuer nicht von den Einkünften abzuziehen seien, löse das Problem nicht angemessen, da seinem Sohn die einbehaltenen Steuern nur minimal zurückerstattet worden seien. Vom Arbeitslohn seien 2 881,85 EUR (Lohnsteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer) einbehalten worden. Da das Finanzamt (FA) als Werbungskosten nur den Arbeitnehmerpauschbetrag von 920 EUR berücksichtigt habe, seien hiervon nur 534 EUR erstattet worden. Zumindest die tatsächliche Steuerbelastung von 2 347,25 EUR sei von den Einkünften abzuziehen, sodass sich ein Betrag von 6 476,61 EUR ergebe, der weit unter dem Jahresgrenzbetrag liege. Bei der Berechnung seien die bisher anerkannten Werbungskosten in Höhe von 10 314 EUR zugrunde zu legen. Da die Familienkasse nicht an den Einkommensteuerbescheid 2004 gebunden sei, müsse sie sich nach Treu und Glauben an der bisherigen Beurteilung festhalten lassen.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das Urteil des FG, den Aufhebungsbescheid und die Einspruchsentscheidung aufzuheben.

Die Familienkasse beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie trägt im Wesentlichen vor, die Einkommensteuerfestsetzung beruhe darauf, dass das FA nur den Arbeitnehmerpauschbetrag berücksichtigt habe. Hätte es die Werbungskosten wie von S geltend gemacht zum Abzug zugelassen, wären die einbehaltenen Beträge überwiegend erstattet worden. Wenn sich der Kläger nunmehr darauf berufe, dass die Abzugsbeträge nur in geringem Umfang erstattet worden seien, müsse die bisherige Anerkennung der Werbungskosten in Höhe von 10 314 EUR aufgegeben werden. Würde aber nur der Arbeitnehmerpauschbetrag berücksichtigt, lägen die Einkünfte des Sohnes auch bei Abzug der Lohn- und Kirchensteuer sowie des Solidaritätszuschlags weit über dem Grenzbetrag.

II.

Die Revision ist unbegründet und wird zurückgewiesen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

Der Kläger hat für die Monate Januar bis Dezember 2004 keinen Anspruch auf Kindergeld für S, weil dessen Einkünfte und Bezüge den maßgeblichen Jahresgrenzbetrag von 7 680 EUR (§ 32 Abs. 4 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes i.d.F. für das Jahr 2004 --EStG--) übersteigen.

1.

Für ein volljähriges Kind besteht nach § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG ein Anspruch auf Kindergeld nur dann, wenn es Einkünfte und Bezüge, die zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmt oder geeignet sind, von nicht mehr als 7 680 EUR hat.

2.

Der Begriff der Einkünfte ist in § 2 Abs. 2 EStG gesetzlich definiert und je nach Einkunftsart als Gewinn oder als Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten zu verstehen. Erzielt das Kind Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, sind daher von den Bruttoeinnahmen die Werbungskosten abzuziehen. Nach dem Beschluss des BVerfG in BVerfGE 112, 164, BFH/NV 2005, Beilage 3, 260 würde eine andere Auslegung des Begriffs der Einkünfte, die von der "tradierten steuerlichen Terminologie" abwiche, dem Wortlaut und dem systematischen Zusammenhang widersprechen und damit auch dem klar geäußerten Willen des Gesetzgebers.

Nach Auffassung des BVerfG verstößt jedoch die Berücksichtigung der --einkommensteuerrechtlich den Sonderausgaben zuzurechnenden-- Sozialversicherungsbeiträge als Einkünfte des Kindes gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG), weil Eltern mit sozialversicherungspflichtigen Kindern, deren Einkünfte und Bezüge den Jahresgrenzbetrag nur wegen der als Einkünfte behandelten Sozialversicherungsbeiträge überschritten, gegenüber Eltern mit nicht sozialversicherungspflichtigen Kindern benachteiligt seien, deren Einkünfte und Bezüge den Jahresgrenzbetrag nicht überstiegen. Daher seien im Wege verfassungskonformer Auslegung des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG Einkünfte --ebenso wie die Bezüge-- nur zu berücksichtigen, soweit sie zur Bestreitung des Unterhalts und der Berufsausbildung bestimmt und geeignet seien. Nach Auffassung des BVerfG sind deshalb jedenfalls diejenigen Beträge, die --wie die gesetzlichen Sozialversicherungsbeiträge-- von Gesetzes wegen dem Einkünfte erzielenden Kind oder dessen Eltern nicht für den Unterhalt zur Verfügung stehen und deshalb keine Entlastung bei den Eltern bewirken können, nicht als Einkünfte anzusetzen.

Der Senat hat bereits durch Urteil in BFHE 219, 112, BStBl II 2008, 738 entschieden, dass die vom Arbeitslohn einbehaltene Lohnsteuer bei der Prüfung, ob die Einkünfte und Bezüge den Jahresgrenzbetrag übersteigen, nicht von den Einkünften abzuziehen ist. Die Nichtberücksichtigung der Lohnsteuer verstößt --anders als die Nichtberücksichtigung der Sozialversicherungsbeiträge-- nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG, da auch Kinder mit nicht lohnsteuerpflichtigen Einkünften Einkommensteuer zu zahlen haben, wenn ihr zu versteuerndes Einkommen den Grundfreibetrag übersteigt. Die sich aus dem Lohnsteuerabzug möglicherweise ergebenden Liquiditätsnachteile gegenüber Kindern, die Einkommensteuer bezahlen, ohne dass Einkommensteuervorauszahlungen festgesetzt wurden, ist als Typisierung mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar. Zudem wird die Lohnsteuer --anders als die Sozialversicherungsbeiträge-- wieder erstattet, wenn das zu versteuernde Einkommen den Grundfreibetrag nicht übersteigt.

Dieselben Grundsätze gelten für den Solidaritätszuschlag, der als Ergänzungsabgabe bei natürlichen Personen zusätzlich zur Einkommensteuer erhoben wird (vgl. § 1 des Solidaritätszuschlaggesetzes --SolZG-- 1995) und der bei nichtselbständiger Arbeit zusammen mit der Lohnsteuer vom Arbeitslohn einbehalten wird (vgl. § 1 Abs. 2 SolZG 1995 i.V.m. § 39b EStG). Entsprechendes gilt für die vom Arbeitslohn einbehaltene Kirchensteuer (Senatsurteil in BFHE 219, 112, BStBl II 2008, 738, unter 7.).

3.

Die Tatsache, dass im Streitfall die Lohn- und Kirchensteuer sowie der Solidaritätszuschlag in Höhe von insgesamt 2 881,85 EUR nur in Höhe von 534,61 EUR erstattet worden sind, rechtfertigt keine Abweichung von den Grundsätzen des Senatsurteils in BFHE 219, 112, BStBl II 2008, 738. Die Nichterstattung beruht darauf, dass das FA nicht die geltend gemachten Werbungskosten von 10 313 EUR, sondern nur den Arbeitnehmerpauschbetrag von 920 EUR berücksichtigt hat. Wäre die Auffassung des FA zutreffend, dürfte auch die Familienkasse nur den Arbeitnehmerpauschbetrag berücksichtigen mit der Folge, dass der Jahresgrenzbetrag auch ohne Abzug der Lohn- und Kirchensteuer sowie des Solidaritätszuschlags überschritten wäre. Hätte das FA dagegen zu Unrecht nur den Arbeitnehmerfreibetrag berücksichtigt, hätte S den Einkommensteuerbescheid 2004 anfechten und ggf. Klage erheben können. Die Ungleichbehandlung gegenüber Eltern, deren Kinder die Lohn- und Kirchensteuer sowie den Solidaritätszuschlag in vollem Umfang erstattet bekommen, beruht daher nicht auf der gesetzgeberischen Regelung, sondern auf der unterlassenen Anfechtung des Einkommensteuerbescheids 2004 durch S. Ein Verfassungsverstoß, der eine verfassungskonforme Auslegung des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG erforderte, liegt somit nicht vor.

Ende der Entscheidung

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