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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 11.01.2001
Aktenzeichen: III S 7/99
Rechtsgebiete: AO 1977, ZPO, FGO


Vorschriften:

AO 1977 § 164 Abs. 2
ZPO § 149
ZPO § 78b
ZPO § 114
ZPO § 117 Abs. 2 und 4
ZPO § 118
FGO § 142 Abs. 1
FGO § 116 Abs. 1
FGO § 115 Abs. 3 a.F.
FGO § 115 Abs. 2 a.F.
FGO § 116 Abs. 1 Nrn. 1 bis 5 a.F.
FGO § 116 Abs. 1 Nr. 2 a.F.
FGO § 74
FGO § 116 Abs. 1 Nr. 5 a.F.
FGO § 51
FGO § 51 Abs. 1
FGO § 155
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe

Die im Jahre 1991 geschiedene Antragstellerin, Klägerin und Revisionsklägerin (Antragstellerin) wurde in den Streitjahren (1983 bis 1985) zusammen mit ihrem Ehemann zur Einkommensteuer veranlagt. In diesen Jahren betrieb sie zwei Gaststätten. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) führte im Jahre 1986 bei der Antragstellerin eine Außenprüfung für die Streitjahre durch. Nach erfolglosem Einspruchsverfahren wandte sich die Antragstellerin zusammen mit ihrem Ehemann mit einer Klage vor dem Finanzgericht (FG) gegen die nach § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) geänderten Einkommensteuerbescheide 1983 und 1984 sowie gegen den erstmaligen Einkommensteuerbescheid 1985.

In der mündlichen Verhandlung vor dem FG am 9. September 1999 lehnte der Ehemann der Antragstellerin den Vorsitzenden des Senats, den Vorsitzenden Richter am FG X, wegen Besorgnis der Befangenheit ab, weil er in den Vorverhandlungen entscheidend mitgewirkt habe, insbesondere in dem Verfahren wegen Prozesskostenhilfe (PKH) der Antragstellerin. In seinem Urteil wies das FG das Befangenheitsgesuch als missbräuchlich und daher offensichtlich unzulässig zurück.

Das FG wies die Klage ab, ohne die Revision zuzulassen. Dagegen hat die Antragstellerin persönlich Revision (Az. III R 41/99) eingelegt und beantragt, ihr PKH für den Rechtsstreit vor dem Bundesfinanzhof (BFH) zu gewähren sowie für dieses Verfahren einen Rechtsanwalt beizuordnen. Sie begehrt die Aufhebung des Urteils wegen schwerer Verfahrensmängel. Bei der Entscheidung habe der Vorsitzende Richter am FG X mitgewirkt, der in der Sitzung vom 9. September 1999 wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt worden sei. Des Weiteren rügt die Antragstellerin, dass das FG ihren Anträgen auf Aussetzung des Verfahrens bis zur Entscheidung des BFH über ihre "Beschwerde" gegen die dortigen Beschlüsse vom 17. Juni 1999 III B 19/99 und III S 1/99 nicht nachgekommen sei. Mit den Entscheidungen hatte der BFH die Beschwerde gegen die Versagung von PKH und Richterablehnung zurückgewiesen und den Antrag auf PKH für dieses Verfahren abgelehnt.

Gleichzeitig fügte die Antragstellerin der Revisionsschrift als "Strafanzeigen" bezeichnete Schreiben mit der Bitte um Weiterleitung an die Staatsanwaltschaft bei und beantragt die Aussetzung des Verfahrens gemäß § 149 der Zivilprozeßordnung (ZPO) bis über diese Verfahren entschieden worden sei. In diesen Schreiben, auf die in der Revisionsschrift Bezug genommen wird, bezichtigt die Antragstellerin alle an der angefochtenen Entscheidung vom 9. September 1999 beteiligten Richter der Rechtsbeugung zu ihrem Nachteil. Die Antragstellerin wurde von der Geschäftsstelle des erkennenden Senats darüber informiert, dass die Schreiben nicht weitergeleitet, sondern zu den Akten genommen worden seien.

Die Erklärung der Antragstellerin über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse ist innerhalb der Rechtsmittelfrist beim BFH eingegangen.

Der Antrag auf PKH und Beiordnung eines Rechtsanwalts ist unbegründet.

Gemäß § 142 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i.V.m. § 114 ZPO wird einem Beteiligten, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten erbringen kann, auf Antrag PKH gewährt, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Eine beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet hinreichende Aussicht auf Erfolg, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt des Antragstellers aufgrund dessen Sachdarstellung und der vorhandenen Unterlagen für zutreffend oder zumindest vertretbar hält, in tatsächlicher Hinsicht von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist und deshalb bei summarischer Prüfung für den Eintritt des angestrebten Erfolges eine gewisse Wahrscheinlichkeit besteht (BFH-Beschluss vom 16. Dezember 1986 VIII B 115/86, BFHE 148, 215, BStBl II 1987, 217). Diese Voraussetzungen sind bei der gebotenen summarischen Betrachtung vorliegend nicht gegeben. Die beantragte PKH kann deshalb nicht bewilligt werden.

1. An der Erfolgsaussicht fehlt es allerdings nicht schon deshalb, weil die von der Antragstellerin selbst eingelegte Revision wegen Nichteinhaltung des Vertretungszwangs (Art. 1 Nr. 1 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs --BFHEntlG--) unzulässig ist und die Fristen für die Einlegung von Revision oder Nichtzulassungsbeschwerde durch einen Rechtsanwalt, Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer abgelaufen sind.

a) Der mittellose Beteiligte wird in der Regel bis zur Entscheidung über seinen PKH-Antrag als jemand angesehen, der ohne sein Verschulden an der wirksamen Einlegung des Rechtsmittels verhindert ist (vgl. BFH-Beschluss vom 20. April 1988 X S 13/87, BFH/NV 1988, 728, m.w.N.). Sofern PKH bewilligt wird, müsste dem Antragsteller unter bestimmten Voraussetzungen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden (vgl. BFH-Beschluss vom 7. Juli 1994 VIII S 1/94, BFH/NV 1995, 92, m.w.N.). Es bestünde dann die Möglichkeit zu einer wirksamen formgerechten Einlegung des Rechtsmittels auch noch nach Ablauf der Rechtsmittelfrist.

b) Die Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand setzt allerdings voraus, dass der Antragsteller beim Rechtsmittelgericht innerhalb der maßgeblichen Rechtsmittelfrist den Antrag auf Bewilligung der PKH stellt und die erforderliche Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse gemäß § 117 Abs. 2 und 4 ZPO unter Beifügung der entsprechenden Belege vorlegt (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Beschluss vom 13. Juli 1995 VII S 1/95, BFH/NV 1996, 10, m.w.N.). Ob die Antragstellerin im vorliegenden Verfahren diesen Voraussetzungen hinreichend nachgekommen ist, lässt der erkennende Senat unentschieden; denn der Antrag auf Gewährung von PKH ist jedenfalls deshalb abzulehnen, weil für keines der in Betracht kommenden Rechtsmittel Erfolgsaussichten bestehen.

2. Der gemäß § 118 ZPO von dem Prozessgericht vorzunehmenden Prüfung der Erfolgsaussichten ist in der Rechtsmittelinstanz das Rechtsmittel zugrunde zu legen, das geeignet ist, zu der vom Antragsteller erkennbar erstrebten revisionsrechtlichen Überprüfung des FG-Urteils zu führen. Das sind, weil das FG die Revision nicht zugelassen hat, im vorliegenden Fall die zulassungsfreie Verfahrensrevision gemäß § 116 Abs. 1 FGO in der bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Fassung (FGO a.F.) sowie die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision gemäß § 115 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 FGO a.F. (vgl. BFH-Beschlüsse vom 23. Januar 1991 II S 15/90, BFHE 163, 123, BStBl II 1991, 336, und II S 17/90, BFH/NV 1991, 338).

Die vom Senat anhand der Einwendungen der Antragstellerin wie auch der vorhandenen Unterlagen und Akten (vgl. BFH-Beschluss vom 7. November 1990 III S 7/90, BFH/NV 1991, 337) vorzunehmende Prüfung ergibt, dass weder die zulassungsfreie Revision (§ 116 Abs. 1 FGO a.F.) noch die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision (§ 115 Abs. 2, 3 FGO a.F.) hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Wesentliche Mängel des Verfahrens vor dem FG i.S. des § 116 Abs. 1 Nrn. 1 bis 5 FGO a.F. sind nicht erkennbar. Abgesehen davon, dass § 116 Abs. 1 Nr. 2 FGO a.F. die erfolgreiche Ablehnung des Richters wegen der Besorgnis der Befangenheit voraussetzt, das Ablehnungsgesuch im Streitfall jedoch als unzulässig verworfen wurde, entbehren die Beschuldigungen gegen den Vorsitzenden Richter am FG X ebenso wie die in der Revisionsschrift erhobenen Beschuldigungen gegen die an der Entscheidung beteiligten Richter jeglicher Grundlagen. Der Vorwurf der Rechtsbeugung ist abwegig und verunglimpfend.

Die Rüge der Antragstellerin, das FG habe ihren Antrag, das Verfahren nach § 74 FGO auszusetzen, in dem angefochtenen Urteil "ignoriert", stellt ebenfalls keine Verfahrensrüge i.S. von § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO a.F. dar. Ein Begründungsmangel muss das sachliche Klagebegehren und die damit zusammenhängenden Angriffs- und Verteidigunsmittel betreffen; die fehlende Begründung zur Entscheidung über einen Antrag, der das gerichtliche Verfahren betrifft, kann deshalb nicht mit der Verfahrensrüge nach § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO a.F. geltend gemacht werden (z.B. BFH-Beschluss vom 17. Juni 1994 III R 58/93, BFH/NV 1995, 49; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., § 119 Anm. 25, m.w.N.). Im Übrigen hat der erkennende Senat die "Beschwerden" der Antragstellerin gegen seine Entscheidungen vom 17. Juni 1999 III B 19/99 und III S 1/99 --wie der Antragstellerin auch bereits mitgeteilt worden ist-- aus Kostengründen nicht in sein Register aufgenommen, da sie sich gegen formell rechtskräftige Entscheidungen richten, die nach ständiger Rechtsprechung des BFH grundsätzlich nicht aufgehoben oder geändert werden können. Gründe, die eine Ausnahme rechtfertigten, wurden in der "Beschwerdeschrift" nicht dargetan.

3. Die Rechtsverfolgung durch eine Nichtzulassungsbeschwerde wäre im Streitfall ebenfalls nicht Erfolg versprechend. Als Zulassungsgrund i.S. des § 115 Abs. 2 FGO a.F. kommen nach dem Vorbringen der Antragstellerin sowie nach dem Akteninhalt nur Verfahrensmängel im Sinne der Nr. 3 dieser Vorschrift in Betracht. Ein solcher Verfahrensmangel ist bei summarischer Prüfung hier jedoch nicht erkennbar. Denn die Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision kann nicht darauf gestützt werden, das FG habe das Ablehnungsgesuch zu Unrecht verworfen. Eine solche Beschwerde könnte zwar insoweit zulässig erhoben werden (a). Sie wäre jedoch unbegründet (b).

a) Grundsätzlich hat das FG über ein Ablehnungsgesuch durch gesonderten, mit der Beschwerde anfechtbaren Beschluss --ohne Mitwirkung der abgelehnten Richter-- zu entscheiden (§ 51 FGO i.V.m. §§ 46, 47 ZPO). Da es sich bei dem Richterablehnungsverfahren um ein selbständiges Zwischenverfahren handelt, kann die Zurückweisung eines Ablehnungsgesuchs in der Regel nicht anstelle der Beschwerde mit der Revision oder der Nichtzulassungsbeschwerde gerügt werden (BFH-Beschluss vom 30. November 1981 GrS 1/80, BFHE 134, 525, BStBl II 1982, 217, unter C. II. 3.). Nach der Rechtsprechung bedarf es jedoch dann keines besonderen Beschlusses, wenn das Ablehnungsgesuch wegen Rechtsmissbräuchlichkeit unzulässig ist (BFH-Beschluss vom 10. März 1972 VI B 141/70, BFHE 105, 316, BStBl II 1972, 570; vgl. auch BFH-Beschluss vom 27. Juli 1992 VIII B 59/91, BFH/NV 1993, 112). In diesen Fällen kann das Gericht den Befangenheitsantrag --unter Mitwirkung der abgelehnten Richter-- in den Gründen der Entscheidung zur Hauptsache zurückweisen. Das Gleiche gilt, wenn das Ablehnungsgesuch aus anderen Gründen offensichtlich unzulässig ist (Gräber/Koch, a.a.O., § 51 Anm. 57). Wird über ein Ablehnungsgesuch zu Unrecht im Urteil und nicht in einem selbständigen Zwischenverfahren entschieden, liegt ein Verfahrensfehler vor, der mit der Nichtzulassungsbeschwerde geltend zu machen ist (BFH-Beschluss vom 22. März 1994 X B 81/93, BFH/NV 1994, 498).

b) Ein Richter kann wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen (§ 51 Abs. 1 FGO i.V.m. § 42 Abs. 1 und 2 ZPO). Dabei kommt es darauf an, ob der betroffene Beteiligte von seinem Standpunkt aus bei vernünftiger objektiver Betrachtung Anlass hat, Voreingenommenheit zu befürchten.

Die Ablehnung des Vorsitzenden Richters am FG X war nicht deswegen zulässig, weil dieser an vorangegangenen Verfahren der Antragstellerin mitgewirkt hat. Denn es genügt für die Ablehnung wegen Befangenheit grundsätzlich nicht, dass der Richter in einem früheren Verfahren eine für den Kläger ungünstige Auffassung vertreten hat (BFH-Beschluss vom 14. Januar 1971 V B 67/69, BFHE 101, 207, BStBl II 1971, 243, und ständige Rechtsprechung). Es muss vielmehr hinzukommen, dass der Richter dem Kläger Grund für die Befürchtung gegeben hat, er werde Gegengründen nicht mehr aufgeschlossen gegenüberstehen (BFH-Beschluss vom 4. Juli 1985 V B 3/85, BFHE 144, 144, BStBl II 1985, 555). Rechtsfehler können nur ausnahmsweise, und zwar dann eine Besorgnis der Befangenheit rechtfertigen, wenn Gründe dargetan werden, die dafür sprechen, dass die mögliche Fehlerhaftigkeit auf einer unsachlichen Einstellung des Richters gegenüber der ablehnenden Partei oder auf Willkür beruht (BFH-Beschluss vom 16. Februar 1989 X B 99/88, BFH/NV 1989, 708; Gräber/Koch, a.a.O., § 51 Anm. 40). Die Fehlerhaftigkeit muss ohne weiteres feststellbar und gravierend sein sowie auf unsachliche Erwägungen schließen lassen (BFH-Beschluss vom 7. April 1988 X B 4/88, BFH/NV 1989, 587, II. 3. a der Gründe). Dergleichen kann der erkennende Senat aus den Darlegungen der Antragstellerin nicht entnehmen.

4. Der Antrag auf Beiordnung eines Notanwalts gemäß § 155 FGO i.V.m. § 78b ZPO führt ebenfalls nicht zum Erfolg. Denn auch ein Notanwalt kann einem Beteiligten nur beigeordnet werden, wenn die Rechtsverfolgung nicht mutwillig oder aussichtslos erscheint.

5. Die Entscheidung ergeht kostenfrei (vgl. BFH-Beschluss vom 26. Februar 1985 VIII S 17/84, BFH/NV 1985, 98, ständige Rechtsprechung).



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