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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 18.08.2006
Aktenzeichen: IV B 101/05
Rechtsgebiete: EStG, FGO, AO 1977


Vorschriften:

EStG § 13a
EStG § 52 Abs. 15
EStG § 55
EStG § 55 Abs. 1
EStG § 55 Abs. 2 Nr. 1
FGO § 76 Abs. 2 a
FGO § 96 Abs. 1 Satz 1
FGO § 96 Abs. 2
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3
AO 1977 § 180 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Die als Ehegatten zusammen veranlagten Kläger und Beschwerdegegner (Kläger) erklärten für das Streitjahr (1999) neben Einkünften des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit und solchen aus Vermietung und Verpachtung einen nach § 13a des Einkommensteuergesetzes (EStG) ermittelten Gewinn aus Land- und Forstwirtschaft. Auf der der Einkommensteuererklärung beigefügten Anlage L war der Kläger als Eigentümer von Eigentumsflächen des Betriebsvermögens mit einer Größe von 8,8994 ha angegeben, von denen 8,4 ha an verschiedene Landwirte verpachtet waren und eine Fläche von 0,4994 ha selbstbewirtschaftet wurde.

Mit notariellem Kaufvertrag vom 12. Mai 1999 hatten die Kläger eine Teilfläche von 1 597 qm für einen Kaufpreis von 77 910 DM veräußert. Der Kaufpreis betrug für die ersten 1 000 qm 60 DM/qm, für die darüber hinausgehende Fläche 30 DM/qm.

Nachdem dieser Verkauf dem Beklagten und Beschwerdeführer (Finanzamt --FA--) durch eine Veräußerungsmitteilung bekannt geworden war, errechnete er hieraus unter Berücksichtigung eines Ausgangswertes nach § 55 Abs. 2 Nr. 1 EStG in Höhe von 5 749 DM einen Veräußerungsgewinn von 72 161 DM. Diesen berücksichtigte er neben dem erklärten laufenden Gewinn zur Hälfte als Gewinn aus Land- und Forstwirtschaft des Streitjahres.

Die Kläger trugen im Einspruchs- und Klageverfahren vor, der Betrieb sei bereits seit 1991, spätestens jedoch seit 1995 gänzlich eingestellt gewesen, sodass ein Wahlrecht zur Fortführung eines ruhenden Betriebes nicht mehr bestanden habe. Hilfsweise machten sie geltend, die verkaufte Fläche sei nach § 52 Abs. 15 EStG erfolgsneutral in das Privatvermögen übernommen worden, weil sie unmittelbar an das Einfamilienhaus angrenze und früher im Rahmen einer einheitlichen Parzelle als Garten genutzt worden sei.

Die Klage hatte zum Teil Erfolg. Das Finanzgericht (FG) entschied, dass vor dem Streitjahr weder eine Betriebsaufgabe erfolgt noch das veräußerte Grundstück steuerfrei entnommen worden sei. Stattzugeben sei der Klage jedoch insoweit, als zum einen Lage, Größe und Zuschnitt der ursprünglichen Parzelle und der verkauften Teilfläche zu berücksichtigen seien, weshalb sich der "Teilwert" auf 9 349 DM erhöhe, sodass sich ein Gewinn von 68 561 DM ergebe. Zum anderen sei zu beachten, dass das Grundstück im gemeinsamen Eigentum beider Kläger gestanden habe, der land- und forstwirtschaftliche Betrieb aber vom Kläger allein geführt werde. Dementsprechend sei das Grundstück nur zu 1/2 Betriebsvermögen gewesen und der Gewinn nur zur Hälfte der Besteuerung zu unterwerfen. Anhaltspunkte für die Annahme einer einen land- und forstwirtschaftlichen Betrieb führenden Ehegattengemeinschaft ergäben sich im Streitfall nicht.

Mit seiner gegen die Nichtzulassung der Revision gerichteten Beschwerde macht das FA Verfahrensmängel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) geltend. Das FG habe gegen den klaren Inhalt der Akten verstoßen (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO). Zwischen den Klägern bestehe Gütergemeinschaft, wie aus dem Liegenschaftskataster hervorgehe, das sich bei den Einspruchsvorgängen in den Einkommensteuerakten für 1999 befinde. Auch der Einheitswert des land- und forstwirtschaftlichen Betriebs sei beiden Klägern als Eigentümern zugerechnet worden. Beide hätten --wie vom FG festgehalten-- nach den Angaben in den Steuererklärungen im Betrieb gearbeitet. Daraus ergebe sich, dass nicht der Kläger allein, sondern die Ehegattengemeinschaft Betriebsinhaber gewesen sei (Hinweis auf den Senatsbeschluss vom 5. Februar 2002 IV B 71/01, BFH/NV 2002, 1019). Die Entscheidung des FG stehe in offenem Widerspruch zu dem sich aus den Akten ergebenden Sachverhalt und beruhe auf diesem Verfahrensmangel.

Das Urteil verstoße außerdem gegen § 96 Abs. 2 FGO. Das FG habe vorliegend den Veräußerungsgewinn gemindert, indem es den Buchwert höher angesetzt habe. Dieses Thema sei zu keinem Zeitpunkt Gegenstand des Verfahrens gewesen und auch in der mündlichen Verhandlung nicht diskutiert worden. Das FA habe somit keine Gelegenheit gehabt, sich hierzu zu äußern, sodass insoweit eine Überraschungsentscheidung vorliege. Der Verfahrensmangel sei auch entscheidungserheblich, weil das FA so nicht darauf hätte hinweisen können, dass die Regelungen in § 55 EStG --bis auf das im Streitfall nicht mehr in Betracht gekommene Wahlrecht betreffend die Feststellung eines höheren Teilwerts-- zwingend anzuwenden seien und es auf die tatsächlichen Wertverhältnisse nicht ankomme.

Die Kläger sind der Beschwerde entgegengetreten.

II. Die Beschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 116 Abs. 6 FGO). Das FA hat Verfahrensmängel geltend gemacht, auf denen die Entscheidung beruhen kann (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO). Denn das FG hat zum einen Anhaltspunkte für eine den land- und forstwirtschaftlichen Betrieb führenden Ehegattengemeinschaft nicht beachtet (dazu unter 1.). Zum anderen hat es bei der Ermittlung des Veräußerungsgewinnes einen höheren Teilwert als Ausgangswert zugrunde gelegt, ohne dem FA Gelegenheit zu einer Äußerung zu geben (dazu unter 2.).

1. Das FG hat den Akteninhalt nicht vollständig berücksichtigt, indem es davon ausgegangen ist, dass das veräußerte Grundstück nur zur Hälfte Betriebsvermögen war, weil Anhaltspunkte für eine Mitunternehmerschaft der Kläger nicht vorlägen.

a) Nach § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Diese Regelung ist nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) dahin auszulegen, dass neben dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung auch der gesamte Akteninhalt vollständig zu berücksichtigen ist (vgl. z.B. Senatsbeschlüsse vom 19. April 2005 IV B 207/03, juris, und vom 4. August 1999 IV B 96/98, BFH/NV 2000, 70). Ein Verstoß dagegen kann mit der Verfahrensrüge geltend gemacht werden (Senatsbeschluss vom 19. April 2005, juris). Die Geltendmachung dieses Verfahrensmangels erfordert die genaue Bezeichnung des nicht berücksichtigten Akteninhalts sowie die Darlegung, inwieweit dessen Berücksichtigung auf der Grundlage des materiell-rechtlichen Standpunktes des FG zu einer anderen Entscheidung hätte führen können (Senatsbeschluss vom 24. August 2005 IV B 61/04, BFH/NV 2006, 85).

b) Im Streitfall hat das FG der Klage teilweise stattgegeben, weil das veräußerte Grundstück zur Hälfte der Klägerin gehörte und insoweit kein Betriebsvermögen gewesen sei, so dass der anteilige Veräußerungsgewinn nicht der Besteuerung unterlegen habe. Der Kläger habe den land- und forstwirtschaftlichen Betrieb alleine geführt; Anhaltspunkte für eine den Betrieb führende Ehegattengemeinschaft lagen der vorinstanzlichen Entscheidung zufolge nicht vor.

c) Nach der Rechtsprechung des Senats bewirtschaften Landwirtsehegatten, die im Güterstand der Gütergemeinschaft leben, ihren Hof als Mitunternehmer (vgl. Senatsurteil vom 18. August 2005 IV R 37/04, BFHE 211, 55, BStBl II 2006, 165, m.w.N.). Die Gewinne für eine solche Mitunternehmerschaft sind gesondert und einheitlich festzustellen, sofern nicht ein Fall von geringer Bedeutung vorliegt (§ 180 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Abgabenordnung --AO 1977--); das gilt auch für den Gewinn aus der Veräußerung eines Grundstücks (Senatsurteil in BFHE 211, 55, BStBl II 2006, 165, m.w.N.).

d) Feststellungen dazu hat das FG nicht getroffen, weil es die Anhaltspunkte für eine zwischen den Ehegatten bestehende Mitunternehmerschaft übersehen hat. Aus den --vom FA genau bezeichneten-- Akten, die dem FG vorgelegen haben, ergibt sich, dass die Kläger in Gütergemeinschaft leben. Das FG hat diese Tatsache jedoch nicht beachtet. Denn es hat sie ausweislich des angefochtenen Urteils nicht festgestellt; es ist vielmehr davon ausgegangen, dass Anhaltspunkte für eine zwischen den Ehegatten bestehende Mitunternehmerschaft nicht vorlagen. Bei dieser Sachlage hätte die Berücksichtigung der Gütergemeinschaft auf der Grundlage des materiell-rechtlichen Standpunktes des FG zu einer anderen Entscheidung führen können.

2. Das FG hat außerdem den Anspruch des FA auf rechtliches Gehör verletzt, indem es bei der Ermittlung des Veräußerungsgewinnes dem Veräußerungserlös einen selbst ermittelten, mit den Beteiligten nicht erörterten "Teilwert" gegenüber gestellt hat.

a) Aus § 76 Abs. 2 FGO und aus dem Recht der Beteiligten auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 des Grundgesetzes, § 96 Abs. 2 FGO) kann sich eine Verpflichtung des FG ergeben, den Beteiligten Hinweise zu geben. Beide Regelungen ergänzen und überschneiden sich (Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 76 FGO Tz. 98). Eine Verletzung des Rechts auf Gehör kann vorliegen, wenn das Gericht die Beteiligten nicht auf einen rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt hinweist, den es seiner Entscheidung zugrunde legen will (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 8. Juli 1997 1 BvR 1934/93, BVerfGE 96, 189, Neue Juristische Wochenschrift 1997, 2305 unter C.II.3.a). Dies kann der Fall sein, wenn ein bisher nicht erörterter Gesichtspunkt zur Grundlage der Entscheidung gemacht wird, der dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der auch ein gewissenhafter und kundiger Beteiligter nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens und unter Berücksichtigung der Vielzahl vertretbarer Rechtsauffassungen nicht hat rechnen müssen (Senatsbeschluss vom 10. Mai 2005, IV B 114/03, juris).

b) Das FA hatte den Veräußerungsgewinn unter Berücksichtigung eines Ausgangswertes nach § 55 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 1 EStG ermittelt. Nach Aktenlage bestand darüber zwischen den Beteiligten kein Streit. Bei dieser Sachlage konnte das FA ohne entsprechenden Hinweis nicht damit rechnen, dass das FG im Urteil für einen Teil des Grundstücks von einem abweichenden "Teilwert" ausgehen würde, zumal es für dessen Ermittlung an einer erkennbaren Rechtsgrundlage fehlt.

3. Auf die weiteren vom FA geltend gemachten Revisionszulassungsgründe kommt es bei dieser Sachlage nicht an.

4. Der Senat hält es für zweckmäßig, das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen (§ 116 Abs. 6 FGO).

Ende der Entscheidung

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