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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 26.05.2006
Aktenzeichen: IV B 151/04
Rechtsgebiete: FGO, GVG


Vorschriften:

FGO § 68 a.F.
FGO § 68 Abs. 1 Satz 1
FGO § 68 Abs. 1 Satz 2
FGO § 70
FGO § 73 Abs. 1
FGO § 73 Abs. 1 Satz 1
FGO § 115 Abs. 2
FGO § 155
GVG § 17 Abs. 1 Satz 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) sind zusammenveranlagte Ehegatten. Der Ehemann ist nichtselbständig tätig und erzielte außerdem als Rechtsanwalt Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit. Die Ehefrau erzielt Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit.

Am 21. Februar 2000 erließ der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) einen Einkommensteuervorauszahlungsbescheid, aus dem sich Vorauszahlungen in Höhe von 28 362 DM pro Quartal ergaben. Die Kläger legten gegen diesen Bescheid fristgerecht Einspruch ein. Am 9. Mai 2001 erhoben sie gegen diesen Bescheid Untätigkeitsklage, die das Az. 11 K 2783/01 E erhielt.

Unter dem Datum vom 31. Mai 2001 erließ das FA einen geänderten Einkommensteuervorauszahlungsbescheid für das Jahr 2000, in dem es die Einkommensteuervorauszahlung auf 28 362 DM für das gesamte Jahr anpasste.

Nachdem die Kläger im Februar 2002 noch keine Einkommensteuererklärung für das Jahr 2000 abgegeben hatten, setzte das FA mit Bescheid vom 26. Februar 2002 die Einkommensteuer zunächst im Schätzungswege fest. Hiergegen legten die Kläger --entsprechend der Rechtsbehelfsbelehrung-- rechtzeitig wiederum Einspruch ein. Zur Begründung der Einsprüche legten sie die Einkommensteuererklärung für das Jahr 2000 vor. Mit der Einspruchsentscheidung vom 19. September 2002 setzte das FA die Einkommensteuer herab, ohne dem Einspruchsbegehren in vollem Umfang zu entsprechen.

Hiergegen wandten sich die Kläger --entsprechend der Rechtsbehelfsbelehrung-- mit der diesem Verfahren zugrunde liegenden Klage vom 15. Oktober 2002 (Az. 11 K 5662/02 E,AO). Sie machten weiter die Abziehbarkeit der im Einspruchsverfahren nicht anerkannten Beträge geltend.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage als unzulässig ab. Zur Begründung führte es aus, der Einkommensteuerbescheid für 2000 vom 26. Februar 2002 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 19. September 2002 sei nach § 68 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) Gegenstand des Klageverfahrens 11 K 2783/01 E geworden, so dass eine erneute Klage gegen diesen Bescheid unzulässig sei.

Nach § 68 Abs. 1 Satz 1 FGO i.d.F. des Zweiten Gesetzes zur Änderung der Finanzgerichtsordnung und anderer Gesetze (2.FGOÄndG) werde der neue Verwaltungsakt Gegenstand des Verfahrens, wenn er den angefochtenen Verwaltungsakt nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung ersetze. Zu § 68 Abs. 1 Satz 1 FGO in der bis zum 31. Dezember 2000 gültigen Fassung habe der Bundesfinanzhof (BFH) in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass eine "Ersetzung" i.S. des § 68 FGO a.F. auch vorliege, wenn während des Klageverfahrens gegen den Vorauszahlungsbescheid der Jahressteuerbescheid erlassen werde.

Da sich der Begriff der "Ersetzung" durch die neue Regelung des § 68 Abs. 1 Satz 1 FGO n.F. nicht geändert habe, sei es nach Ansicht des Senats aus Gründen der Rechtssicherheit notwendig, trotz der berechtigten Einwendungen in der Literatur an der ständigen Rechtsprechung des BFH festzuhalten.

Mithin sei die Klage wegen doppelter Rechtshängigkeit unzulässig (vgl. BFH-Urteil vom 8. Oktober 1985 VIII R 78/82, BFHE 145, 106, BStBl II 1986, 302).

Die Revision gegen sein Urteil ließ das FG nicht zu. Hiergegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, die auf sämtliche Gründe des § 115 Abs. 2 FGO, insbesondere auch auf Verfahrensfehler, gestützt ist.

II. Die Beschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 116 Abs. 6 FGO).

1. Allerdings hat das FG zutreffend entschieden, dass der Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2000 vom 26. Februar 2002 den Vorauszahlungsbescheid vom 31. Mai 2001 ersetzt und daher von Gesetzes wegen Gegenstand des ursprünglichen Klageverfahrens geworden ist. Zu § 68 FGO a.F. war anerkannt, dass der Jahressteuerbescheid den Vorauszahlungsbescheid im Sinne dieser Vorschrift "ersetzt" (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 9. September 1986 VIII R 198/84, BFHE 147, 463, BStBl II 1987, 28, zur Gewerbesteuer, sowie BFH-Urteile vom 12. Juli 1988 IX R 149/83, BFHE 154, 93, BStBl II 1988, 942, und vom 27. April 2004 X R 28/02, BFH/NV 2004, 1287, zur Einkommensteuer). Der Senat sieht keinen Anlass, diese Rechtslage für die ab dem 1. Januar 2001 geltende Neuregelung des § 68 FGO anders zu beurteilen. Durch diese Gesetzesänderung sollten lediglich die Schwierigkeiten beseitigt werden, die sich daraus ergaben, dass vor dem 1. Januar 2001 Änderungsbescheide nur durch fristgebundenen Antrag Gegenstand des Verfahrens werden konnten. Der Senat schließt sich insoweit dem BFH-Beschluss vom 22. Oktober 2003 V B 103/02 (BFH/NV 2004, 502) zur Umsatzsteuer an und verweist auf dessen Begründung (ebenso BFH-Urteil vom 19. Mai 2005 V R 31/03, BFHE 210, 167, BStBl II 2005, 671, sowie BFH-Urteil vom 3. Dezember 2002 IX R 71/00, BFH/NV 2003, 600, zur Einkommensteuer).

2. Das FG hätte die hiesige Klage 11 K 5662/02 E,AO jedoch nicht als unzulässig abweisen dürfen. Allerdings ist es zutreffend, dass diese Klage zu einer doppelten Rechtshängigkeit führte, denn der Einkommensteuerbescheid 2000 war bereits Gegenstand der Klage 11 K 2783/01 E (vgl. BFH-Urteil in BFHE 145, 106, BStBl II 1986, 302 unter 2.). Der Zustand der doppelten Rechtshängigkeit ist jedoch in Fällen wie dem vorliegenden anders zu beenden als durch Abweisung der zweiten Klage.

a) Die Rechtshängigkeit löst eine Sperrwirkung aus. Eine Klage mit demselben Streitgegenstand gegen das gleiche Finanzamt ist bei jedem anderen Gericht und bei demselben Gericht unzulässig (§§ 70, 155 FGO i.V.m. § 17 Abs. 1 Satz 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes --GVG--). Die Reichweite der Klagesperre ist umstritten. Das gilt zum einen für die Frage, ob im Fall der Rücknahme der zeitlich gesehen ersten Klage eine weitere, wegen des Verfahrenshindernisses der doppelten Rechtshängigkeit (zunächst) unzulässige Klage in die Zulässigkeit hineinwachsen kann. Das Schleswig-Holsteinische FG hat diese Frage verneint (Urteil vom 18. Dezember 1996 II 797/96, Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 1997, 548). Nach Aufhebung dieser Entscheidung durch den BFH (Beschluss vom 20. Oktober 1997 V B 80/97, BFH/NV 1998, 592) hat das FG im zweiten Rechtsgang die (zweite) Klage nach Rücknahme der ersten Klage für zulässig gehalten (Urteil vom 21. Februar 2001 II 1384/98, EFG 2001, 662). Der BFH hat sich dem in seiner Revisionsentscheidung im zweiten Rechtsgang angeschlossen (Urteil vom 27. September 2001 V R 37/01, BFH/NV 2002, 378).

b) Zur Frage, wie die doppelte Rechtshängigkeit zu beseitigen ist, wenn keine der Klagen zurückgenommen worden ist, hat sich der BFH in seinem Urteil vom 18. März 1986 II R 23/84 (BFH/NV 1987, 517) geäußert. In diesem Fall hatten die Kläger rechtzeitig ein unzuständiges und verspätet das zuständige FG angerufen. Der BFH sprach sich dafür aus, das Prozesshindernis der anderweitigen Rechtshängigkeit dadurch zu beseitigen, dass das unzuständige FG die Sache durch Beschluss an das zuständige FG verweist, welches dann --so die unausgesprochene Konsequenz-- die beiden Verfahren nach § 73 Abs. 1 FGO zu verbinden hätte.

c) Nach Auffassung des beschließenden Senats ist jedenfalls in Fällen wie dem Streitfall, in denen beide Klagen bei ein und demselben Senat eines FG erhoben wurden, das Prozesshindernis der anderweitigen Rechtshängigkeit durch Verbindung der beiden Sachen zu beseitigen (ähnlich Schallmoser in Hübschmann/Hepp/ Spitaler, § 66 FGO Rz. 31). Zu diesem Ergebnis gelangt man, wenn man den Anspruch des Klägers auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz gegen den Zweck der Klagesperre abwägt. Letzterer besteht darin, unnötige Doppelarbeit der Gerichte und des Beklagten zu verhindern und der Gefahr sich widersprechender Entscheidungen vorzubeugen (vgl. Tipke in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 66 FGO Tz. 5). In diesem Zusammenhang ist zu bedenken, dass es sich bei finanzgerichtlichen Klagen --anders als bei Klagen vor den Zivilgerichten-- um Rechtsbehelfe gegen behördliche Entscheidungen handelt. Formfehlerhafte Klagen können zum Verlust des Rechtsbehelfs führen, wenn nicht innerhalb der Klagefrist eine formgültige Klage nachgeschoben wird. Demgegenüber tritt der Gesichtspunkt der Mehrbelastung des Gerichts oder des Beklagten sowie die Gefahr divergierender Entscheidungen in den Fällen doppelter Rechtshängigkeit bei ein und demselben Senat kaum in Erscheinung. Das gilt jedenfalls dann, wenn der Kläger nicht auf zwei Entscheidungen beharrt.

d) Sucht man im Zivilprozessrecht eine Parallele zur finanzgerichtlichen Klage, so bietet sich weniger die erstinstanzliche Klage als vielmehr die ebenfalls form- und fristgebundene Berufung an. Dementsprechend hat der Bundesgerichtshof (BGH) in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass auch die mehrfache Einlegung einer Berufung nicht zu einer Vervielfachung der Berufungsverfahren, sondern zu einem einheitlichen Rechtsmittel führe, über das einheitlich zu entscheiden sei (BGH-Urteil vom 15. Februar 2005 XI ZR 171/04, Neue Juristische Wochenschrift - Rechtsprechungs-Report Zivilrecht --NJW-RR-- 2005, 780, m.w.N.). Das gilt auch bei Einreichung der Berufungsschrift bei verschiedenen Gerichten, wenn die Berufungen nach Verweisung ein und demselben Gericht zur Entscheidung vorliegen (BGH-Urteil in NJW-RR 2005, 780). Diese Vorstellung liegt auch dem BFH-Urteil vom 28. Februar 1978 VIII R 112/75 (BFHE 124, 494, BStBl II 1978, 376) zu Grunde, wenn es dort heißt, dass, wenn eine der Rechtsmittelschriften die Zulässigkeitsvoraussetzungen erfüllt, früher oder später eingereichte Rechtsmittelschriftsätze keine selbstständige Bedeutung mehr haben.

e) Im Streitfall kommt ein weiterer Gesichtspunkt hinzu, der es gebietet, im Interesse eines effektiven Rechtsschutzes das Prozesshindernis der anderweitigen Rechtshängigkeit durch Verbindung der beiden Sachen zu beseitigen. Da der ursprünglich angefochtene Bescheid über Einkommensteuervorauszahlungen für das Jahr 2000 durch den Bescheid über die Einkommensteuerveranlagung 2000 ersetzt wurde, war nach § 68 Abs. 1 Satz 2 FGO ein Einspruch gegen den neuen Verwaltungsakt ausgeschlossen. Gleichwohl war der Einkommensteuerbescheid mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehen, in der der Einspruch als zulässiger Rechtsbehelf angegeben war. Desgleichen hat das FA sodann über den Einspruch in der Sache entschieden und die Entscheidung wiederum mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehen. Wenn die Kläger gegen die Einspruchsentscheidung Klage erhoben, taten sie nichts anderes, als dieser Rechtsbehelfsbelehrung Folge zu leisten.

f) Da der Senat auch in der Sache IV B 147/04, der die Klage mit dem Az. 11 K 2783/01 E zu Grunde lag, das vorinstanzliche Urteil aufgehoben und die Sache zurückverwiesen hat, hat das FG nunmehr Gelegenheit, die beiden Sachen nach § 73 Abs. 1 Satz 1 FGO miteinander zu verbinden und einheitlich zu entscheiden.

Ende der Entscheidung

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