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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 18.08.2005
Aktenzeichen: IV B 167/04
Rechtsgebiete: AO 1977, FGO, EStG


Vorschriften:

AO 1977 § 174 Abs. 3
FGO § 69
EStG § 15 Abs. 1 Nr. 1
Es ist ernstlich zweifelhaft, ob § 174 Abs. 3 AO 1977 die Rechtsgrundlage dafür bietet, bestandskräftige Steuerbescheide in der Weise zu ändern, dass ein Entnahmegewinn steuerlich berücksichtigt wird, den das FA seinerzeit wegen Nichtanwendung der BFH-Rechtsprechung zur Bedeutung von Einstimmigkeitsabreden bei der Betriebsaufspaltung nicht erfasst hat (Bedenken gegen die Richtigkeit der im BMF-Schreiben vom 7. Oktober 2002, BStBl I 2002, 1028, unter V.1. vertretenen Auffassung).
Gründe:

Die Antragstellerin und Beschwerdegegnerin (Antragstellerin) ist eine GbR. Bei ihrer Gründung wurde vereinbart, dass Beschlüsse einstimmig zu fassen seien. Seit 1991 vermietete die GbR an die Fa. F-GmbH (GmbH) ein Grundstück, das diese betrieblich nutzte. Die Gesellschafter der Antragstellerin waren bis zum 1. Oktober 1995 zugleich unmittelbar oder jedenfalls mittelbar auch an der GmbH beteiligt. So waren die BF und OF mit Anteilen von je 22 v.H. Gesellschafter der Antragstellerin. Zugleich waren sie an der F-KG (KG) beteiligt, die wiederum 44 v.H. der Anteile an der GmbH hielt. Die Beteiligung an der KG gaben die Brüder zum 1. Oktober 1995 auf.

Seit Bestehen der Antragstellerin gingen deren damalige steuerliche Beraterin sowie der Antragsgegner und Beschwerdeführer (das Finanzamt --FA--) davon aus, dass zwischen der Antragstellerin und der GmbH eine Betriebsaufspaltung bestehe. Dementsprechend wies auch der Bescheid über die gesonderte und einheitliche Gewinnfeststellung 1995 für die GbR Einkünfte aus Gewerbebetrieb aus.

Im Anschluss an eine im Jahr 1997 durchgeführte Betriebsprüfung machte der jetzige Prozessbevollmächtigte geltend, wegen der bei der Antragstellerin bestehenden Einstimmigkeitsabrede sei eine Betriebsaufspaltung nicht gegeben. Er beantragte daher die Änderung aller bisher ergangenen Feststellungsbescheide, auch des Bescheides für 1995. Das FA lehnte diesen Antrag ab. Es wies zum einen darauf hin, dass jedenfalls bis zum 1. Oktober 1995 alle Gesellschafter der Antragstellerin zumindest mittelbar auch an der GmbH beteiligt gewesen seien. Das Einstimmigkeitserfordernis in der Besitzgesellschaft stehe nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) der Annahme einer Betriebsaufspaltung nur dann entgegen, wenn wenigstens ein Gesellschafter nur an einer der beiden Gesellschaften beteiligt sei. Zudem habe das Einstimmigkeitsprinzip auch deswegen keinen Einfluss auf die personelle Verflechtung, weil die Rechtsbeziehungen zum Betriebsunternehmen schon vorher langfristig fixiert gewesen seien.

Die Antragstellerin verfolgte ihr Begehren damals nicht weiter.

In den Jahren 2001 bis 2003 führte das FA eine weitere Betriebsprüfung bei der Antragstellerin durch. Im Betriebsprüfungsbericht heißt es, dass im Juli 1999 infolge der Beendigung des Mietvertrages die sachliche Verflechtung entfallen sei. Nach Maßgabe des Schreibens des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 7. Oktober 2002 (BStBl I 2002, 1028) sei jedoch die Betriebsaufspaltung wegen Wegfalls der personellen Verflechtung bereits zum 1. Oktober 1995 beendet worden. Ihre bisherige Auffassung, derzufolge auch bei Vorliegen einer Einstimmigkeitsabrede in der Besitzgesellschaft wegen "faktischer Beherrschung dieser Gesellschaft" durch die Sowohl-als-auch-Gesellschafter eine personelle Verflechtung nicht ausgeschlossen sei, habe die Finanzverwaltung aufgegeben. Wegen des Wegfalls der gewerblichen Prägung der Tätigkeit der Antragstellerin sei ein Aufgabegewinn zu ermitteln.

Zwar sei für das Jahr 1995 grundsätzlich Festsetzungsverjährung eingetreten. Da das FA jedoch bei der Veranlagung dieses Jahres davon ausgegangen sei, dass der Aufgabegewinn wegen der Beendigung der Betriebsaufspaltung in einem anderen (späteren) Jahr zu erfassen sei und sich diese Annahme nachfolgend als unrichtig erwiesen habe, könne unter Durchbrechung der materiellen Bestandskraft die Feststellung des Jahres 1995 bezüglich der Berücksichtigung des Aufgabegewinns nach § 174 Abs. 3 der Abgabenordnung (AO 1977) geändert werden (BMF-Schreiben in BStBl I 2002, 1028 unter V.1.).

Das FA erließ einen entsprechenden Änderungsbescheid. Hiergegen legte die Antragstellerin Einspruch ein, über den noch nicht entschieden ist. Den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung lehnte das FA ab. Das Finanzgericht (FG) gab dem daraufhin bei ihm gestellten Aussetzungsantrag statt.

Hiergegen wendet sich das FA mit der Beschwerde, die es damit begründet, es sei an die im BMF-Schreiben in BStBl I 2002, 1028 vertretene Auffassung gebunden.

Die Beschwerde ist unbegründet.

Das FG hat zutreffend entschieden, dass ernstliche Zweifel i.S. des § 69 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen.

Im BMF-Schreiben in BStBl I 2002, 1028 vertritt die Finanzverwaltung unter Abkehr von der früher vertretenen Ansicht die Auffassung, dass eine Beherrschungsidentität im Sinne der Rechtsprechung zur Betriebsaufspaltung nicht gegeben ist, wenn an einer Besitzgesellschaft neben der mehrheitlich bei der Betriebsgesellschaft beteiligten Person oder Personengruppe mindestens ein weiterer Gesellschafter beteiligt ist und Beschlüsse der Gesellschafterversammlung wegen vertraglicher oder gesetzlicher Bestimmungen einstimmig gefasst werden müssen.

Zugleich enthält das BMF-Schreiben Übergangsregelungen. In den Fällen, in denen in der Vergangenheit von einer echten Betriebsaufspaltung ausgegangen worden ist, die personelle Verflechtung aber nach der BFH-Rechtsprechung zu keinem Zeitpunkt bestanden hat, sollen die der "Betriebsgesellschaft" überlassenen Wirtschaftsgüter --sofern sie nicht aus anderen Gründen dem Betriebsvermögen zuzurechnen sind-- in dem Zeitpunkt als entnommen angesehen werden, ab dem die Betriebsaufspaltung angenommen worden ist. Sind die Bescheide des entsprechenden Veranlagungszeitraums bereits bestandskräftig, sollen sie nach § 174 Abs. 3 AO 1977 zu ändern sein. Zur Begründung heißt es, vor dem Ergehen der einschlägigen BFH-Urteile hätten die FÄ aufgrund der bisherigen Rechtsauffassung auf die Besteuerung erkennbar in der Annahme verzichtet, die stillen Reserven seien in späteren Veranlagungszeiträumen steuerwirksam zu erfassen. Diese Annahme habe sich nachträglich als unzutreffend erwiesen.

Im Schrifttum wird die Richtigkeit dieser Aussage --soweit ersichtlich-- einhellig bezweifelt (Tiedtke/Szczesny, Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 2002, 3733, 3735, und Deutsches Steuerrecht --DStR-- 2003, 757, 758; Korn/Strahl, Neue Wirtschafts-Briefe --NWB-- Fach 2, 8005, 8060; Mitsch, Die Information über Steuer und Recht --Inf-- 2002, 746, 750; Ley/Strahl, DStR 2002, 2057, 2060; Korth, Aktuelles Steuerrecht --AktStR-- 2003, 41, 56; Kempermann, NWB 2003 Fach 3, 12501, 12509; Schmidt/Wacker, Einkommensteuergesetz, 24. Aufl., § 15 Rz. 825). Der Senat hält diese Zweifel für berechtigt. Der Sachverhalt, den das FA in den hier einschlägigen Fällen bei Begründung der echten Betriebsaufspaltung unberücksichtigt gelassen hat, war die Überführung des Grundstücks aus dem Betriebsvermögen des bisherigen einheitlichen Unternehmens in das Privatvermögen der neu gegründeten vermögensverwaltenden Besitzgesellschaft. Dieser Vorgang wäre, wenn das FA damals schon die Sicht des BFH zur Einstimmigkeitsabrede geteilt hätte, als Entnahme zu erfassen gewesen. Indessen hat das FA die Besteuerung bei der Begründung der vermeintlichen Betriebsaufspaltung nicht etwa deshalb unterlassen, weil es annahm, die Entnahme sei in einem späteren Bescheid zu erfassen. Zwar hat die Behörde von der Besteuerung eines Entnahmegewinns abgesehen, weil es der Auffassung war, die in dem Grundstück ruhenden stillen Reserven blieben nicht unversteuert. Die in einem späteren Zeitpunkt zu erwartende Versteuerung der stillen Reserven konnte jedoch aus der damaligen Sicht des FA auf unterschiedlichen Sachverhalten beruhen, z.B. auf der Beendigung des Mietverhältnisses mit dem Betriebsunternehmen oder der Veräußerung des Grundstücks. Ob allein die Erwartung des FA, die stillen Reserven seien irgendwann aufgrund irgendeines Sachverhalts zu erfassen, die Anwendbarkeit des § 174 Abs. 3 AO 1977 rechtfertigt, erscheint ernstlich zweifelhaft.

Nichts anderes gilt, wenn --wie im Streitfall vom FA angenommen-- zunächst infolge der Beteiligung aller Gesellschafter an der Besitz- wie an der Betriebsgesellschaft ungeachtet der Einstimmigkeitsabrede in der Besitz-GbR eine (echte oder unechte) Betriebsaufspaltung bestand, diese aber in einem späteren Jahr dadurch beendet wurde, dass einige Gesellschafter ihre Beteiligung an der Betriebsgesellschaft aufgaben. In diesem Fall ist es der Sachverhalt der Beendigung der personellen Verflechtung, den das FA mit Rücksicht auf die damalige Verwaltungsauffassung steuerlich nicht erfasst hat. Es hat dies aber nicht getan, weil es der Auffassung war, dieser Sachverhalt (Beendigung der personellen Verflechtung) sei in einem späteren Jahr zu erfassen.



Ende der Entscheidung

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