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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 08.09.2005
Aktenzeichen: IV B 42/05
Rechtsgebiete: FGO


Vorschriften:

FGO § 128
FGO § 133a
Jedenfalls nach der Einführung der Anhörungsrüge gemäß § 133a FGO kann die bewusste und objektiv greifbar gesetzwidrige Anwendung von Prozessrecht durch das FG mit einer außerordentlichen Beschwerde gerügt werden.
Gründe:

Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Antragstellerin) begehrt die Aussetzung der Vollziehung des Gewinnfeststellungsbescheids 2002, gegen den sie rechtzeitig Einspruch erhoben hat. Der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) hatte die Einkünfte aus Gewerbebetrieb abweichend von der Erklärung festgestellt, weil er Zinsen an eine Stiftung mit Sitz in Liechtenstein unter Hinweis auf § 160 der Abgabenordnung (AO 1977) für nicht abziehbar hielt. Nachdem das FA einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung abgelehnt hatte, stellte die Klägerin einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung bei dem Finanzgericht (FG). Der Antrag hatte keinen Erfolg. Das FG hielt an seiner in einem früheren Verfahren geäußerten Auffassung fest, die Stiftung sei eine Domizilgesellschaft. Die Anwendung des § 160 AO 1977 verstoße nicht gegen Europarecht. Die von der Antragstellerin zitierten Entscheidungen des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) beträfen anders gelagerte Sachverhalte. Die Beschwerde ließ das FG nicht zu.

Die Antragstellerin hat innerhalb von zwei Wochen seit Zustellung des Beschlusses außerordentliche Beschwerde erhoben. Sie rügt die Missachtung von Sachverhaltsänderungen ab dem 1. Juli 2002, die Nichtbeachtung der vom EuGH aufgestellten Rechtsgrundsätze und einen Verstoß gegen die Denkgesetze. Wegen der Begründung im Einzelnen wird auf die Beschwerdeschrift vom 17. Februar 2005 Bezug genommen.

Die Antragstellerin beantragt, den Beschluss des FG aufzuheben und Aussetzung der Vollziehung zu gewähren.

Das FA hat zu der außerordentlichen Beschwerde nicht Stellung genommen.

Die außerordentliche Beschwerde ist unzulässig und war deshalb zu verwerfen.

1. Die Beschwerde ist nicht statthaft.

a) Allerdings hat die Rechtsprechung in bestimmten Ausnahmefällen eine außerordentliche Beschwerde gegen nicht mit ordentlichen Rechtsbehelfen anfechtbare Entscheidungen für statthaft gehalten.

Wie der Senat in seinem von der Antragstellerin ausdrücklich zitierten Beschluss vom 13. Mai 2004 IV B 230/02 (BFHE 206, 194, BStBl II 2004, 833) ausgeführt hat, hatte sich der Anwendungsbereich der außerordentlichen Beschwerde seit der Einführung der Gegenvorstellung nach § 321a der Zivilprozessordnung (ZPO) erheblich reduziert. Denn schwerwiegende Verletzungen von Verfahrensgrundrechten konnten nach mittlerweile ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) im Finanzprozess mit einer Gegenvorstellung analog § 321a ZPO bei dem Ausgangsgericht geltend gemacht werden.

Eine außerordentliche Beschwerde an den BFH kam nach dem Senatsbeschluss in BFHE 206, 194, BStBl II 2004, 833 nur noch in Betracht, um geltend zu machen, dass eine mit förmlichen Rechtsbehelfen nicht anfechtbare Entscheidung des FG auf einer bewussten und objektiv greifbar gesetzwidrigen Anwendung von Prozessrecht beruhe. Greifbar gesetzwidrig in diesem Sinne ist eine Entscheidung, die jeglicher Grundlage entbehrt und damit eine nicht hinnehmbare Gesetzeswidrigkeit zur Folge hat. Diese Voraussetzung hat der Senat insbesondere für erfüllt gehalten, wenn die Entscheidung auf einer Gesetzesauslegung beruht, die eine Gesetzesanwendung zur Folge hat, welche durch das Gesetz ersichtlich ausgeschlossen werden sollte und deshalb unter keinem denkbaren Gesichtspunkt vertretbar erscheint.

b) Der Senat braucht sich im Streitfall nicht mit den Bedenken auseinander zu setzen, die dagegen erhoben worden sind, dass er eine außerordentliche Beschwerde seit In-Kraft-Treten des § 321a ZPO überhaupt noch für statthaft gehalten hat. Denn vorliegend ist eine Veränderung der Rechtslage zu berücksichtigen, die durch die Einführung der Anhörungsrüge nach § 133a der Finanzgerichtsordnung (FGO) eingetreten ist.

aa) § 133a FGO wurde durch Art. 10 Nr. 2 des Gesetzes über die Rechtsbehelfe bei Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (AnhRüG) vom 9. Dezember 2004 (BGBl I, 3220) mit Wirkung vom 1. Januar 2005 in die FGO eingefügt (vgl. Art. 22 Satz 2 AnhRüG). Mit dem AnhRüG entsprach der Gesetzgeber einer Aufforderung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zur Schaffung ausdrücklicher Rechtsbehelfe, die eine fachgerichtliche Abhilfe bei Verstößen gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs ermöglichen (Plenumsbeschluss des BVerfG vom 30. April 2003 1 PBvU 1/02, BVerfGE 107, 395). § 133a FGO ersetzt deshalb die im Finanzprozess zuvor auf eine analoge Anwendung des § 321a ZPO gestützte Gegenvorstellung, soweit sich diese auf die Verletzung rechtlichen Gehörs bezieht.

bb) Die Einführung des § 133a FGO bestätigt den Bedarf für zusätzliche außerordentliche Rechtsbehelfe.

§ 133a FGO sollte nach dem ausdrücklich geäußerten Willen des Gesetzgebers nicht zur Folge haben, dass außer der Verletzung des rechtlichen Gehörs schwere Verletzungen von Verfahrensgrundrechten nicht mehr mit den bisher zur Anwendung gekommenen außerordentlichen Rechtsbehelfen bei den Fachgerichten gerügt werden dürften (BTDrucks 15/3706, S. 14). Es kann deshalb nicht zweifelhaft sein, dass neben der Anhörungsrüge weitere Möglichkeiten zur Geltendmachung anderer schwerer Verfahrensmängel bestehen müssen.

Der Streitfall bietet keine Veranlassung, der Frage nachzugehen, ob die Gegenvorstellung weiter als statthaft angesehen werden kann (so BFH-Beschlüsse vom 13. Januar 2005 VII S 31/04, BFH/NV 2005, 898; vom 30. März 2005 VII S 13/05, BFH/NV 2005, 1349, und vom 21. Juni 2005 X S 11/05, juris; offen gelassen im Beschluss vom 8. Juni 2005 V S 12/04 (PKH), juris). Zweifel bestehen deshalb, weil eine analoge Anwendung des § 321a ZPO auf andere Verfahrensmängel nach der ausdrücklichen Begrenzung der Vorschrift auf Verletzungen des rechtlichen Gehörs durch das AnhRüG nicht mehr in Betracht kommen dürfte. Ebenso erscheint es bedenklich, die klare inhaltliche Begrenzung des § 133a FGO im Wege einer analogen Anwendung auf andere Verfahrensfehler zu umgehen.

Demgegenüber bestehen keine Bedenken, auch unter der Geltung des § 133a FGO an den bisherigen Grundsätzen zur analogen Anwendung des § 128 FGO auf eine außerordentliche Beschwerde festzuhalten. Der Anwendungsbereich der außerordentlichen Beschwerde hat sich mithin durch die Einführung von § 133a FGO nicht verringert, sondern ist mindestens bestehen geblieben.

c) Die außerordentliche Beschwerde der Antragstellerin ist danach deshalb nicht zulässig erhoben worden, weil mit ihr nicht die bewusste und objektiv greifbar gesetzwidrige Anwendung von Prozessrecht durch das FG gerügt wird. Mit den Rügen werden vielmehr einfache Verfahrensfehler (unzureichende Sachaufklärung) und materielle Rechtsfehler geltend gemacht. Derartige Fehler können mit einer außerordentlichen Beschwerde nicht gerügt werden.

Ende der Entscheidung

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