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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 15.09.2000
Aktenzeichen: IV B 59/00
Rechtsgebiete: EStG, FGO, ZPO


Vorschriften:

EStG § 10d
FGO § 51 Abs. 1
FGO § 73 Abs. 1 Satz 1
ZPO § 42 Abs. 1 und 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe

Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) erhob mit Telefax am 19. Februar 1996 Klage gegen den Einkommensteuerbescheid 1992 und die Einspruchsentscheidung des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt --FA--) vom 5. Januar 1996. Mit der Klage begehrt er eine Herabsetzung der Einkommensteuer 1992 auf 0 DM und die Feststellung eines verbleibenden Verlustabzugs, da Verluste in Höhe von ... DM aus einer früheren selbständigen Tätigkeit als Rechtsanwalt bei der Einkommensteuerveranlagung 1992 unberücksichtigt geblieben seien.

Mit Schreiben vom 24. Juli 1997 teilte der Berichterstatter des mit der Sache befassten Senats des Finanzgerichts (FG), Richter am FG X, dem Kläger mit, es sei beabsichtigt, in einer der nächsten Sitzungen des Senats mündlich zu verhandeln. Dem Kläger werde daher letztmalig Gelegenheit gegeben, bis zum 10. September 1997 darzulegen, inwieweit die geltend gemachten Aufwendungen als nachträgliche Betriebsausgaben anzusehen seien.

Mit per Telefax übermittelten Schreiben vom 9. und 10. September 1997 erläuterte der Kläger den aus seiner Sicht bestehenden Zusammenhang der Aufwendungen mit seiner früheren Berufstätigkeit als Rechtsanwalt. Hierauf erwiderte das FA mit Schriftsatz vom 10. Oktober 1997, zu dem der Kläger mit Telefax am 15. Dezember 1997 erneut Stellung nahm.

Mit Schreiben vom 18. Februar 2000 teilte der Berichterstatter dem Kläger erneut mit, es sei beabsichtigt, in einer der nächsten Sitzungen des Gerichts zu verhandeln. Sofern er noch eine Stellungnahme abgeben wolle, habe er hierzu Gelegenheit bis zum 17. März 2000.

In rechtlicher Hinsicht wies der Berichterstatter zum einen darauf hin, ein Antrag auf gesonderte Feststellung eines verbleibenden Verlustabzugs könne nicht im Zusammenhang mit einer Anfechtungsklage gegen den Einkommensteuerbescheid 1992 gestellt werden, da das Feststellungsverfahren nach § 10d des Einkommensteuergesetzes (EStG) ein eigenständiges Verfahren neben der Einkommensteuerfestsetzung darstelle und hierzu kein außergerichtliches Vorverfahren durchgeführt worden sei. Der Berichterstatter bat den Kläger deshalb um Mitteilung, ob er diesen Antrag fallen lasse.

Hinsichtlich der geltend gemachten nachträglichen Betriebsausgaben wies der Berichterstatter den Kläger darauf hin, ein Zusammenhang zwischen den vom Kläger geführten Prozessen gegen Aktiengesellschaften wegen der Anfechtung von Gesellschafterbeschlüssen und dessen beruflicher Tätigkeit sei für das Gericht nicht erkennbar, so dass insoweit keine nachträglichen Betriebsausgaben entstanden sein könnten. Lediglich die Ausgaben für bestimmte im Einzelnen bezeichnete Prozesse in Höhe von insgesamt ... DM kämen als nachträgliche Betriebsausgaben in Betracht. Kosten von ... DM dagegen könnten als Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen in Betracht kommen. Auch insoweit bat der Berichterstatter den Kläger um Stellungnahme und um Mitteilung, ob eventuell auf dieser Basis eine Erledigung des Rechtsstreits in Betracht komme.

Mit Schreiben vom 24. März 2000, das dem Kläger am 29. März 2000 zugestellt wurde, bestimmte das FG Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 12. April 2000. Nach Hinweis des Klägers auf die kurzfristige Ladung wurde die Sache auf Antrag des Klägers vertagt.

Mit per Telefax übermitteltem Schreiben vom 9. April 2000 lehnte der Kläger den Vorsitzenden Richter am FG Y und den Richter am FG X (den Berichterstatter) wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Zur Begründung verwies er zum einen auf die zweijährige Untätigkeit des Gerichts in dieser Sache. Daneben begründe die nach seiner, des Klägers Ansicht, sach- und gesetzwidrige Behandlung seines Ablehnungsgesuchs gegen die abgelehnten Richter in dem Verfahren Z die Besorgnis der Befangenheit dieser Richter auch in dem vorliegenden Verfahren.

Ferner machte der Kläger geltend, die mündliche Verhandlung sei nicht sachgerecht vorbereitet worden, da das Gericht eine Verhandlung der Einkommensteuersachen 1989, 1990 und 1992 terminiert habe, ohne gleichzeitig die ebenfalls anhängige Einkommensteuersache 1991 zu terminieren. Im Jahr 1991 habe das FA Prozesskosten, die den im Streitjahr 1992 geltend gemachten Kosten vergleichbar seien, als Werbungskosten anerkannt. Diese unterschiedliche Behandlung sei reine Willkür des FA. Durch Unterlassen einer gleichzeitigen Terminierung der Klagen gegen die Einkommensteuerbescheide 1991 und 1992 leiste das FG dieser Willkür Vorschub.

Schließlich habe er, der Kläger, wiederholt darauf hingewiesen, dass er aus Vereinfachungsgründen nur Teilbeträge seiner tatsächlich angefallenen Kosten geltend gemacht habe, da sich die vollen Kosten angesichts seiner geringen steuerpflichtigen Einnahmen ohnehin nicht auswirken könnten. Hätte der Berichterstatter bereits vor zwei Jahren seine --nach seiner, des Klägers Ansicht, verfehlte-- Auffassung zur mangelnden Abzugsfähigkeit des größten Teils der geltend gemachten Aufwendungen dargelegt, so hätte er, der Kläger, noch weitere Aufwendungen für das Jahr 1992 geltend machen können. Diese Möglichkeit solle ihm durch eine kurzfristige und gesetzeswidrige Terminierung abgeschnitten werden.

Mit dienstlichen Äußerungen vom 10. April 2000 erklärten der Vorsitzende Richter am FG Y und der Richter am FG X, dass sie sich nicht befangen fühlten.

Mit Beschluss vom 12. April 2000 wies das FG ohne die Mitwirkung der abgelehnten Richter das Ablehnungsgesuch als unbegründet zurück. Der Kläger habe bei objektiver und vernünftiger Betrachtung keinen Anlass, an der Unvoreingenommenheit der abgelehnten Richter zu zweifeln. Die Aufarbeitung der unerledigten Verfahren erfolge soweit möglich nach der zeitlichen Reihenfolge der Klageeingänge. Das FG habe in den mündlichen Verhandlungen dieses Jahres auch Verfahren entschieden, zu denen die Klagen noch früher eingegangen seien als die Klage des Klägers. Auch die Behandlung des Ablehnungsgesuches in dem Verfahren Z sei nicht geeignet, die Besorgnis der Befangenheit zu begründen. Sonstige Gründe, die für eine Besorgnis der Befangenheit der abgelehnten Richter sprächen, seien nicht erkennbar.

Hiergegen legte der Kläger am 13. April 2000 ohne Begründung Beschwerde ein. Das FG hat der Beschwerde nicht abgeholfen und diese dem Senat zur Entscheidung vorgelegt (§ 130 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

Die Beschwerde ist zulässig, aber nicht begründet.

1. Dass die Beschwerde bereits vor der Zustellung des Beschlusses über die Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs eingelegt wurde, steht ihrer Zulässigkeit nicht entgegen (vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 21. September 1989 IX B 88/89, BFH/NV 1990, 253; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., § 129 Anm. 4). Ebenso bedarf die Beschwerde keiner Begründung; es genügt, dass ihr Ziel --wie hier-- erkennbar ist (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 27. September 1994 VIII B 64-76/94, BFH/NV 1995, 526).

2. Die Beschwerde ist jedoch unbegründet. Das FG hat die Ablehnungsgesuche zu Recht abgelehnt.

Gemäß § 51 Abs. 1 FGO i.V.m. § 42 Abs. 1 und 2 der Zivilprozeßordnung (ZPO) findet die Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Dies ist der Fall, wenn ein am Verfahren Beteiligter von seinem Standpunkt aus bei objektiver und vernünftiger Betrachtung davon ausgehen darf, dass der Richter nicht unvoreingenommen entscheiden werde (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 4. Juli 1985 V B 3/85, BFHE 144, 144, BStBl II 1985, 555, und vom 16. November 1999 IV B 63/99, BFH/NV 2000, 724, m.w.N.).

Aus der gerichtlichen Pflicht zur Prozessförderung ergibt sich jedenfalls ein Recht des Gerichts, gegenüber den Beteiligten eine vorläufige Meinung über den erwarteten Verfahrensausgang zu äußern. Die Äußerung eines Richters über die Erfolgsaussichten einer Klage rechtfertigt deshalb die Besorgnis der Befangenheit nur dann, wenn zu befürchten ist, dass sich der betreffende Richter eine abschließende Meinung gebildet hat (vgl. BFH-Beschluss in BFHE 144, 144, BStBl II 1985, 555; auch Senatsbeschluss vom 11. August 1994 IV B 98/93, BFH/NV 1995, 410).

Da das Rechtsinstitut der Richterablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit die Beteiligten nicht vor Fehlern des Richters schützen soll, können auch Verfahrensfehler oder die Äußerung unrichtiger Rechtsansichten grundsätzlich nicht zur Ablehnung eines Richters führen. Rechts- und Verfahrensfehler können nur ausnahmsweise, und zwar dann eine Besorgnis der Befangenheit rechtfertigen, wenn Gründe dargetan werden, die dafür sprechen, dass die mögliche Fehlerhaftigkeit auf einer unsachlichen Einstellung des Richters gegenüber der ablehnenden Partei oder auf Willkür beruht (BFH-Beschlüsse vom 27. Juli 1992 VIII B 59/91, BFH/NV 1993, 112, m.w.N., und in BFH/NV 1995, 410). Dies gilt insbesondere für die Rüge von Rechtsverstößen, die dem Gericht in einem früheren Verfahrensabschnitt oder in einem Parallelverfahren unterlaufen sein sollen (BFH-Beschluss in BFH/NV 1993, 112).

Nach diesen Grundsätzen sind die Ablehnungsgesuche nicht begründet.

a) Zwar durften die Verfahrensbeteiligten aufgrund des Schreibens des Berichterstatters vom 24. Juli 1997, in dem eine mündliche Verhandlung in einer der nächsten Sitzungen des Senats angekündigt wurde, mit einer kürzeren Verfahrensdauer rechnen. Die insoweit enttäuschte Erwartung des Klägers rechtfertigt jedoch keine Besorgnis der Befangenheit. Anhaltspunkte für eine unsachliche Einstellung des Berichterstatters oder Willkür in diesem Zusammenhang sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Vielmehr ist die Verfahrensdauer --wie das FG im Beschluss vom 12. April 2000 dargelegt hat-- durch die Arbeitsbelastung des zuständigen Senats begründet. Es ist nicht zu beanstanden, dass das FG die unerledigten Verfahren nach der zeitlichen Reihenfolge der Klageeingänge bearbeitet (vgl. BFH-Beschluss vom 15. Juni 1993 VII B 108/93, BFH/NV 1994, 185). Weder ist ersichtlich noch hat der Kläger vorgetragen, dass im Streitfall von diesem Grundsatz abgewichen und die Sachentscheidung willkürlich verzögert worden sei.

b) Etwaige Fehler bei der Entscheidung über das Ablehnungsgesuch des Klägers in dem Verfahren Z begründen ebenfalls nicht die Besorgnis der Befangenheit in dem vorliegenden Verfahren. Wenn der Kläger der Ansicht ist, dass über das Ablehnungsgesuch in dem Verfahren Z fehlerhaft entschieden wurde, so stand es ihm frei, dagegen Beschwerde einzulegen (§ 128 FGO). Eine fehlerhafte Behandlung eines Ablehnungsgesuchs in einem anderen Verfahren kann - wie oben dargelegt - nur dann die Besorgnis der Befangenheit rechtfertigen, wenn Gründe dargetan werden, die dafür sprechen, dass die mögliche Fehlerhaftigkeit auf einer unsachlichen Einstellung des Richters gegenüber der ablehnenden Partei oder auf Willkür beruht. Derartige Gründe hat der Kläger aber mit seinem Ablehnungsgesuch nicht geltend gemacht; seine Beschwerde gegen die Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs hat er nicht begründet.

Im Übrigen wurde auch der Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör nicht dadurch verletzt, dass die dienstlichen Äußerungen der abgelehnten Richter, die sich auf die Aussage beschränkten, sie fühlten sich nicht befangen, dem Kläger nicht vor der Entscheidung über sein Ablehnungsgesuch zur Kenntnis gebracht wurden. Denn damit wurden keine dem Kläger unbekannten Tatsachen oder Beweisergebnisse verwertet (vgl. Senatsbeschluss vom 25. März 1999 IV B 82/98, BFH/NV 1999, 1466).

c) Die Tatsache, dass das FG eine Verhandlung der Einkommensteuersachen 1989, 1990 und 1992 geplant hatte, ohne gleichzeitig die Klage gegen den Einkommensteuerbescheid 1991 zu terminieren, rechtfertigt ebenfalls keine Besorgnis der Befangenheit. Gemäß § 73 Abs. 1 Satz 1 FGO entscheidet das FG nach pflichtgemäßem Ermessen über die gemeinsame Verhandlung und Entscheidung mehrerer bei ihm anhängiger Verfahren. Selbst wenn eine gemeinsame Verhandlung mit der Klage gegen den Einkommensteuerbescheid 1991 aus prozessökonomischen Gründen sinnvoll gewesen wäre, begründet die Terminierung nicht die Besorgnis der Befangenheit, zumal der Kläger keine Tatsachen vorgetragen hat, die insoweit auf eine unsachliche Einstellung der Richter gegen ihn oder auf Willkür schließen ließen. Außerdem entfaltet nach dem Grundsatz der Abschnittsbesteuerung die rechtliche Beurteilung bestimmter Aufwendungen in einem Veranlagungszeitraum keine Bindungswirkung für einen anderen Veranlagungszeitraum (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 16. März 1999 IV B 137/97, BFH/NV 1999, 1188).

d) Ferner begründet das Vorbringen des Klägers, er hätte bei einem früheren Hinweis des Berichterstatters auf dessen Rechtsauffassung die Möglichkeit gehabt, weitere Betriebsausgaben bzw. Werbungskosten des Jahres 1992 vorzutragen, keine Besorgnis der Befangenheit. Auch insoweit trägt der Kläger keine Tatsachen vor, die auf eine unsachliche Einstellung der abgelehnten Richter ihm gegenüber oder gar auf Willkür schließen ließen. Im Übrigen hat der Kläger erstmals in seinem Ablehnungsgesuch behauptet, er habe sich bisher "aus Vereinfachungsgründen" auf die Geltendmachung eines Teilbetrags der tatsächlich angefallenen Betriebsausgaben bzw. Werbungskosten beschränkt, während er in seinem Klageantrag die nachträglichen Betriebsausgaben auf ... DM bezifferte.



Ende der Entscheidung

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