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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 01.12.2005
Aktenzeichen: IV R 26/04
Rechtsgebiete: EStG


Vorschriften:

EStG § 4 Abs. 4
EStG § 12 Nr. 1
EStG § 18 Abs. 1
1. Unfallschäden teilen steuerrechtlich das Schicksal der Fahrt, auf der sie entstanden sind. Unfallbedingte Schadensersatzleistungen sind daher betrieblich veranlasste Aufwendungen, soweit sich der Unfall auf einer betrieblichen Reise ereignet hat.

2. Beruht die Reise als solche auf einer doppelten Veranlassung, so kann die private Veranlassung der Aufwendungen von untergeordneter Bedeutung sein. Werden aber aufgrund der privaten Mitveranlassung einer Reise erhebliche Unfallkosten ausgelöst, die nicht mehr von untergeordneter Bedeutung sind, so führt dies zu einem Abzugsverbot für diese privat veranlassten Aufwendungen, das die betriebliche Veranlassung der übrigen Aufwendungen unberührt lässt.


Gründe:

Die Klägerinnen und Revisionsklägerinnen (Klägerinnen) sind die Erben der verstorbenen Ärztin Dr. V (Frau V), die mit ihrem 19.. tödlich verunglückten Ehemann Dr. V (V) gemeinsam eine Arztpraxis betrieb, diese bis 19.. allein fortführte und dann verkaufte.

Am ... charterte V ein Privatflugzeug für die Reise von X nach Y zu einer Fortbildungsveranstaltung, auf der er anstelle einer verhinderten Referentin einen Diavortrag halten sollte.

Beim Absturz des Flugzeugs kamen V, der Safety-Pilot und zwei Fluggäste, die Lehrer A und B, die V nach Y mitnehmen wollte, ums Leben. Beide Lehrer unterrichteten an der Schule, die auch eine Tochter des V, die Klägerin zu 1, besuchte. A war ihr Klassenlehrer. Die Ursache des Absturzes konnte nicht restlos geklärt werden.

Nach den Feststellungen des Oberlandesgerichts (OLG) ... im Urteil vom ... war das Flugzeug bei schlechten Witterungs- und Sichtverhältnissen wegen zu geringer Flughöhe an einem Berg zerschellt. Das Gericht kam zu der Auffassung, dass V trotz mangelhafter Sicht den Flug fortgesetzt und damit den Absturz fahrlässig verursacht habe. Dementsprechend sprach es den Hinterbliebenen der getöteten Fluggäste Schadensersatzansprüche zu, die sich gegen Frau V als Alleinerbin des V richteten. Diese Ansprüche gingen nach Art. .. des ... Beamtengesetzes auf das Land ... über, soweit dieses den Hinterbliebenen beamtenrechtliche Versorgung gewährte. Das OLG stellte weiter fest, dass V die beiden Fluggäste aus Gefälligkeit mitgenommen hatte.

Frau V verglich sich gerichtlich mit dem Land ... auf einen Schadensersatzanspruch in Höhe von 1 469 129,74 DM und mit den Hinterbliebenen der beiden Fluggäste auf Schadensersatzansprüche von 135 000 DM und 310 000 DM, die jeweils 1992 gezahlt wurden. Im Zusammenhang mit dem Schadensersatzprozess entstanden Frau V weitere Aufwendungen für Anwalts- und Prozesskosten in beträchtlicher Höhe. Selbst unter Berücksichtigung dieser Zahlungsverpflichtungen ergab sich für Frau V aber noch ein Reinnachlass von 768 382 DM.

Insgesamt machte Frau V für die Streitjahre (1988 bis 1992) die folgenden Aufwendungen als Betriebsausgaben geltend:

 19884 340,00 DM
19897 000,00 DM
199041 212,00 DM
1991807 322,74 DM
19921 182 222,40 DM

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) versagte mit geänderten Einkommensteuerbescheiden für die Streitjahre die Anerkennung dieser Aufwendungen als Betriebsausgaben. Später ergingen während des Klageverfahrens (aus anderen Gründen) abermals Änderungsbescheide, die zum Gegenstand des Verfahrens gemacht wurden.

Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg. Nach Vernehmung der beiden Witwen der Fluggäste A und B sowie zweier weiterer Zeugen und der Beiziehung von Akten des Verwaltungsgerichts ... im Verfahren A gegen das Land ... wies das Finanzgericht (FG) die Klage ab.

Mit ihrer dagegen gerichteten Revision rügen die Klägerinnen die Verletzung materiellen Rechts.

Sie tragen vor: Das FG habe verkannt, dass alle durch einen betrieblich veranlassten Unfall verursachten Kosten unabhängig davon Betriebsausgaben seien, ob die weiteren Umstände innerhalb der Kausalkette (im Urteilsfall die Mitnahme der Lehrer), zu der das auslösende Moment gehöre, einen betrieblichen Bezug hätten; dies bedeute, dass entgegen der Rechtsauffassung des FG für die Frage der Betriebsausgabenqualifikation sowohl die Gründe des verunglückten Arztes, die Lehrer mitzunehmen, als auch die Motivation der Unfallopfer selbst unbeachtlich seien. Denn Aufwendungen seien i.S. des § 4 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) betrieblich veranlasst und damit Betriebsausgaben, wenn das auslösende Moment --hier der Flugunfall-- für die Aufwendungen der Erwerbssphäre des Steuerpflichtigen zuzurechnen sei; diese Voraussetzung aber sei im vorliegenden Fall erfüllt, da der Unfall betrieblich veranlasst gewesen sei.

Selbst wenn man nicht auf den Unfall als auslösendes Moment abstellen wollte, sondern auf die Mitnahme der Lehrer, so komme es ausschließlich auf die Gründe des verunglückten Arztes an, die Lehrer mitzunehmen. Diese Gründe seien aber betrieblicher und nicht persönlicher Natur, da es für die betriebliche Veranlassung der Mitnahme bereits ausreiche, dass die verunglückten Lehrer Patienten des Arztes gewesen seien und es sich somit selbst unter Zugrundelegung der Beweiswürdigung des FG um eine betriebliche und nicht um eine private Gefälligkeit gehandelt habe. Danach komme es auch nicht auf den Umstand an, dass V die Lehrer auf der Fortbildungsveranstaltung als Patienten habe vorstellen wollen und dass bereits aus diesem Grund ein betrieblicher Grund für die Mitnahme vorgelegen habe.

Die Klägerinnen beantragen, die Vorentscheidung sowie die Einspruchsentscheidung aufzuheben und die geänderten Einkommensteuerbescheide 1988 bis 1992 vom ... dahin gehend zu ändern, dass folgende Betriebsausgaben angesetzt werden:

 19884 340,00 DM
19897 000,00 DM
199041 212,00 DM
1991807 322,74 DM
19921 182 222,40 DM

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Die Revision ist unbegründet und war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Zu Recht ist das FG davon ausgegangen, dass die geltend gemachten Aufwendungen nicht als Betriebsausgaben abziehbar sind.

1. Ein Abzug der in den Streitjahren gezahlten Anwalts- und Prozesskosten sowie der dem Land ... und den Witwen der getöteten Lehrer gegenüber erbrachten Schadensersatzleistungen hätte nach § 4 Abs. 4 EStG zur Voraussetzung, dass sie durch den Betrieb, d.h. im Streitfall durch die ärztliche Praxis des V veranlasst waren. Das FG hat dies verneint, weil sich der Schaden zwar auf einer betrieblich veranlassten Flugreise ereignet hatte, aber nicht als unmittelbare Folge der betrieblichen Tätigkeit des V eingetreten ist. Dieser Würdigung tritt der erkennende Senat im Ergebnis bei.

a) Schadensersatzleistungen können betrieblich veranlasst sein und führen dann zu Betriebsausgaben. Dabei kann die Ursache auch in einer zum Schadensersatz verpflichtenden Handlung des Betriebsinhabers liegen. Dazu genügt jedoch nicht, dass die Handlung in irgendeinem Zusammenhang mit der betrieblichen oder beruflichen Betätigung des Inhabers steht. Vielmehr muss das die Schadensersatzpflicht auslösende Ereignis im Wesentlichen unmittelbare Folge der betrieblichen oder beruflichen Betätigung sein (vgl. Senatsurteile vom 17. April 1980 IV R 207/75, BFHE 130, 491, BStBl II 1980, 639, und vom 19. März 1987 IV R 140/84, BFH/NV 1987, 577; s. auch Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 6. Februar 1981 VI R 30/77, BFHE 132, 461, BStBl II 1981, 362 zum Werbungskostenabzug von Schadensersatzzahlungen). Dies beurteilt sich danach, ob die den Schadensersatz verursachende Handlung noch im Rahmen der beruflichen Aufgabenerfüllung lag oder aber auf privaten, den betrieblichen Zusammenhang aufhebenden Vorgängen beruhte (Beschluss des Großen Senats des BFH vom 28. November 1977 GrS 2-3/77, BFHE 124, 43, BStBl II 1978, 105).

Dabei gilt zwar der Grundsatz, dass Unfallschäden steuerrechtlich das Schicksal der Fahrt oder Reise teilen, auf der sie entstanden sind (BFH-Urteil vom 4. Juli 1986 VI R 227/83, BFHE 147, 161, BStBl II 1986, 771). Auf einer betrieblichen Reise eingetretene Schäden können jedoch dann nicht zu Betriebsausgaben führen, wenn der Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit zu lose und entfernt ist, als dass er eine betriebliche Veranlassung begründen könnte (BFH-Urteil in BFHE 147, 161, BStBl II 1986, 771). Ein steuerrechtlich anzuerkennender wirtschaftlicher Zusammenhang der Schadensersatzleistungen mit den Einkünften des V aus selbständiger Arbeit wäre danach zu bejahen, wenn der Flugzeugabsturz als "auslösendes Moment" zu Aufwendungen geführt hat, die der einkommensteuerrechtlich relevanten Erwerbssphäre zuzuweisen wären (Beschluss des Großen Senats des BFH vom 4. Juli 1990 GrS 2-3/88, BFHE 161, 290, BStBl II 1990, 817 zu C.II.2.b bb). Ergibt diese sog. zweistufige Prüfung des Zurechnungszusammenhangs betrieblich oder beruflich veranlasster Aufwendungen, dass diese nicht nur in unbedeutendem Maße auf privaten, der Lebensführung des Steuerpflichtigen zuzurechnenden Umständen beruhen, so sind sie wegen § 12 EStG nicht als Betriebsausgaben (oder Werbungskosten) abziehbar.

Beruht danach eine Reise bereits als solche auf einer doppelten Veranlassung, weil der Steuerpflichtige einerseits eine berufliche Veranstaltung (Kongress) besucht, andererseits aber Mitreisenden eine private Gefälligkeit erweist, so mag die private Mitveranlassung der Aufwendungen von untergeordneter Bedeutung sein, so lange die Reise planmäßig verläuft. Tritt allerdings ein unvorhergesehenes Ereignis, wie der vorliegende Unfall, auf dieser Reise ein und werden dann gerade aufgrund der privaten Mitveranlassung erhebliche Kosten ausgelöst, die bezogen auf die gesamten Reiseaufwendungen nicht mehr von untergeordneter Bedeutung sind, so führt dies zu einem Abzugsverbot für diese privat veranlassten Aufwendungen, das die betriebliche Veranlassung der übrigen Aufwendungen jedoch unberührt lässt.

b) Nach diesen Grundsätzen hat das FG zu Recht dem Umstand entscheidendes Gewicht beigemessen, dass V den beiden Lehrern mit dem Angebot, sie im Flugzeug nach Y mitzunehmen, eine private Gefälligkeit erwiesen hat. Der von V organisierte Charterflug war zwar insoweit betrieblich veranlasst, als er die Teilnahme des V an einer ärztlichen Fortbildungsveranstaltung ermöglichen sollte. Das FG konnte sich jedoch nicht davon überzeugen, dass auch die beiden Lehrer aus betrieblicher Veranlassung mitgeflogen sind. Zwar haben die Klägerinnen in der mündlichen Verhandlung vom ... vor dem FG vorgetragen, die Lehrer hätten auf der Fortbildungsveranstaltung als Patienten vorgestellt werden sollen. Nach den den Senat mangels zulässiger und begründeter Revisionsrügen bindenden Feststellungen des FG wollten die beiden Lehrer jedoch zur Vorbereitung einer Klassenfahrt nach Y reisen und haben die ihnen von V angebotene Mitreisegelegenheit genutzt, wobei einer der Lehrer die Reise auch noch mit einem Besuch seiner in Y lebenden Mutter verbinden wollte.

2. Die dagegen gerichteten Einwände der Klägerinnen greifen nicht durch. Entgegen der Auffassung der Klägerinnen folgt aus der unter 1.a wiedergegebenen Rechtsprechung des BFH nicht, dass alle durch einen betrieblich veranlassten Unfall verursachten Kosten unabhängig davon Betriebsausgaben sind, ob die weiteren Umstände innerhalb der Kausalkette (im Urteilsfall die Mitnahme der Lehrer), zu der das auslösende Moment gehört, einen betrieblichen Bezug aufweisen. Dies folgt bereits aus dem Abzugsverbot für Lebensführungskosten nach § 12 Nr. 1 EStG, das gerade für gemischte Aufwendungen von einer Doppelveranlassung ausgeht. Für die Frage der Betriebsausgabenqualifikation sind die Gründe des verunglückten Arztes, die Lehrer mitzunehmen, von entscheidender Bedeutung. Darüber hinaus kann die Motivation der Unfallopfer ein Indiz für die Beweggründe sein, die V veranlasst haben, eine Mitreisegelegenheit anzubieten.

Kommt es danach zwar --worauf die Klägerinnen zutreffend hingewiesen haben-- allein auf die Gründe des verunglückten Arztes an, die Lehrer mitzunehmen, so folgt daraus nicht, dass diese Gründe schon deshalb betrieblicher Natur waren, weil die verunglückten Lehrer Patienten des Arztes gewesen sind, und es sich deshalb bei der Mitnahme "um eine betriebliche und nicht um eine private Gefälligkeit" gehandelt habe. Das FG hat dazu nämlich überzeugend ausgeführt, dass insoweit der Schluss näher liege, V habe den Lehrkräften einen persönlichen Gefallen erweisen wollen.



Ende der Entscheidung

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