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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 04.10.2000
Aktenzeichen: IV R 33/00
Rechtsgebiete: FGO


Vorschriften:

FGO § 74
FGO § 116 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2
FGO § 120 Abs. 1 Satz 1
FGO § 120 Abs. 1 Satz 2
FGO § 56 Abs. 1
FGO § 120 Abs. 1 Satz 2
FGO § 120 Abs. 3
FGO § 120 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2
FGO § 116 Abs. 1 Nr. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe

Der 1916 geborene Kläger und Revisionskläger (Kläger) war vor seiner Pensionierung ..., ließ sich später als Steuerberater nieder und betätigte sich auch als Vermögensverwalter. Nachdem der Kläger seit 1980 keine Einkommensteuererklärungen mehr abgegeben hatte, wurde 1991 ein Steuerstrafverfahren gegen ihn eingeleitet. Aufgrund der Ermittlungen des Finanzamts für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung kam der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) zu dem Ergebnis, dass in erheblichem Umfang Steuern hinterzogen worden waren. Für die Streitjahre 1981 bis 1994 ergingen u.a. entsprechende Einkommensteuerbescheide. Nach nur teilweise erfolgreichen Einsprüchen erhob der Kläger insoweit Klage. Außerdem erhob er eine Untätigkeitsklage, mit der er sich gegen die Vorauszahlungsbescheide über Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag für die Streitjahre 1997 und 1998 wandte.

Mit Urteilen vom 24. November 1999 gab das Finanzgericht (FG) den Klagen betreffend die Einkommensteuer 1983 bis 1986 und 1989 zu einem kleinen Teil statt und wies sie im Übrigen als unbegründet ab. Die Revision ließ das FG in keinem Fall zu.

Nachdem die Urteile den Prozessbevollmächtigten des Klägers am 18. März 2000 zugestellt worden waren, gingen am 18. April 2000 in allen vier Verfahren Revisionen ein, die keine Begründung enthielten. Der Bundesfinanzhof (BFH), bei dem die Revisionen am 22. Mai 2000 vorgelegt wurden, wies mit Schreiben vom 24. Mai 2000, zugestellt am 26. Mai 2000, auf das Fehlen der Begründung sowie die Möglichkeit zu einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hin. Am 9. Juni 2000 gingen daraufhin Anträge auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand der Revisionsbegründungsfristen ein.

Hierzu wird vorgetragen, es sei den Prozessbevollmächtigten nicht möglich gewesen, um eine Verlängerung der Revisionsbegründungsfristen bei dem Vorsitzenden des zuständigen Senats des BFH nachzusuchen, weil die Akten der Verfahren bis zum 18. Mai 2000 vom FG noch nicht an den BFH übersandt gewesen seien. Das FG habe mit Beschluss vom 15. Februar 2000 ein gegen den Vorsitzenden und den Berichterstatter des Senats gerichtetes Befangenheitsgesuch zurückgewiesen. Über die Abhilfe der dagegen gerichteten Beschwerde (Az. IV B 57/00) habe der Senat des FG befinden müssen. In diesem Zusammenhang habe der Berichterstatter am 20. April 2000 in der Kanzlei der Bevollmächtigten angefragt, ob noch eine Beschwerdebegründung abgegeben werde. Daraufhin sei ein Antrag auf Akteneinsicht angekündigt und am 2. Mai 2000 per Fax ausdrücklich gestellt worden. Ein mit der Geschäftsstelle des FG zunächst vereinbarter Termin zur Akteneinsicht habe aus dringenden terminlichen Gründen verschoben werden müssen. Anschließend sei eine Terminvereinbarung nicht mehr möglich gewesen. Am Tag des Ablaufs der Revisionsbegründungsfrist sei auf telefonische Nachfrage vom FG mitgeteilt worden, die Akten seien nach München unterwegs. Dadurch sei die eigenartige, gesetzlich nicht geregelte Situation eingetreten, dass die Akten dem zur Entscheidung berufenen Gericht nicht vorgelegen hätten, es deshalb noch keinen mit der Angelegenheit befassten Senat gegeben habe und es dementsprechend den Prozessbevollmächtigten des Klägers verwehrt gewesen sei, bei dem Vorsitzenden des zuständigen Senats um Fristverlängerung nachzusuchen. Die Grundlagen für eine solche Vorsitzendenentscheidung hätten gefehlt.

Dem FG hätte außerdem deutlich sein müssen, dass mit dem Antrag auf Akteneinsicht auch konkludent ein Fristverlängerungsantrag verbunden gewesen sei, falls die Akteneinsicht nicht bis zum Ablauf der Revisionsbegründungsfristen stattgefunden haben sollte. Trotzdem sei das FG nicht in der Lage gewesen, einen konkreten Termin zur Akteneinsicht zu benennen oder die Akten so rechtzeitig an den BFH zu versenden, dass dort ein Fristverlängerungsantrag hätte gestellt werden können. Der Kläger sei deshalb unverschuldet in die Notlage geraten, die Revision ohne vorherige Akteneinsicht begründen zu müssen. Der Antrag auf Fristverlängerung bzw. eine Revisionsbegründung habe erst verfasst werden können, nachdem die Abgabenachricht vom FG und die Eingangsmitteilung des BFH vorgelegen hätten. Im Übrigen habe auch die Finanzverwaltung in einem anderen Verfahren vergeblich um Übersendung ihrer Akten gebeten.

Zur Begründung der Revisionen tragen die Klägervertreter zugleich mit dem Wiedereinsetzungsgesuch vor, es werde fehlerhafte Besetzung des Gerichts infolge von Befangenheit des Vorsitzenden Richters am FG X und des Richters am FG Y gerügt (§ 116 Abs. 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Unmittelbar nach Gewährung der Wiedereinsetzung sowie der daran anschließenden Akteneinsicht würden die Revisionen detailliert ergänzt werden.

Nachdem zwischenzeitlich Einsicht in die Akten genommen wurde, regt der Kläger nunmehr an, die Revisionsverfahren nach § 74 FGO auszusetzen.

Dazu macht er geltend, die Revisionsverfahren würden maßgebend auf § 116 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 FGO gestützt. Sie hingen deshalb von dem vorgreiflichen Beschwerdeverfahren IV B 57/00 bezüglich des Befangenheitsgesuchs ab. Zur Vermeidung von Rechtsnachteilen sei es als erforderlich angesehen worden, die Revisionen schon vor der Entscheidung über diese Beschwerde einzulegen. Anderenfalls hätte nach einer erfolgreichen Beschwerde wegen Fristablaufs Revision nicht mehr erfolgreich erhoben werden können. Zwar werde für Konstellationen dieser Art von Rechtsprechung und Lehre auch vertreten, dass der Ausgang des Beschwerdeverfahrens abgewartet werden könne und das Revisionsverfahren erst im Wege der Wiedereinsetzung einzuleiten sei. Aus Gründen der Rechtssicherheit verbiete sich aber eine solche Verfahrensweise. Solange die erfolgreiche Ablehnung eines Richters noch nicht feststehe, könne eine ausführliche Revisionsbegründung nicht abgegeben werden.

Das FA hat zu den Revisionsverfahren in der Sache nicht Stellung genommen.

Die Revisionen werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden (§ 73 Abs. 1 Satz 1 FGO) und als unzulässig verworfen.

1. Die Revisionen sind unzulässig, weil sie nicht rechtzeitig begründet worden sind.

a) Nach § 120 Abs. 1 Satz 1 FGO ist die Revision innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils einzulegen und spätestens innerhalb eines weiteren Monats zu begründen. Die Revisionsbegründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag vom Vorsitzenden des zuständigen Senats des BFH verlängert werden (§ 120 Abs. 1 Satz 2 FGO).

Die angefochtenen Urteile wurden dem Kläger am 18. März 2000 zugestellt, so dass die Revisionsfrist jeweils am 18. April 2000 ablief. An diesem Tag --und damit rechtzeitig-- gingen die Revisionsschriften ein. Sie enthielten keine Begründung. Die Revisionsbegründungsfrist lief am 18. Mai 2000 ab, ohne dass bis dahin Begründungen eingegangen waren.

b) Den am 9. Juni 2000 gestellten Anträgen auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist nicht stattzugeben. Nach § 56 Abs. 1 FGO ist auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Die Prozessbevollmächtigten stützen ihre Wiedereinsetzungsanträge darauf, dass sie einen Antrag auf Verlängerung der Begründungsfrist nicht hätten stellen können, weil im Hinblick auf die bei Fristablauf noch ausstehende Übersendung der Akten vom FG an den BFH der zuständige Senat des BFH noch nicht bekannt gewesen sei. Aus diesem Vorbringen ergibt sich indessen keine unverschuldete Säumnis. Die Revision ist unabhängig davon zu begründen, ob und ggf. wann das FG seiner Pflicht zur Vorlage der Revision an den BFH nachgekommen ist. Deshalb hat der BFH die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung für nicht erfüllt gehalten, wenn die Begründungsfrist versäumt wird, weil der Revisionskläger auf die Mitteilung des Aktenzeichens des BFH glaubt warten zu können (Beschluss vom 3. Oktober 1969 III R 44/69, BFHE 97, 238, BStBl II 1970, 95).

Nicht anders verhält es sich mit dem Antrag auf Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist. Schuldhaft handelt, wer den Verlängerungsantrag in dem Glauben nicht stellt, damit bis zum Eingang der Akten beim BFH warten zu können. Der Antrag kann ohne weiteres an den BFH gerichtet werden, auch wenn die Akten mit der Revisionsschrift noch nicht dort eingegangen sind. Aus § 120 Abs. 1 Satz 2 FGO ergibt sich nicht, dass der Antrag ad personam an den Vorsitzenden des zuständigen Senats oder an den genau bezeichneten Senat zu richten wäre. Der Regelungsinhalt der Vorschrift betrifft ausschließlich die Frage, wer sachlich über den Fristverlängerungsantrag zu befinden hat. Im Übrigen ergibt sich aus dem veröffentlichten Geschäftsverteilungsplan des BFH, welcher Senat für ein bestimmtes Revisionsverfahren zuständig ist.

Auf eine verspätete Versendung der Akten vom FG an den BFH kann der Kläger sich nicht berufen. Es kann dahinstehen, ob das FG tatsächlich seiner Pflicht zur Vorlage der Revisionsschriften an den BFH gemäß § 120 Abs. 3 FGO nicht, wie erforderlich (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 120 FGO Tz. 72), unverzüglich nachgekommen ist. Selbst wenn dies zuträfe, hätte sich an der Frist zur Begründung der Revisionen nach § 120 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 FGO nichts geändert. Organisationsmängel im Verfahren zwischen dem FG und dem BFH dürfen den Revisionsbeteiligten zwar nicht zum Nachteil gereichen. Umgekehrt entbinden solche Mängel aber die Beteiligten auch nicht von den sie prozessrechtlich treffenden Verpflichtungen.

c) Bei dieser Sachlage braucht der Senat nicht mehr dazu Stellung zu nehmen, ob den Wiedereinsetzungsanträgen auch deshalb nicht stattzugeben wäre, weil die Revisionsbegründungen nicht zugleich mit den Wiedereinsetzungsanträgen eingereicht worden sind. Nicht zu erörtern ist auch, ob die Revisionen bereits deshalb unzulässig sind, weil die Voraussetzungen des § 116 Abs. 1 Nr. 2 FGO, nämlich die bereits erfolgreich stattgefundene Richterablehnung, nicht schlüssig vorgetragen worden sind.

2. Der Senat kann über die Revisionen bereits jetzt entscheiden. Die beantragte Aussetzung der Verfahren nach § 74 FGO kommt nicht in Betracht. Nach dieser Vorschrift kann das Gericht das Verfahren aussetzen, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil vom Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet. Liegen die Sachurteilsvoraussetzungen nicht vollständig vor, hängt die Entscheidung des Rechtsstreits aber nicht von einem materiell vorgreiflichen Rechtsverhältnis ab. In einem solchen Fall besteht kein Grund für eine Aussetzung des Verfahrens.

So verhält es sich im Streitfall, in dem --wie dargelegt-- die Revisionen nicht fristgemäß begründet worden sind.



Ende der Entscheidung

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