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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 24.09.1998
Aktenzeichen: IV R 65/96
Rechtsgebiete: AO 1977


Vorschriften:

AO 1977 § 176 Abs. 2
BUNDESFINANZHOF

Dem Erlaß eines Änderungsbescheids nach § 174 Abs. 4 AO 1977 steht der Vertrauensschutz nach § 176 Abs. 2 AO 1977 jedenfalls dann entgegen, wenn die Finanzverwaltung die der Rechtsprechung entgegenstehende begünstigende Verwaltungsvorschrift allen anderen Steuerpflichtigen gegenüber für eine Übergangszeit anwendet.

AO 1977 § 176 Abs. 2

Urteil vom 24. September 1998 - IV R 65/96 -

Vorinstanz: Niedersächsisches FG (EFG 1997, 385)


Gründe

Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Ehegatten, die zusammen zur Einkommensteuer veranlagt werden. Der Kläger erzielte Einkünfte aus einem land- und forstwirtschaftlichen Betrieb, den er bis zum Jahresende 1978 von seinem Vater gepachtet hatte und der ihm zum 1. Januar 1979 in vorweggenommener Erbfolge übertragen worden war.

Bis zum 30. Juni 1981 ermittelte der Kläger seinen Gewinn aus Land- und Forstwirtschaft nach Durchschnittssätzen gemäß § 13a des Einkommensteuergesetzes (EStG) und in der Folgezeit durch Betriebsvermögensvergleich nach § 4 Abs. 1 EStG. Aufgrund eines von seinem Vater mit der Bundesbahn zum Ende des Jahres 1978 geschlossenen Vertrags über die Zahlung einer Entschädigung für die Aufgabe der Nutzungsrechte an einem Bahnübergang und die damit verbundenen betrieblichen Wirtschaftserschwernisse erhielt der Kläger im Januar 1979 eine Entschädigung für Wirtschaftserschwernisse. Weder der Vater des Klägers noch der Kläger selbst erfaßten die Entschädigung als Betriebseinnahme.

Nach einer Außenprüfung ging der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) davon aus, der Anspruch auf die Entschädigung sei bereits im Jahre 1978 entstanden und zusammen mit einem Schuldposten "Rücklage für erhöhte Aufwendungen aufgrund von Wirtschaftserschwernissen" mit der Betriebsübertragung auf den Kläger übergegangen. Dieser Schuldposten sei beim Übergang zur Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 1 EStG in der Anfangsbilanz auszuweisen und entsprechend Abschn. 131 Abs. 3 der Einkommensteuer-Richtlinien (EStR) zeitanteilig zu versteuern. Die daraufhin am 20. Oktober 1986 ergangenen Änderungsbescheide 1981 bis 1983 wurden durch das Urteil des Senats vom 29. November 1990 IV R 131/89 (BFHE 168, 24, BStBl II 1992, 715) insoweit aufgehoben, als die Entschädigung zeitanteilig gewinnerhöhend versteuert worden war. In dem Urteil führte der Senat u.a. aus, die Entschädigung sei im Wirtschaftsjahr ihrer Vereinnahmung als bei der Feststellung des Ausgangswerts nach § 13a Abs. 4 EStG nicht berücksichtigter Betriebsvorgang durch einen Zuschlag nach § 13a Abs. 8 Nr. 3 i.V.m. § 4 Abs. 3 EStG zu erfassen. Sollte es allerdings dazu kommen, daß das FA den Entschädigungsbetrag im Wirtschaftsjahr der Vereinnahmung (Wirtschaftsjahr 1978/79) erfasse, dem Kläger aber im Billigkeitsweg die Verteilung über eine Reihe von Jahren zugestanden werde, so könne sich die Aufnahme eines entsprechenden Passivpostens in die Anfangsbilanz und seine gewinnerhöhende Auflösung in der Folgezeit als erforderlich erweisen. Hierüber könne aber im gegenwärtigen Zeitpunkt nicht befunden werden. Der Gewinn des Klägers sei vielmehr antragsgemäß zu mindern.

Daraufhin änderte das FA den Einkommmensteuerbescheid 1979 gemäß § 174 der Abgabenordnung (AO 1977) und erfaßte den Entschädigungsbetrag zur Hälfte; im Einspruchsbescheid ging es dann von einer Verteilung der Entschädigung auf 20 Jahre aus und erfaßte dementsprechend für das Streitjahr nur noch einen anteiligen Betrag in Höhe von 5 v.H. der Entschädigung gewinnerhöhend.

Der dagegen gerichteten Klage gab das Finanzgericht (FG) mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1997, 385 veröffentlichten Gründen statt.

Mit seiner dagegen gerichteten, vom FG zugelassenen Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts und trägt vor: Die aufgrund der Außenprüfung geänderten Einkommensteuerbescheide 1981 bis 1983 seien vor Ablauf der Festsetzungsfrist für die Einkommensteuer 1979 ergangen, denn die Außenprüfung sei auch auf die Veranlagungszeiträume 1979 und 1980 erweitert worden. Der Einkommensteuerbescheid 1979 habe daher nach Aufhebung der Einkommensteuerbescheide 1981 bis 1983 durch den Bundesfinanzhof (BFH) gemäß § 174 Abs. 4 AO 1977 geändert werden können, ohne daß die Einschränkung des § 174 Abs. 4 Satz 4 i.V.m. § 174 Abs. 3 AO 1977 hätte beachtet werden müssen. Entgegen der Auffassung des FG liege im Streitfall auch ein bestimmter Sachverhalt i.S. des § 174 Abs. 4 Satz 1 AO 1977 vor. Schließlich könnten die Kläger sich nicht auf die Vertrauensschutzregelung des § 176 Abs. 2 AO 1977 berufen, weil sie ihrerseits treuwidrig gehandelt hätten. Sie seien nicht schutzwürdig, weil sie sich auf die Verwaltungsanweisung beriefen, die sie in dem vorangegangenen Verfahren mit Erfolg angefochten hätten.

Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen.

Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

1. Zu Recht hat das FG seine stattgebende Entscheidung auch auf § 176 Abs. 2 AO 1977 gestützt.

a) Nach dieser Vorschrift darf bei der Aufhebung oder Änderung eines Steuerbescheids nicht zuungunsten des Steuerpflichtigen berücksichtigt werden, daß eine allgemeine Verwaltungsvorschrift der Bundesregierung, einer obersten Bundes- oder Landesbehörde, von einem obersten Gerichtshof des Bundes als nicht mit dem geltenden Recht in Einklang stehend bezeichnet wird.

b) Im Streitfall liegt ein derartiger inhaltlicher Widerspruch i.S. des § 176 Abs. 2 AO 1977 vor: Als allgemeine Verwaltungsvorschrift der Bundesregierung (Art. 108 Abs. 7 des Grundgesetzes --GG--) hatten die EStR 1978 in Abschn. 131 Abs. 3 Satz 8 und 9 angeordnet, daß Entschädigungen für Wirtschaftserschwernisse bei der Gewinnermittlung nach Durchschnittssätzen gemäß § 13a EStG außer Ansatz zu lassen seien. Diese Anordnung steht dem Urteil des Senats vom 17. Mai 1990 IV R 21/89 (BFHE 161, 56, BStBl II 1990, 891) entgegen. Danach ist eine Entschädigung für Wirtschaftserschwernisse eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebs bei der Gewinnermittlung nach Durchschnittssätzen durch einen entsprechenden Zuschlag nach § 13a Abs. 8 Nr. 3 EStG im Wirtschaftsjahr der Vereinnahmung zu erfassen. In seiner Begründung hat der Senat unter ausdrücklichem Hinweis auf Abschn. 131 Abs. 3 Satz 8 und 9 EStR u.a. ausgeführt, die gegenteilige Meinung der Finanzverwaltung lasse außer acht, daß der durch die Wirtschaftserschwernisse verursachte Mehraufwand bei der Gewinnermittlung nach Durchschnittssätzen zu berücksichtigen sei und daß die Nichterfassung der Einnahme eine "Begünstigung der § 13a-Landwirte" ohne gesetzliche Grundlage darstelle.

Der angefochtene, den ursprünglichen Verwaltungsakt ändernde Einkommensteuerbescheid 1979 beruht auf dem Senatsurteil in BFHE 161, 56, BStBl II 1990, 891 und der daran anschließenden Entscheidung des Senats in BFHE 168, 24, BStBl II 1992, 715, die die Kläger erstritten haben. Der Senat hat sich insbesondere in seinem Urteil in BFHE 161, 56, BStBl II 1990, 891 nicht nur mit der in den EStR enthaltenen Regelung auseinandergesetzt, sondern diese --wie ausgeführt-- auch als nicht mit dem Gesetz in Einklang stehend bezeichnet. Daß das FA in seiner Einspruchsentscheidung dann von einer Verteilung der Entschädigung auf 20 Jahre ausgegangen ist, widerspricht dem nicht. Denn auch die vom Senat in BFHE 161, 56, BStBl II 1990, 891, und in BFHE 168, 24, BStBl II 1992, 715 als Billigkeitsmaßnahme i.S. des § 163 Abs. 1 Satz 2 AO 1977 beurteilte Verteilung setzt voraus, daß die Entschädigung im Jahr der Vereinnahmung zu erfassen war.

c) Allerdings hat der Senat im Urteil in BFHE 161, 56 BStBl II 1990, 891 (unter Nr. 4 der Entscheidungsgründe) ausdrücklich auf die Änderungsmöglichkeit nach § 174 Abs. 4 AO 1977 hingewiesen; auch das von den Klägern erstrittene Urteil in BFHE 168, 24, BStBl II 1992, 715 enthält einen Hinweis auf die mögliche Erfassung der Entschädigung in dem dem Streitjahr zugrundeliegenden Wirtschaftsjahr 1978/79. Im Rahmen dieser beiläufigen Äußerungen ist der Senat auf die Vertrauensschutzregelung des § 176 Abs. 2 AO 1977 nicht eingegangen. Im Streitfall kann die Frage offenbleiben, ob § 176 Abs. 2 AO 1977 der Änderungsmöglichkeit nach § 174 Abs. 4 AO 1977 grundsätzlich vorgeht (so v. Wallis in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 176 AO 1977 Anm. 11) oder ob die Vertrauensschutzregelung dem Steuerpflichtigen versagt bleibt, wenn sich die Entscheidung, mit der der BFH eine Verwaltungsvorschrift als nicht mit dem geltenden Recht in Einklang stehend bezeichnet hat, in einem anderen Jahr zu seinen Gunsten ausgewirkt hat. Unter den besonderen Umständen des Streitfalls kommt § 176 Abs. 2 AO 1977 jedenfalls Vorrang vor einer Änderungsmöglichkeit nach § 174 Abs. 4 AO 1977 zu. Im Hinblick auf die u.a. auch von den Klägern erstrittene Entscheidung in BFHE 168, 24, BStBl II 1992, 715 sieht die Finanzverwaltung nämlich bei allen Landwirten mit Gewinnermittlung nach Durchschnittssätzen Entschädigungszahlungen, die vertraglich vor dem 1. Januar 1991 vereinbart worden sind, aus Gründen des Vertrauensschutzes auch weiterhin als mit dem Grundbetrag abgegolten an (s. Schreiben des Bundesministers der Finanzen --BMF-- vom 5. März 1992, BStBl I 1992, 187, und Einkommensteuer-Handbuch H 130 a "Wirtschaftserschwernisse"). Ist daher in diesen Fällen eine Verteilung solcher Zahlungen ebenso ausgeschlossen wie der Ansatz eines Schuldpostens in einer späteren Übergangsbilanz, so können diese Rechtsfolgen den Klägern nicht verwehrt werden. Die genannten Verwaltungsanweisungen beruhen auf dem in § 176 Abs. 2 AO 1977 zum Ausdruck kommenden Grundgedanken des Vertrauensschutzes gegenüber begünstigenden Verwaltungsvorschriften. Bei dieser Sachlage ist die Vorschrift des § 176 Abs. 2 AO 1977 daher schon aus Gründen der Gleichbehandlung unmittelbar auf den Kläger anzuwenden.

2. Zu Unrecht wendet das FA hiergegen ein, den Klägern sei der Vertrauensschutz des § 176 Abs. 2 AO 1977 zu versagen, weil sie sich ihrerseits treuwidrig verhalten hätten. Im vorangegangenen Klage- und Revisionsverfahren IV R 131/89 (vgl. Senatsurteil in BFHE 168, 24, BStBl II 1992, 715) hätten die Kläger auch die Regelung in Abschn. 131 Abs. 3 Satz 8 und 9 EStR 1978 ff. angegriffen, auf die sie sich nunmehr treuwidrig beriefen. Diesem Einwand vermag der erkennende Senat nicht zu folgen; die Kläger haben nämlich zu keiner Zeit den in Abschn. 131 Abs. 3 Satz 8 und 9 EStG 1978 ff. geregelten Nichtansatz der Entschädigung bei der Gewinnermittlung nach Durchschnittssätzen in Frage gestellt.

a) Das FA hat hierzu vorgetragen, die Bildung eines Schuldpostens in der Übergangsbilanz bei Beginn der Buchführungspflicht habe sich zwingend aus der Verwaltungsanweisung in Abschn. 131 Abs. 3 Satz 8 und 9 EStR 1978 ff. ergeben. Danach sei die Entschädigung allein deshalb nicht bei der Gewinnermittlung nach Durchschnittssätzen zu berücksichtigen gewesen, weil man davon ausgegangen sei, daß der durch die Wirtschaftserschwernisse bedingte höhere Aufwand im Grundbetrag nach § 13a Abs. 4 EStG nicht berücksichtigt werde. Der Verwaltungsauffassung habe daher die Vorstellung einer Verrechnung von Aufwand und Entschädigung durch Ansatz des Grundbetrags für einen Zeitraum von 20 Jahren zugrunde gelegen. Diese Annahme sei indessen bei einem Übergang zum Betriebsvermögensvergleich entfallen, so daß der noch nicht verrechnete Teil der Entschädigung zeitanteilig zu erfassen gewesen sei.

b) Ob diese Erklärung zutrifft, ist zweifelhaft. Näher liegt die Annahme, daß das FA im Streitfall IV R 131/89 (vgl. Senatsurteil in BFHE 168, 24, BStBl II 1992, 715) von der Rechtsprechung des Senats ausgegangen ist, wonach der Land- und Forstwirt beim Übergang zum Bestandsvergleich so zu behandeln sei, als hätte er den Gewinn schon vorher durch Betriebsvermögensvergleich ermittelt (ständige Rechtsprechung seit dem Senatsurteil vom 12. Dezember 1985 IV R 225/83, BFHE 145, 533, BStBl II 1986, 392). Nach der Rechtsprechung des Senats kann in einem solchen Fall jedoch nicht unterstellt werden, der Landwirt habe ihm eingeräumte Wahlrechte während der Gewinnermittlung nach Durchschnittssätzen ausgeübt (ständige Rechtsprechung seit BFH-Urteil vom 17. März 1988 IV R 82/87, BFHE 153, 333, BStBl II 1988, 770, in Abkehr vom BFH-Urteil vom 3. Juni 1965 IV 180/61 U, BFHE 83, 213, BStBl III 1965, 579). Die Kläger haben sich demgegenüber im Verfahren IV R 131/89 (vgl. Senatsurteil in BFHE 168, 24, BStBl II 1992, 715) wie im Streitfall nur auf den durch Abschn. 131 Abs. 3 Satz 8 und 9 EStR 1978 ff. angeordneten Nichtansatz der Entschädigung bei der Gewinnermittlung nach Durchschnittssätzen berufen.

3. Nach alledem war die Revision mit der Kostenfolge aus § 135 Abs. 2 FGO zurückzuweisen, ohne daß es weiterer Prüfung bedarf, ob die Voraussetzungen für eine Änderung des Einkommensteuerbescheids 1979 nach § 174 Abs. 3 und 4 AO 1977 vorgelegen haben.

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