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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 22.02.2007
Aktenzeichen: IX B 221/06
Rechtsgebiete: StVZO, KraftStG, FGO


Vorschriften:

StVZO § 23 Abs. 6a
KraftStG § 2 Abs. 2 Satz 1
KraftStG § 2 Abs. 2a Satz 1 Nr. 2
KraftStG § 2 Abs. 2a Satz 2
KraftStG § 2 Abs. 2a Satz 3
KraftStG § 8 Nr. 2
FGO § 69 Abs. 3 Satz 1
FGO § 69 Abs. 2 Satz 2
FGO § 126 Abs. 3 Nr. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob ein Kleinbus des Typs Mercedes Benz D 208 CDI mit insgesamt 9 Sitzen und einem zulässigen Gesamtgewicht von mehr als 2,8 t nach Aufhebung des § 23 Abs. 6a der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung (StVZO) zutreffend als Personenkraftwagen (PKW) nach Hubraum und Schadstoffverhalten besteuert wurde.

Halterin dieses Fahrzeugs ist die Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Antragstellerin). Das Fahrzeug wurde zunächst mit Kraftfahrzeugsteuerbescheid vom 1. August 2003 als "sonstiges Fahrzeug" i.S. von § 8 Nr. 2 des Kraftfahrzeugsteuergesetzes (KraftStG) nach dem verkehrsrechtlich zulässigen Gesamtgewicht (2 950 kg) besteuert. Nach Aufhebung des § 23 Abs. 6a StVZO durch Art. 1 Nr. 1 der 27. Verordnung zur Änderung der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung vom 2. November 2004 (BGBl 2004, 2712) mit Wirkung ab 1. Mai 2005 änderte der Antrags- und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) mit Kraftzeugsteuerbescheid vom 9. September 2005 die Besteuerung, indem es das Fahrzeug ab 1. Mai 2005 als PKW nach Hubraum (2 148 ccm) und Schadstoffausstoß (entsprechend der Schadstoffschlüsselnummer 51) erfasste und damit die bisherige Jahressteuer von 181 € auf 353 € erhöhte. Über den dagegen erhobenen Einspruch ist noch nicht entschieden. Den zugleich gestellten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) des Bescheids lehnte das FA ab. Auch das Finanzgericht (FG) lehnte den Antrag der Antragstellerin ab, die Vollziehung auszusetzen.

Mit der dagegen eingelegten Beschwerde macht sie ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids geltend. Insbesondere könne der Verweis in § 2 Abs. 2 Satz 1 KraftStG auf die verkehrsrechtlichen Begriffsbestimmungen nicht dazu führen, dass jede Änderung eines im Kraftfahrzeugsteuergesetz verwendeten verkehrsrechtlichen Begriffs zu einer Änderung der Bemessungsgrundlage der Kraftfahrzeugsteuer führe.

Die Antragstellerin beantragt, den angefochtenen Beschluss des FG aufzuheben und die Vollziehung des angefochtenen Kraftfahrzeugsteuerbescheids aufzuheben.

Das FA beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Die streitige Änderung des Kraftfahrzeugsteuerbescheids sei aufgrund der geänderten Bemessungsgrundlage nach Wegfall des § 23 Abs. 6a StVZO zu Recht erfolgt.

II. Die Beschwerde ist begründet. Sie führt in entsprechender Anwendung des § 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.

1. Gemäß § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO kann das Gericht auf Antrag die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes aussetzen, soweit ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes bestehen oder seine Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes bestehen, wenn und soweit bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage aufgrund der präsenten Beweismittel, des unstreitigen Sachverhalts und der gerichtsbekannten Tatsachen erkennbar wird, dass aus gewichtigen Gründen Unklarheit in der Beurteilung von Tatfragen oder Unsicherheit oder Unentschiedenheit in der Beurteilung von Rechtsfragen besteht und sich bei abschließender Klärung dieser Fragen der Verwaltungsakt als rechtswidrig erweisen kann (ständige Rechtsprechung, z.B. Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 26. Januar 2006 VI B 89/05, BFH/NV 2006, 964, m.w.N.).

2. Bei der im Aussetzungsverfahren gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage ist der Senat der Auffassung, dass das FG seine Entscheidung zu Unrecht ausschließlich auf die Einordnung des Kraftfahrzeugs in die in der Richtlinie 2001/116/EG (RL 2001/116/EG) der Kommission vom 20. Dezember 2001 zur Anpassung der Richtlinie 70/156/EWG (RL 70/156/EWG) des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Betriebserlaubnis für Kraftfahrzeuge und Kraftfahrzeuganhänger an den technischen Fortschritt (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften 2002 Nr. L 18/1) festgelegten Klassen und Kodierungen gestützt und weitere Umstände, wie z.B. die Ausstattung, mögliche Ein- bzw. Umbauten oder das äußere Erscheinungsbild von vornherein unberücksichtigt gelassen hat.

a) Die RL 70/156/EWG i.d.F. der RL 2001/116/EG enthält keine Bestimmung über die Einstufung von Kraftfahrzeugen in die Klasse der "Personenkraftwagen". Maßgebend ist vielmehr das nationale Recht der einzelnen Mitgliedstaaten (s. dazu z.B. BFH-Beschlüsse vom 21. August 2006 VII B 333/05, BFHE 213, 281, BStBl II 2006, 721; vom 7. November 2006 VII B 69/06, nicht veröffentlicht --n.v.--, jeweils m.w.N.).

b) Nach der Aufhebung des § 23 Abs. 6a StVZO gilt auch für Kraftfahrzeuge mit --wie im Streitfall-- einem zulässigen Gesamtgewicht von über 2,8 t der von der Rechtsprechung entwickelte Grundsatz, dass anhand von Bauart und Einrichtung des Fahrzeugs zu beurteilen ist, ob ein LKW oder ein PKW vorliegt. Hierzu muss das Tatsachengericht unter Berücksichtigung aller Merkmale die objektive Beschaffenheit des jeweiligen Fahrzeugs bewerten. Als für die Einstufung relevante Merkmale zu berücksichtigen sind z.B. die Zahl der Sitzplätze, die verkehrsrechtlich zulässige Zuladung, die Größe der Ladefläche, die Ausstattung mit Sitzbefestigungspunkten und Sicherheitsgurten, die Verblechung der Seitenfenster, die Beschaffenheit der Karosserie und des Fahrgestells, die Motorisierung und die damit erreichbare Höchstgeschwindigkeit, das äußere Erscheinungsbild und bei Serienfahrzeugen die Konzeption des Herstellers. Kein Merkmal von Bauart und Einrichtung des Fahrzeugs kann dabei als von vornherein alleinentscheidend angesehen werden; dies schließt nicht aus, dass einzelne Merkmale ein besonderes Gewicht haben und eine Zuordnung als PKW oder LKW nahe legen können (BFH-Beschlüsse in BFHE 213, 281, BStBl II 2006, 721, und vom 7. November 2006 VII B 69/06, n.v., jeweils m.w.N.; nunmehr mit Wirkung ab dem 1. Mai 2005 klargestellt durch § 2 Abs. 2a Satz 1 Nr. 2 i.V.m. Satz 2 und 3 KraftStG i.d.F. des Dritten Gesetzes zur Änderung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes vom 21. Dezember 2006, BGBl I 2006, 3344; s. dazu auch BTDrucks 16/3314, S. 7).

c) Die Einstufung eines Fahrzeugs durch die Verkehrsbehörde hat kraftfahrzeugsteuerrechtlich keine Bindungswirkung (BFH-Beschlüsse in BFHE 213, 281, BStBl II 2006, 721, und vom 7. November 2006 VII B 69/06, n.v., jeweils m.w.N.).

3. Der auf einem anderen rechtlichen Ausgangspunkt beruhende Beschluss des FG wird aufgehoben. Der Senat entscheidet nicht selbst über den Aussetzungsantrag, sondern verweist die Sache an die Vorinstanz zurück. Ist die Beschwerde begründet, kann der BFH auch im AdV-Verfahren nach seinem Ermessen entweder durch eigene Sachentscheidung das Verfahren beenden oder die Sache an das FG zurückverweisen (z.B. BFH-Beschluss in BFH/NV 2006, 964, m.w.N.). Die Zurückverweisung erscheint zweckmäßig, um dem FG Gelegenheit zu geben, die summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage aufgrund präsenter Beweismittel und des festgestellten Sachverhalts anhand der unter 2. dargelegten Grundsätze vorzunehmen.

Ende der Entscheidung

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