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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 09.07.2003
Aktenzeichen: IX B 34/03
Rechtsgebiete: FGO


Vorschriften:

FGO § 79a Abs. 3
FGO § 79a Abs. 4
FGO § 128 Abs. 2
Der Vorsitzende (Berichterstatter), der gemäß § 79a Abs. 3, 4 FGO im Einverständnis der Beteiligten anstelle des Senats entscheiden kann, hat sich durch sein Tätigwerden im Verfahren vor einer erstmaligen mündlichen Verhandlung auch dann noch nicht zum sog. konsentierten Einzelrichter hinsichtlich der abschließenden Entscheidung des Rechtsstreits bestellt, wenn er bei einzelnen Verfahrenshandlungen bereits als solcher aufgetreten ist.
Gründe:

I.

Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) und der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) erklärten sich im Verfahren vor dem Finanzgericht (FG) in einem Erörterungstermin mit einer Entscheidung gemäß § 79a Abs. 3, 4 der Finanzgerichtsordnung (FGO) durch den Berichterstatter anstelle des Senats einverstanden. In einem zum Ergebnis des Erörterungstermins Stellung nehmenden Schriftsatz führte das FA u.a. aus, entgegen der im Termin spontan abgegebenen Erklärung halte es sein Einverständnis zur Entscheidung durch den Berichterstatter nicht mehr aufrecht, weil es nach Überprüfung der Rechtslage zu dem Ergebnis gekommen sei, der Fall weise besondere Schwierigkeiten vor allem tatsächlicher Art auf. Dem widersprachen die Kläger u.a. mit dem Hinweis, die Einverständniserklärung sei unwiderruflich. In einem auf § 79a Abs. 3 FGO gestützten Beweisbeschluss setzte der Berichterstatter einen Beweistermin im Hause der Kläger an, den er "als konsentierter Einzelrichter" durchführte. In der Folgezeit lud der Berichterstatter als Einzelrichter zur mündlichen Verhandlung, hob den Termin aber auf Antrag des FA wieder auf; dieses war als Ergebnis des Erörterungstermins zu der Auffassung gelangt, das Haus der Kläger sei kein Zweifamilien-, sondern ein Einfamilienhaus, und führte für die dem Streitjahr (1993) folgenden Jahre eine Artfeststellung zum Einfamilienhaus durch. Hiergegen wandten sich die Kläger und stimmten nunmehr der Anregung des FA zu, den Rechtsstreit nicht durch den Einzelrichter entscheiden zu lassen. Der Berichterstatter teilte daraufhin in einem an die Beteiligten gerichteten Schreiben mit, er beabsichtigte deren Bedenken Rechnung zu tragen. In einem als Einzelrichter erlassenen Beschluss trennte er in der Folgezeit die Verfahren betreffend Einkommensteuer 1994 und 1995 vom hier streitigen Verfahren ab und führte sie unter einem neuen Aktenzeichen fort.

Durch Beschluss vom 20. Januar 2003 entschied der Senat des FG, der Berichterstatter bleibe weiterhin für eine Entscheidung der Streitsache ausschließlich zuständig. Zur Begründung führte er u.a. aus, der Berichterstatter habe als konsentierter Einzelrichter Beweis erhoben und eine Verfahrensabtrennung verfügt. Hierdurch habe er von der Einverständniserklärung der Beteiligten Gebrauch gemacht und sei --dies gebiete die Funktion des gesetzlichen Richters-- weiterhin für die Sache ausschließlich zuständig. Eine Rückübertragung sehe das Gesetz nicht vor. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Kläger.

II.

Die Beschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses.

1. Nach § 5 Abs. 3 FGO entscheiden die Senate der FG in der Besetzung von drei Richtern und zwei ehrenamtlichen Richtern, soweit nicht ein Einzelrichter entscheidet. Gemäß § 79 Abs. 1 Satz 1 FGO hat der Vorsitzende oder der Berichterstatter schon vor der mündlichen Verhandlung alle Anordnungen zu treffen, die notwendig sind, um den Rechtsstreit möglichst in einer mündlichen Verhandlung zu erledigen. Hierzu kann er u.a. die Beteiligten zu einem sog. Erörterungstermin laden (§ 79 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 FGO) und --zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung-- einzelne Beweise erheben (§ 79 Abs. 3 FGO). Gemäß § 79a Abs. 1 FGO haben der Vorsitzende oder --falls einer bestellt ist, an seiner Stelle-- der Berichterstatter (§ 79a Abs. 1 i.V.m. Abs. 4 FGO) im vorbereitenden Verfahren die in der Vorschrift bezeichneten Entscheidungen zu treffen. Im Einverständnis der Beteiligten können der Vorsitzende oder ggf. der Berichterstatter "auch sonst" anstelle des Senats entscheiden (§ 79a Abs. 3 und 4 FGO).

2. Der Senat kann offen lassen, ob die Einverständniserklärung der Beteiligten i.S. von § 79a Abs. 3, 4 FGO als Prozesserklärung unwiderruflich ist (so z.B. Stöcker in Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, § 79a FGO Rz. 44) oder widerrufen werden kann, wenn sich bei objektiver Betrachtung die Prozesslage nachträglich wesentlich geändert hat (so z.B. Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 79a Rz. 26). Ebenso kann dahin stehen, ob das Einverständnis nur die nächste anstehende Entscheidung des Einzelrichters (z.B. einen Beweisbeschluss) umfasst oder bis zur Endentscheidung reicht (Letzteres offensichtlich die h.M. zur FGO, vgl. z.B. Gräber/Koch, a.a.O.; Hellwig in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 79a FGO Rz. 18). Im Streitfall ist auch nicht zu entscheiden, ob und unter welchen Voraussetzungen der Berichterstatter als konsentierter Einzelrichter nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung der (nur noch allein zur Entscheidung berufene) gesetzliche Richter i.S. von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes ist (vgl. dazu z.B. Deubner in Münchener Kommentar zur Zivilprozessordnung, 2. Aufl., § 349 Rz. 28; zum umgekehrten Fall s. z.B. Urteil des Bundesfinanzhofs vom 8. März 1994 IX R 58/93, BFHE 174, 107, BStBl II 1994, 571, unter 2.; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 79a Tz. 15: ist vor dem Senat mündlich verhandelt worden, kann nur dieser und nicht ein einzelner Richter entscheiden; dies ergibt sich aus § 103 FGO).

3. Der Senat ist der Auffassung, dass zumindest im Verfahrensstadium vor der erstmaligen Durchführung einer mündlichen Verhandlung der Berichterstatter nicht --wie das FG meint-- durch sein Tätigwerden eine Ermessensbindung im Sinne einer Verpflichtung zur Endentscheidung als konsentierter Einzelrichter herbeiführt; dies gilt unabhängig davon, ob der Berichterstatter --wie im Streitfall-- einzelne Maßnahmen bereits als konsentierter Einzelrichter angeordnet hat. Der Senat lässt sich dabei von folgenden Erwägungen leiten: § 79 FGO verpflichtet den Vorsitzenden (Berichterstatter) in großem Umfang zu die Senatsentscheidung vorbereitenden Tätigkeiten im Vorfeld einer mündlichen Verhandlung. § 79a Abs. 1 FGO nennt abschließend Fälle, in denen der Vorsitzende (Berichterstatter) im vorbereitenden Verfahren allein Entscheidungen zu treffen hat. Darüber hinaus ergibt sich für den Vorsitzenden (Berichterstatter) aus § 79a Abs. 3, 4 FGO die Möglichkeit (nicht Verpflichtung), andere (im Normalfall: Senats-) Entscheidungen allein zu treffen; denn nach dieser Vorschrift kann er im Einverständnis der Beteiligten auch sonst anstelle des Senats entscheiden. Dieses eingeräumte Ermessen hat der Vorsitzende (Berichterstatter) bei der Frage der Bestellung zum konsentierten Einzelrichter pflichtgemäß auszuüben. Er muss u.a. den mit der Neuregelung des § 79a FGO verfolgten gesetzgeberischen Zweck beachten, die Senate der FG zu entlasten und die finanzgerichtlichen Verfahren zu straffen. Darüber hinaus muss er berücksichtigen, dass die FG im Grundsatz als Kollegialgerichte ausgestaltet und Einzelrichterentscheidungen die Ausnahme sind, was auf der Annahme des Gesetzgebers beruht, richterlichen Entscheidungen eines Kollegiums sei eine höhere Richtigkeitsgewähr beizumessen (vgl. dazu z.B. Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 5. Mai 1998 1 BvL 23/97, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1998, 680). Der hierin zum Ausdruck kommende Vorrang einer Entscheidung des Kollegialgerichts sowie der Umstand, dass der Vorsitzende (Berichterstatter) im Rahmen des § 79a Abs. 3, 4 FGO bei seinen Entscheidungen anstelle des Senats tätig wird, lassen es geboten erscheinen, im Verfahrensstadium vor einer erstmaligen mündlichen Verhandlung dem Tätigwerden eines Vorsitzenden (Berichterstatters) von vornherein nicht die Bedeutung einer abschließenden Bestellung zum konsentierten Einzelrichter beizumessen. Hierfür spricht auch der Vergleich mit § 6 FGO, der eine Übertragung des Rechtsstreits durch den FG-Senat auf eines seiner Mitglieder zur Entscheidung als Einzelrichter (und die Möglichkeit der Rückübertragung unter bestimmten Voraussetzungen) vorsieht; eine solche das ganze zukünftige Verfahren betreffende Stellung erlangt der sog. konsentierte Einzelrichter i.S. des § 79a Abs. 3, 4 FGO nicht. Vielmehr gilt: Der --gemäß § 79a Abs. 3 und 4 FGO zur Entscheidung berechtigte-- Vorsitzende (Berichterstatter) kann allein entscheiden, muss es aber nicht; er hat ein Wahlrecht (Gramich, Deutsches Steuerrecht 1993, 6, 9, m.w.N.; insoweit zweifelnd Pahlke, Der Betrieb 1997, 2454, 2455, bei positivem Kompetenzkonflikt senatsinterne Beratung und Abstimmung). Solange der Vorsitzende (Berichterstatter) noch nicht anstelle des Senats entschieden hat, bleibt damit hinsichtlich der abschließenden Entscheidung der Senat der gesetzliche Richter (z.B. Stöcker in Beermann, a.a.O., § 79a FGO Rz. 49). In diesem Zusammenhang ist daher unerheblich, dass der Berichterstatter als Einzelrichter einen Beweisbeschluss sowie anschließend auch einen Trennungsbeschluss erlassen hat; denn damit hat er noch nicht abschließend sein Ermessen dahin ausgeübt, auch den Rechtsstreit als Einzelrichter zu entscheiden.

4. Eine Kostenentscheidung ist nicht zu treffen, da es sich vorliegend nur um ein unselbständiges Zwischenverfahren handelt, das von der Kostenentscheidung im Rahmen der endgültigen Streitentscheidung mit erfasst wird (vgl. dazu allg. Gräber/ Ruban, a.a.O., § 143 Rz. 2).

Ende der Entscheidung

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