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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 29.06.2004
Aktenzeichen: IX R 14/02
Rechtsgebiete: AO 1977, FGO


Vorschriften:

AO 1977 § 165
FGO § 96 Abs. 1 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger), zur Einkommensteuer zusammen veranlagte Eheleute, sind Eigentümer diverser Immobilien und erzielen daraus Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung.

Mit notariellem Vertrag vom Oktober 1996 kauften die Kläger je zur Hälfte ein in B gelegenes Grundstück nebst darauf zu errichtendem Reihenhaus, das im Dezember 1997 fertig gestellt wurde. Zur Finanzierung dieses Objekts nahm der Kläger ein Wohnungsbaudarlehen in Höhe von 390 000 DM auf, von dem ihm Ende 1996 ein Disagio abgezogen wurde.

In der Einkommensteuererklärung für 1996 (Streitjahr) gaben die Kläger für das in B gelegene Grundstück keine Einkünfte (aus Vermietung und Verpachtung) an. Der Einkommensteuerbescheid 1996 vom Mai 1998 erging gemäß § 165 Abs.1 der Abgabenordnung (AO 1977) teilweise "vorläufig hinsichtlich der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung, weil z.Z. die Einkunftserzielungsabsicht nicht abschließend beurteilt werden kann". Diesen Bescheid erklärte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) im Dezember 1999 gemäß § 165 Abs. 2 AO 1977 hinsichtlich der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung für endgültig.

Dagegen legten die Kläger Einspruch ein mit der Begründung, der Bescheid vom Mai 1998 sei hinsichtlich der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung aus dem Objekt in B unrichtig, weil das geleistete Disagio nicht berücksichtigt worden sei. Mit Einspruchsentscheidung vom Juni 2000 änderte das FA die Einkommensteuerfestsetzung in einem hier nicht streitigen Punkt, berücksichtigte in diesem Zusammenhang gemäß § 177 Abs. 1 AO 1977 für das Objekt in B als Werbungskosten einen Teilbetrag in Höhe von 2 020 DM und wies im Übrigen den Einspruch als unbegründet zurück. Eine Änderung wegen der Aufwendungen für das Objekt in B komme nicht in Betracht, weil sich der Vorläufigkeitsvermerk nicht auf diese Einkünfte bezogen habe.

Die dagegen angestrengte Klage hatte insoweit keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) vertrat die Ansicht, die Kläger hätten den Vorläufigkeitsvermerk nicht dahin verstehen können, dieser beziehe sich auch auf die Einkünfte aus dem Objekt in B; mangels Kenntnis davon habe auch das FA den Bescheid insoweit nicht für vorläufig erklärt. Auch komme eine Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 nicht in Betracht.

Mit der Revision rügen die Kläger die Verletzung formellen (Verstoß gegen den klaren Akteninhalt) und materiellen Rechts (Reichweite des Vorläufigkeitsvermerks nach § 165 AO 1977). Das FA habe bereits im Dezember 1996 anlässlich der Anpassung von Einkommensteuer-Vorauszahlungen vom Erwerb des Objekts in B und dessen Finanzierung durch ein Darlehen mit Ende Dezember ausgezahltem Disagio Kenntnis erlangt. Zudem beziehe sich der Vorläufigkeitsvermerk generell auf "die" Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung unter Einschluss des Objekts in B.

Die Kläger beantragen sinngemäß,

unter Aufhebung des FG-Urteils und der Einspruchsentscheidung des Beklagten die Einkommensteuer 1996 auf 50 302 DM (entspricht 25 719 €) festzusetzen, hilfsweise, den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.

Das FA beantragt,

die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

II. Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Das FG hat im Ergebnis zu Recht die Änderung der Einkommensteuerfestsetzung 1996 aufgrund des gesetzten Vorläufigkeitsvermerks abgelehnt.

1. Zwar rügen die Kläger zu Recht einen Verstoß gegen den klaren Inhalt der Akten (Verstoß gegen § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO) insoweit, als das FG davon ausgegangen ist, das FA habe --im Zeitpunkt des Erlasses des Einkommensteuerbescheids mit Vorläufigkeitsvermerk-- keine Kenntnis von dem 1996 erworbenen Vermietungs-Objekt in B gehabt. Ausweislich der Einkommensteuer-Akte Bd. VII ab 1993 bis 1995, die auch dem FG vorgelegen hat, wusste das FA aufgrund eines Antrags auf Anpassung der Einkommensteuer-Vorauszahlungen 1996 vom 30. November 1996 von dem größtenteils fremdfinanzierten Erwerb dieses Objekts und einem damit im Zusammenhang angefallenen Disagio; das FA hat dem Antrag unter dem 17. Dezember 1996 entsprochen. Das FG hat indes mitentscheidend auf die (vermeintliche) Unkenntnis des FA von diesem Vorgang abgestellt.

2. Jedoch kommt es auf die Kenntnis des FA von dem zusätzlichen Objekterwerb für die Reichweite des Vorläufigkeitsvermerks nicht an.

a) Gemäß § 165 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 kann eine Steuer vorläufig festgesetzt werden, soweit ungewiss ist, ob die Voraussetzungen für deren Entstehung eingetreten sind. Umfang und Grund der Vorläufigkeit sind anzugeben (§ 165 Abs. 1 Satz 3 AO 1977). Vorläufig festgesetzt werden kann auch ein Teil einer Steuerfestsetzung. Dabei wird regelmäßig Grund und Umfang der Vorläufigkeit des Bescheids dadurch angegeben, dass eine einzelne Besteuerungsgrundlage als ungewiss gekennzeichnet wird. Die (materielle) Bestandskraft des Steuerbescheides bleibt in diesem Umfang (zunächst) offen (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 2. März 2000 VI R 48/97, BFHE 191, 223, BStBl II 2000, 332).

b) Ein Vorläufigkeitsvermerk wird als unselbständige Nebenbestimmung eines Verwaltungsakts in gleicher Weise wie dieser selbst mit dem Inhalt wirksam, mit dem er bekannt gegeben wird (s. §§ 120, 122, § 124 Abs. 1 AO 1977). Das bedeutet, dass die Reichweite der Vorläufigkeit dem dafür im Bescheid angeführten Grund zu entnehmen oder aus sonstigen Umständen im Wege der Auslegung zu ermitteln ist. Dabei ist entscheidend, wie der Adressat den Vorläufigkeitsvermerk nach den ihm bekannten Umständen --seinem "objektiven Verständnishorizont"-- unter Berücksichtigung von Treu und Glauben verstehen konnte (vgl. BFH-Urteil vom 29. August 2001 VIII R 1/01, BFH/NV 2002, 465, m.w.N.).

c) Nach Maßgabe dieser Grundsätze konnten die Kläger im Streitfall nicht davon ausgehen, dass die Einkünfte aus dem 1996 erworbenen Vermietungsobjekt in B vom Vorläufigkeitsvermerk des Einkommensteuerbescheids 1996 erfasst waren. Zwar hatten die Kläger das FA im Dezember 1996 anlässlich der Anpassung der Einkommensteuer-Vorauszahlungen auf den Erwerb des Objekts hingewiesen; Einkünfte aus dem Objekt in B waren aber weder in der im Januar 1998 abgegebenen Einkommensteuererklärung 1996 angegeben noch im Einkommensteuerbescheid 1996 berücksichtigt und damit auch vom Vorläufigkeitsvermerk nicht erfasst. Denn nur auf die von einem Steuerbescheid erfassten Besteuerungsgrundlagen kann sich der im Bescheid enthaltene Vorläufigkeitsvermerk beziehen.

Dies war für die Kläger auch ohne weiteres durch Vergleich der erklärten und im Bescheid ausgewiesenen Vermietungs-Einkünfte erkennbar. Denn anhand der Ergebnisse der von den Klägern für 1996 eingereichten Unterlagen zu ihren Vermietungs-Einkünften ergaben sich als Summe ihrer jeweiligen Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung Beträge, die im Einkommensteuerbescheid 1996 (neben mitgeteilten Beteiligungseinkünften des Klägers) in dieser Höhe --selbst unter Berücksichtigung der durch das FA veranlassten korrekturbedingten Abweichungen-- jedenfalls nicht auch Einkünfte aus dem Objekt in B (in Höhe eines Disagios von ca. -39 000 DM) enthalten konnten.

2. Die Sache ist spruchreif. Das FG hat im Ergebnis zu Recht eine Änderung der Steuerfestsetzung nach § 165 Abs. 2 AO 1977 für Einkünfte aus dem Objekt in B und nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 abgelehnt. Dabei kann offen bleiben, ob --wie das FG meint-- "übersehen" oder "vergessen" auch bei einem erfahrenen Rechtskundigen als grobes Verschulden zu werten ist; denn jedenfalls war der Objekt-Erwerb ausweislich der Aktenlage für das FA keine nachträglich bekannt gewordene Tatsache.



Ende der Entscheidung

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