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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 14.06.2007
Aktenzeichen: IX R 2/07
Rechtsgebiete: AO, EStG


Vorschriften:

AO § 129
EStG § 9b
EStG § 9b Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Die Beteiligten streiten darüber, ob ein bestandskräftiger Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2000 (Streitjahr) nach § 129 der Abgabenordnung (AO) geändert werden kann.

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute und werden gemeinsam zur Einkommensteuer veranlagt. Im Streitjahr vermietete die Klägerin an den Kläger umsatzsteuerpflichtig ein Grundstück mit aufstehendem Gebäude. Die Anschaffungs- und Herstellungskosten für das Gebäude betrugen im Jahr 1999 brutto 112 770,64 DM, im Streitjahr netto 332 020,70 DM bei Vorsteuern in Höhe von 52 875,83 DM.

Die Kläger erklärten für das Streitjahr Einnahmen der Klägerin aus Vermietung und Verpachtung in Höhe von 54 696 DM abzüglich Werbungskosten von 30 358 DM (in denen die Vorsteuern nicht enthalten waren), also Einkünfte (Überschuss) in Höhe von 24 338 DM. Die Kläger fügten eine Überschussrechnung bei, die in Bezug auf die Herstellungskosten auf eine Anlage verwies, die sich bei der am selben Tag eingereichten Umsatzsteuererklärung der Klägerin befand. Dort waren Herstellungskosten für das Streitjahr von 332 020,70 DM netto sowie Vorsteuern von 52 875,83 DM angegeben. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) veranlagte antragsgemäß. Der Einkommensteuerbescheid wurde bestandskräftig.

Im Februar 2004 beantragten die Kläger, diesen Bescheid nach § 129 AO zu ändern. Die Vorsteuerbeträge seien versehentlich nicht in der Anlage V eingetragen worden; dies hätte dem FA bei der Veranlagung auffallen müssen. Das FA lehnte den Antrag ab.

Auch die Klage blieb erfolglos. Das Finanzgericht (FG) führte zur Begründung aus: Bestehe beim Steuerpflichtigen oder beim FA auch nur die ernsthafte Möglichkeit, dass die Nichtbeachtung einer feststehenden Tatsache in einer fehlerhaften Tatsachenwürdigung oder einem sonstigen sachverhaltsbezogenen Denk- und Überlegungsfehler begründet sei oder auf mangelnder Sachaufklärung beruhe, scheide die Annahme einer offenbaren Unrichtigkeit aus. Die hier unterbliebene Übernahme der Vorsteuern in die Anlage V könne auf nicht hinreichender Sachaufklärung beruhen oder darauf, dass sich der Beamte ebenso wie der Angestellte des Steuerberaters keine Gedanken zu den ertragsteuerlichen Auswirkungen gemacht habe.

Hiergegen richtet sich die Revision der Kläger. Die Anlage "Herstellungskosten - Umsatzsteuererklärung 2000" der Klägerin habe ersichtlich einerseits dem Ziel gedient, den Vorsteuerbetrag aus den Herstellungskosten festzuhalten, andererseits die Herstellungskosten für das Streitjahr als Grundlage für die einkommensteuerrechtlich bedeutsame Abschreibung unter Berücksichtigung des § 9b des Einkommensteuergesetzes (EStG) zu ermitteln. Es sei lediglich unterlassen worden, den Vorsteuerbetrag dieser Anlage als Werbungskosten in die Aufstellung der übrigen Werbungskosten zu übertragen. Dieser (eindeutige) Übertragungsfehler hätte vom (selben) Veranlagungsbeamten berichtigt werden können.

Die Kläger beantragen, das angefochtene Urteil, den Bescheid des FA vom 5. März 2004 und die ablehnende Einspruchsentscheidung des FA vom 6. September 2004 aufzuheben und das FA zu verpflichten, den Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2000 vom 24. September 2003 gemäß § 129 AO dahingehend zu ändern, dass weitere Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung der Klägerin in Höhe von 52 875,83 DM berücksichtigt werden.

Das FG beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Ein bloß mechanisches Versehen liege nicht vor. Schon im Jahr 1999 sei der gleiche Fehler unterlaufen. Ein Rechtsirrtum erscheine nicht ausgeschlossen.

II. Die Revision ist begründet. Das angefochtene Urteil, die Einspruchsentscheidung und der die Korrektur ablehnende Bescheid des FA sind aufzuheben und der Klage stattzugeben (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

Das FA ist verpflichtet, die in der nicht vorgenommenen Übertragung der Vorsteuer in die Werbungskosten liegende offenbare Unrichtigkeit zu berichtigen.

1. Nach § 129 AO können Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes unterlaufen sind, jederzeit berichtigt werden. Offenbare Unrichtigkeiten in diesem Sinne sind mechanische Versehen wie beispielsweise Eingabe- oder Übertragungsfehler. Dagegen schließen Fehler bei der Auslegung oder Nichtanwendung einer Rechtsnorm, eine unrichtige Tatsachenwürdigung oder die unzutreffende Annahme eines in Wirklichkeit nicht vorliegenden Sachverhalts die Annahme einer offenbaren Unrichtigkeit aus. § 129 AO ist ferner nicht anwendbar, wenn auch nur die ernsthafte Möglichkeit besteht, dass die Nichtbeachtung einer feststehenden Tatsache in einer fehlerhaften Tatsachenwürdigung oder einem sonstigen sachverhaltsbezogenen Denk- oder Überlegungsfehler begründet ist oder auf mangelnder Sachverhaltsaufklärung beruht (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 23. Oktober 2001 IX R 75/98, BFH/NV 2002, 467). Da die Unrichtigkeit nicht aus dem Bescheid selbst erkennbar sein muss, ist § 129 AO auch dann anwendbar, wenn das Finanzamt offenbar fehlerhafte Angaben des Steuerpflichtigen als eigene übernimmt (BFH-Urteile vom 17. Juni 2004 IV R 9/02, BFH/NV 2004, 1505, und vom 3. Juni 1987 X R 61/81, BFH/NV 1988, 342, m.w.N.).

Nach diesen Maßstäben ist der Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr offenbar unrichtig i.S. des § 129 AO. Die Klägerin hat eine eingehende Einnahme-Überschuss-Rechnung vorgelegt und darin die Vorsteuerbeträge nicht berücksichtigt, obschon sie zugleich eine Aufstellung der Herstellungskosten (netto) sowie der Vorsteuerbeträge eingereicht und in der Anlage V darauf verwiesen hat ("siehe Anlage"). Die rechtliche Einordnung der Aufwendungen als sofort abziehbare Werbungskosten oder als Herstellungskosten nach § 9b Abs. 1 EStG bestimmt sich nach der umsatzsteuerrechtlichen Behandlung. Hier war derselbe Bearbeiter für beide Steuern zuständig. Umsatzsteuerrechtliche (§ 15 des Umsatzsteuergesetzes) und einkommensteuerrechtliche Behandlung (§ 9b Abs. 1 EStG) laufen synchron (zu Unterschieden im Abzugszeitpunkt vgl. BFH-Beschluss vom 30. August 1995 IX B 74/95, BFH/NV 1996, 41). Dies gilt materiell-rechtlich wie verfahrensrechtlich, so dass die Anlage zur Umsatzsteuererklärung in die Bewertung der Einkommensteuererklärung einbezogen werden muss.

Wenn demgegenüber die Vorinstanz ausführt, die unterbliebene Übernahme der Ausgabenposition könne "aber auch auf nicht hinreichender Sachaufklärung" beruhen bzw. darauf, "dass sich der Beamte keine hinreichenden Gedanken zu den ertragsteuerlichen Auswirkungen der in der Anlage zur Umsatzsteuererklärung aufgeführten Beträge gemacht" habe, so beruhen diese Erwägungen auf rein hypothetischen Annahmen und beschäftigen sich nicht mit dem konkreten Verhalten, wie es sich aus den Akten ergibt. Dieses spricht im Streitfall aber ersichtlich für einen Übertragungsfehler. Anhaltspunkte für eine rechtlich unzutreffende Bewertung oder einen Aufklärungsfehler bestehen nicht. Der Sachbearbeiter hatte den Vorsteuerbetrag umsatzsteuerrechtlich anerkannt.

Es spricht auch nicht gegen eine offenbare Unrichtigkeit, dass auch im Vorjahr (1999) der Ansatz der Vorsteuer unterblieb. Das folgt schon aus der ambivalenten Struktur des Jahressteuerprinzips.

2. Nach diesen Grundsätzen ist die Vorentscheidung aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Das FA ist nach § 129 AO verpflichtet, den Einkommensteuerbescheid dergestalt zu ändern, dass weitere Werbungskosten bei den Einkünften der Klägerin aus Vermietung und Verpachtung in Höhe von 52 875,83 DM zu berücksichtigen sind.

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