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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 09.06.2005
Aktenzeichen: IX R 25/04
Rechtsgebiete: AO 1977, FGO, VwZG, BGB, ZPO


Vorschriften:

AO 1977 § 122 Abs. 1
AO 1977 § 122 Abs. 1 Satz 1
AO 1977 § 122 Abs. 1 Satz 3
AO 1977 § 355 Abs. 1
AO 1977 § 355 Abs. 1 Satz 1
FGO § 62
FGO § 102
FGO § 126 Abs. 4
FGO § 155
VwZG § 9 Abs. 1
BGB § 133
BGB § 157
ZPO § 81
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute und werden für die Streitjahre 1991 bis 1993 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Im Juni 1991 erwarben sie zusammen mit ihrer Tochter und deren Ehemann ein Haus, das 1936 errichtet worden, vor dem Erwerb 25 Jahre unbewohnt gewesen und deshalb nach dem Vortrag der Kläger in einem schlechten baulichen Zustand war. Ihr Miteigentumsanteil betrug je 1/8, der ihrer Tochter und ihres Ehemanns je 3/8.

Mitte September 1991 bezogen die Tochter und ihr Ehemann das Haus. In Bezug auf den Miteigentumsanteil der Kläger schlossen sie im Dezember 1991 mit Wirkung ab 1. Oktober 1991 einen schriftlichen --unbefristeten-- Mietvertrag mit einem monatlichen Mietzins von 70 DM, zahlbar bar in jährlichen oder halbjährlichen Raten, und der Pflicht, sämtliche Nebenabgaben wie Grundsteuer, Wasser, Abwasser und Müll sowie die Sachversicherungen zu tragen. Nach § 5 des Mietvertrages sollte die Wohnung Zug um Zug repariert werden; die dafür entstehenden Materialkosten hatten die Kläger zu übernehmen.

Im März 1994 übertrugen die Kläger die Hälfte ihrer Miteigentumsanteile an dem Haus auf die Tochter und ihren Ehemann, so dass sie nur noch zu insgesamt 1/8 daran beteiligt waren. Die Übertragung erfolgte nach dem Notarvertrag unentgeltlich.

In ihren Steuererklärungen für die Streitjahre machten die Kläger Werbungskostenüberschüsse aus der Vermietung des Hauses in Höhe von ./. 8 818 DM (1991), ./. 8 818 DM (1992) und ./. 10 432 DM (1993) geltend. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) verneinte aufgrund einer Außenprüfung die Abziehbarkeit der Werbungskostenüberschüsse und erließ entsprechende Einkommensteueränderungsbescheide, die in der Folgezeit mehrfach geändert wurden. Die dagegen eingelegten Einsprüche wies das FA mit der Begründung zurück, die erklärten Werbungskostenüberschüsse könnten ohne gesonderte und einheitliche Feststellung nicht berücksichtigt werden. Unabhängig davon sei das Mietverhältnis steuerlich nicht anzuerkennen, da es nicht dem zwischen Fremden Üblichen entspreche.

Das dagegen von den Prozessbevollmächtigten --unter Vollmachtvorlage-- für die Kläger anhängig gemachte und unter dem Aktenzeichen 1 K 5268/00 geführte Klageverfahren setzte das Finanzgericht (FG) aus, nachdem das FA auf Anregung des Berichterstatters mitgeteilt hatte, über die streitigen Vermietungseinkünfte werde in einem gesonderten und einheitlichen Feststellungsverfahren entschieden.

Daraufhin entschied das FA mit Bescheiden vom 21. Januar 2002, dass der Mietvertrag über das Haus steuerlich nicht anzuerkennen und deshalb keine einheitliche und gesonderte Feststellung der Einkünfte vorzunehmen sei.

Diese Bescheide wurden nur den Klägern persönlich, nicht aber ihren Prozessbevollmächtigten bekannt gegeben. Mit ihrem dagegen eingelegten Einspruch vom 28. März 2002 trugen die Bevollmächtigten vor, die Einspruchsfrist sei noch nicht abgelaufen, weil die negativen Feststellungsbescheide nicht ordnungsgemäß bekannt gegeben worden seien. Die Bescheide hätten nämlich ihnen bekannt gegeben werden müssen, weil sie bereits in dem vorangegangenen Verfahren zur umfassenden außergerichtlichen Vertretung bevollmächtigt worden seien.

Das FA verwarf den Einspruch als unzulässig. Aus der im FG-Verfahren 1 K 5268/00 vorgelegten Vollmacht habe sich nicht eindeutig ergeben, dass damit zugleich eine Zustellungsvollmacht für die nunmehr streitgegenständlichen Feststellungsbescheide erteilt worden sei.

Die dagegen erhobene Klage wies das FG mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2004, 1660 veröffentlichten Urteil wegen Verfristung des Einspruchs als unbegründet ab.

Mit der Revision rügen die Kläger Verletzung des § 122 Abs. 1 und des § 355 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung (AO 1977).

Die Kläger beantragen, das angefochtene FG-Urteil sowie die Einspruchsentscheidung des FA aufzuheben.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entgegen der Auffassung der Kläger sei die Vollmacht der Prozessbevollmächtigten nicht eindeutig genug auf die Entgegennahme der Feststellungsbescheide angelegt, da im Klageverfahren 1 K 5268/00 vor dem FG allein die Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre angefochten gewesen seien. Auch die Aussetzung des Klageverfahrens 1 K 5268/00 zur Durchführung des Feststellungsverfahrens rechtfertige nicht die Annahme, dass die für das Klageverfahren erteilte Empfangsvollmacht auch die Entgegennahme der Feststellungsbescheide umfasst habe. Insoweit habe auch keine Erkundigungspflicht des FA bestanden. Vielmehr habe die Unsicherheit über eine dahin gehende Auslegung der Vollmacht die Bekanntgabe der Feststellungsbescheide an die Kläger persönlich gerechtfertigt. Abgesehen davon sei die Revision gemäß § 126 Abs. 4 der Finanzgerichtsordnung (FGO) auch aus den Gründen der Hilfserwägungen des FG zurückzuweisen, weil der Mietvertrag zwischen den Klägern und ihrer Tochter sowie deren Ehemann nach den Grundsätzen des Fremdvergleichs nicht anzuerkennen sei.

II. Die Revision ist begründet; das angefochtene Urteil wird aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverwiesen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).

1. Zu Unrecht hat das FG die Klage gegen die angefochtenen Feststellungsbescheide wegen Verfristung der dagegen eingelegten Einsprüche zurückgewiesen.

a) Die einmonatige Einspruchsfrist nach § 355 Abs. 1 AO 1977 läuft bei Verletzung zwingender Bekanntgabevorschriften erst in dem Zeitpunkt an, in dem der Empfangsberechtigte den Verwaltungsakt tatsächlich --wie hier durch Weiterleitung durch die Kläger an die Bevollmächtigten-- erhalten hat; erst in diesem Zeitpunkt gilt er in analoger Anwendung des § 9 Abs. 1 des Verwaltungszustellungsgesetzes als bekannt gegeben (Beschluss des Großen Senats des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 22. November 1976 GrS 1/76, BFHE 121, 9, BStBl II 1977, 247; BFH-Urteile vom 8. Dezember 1988 IV R 24/87, BFHE 155, 472, BStBl II 1989, 346, und vom 14. Dezember 1989 III R 49/89, BFH/NV 1991, 288, unter 2. c; vom 1. Juli 2003 VIII R 29/02, BFH/NV 2003, 1397; vom 1. Dezember 2004 II R 17/04, BFH/NV 2005, 735).

Empfangsberechtigt ist nach Maßgabe des § 122 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 grundsätzlich derjenige, für den der Verwaltungsakt bestimmt oder der von ihm betroffen ist. Nach § 122 Abs. 1 Satz 3 AO 1977 kann der Bescheid aber auch einem --durch ausdrückliche Vollmacht oder aufgrund Anscheins- oder Duldungsvollmacht-- Bevollmächtigten bekannt gegeben werden (vgl. BFH-Urteil vom 19. März 2002 IX R 8/99, BFH/NV 2002, 1122; BFH-Beschluss vom 3. März 2003 IX B 206/02, BFH/NV 2003, 884; Söhn in Hübschmann/ Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 80 AO Rz. 90 ff.; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 80 AO Tz. 10).

Das insoweit bestehende und vom FG nur in den Grenzen des § 102 FGO zu überprüfende Ermessen des FA ist aber nach der Rechtsprechung des BFH in bestimmten Fällen ausschließlich durch eine Bekanntgabe an den Bevollmächtigten rechtsfehlerfrei auszuüben (sog. Ermessensreduzierung auf null). So sind während eines Klageverfahrens ergehende und den Klagegegenstand betreffende Änderungsbescheide zwingend an den bestellten Prozessbevollmächtigten bekannt zu geben (vgl. BFH-Urteile vom 5. Mai 1994 VI R 98/93, BFHE 174, 208, BStBl II 1994, 806; BFH-Beschluss vom 30. August 2002 III B 44/01, nicht veröffentlicht --n.v.--, juris-Dok.-Nr. STRE200251146).

Darüber hinaus ist anerkannt, dass die Bekanntgabe regelmäßig an einen Bevollmächtigten zu erfolgen hat, den der Steuerpflichtige der Behörde ausdrücklich als Empfangsbevollmächtigten benannt hat (BFH-Urteile vom 17. Dezember 1997 III R 8/94, BFH/NV 1998, 935, unter 5.; vom 23. November 1999 VII R 38/99, BFH/NV 2000, 549; BFH-Beschluss vom 27. Juli 2001 II B 9/01, BFH/NV 2002, 8, jeweils m.w.N.; ebenso Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen --BMF-- vom 8. April 1991, BStBl I 1991, 398, Tz. 1.7.3.). Dies gilt unabhängig davon, ob der Steuerpflichtige der Bekanntgabe von Steuerbescheiden unmittelbar an ihn widerspricht oder nicht, weil daraus nicht auf einen Widerruf der vorher erteilten Vollmacht geschlossen werden kann (BFH-Urteil vom 22. Juli 1987 I R 180 u. 181/84, BFH/NV 1988, 274).

Ob insoweit eine eindeutige Vollmacht gegeben ist, bedarf im Einzelfall der Auslegung durch die Tatsacheninstanz. Sie kann revisionsrechtlich daraufhin überprüft werden, ob die gesetzlichen Auslegungsregeln der §§ 133, 157 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) beachtet sind und nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstoßen wurde (vgl. BFH-Urteile vom 2. Oktober 1986 VII R 58/83, BFH/NV 1987, 482, unter 2. b; vom 20. September 2000 II R 65/98, BFH/NV 2001, 732).

b) Nach diesen Maßstäben hat das FG zu Unrecht angenommen, das FA habe die angefochtenen negativen Feststellungsbescheide ermessensfehlerfrei an die Kläger persönlich bekannt gegeben und damit den Lauf der Einspruchsfrist in Gang gesetzt. Denn das FG hat die im Verfahren 1 K 5268/00 vorgelegte Vollmacht unter Verstoß gegen die §§ 133, 157 BGB nur auf das Einkommensteuerverfahren bezogen, nicht aber auch als Empfangsvollmacht für das Feststellungsverfahren ausgelegt.

Der Umfang der Vollmacht bestimmt sich nach §§ 62, 155 FGO, § 81 der Zivilprozessordnung (ZPO). Danach umfasst sie auch Zustellungen und Bekanntgaben von Bescheiden, die den Klagegegenstand betreffen. Das sind im finanzgerichtlichen Verfahren die unmittelbar angefochtenen Bescheide sowie die während des Verfahrens geänderten Bescheide (vgl. BFH-Urteil vom 11. Dezember 1985 I R 207/84, BFHE 146, 315, BStBl II 1986, 569).

Die im Einkommensteuerstreitverfahren 1 K 5268/00 vorgelegte Vollmacht bezeichnete in ihrem Betreff zwar lediglich die Einkommensteuer, die Vollmacht enthielt aber eine ausdrückliche Befugnis zur Entgegennahme von Bescheiden und war deshalb unter Berücksichtigung der Gesamtumstände des Rechtsstreits 1 K 5268/00 auch aus der Sicht des FA als Empfangsvollmacht für das hier streitige Feststellungsverfahren zu verstehen. Denn das Feststellungsverfahren stellt sich aus der Sicht der Verfahrensbeteiligten als unmittelbare Fortsetzung des Rechtsstreits über denselben Lebenssachverhalt dar, nämlich die Abziehbarkeit der für den Streitzeitraum geltend gemachten Werbungskostenüberschüsse aus der Vermietungstätigkeit der Kläger. Dies folgt insbesondere auch daraus, dass diese Fortsetzung des Rechtskonflikts in der Form des Feststellungsverfahrens aus dem Einkommensteuerstreitverfahren 1 K 5268/00 heraus auf Anregung des Berichterstatters des FG veranlasst wurde und lediglich die bereits im Einspruchsverfahren streitige Frage nach der Notwendigkeit eines Feststellungsverfahrens über die Abziehbarkeit der allein streitigen Werbungskostenüberschüsse betraf.

Hinzu kommt, dass die im FG-Verfahren "namens und im Auftrag" der Kläger gestellten Anträge auf Ergänzung der Feststellungsbescheide --wie das FG selbst zu Recht erwägt-- zumindest konkludent eine Empfangsvollmacht zum Ausdruck bringen können. Nur diese Auslegung der Vollmacht berücksichtigt hinreichend den erkennbaren Willen der Kläger als Vollmachtgeber, unabhängig von der Rechtsauffassung des FA über die Notwendigkeit eines Feststellungsverfahrens ihren streitigen Anspruch auf Berücksichtigung der Werbungskostenüberschüsse durch ihre Prozessbevollmächtigten durchsetzen zu lassen.

2. Die Entscheidung des FG erweist sich auch nicht i.S. des § 126 Abs. 4 FGO aus anderen Gründen als richtig.

Insbesondere stellen die Ausführungen des FG zum Fremdvergleich des streitigen Mietvertrags keine Alternativbegründung zur Abweisung der Klage für die Streitjahre 1991 bis 1993 dar. Zum einen betreffen sie ausdrücklich nur einen Hinweis "für die Jahre ab 1994". Zum anderen hat sich das FG --aufgrund seines verfahrensrechtlichen Standpunkts zu Recht-- bislang mit dem zu dem Fremdvergleich gestellten Beweisantrag der Kläger (insbesondere hinsichtlich der Mietzahlungen) und mit ihren umfangreichen Darlegungen und Unterlagen noch nicht auseinander gesetzt.

3. Die Sache ist nicht spruchreif.

Gegen die steuerrechtliche Wirksamkeit des streitigen Mietvertrags bestehen zwar aufgrund des Abschlusses unter Miteigentümern --bei Nutzung über die eigene Miteigentumsquote hinaus-- dem Grunde nach keine rechtlichen Bedenken (vgl. BFH-Urteile vom 18. Mai 2004 IX R 49/02, BFHE 206, 168, BStBl II 2004, 929, und IX R 83/00 BFHE 206, 162, BStBl II 2004, 898).

Der Senat kann aber nicht abschließend beurteilen, ob der Mietvertrag nach den Grundsätzen des Fremdvergleichs anzuerkennen ist. Danach sind Mietverträge unter nahen Angehörigen daraufhin zu untersuchen, ob sie durch die Einkünfteerzielung (§ 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes --EStG--) oder den steuerrechtlich unbeachtlichen privaten Bereich (§ 12 EStG) veranlasst sind. Sie sind in der Regel der Besteuerung nicht zugrunde zu legen, wenn die Gestaltung oder die tatsächliche Durchführung auf Grund der Gesamtheit der objektiven Gegebenheiten nicht dem zwischen Fremden Üblichen entsprechen (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Urteile vom 28. Juni 2002 IX R 68/99, BFHE 199, 380, BStBl II 2002, 699, und vom 7. Mai 1996 IX R 69/94, BFHE 180, 377, BStBl II 1997, 196).

Da die Kläger im Streitfall die typischen Hauptpflichten eines Mietvertrages (Wohnraumüberlassung gegen Entgelt mit gesonderter Abrechnung von Nebenkosten durch den Mieter) vereinbart haben, kann angesichts der wohl unstreitigen Baufälligkeit des vermieteten Objekts daraus, dass die Mieter gegen Kostenerstattung durch den Vermieter die Nutzbarkeit wiederherstellen sollten, die Fremdüblichkeit des Mietvertrages nicht generell in Abrede gestellt werden. Schließlich hätte der Vermieter die Immobilie mit demselben Aufwand selbst herrichten und anschließend vermieten können, ohne dass insoweit Bedenken gegen die Anerkennung des Mietverhältnisses hätten geäußert werden können.

Ob im Übrigen die tatsächliche Durchführung der Vereinbarungen hinreichend nachgewiesen ist, bedarf noch der vom FG bislang nicht vorgenommenen Würdigung.

Ende der Entscheidung

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