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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 04.03.2008
Aktenzeichen: IX R 36/07
Rechtsgebiete: VwGO, EStG, FGO


Vorschriften:

VwGO § 80 Abs. 5
VwGO § 80a Abs. 3
EStG § 22 Nr. 3
FGO § 118 Abs. 2
FGO § 126 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Eigentümer eines Grundstücks, das er im Jahr 1992 für 240 000 DM erworben und mit einem Einfamilienhaus bebaut hatte. Die Herstellungskosten betrugen 320 183,25 DM. Das Objekt ist seit Fertigstellung (1994) vermietet.

Für das Nachbargrundstück beantragte eine gemeinnützige Baugenossenschaft e.G. (im Folgenden: B) eine Baugenehmigung, die ihr im Jahr 2000 auch erteilt wurde. Der Kläger erhob Widerspruch gegen die Baugenehmigung und stellte den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5, § 80a Abs. 3 der Verwaltungsgerichtsordnung beim Verwaltungsgericht (VG). Im Rahmen eines Erörterungstermins vor dem VG im Januar 2001 bekundeten die Verfahrensbeteiligten, eine gütliche Beilegung des Rechtsstreits anzustreben. Dazu verpflichtete sich B, ein bindendes Angebot zum Kauf des Grundstücks für 880 000 DM abzugeben. Das geschah am 27. Februar 2001. In dem bis zum 10. Januar 2003 befristeten notariellen Kaufangebot, das inhaltlich dem Vorschlag aus dem Erörterungstermin entsprach, sollte sich der Kläger verpflichten, gegen die auf dem Nachbargrundstück geplante Wohnhausbebauung weder im Bauantragsverfahren noch sonst nach ordnungsgemäß erteilter Baugenehmigung irgendwelche Einsprüche oder Beschwerden bei den zuständigen Behörden betreffend die Zulässigkeit der Bebauung einzulegen und auch auf seinen Sohn und dessen Familie (den Mietern des Einfamilienhauses) entsprechend einzuwirken.

Im Juni 2002 trafen der Kläger und B eine privatschriftliche Vereinbarung: Der Kläger verzichtete auf die Annahme des notariellen Angebots auf Abschluss eines Grundstückskaufvertrags und erhielt im Gegenzug von B 125 000 € für den durch die angrenzende Bebauung entstandenen Wertverlust seines Grundstücks. Mit der Erfüllung der Vereinbarung sollten alle tatsächlichen und möglichen Forderungen des Klägers gegenüber B aus dem notariellen Angebot wie auch aus dem Verwaltungsgerichtsverfahren erledigt sein.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) erfasste die von B an den Kläger im Streitjahr (2002) gezahlten 125 000 € als sonstige Einkünfte i.S. des § 22 Nr. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG).

Die Klage blieb erfolglos. Das Finanzgericht (FG) führte in seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2007, 1330 veröffentlichten Urteil aus, der Kläger habe im wirtschaftlichen Ergebnis auf seine Nachbarschaftsrechte verzichtet und hierfür eine Gegenleistung bekommen. Dieser so nach § 22 Nr. 3 EStG steuerbaren Leistung stünde nicht mit einem veräußerungsähnlichen Vorgang im Zusammenhang. Mit dem Kaufangebot vom Februar 2001 habe B dem Kläger keine Option einräumen wollen, die der Kläger erworben und die er mit der Vereinbarung vom Juni 2002 außerhalb der Spekulationsfrist veräußert habe.

Hiergegen richtet sich die Revision des Klägers, die er auf Verletzung des § 22 Nr. 3 EStG stützt. Der Kläger habe nicht erst im Juni 2002 auf seine Nachbarrechte verzichtet, sondern schon während des Erörterungstermins. Mit dem Kaufangebot habe B dem Kläger ein Recht eingeräumt, das als Wirtschaftsgut zu beurteilen sei und das er mittels der Vereinbarung vom Juni 2002 gegen Entgelt aufgegeben habe.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das angefochtene Urteil aufzuheben, den Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr zu ändern und die Einkommensteuer des Streitjahres ohne Berücksichtigung der 125 000 € als sonstige Einkünfte in Höhe von ... € festzusetzen.

Das FA beantragt,

die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

II. Die Revision ist unbegründet; sie ist nach § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückzuweisen. Wie das FG zutreffend entschieden hat, sind die vom Kläger empfangenen 125 000 € nach § 22 Nr. 3 EStG steuerbar. Sie entgelten eine vom Kläger erbrachte sonstige Leistung, die darin liegt, die Baumaßnahme des B auf dem Nachbargrundstück hinzunehmen.

1. Nach § 22 Nr. 3 EStG sind sonstige Einkünfte (§ 2 Abs. 1 Nr. 7 EStG) Einkünfte aus Leistungen, soweit sie weder zu anderen Einkunftsarten noch zu den Einkünften i.S. der Nrn. 1, 1a, 2 oder 4 der Vorschrift gehören. Eine (sonstige) Leistung i.S. des § 22 Nr. 3 EStG ist jedes Tun, Dulden oder Unterlassen, das Gegenstand eines entgeltlichen Vertrages sein kann; ausgenommen sind Veräußerungsvorgänge oder veräußerungsähnliche Vorgänge im privaten Bereich (ständige Rechtsprechung; vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 18. Dezember 2001 IX R 74/98, BFH/NV 2002, 643, und vom 23. Juni 1964 GrS 1/64 S, BFHE 80, 73, BStBl III 1964, 500).

Nach der ständigen Rechtsprechung des BFH liegt in der Hinnahme von Baumaßnahmen auf dem Nachbargrundstück ein "Dulden" und damit eine bestimmte Leistung i.S. von § 22 Nr. 3 EStG. Wird sie entgolten, weil der Steuerpflichtige vermeintliche oder tatsächlich bestehende subjektive (Nachbar-)Rechte nicht oder nicht mehr wahrnimmt, so ist dieser Vorgang als Einkünfte aus Leistungen gemäß § 22 Nr. 3 EStG steuerbar (BFH-Beschluss vom 22. August 2003 IX B 85/03, BFH/NV 2004, 41, m.w.N.). So hat die Rechtsprechung den entgeltlichen Verzicht auf die Einhaltung eines Grenzabstands bei der Bebauung eines angrenzenden Grundstücks (BFH-Urteil vom 5. August 1976 VIII R 97/73, BFHE 120, 180, BStBl II 1977, 26), den Ausgleich von Beeinträchtigungen durch eine beabsichtigte Bebauung (BFH-Urteil vom 8. März 1984 IX R 109/82, nicht veröffentlicht --n.v.--, juris-Dokument STRE845025960) oder den Verzicht auf den Widerspruch gegen Immissionen, die von einem Nachbargrundstück ausgehen (BFH-Urteil vom 14. Dezember 1976 VIII R 162/74, n.v.) als nach § 22 Nr. 3 EStG steuerbare Leistung beurteilt und dabei die Wertminderung des Grundstücks als Bemessungsgrundlage für den Wert der Leistung angesehen (vgl. eingehend BFH-Urteil vom 10. August 1994 X R 42/91, BFHE 175, 362, BStBl II 1995, 57; so auch Schmidt/Weber-Grellet, EStG, 26. Aufl., § 22 Rz 150, Stichwort: Verzicht; Blümich/Stuhrmann, § 22 EStG Rz 182, Stichwort: Grundstücksgeschäfte; kritisch dazu Leisner-Egensperger, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 22 Rz D 160; Risthaus in Herrmann/Heuer/Raupach, § 22 EStG Rz 394). Wird indes das Entgelt dafür erbracht, dass ein Vermögensgegenstand in seiner Substanz endgültig aufgegeben wird, gehört das Entgelt nicht zu den Einkünften gemäß § 22 Nr. 3 EStG (BFH-Urteile vom 18. Mai 2004 IX R 63/02, BFHE 206, 174, BStBl II 2004, 874, und vom 19. Dezember 2000 IX R 96/97, BFHE 194, 178, BStBl II 2001, 391).

2. Nach diesen Maßstäben hat das FG die Leistung des Klägers zutreffend im Verzicht auf das Wahrnehmen seiner Nachbarschaftsrechte gesehen, die durch die Zahlung der B in Höhe von 125 000 € entgolten wurde und deshalb nach § 22 Nr. 3 EStG der Besteuerung unterliegt.

a) Entgegen der Revision liegt in der Vereinbarung vom Juni 2002 kein veräußerungsähnliches Geschäft. Das dort ausbedungene Entgelt ist nicht Gegenleistung der B für die Aufgabe des durch das notarielle Kaufangebot vermittelten Rechts des Klägers, sondern für den Verzicht auf das Geltendmachen seiner Nachbarschaftsrechte.

Es mag zwar sein, dass es sich bei der Rechtsposition, die der Kläger aufgrund des notariellen und bis zum 10. Januar 2003 befristeten Kaufangebots erlangte, um ein Wirtschaftsgut handelt, auf das der Kläger mit der Vereinbarung vom Juni 2002 verzichtet hat. Das dort vereinbarte Entgelt stand aber nach der revisionsrechtlich nicht zu beanstandenden Würdigung des FG nicht im Zusammenhang mit diesem Verzicht, sondern mit der Zusage des Klägers, seine Nachbarrechte in Bezug auf die Bebauung durch B nicht weiter zu verfolgen. Dies folgert das FG zutreffend aus dem Wortlaut der Vereinbarung und dem wirtschaftlichen Kontext, wie er sich auch aus dem Protokoll des Erörterungstermins erschließt. Danach hatte B kein eigentliches Interesse am Erwerb des Grundstücks, sondern wollte mit dem Kaufvertrag lediglich die (tatsächlichen oder vermeintlichen) Rechte des Klägers als Nachbar zum Erlöschen bringen (vgl. dazu insbesondere BFH-Urteil in BFHE 206, 174, BStBl II 2004, 874), um jedenfalls (weitere) durch ihr Geltendmachen bedingte Verzögerungen des Bauvorhabens zu verhindern.

Die Würdigung des FG ist vor dem Hintergrund der von ihm festgestellten Tatsachen zumindest möglich und deshalb für den Senat nach § 118 Abs. 2 FGO bindend. Auch wenn das vereinbarte Entgelt der Wertminderung entsprechen sollte, die das Grundstück des Klägers durch die Art der Bebauung des Nachbargrundstücks durch B erfuhr, ist dem FG auch darin beizupflichten, dass dadurch nicht eine Substanzübertragung des Grundstücks abgegolten wurde. Vielmehr war die Wertminderung dieses Grundstücks Bemessungsgrundlage für den Wert der Leistung des Klägers (vgl. in diese Richtung bereits BFH-Beschluss in BFH/NV 2004, 41).

b) Entgegen dem Vortrag des Klägers hatte er nicht schon im verwaltungsgerichtlichen Verfahren auf seine Nachbarrechte verzichtet. Im Erörterungstermin wurden noch keine auf die Erledigung des Rechtsstreits gerichteten Erklärungen abgegeben. Zur Erledigung sollte es erst mit dem Verkauf des Grundstücks kommen. Zwar sollte es der Kläger unterlassen, einen (weiteren) Baustopp zu beantragen, aber nur befristet bis zum 27. Februar 2001, dem anvisierten Termin zur Unterbreitung des notariellen Angebots durch B. Weil der Kläger dieses Angebot nicht angenommen hatte, kam es auch nicht zu seiner dort geregelten (sonstigen) Verpflichtung; eine solche galt erst aufgrund der Vereinbarung vom Juni 2002.

3. Die Entscheidung in BFHE 206, 174, BStBl II 2004, 874, steht dieser Beurteilung nicht entgegen. Denn anders als dort war die vom Kläger eingegangene Verpflichtung keine Nebenleistungspflicht zur Hauptpflicht des Klägers, B das Grundstück zu übergeben und ihr das Eigentum daran zu verschaffen, und zwar allein schon deshalb, weil ein Kaufvertrag nicht zustande gekommen war. Das unterscheidet den Streitfall auch von dem Fall, der dem Urteil des BFH vom 24. August 2006 IX R 32/04 (BFHE 214, 542, BStBl II 2007, 44) zugrunde lag. Denn dort war die Gewährung eines Rücktrittsrechts gegen Zahlung eines Reugeldes bloße Folgevereinbarung eines nichtsteuerbaren Grundstückskaufvertrages, um dem Berechtigten im Falle des Rücktritts im Zusammenhang mit einer erneuten Veräußerung zu entschädigen.

Ende der Entscheidung

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