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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 12.05.2009
Aktenzeichen: IX R 46/08
Rechtsgebiete: EStG, FGO


Vorschriften:

EStG § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 1
EStG § 9 Abs. 1 S. 1
EStG § 12
EStG § 21 Abs. 1 S. 1 Nr. 1
FGO § 126 Abs. 3 S. 1 Nr. 2
1. Halten nahe Angehörige zivilrechtliche Formerfordernisse nicht ein, spricht dies im Rahmen der steuerrechtlichen Beurteilung des Vertrages indiziell gegen den vertraglichen Bindungswillen (Bestätigung der BFH-Urteile vom 7. Juni 2006 IX R 4/04, BFHE 214, 173, BStBl II 2007, 294, und vom 22. Februar 2007 IX R 45/06, BFHE 217, 409).

2. Die Gesamtwürdigung mehrerer Beweisanzeichen ist insgesamt fehlerhaft, wenn das FG aus einem Indiz, das es in seine Gesamtbetrachtung einbezieht, den falschen Schluss zieht.


Gründe:

I.

Die Sache befindet sich im zweiten Rechtsgang.

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) errichtete in den Jahren 1991 bis 1993 drei Mehrfamilienhäuser. Zur Finanzierung der Herstellungskosten schloss sie mit ihren drei minderjährigen Enkelkindern Ende August 1991 jeweils Darlehensverträge ab. Unterzeichnet wurden die Verträge durch den Vater als dem gesetzlichen Vertreter seiner Söhne; ein Ergänzungspfleger wurde nicht eingeschaltet. Die im April 1992 vollzogenen Vertragsänderungen wurden auf Seiten der Darlehensgeber wiederum von deren Vater als Vertreter unterzeichnet. Danach gewährten die Enkel der Klägerin weitere Kredite in variabler Höhe.

Mit notarieller Urkunde vom November 1998 genehmigte der jetzt eingeschaltete Ergänzungspfleger die Darlehensverträge; danach wurden Grundschulden zur Sicherung der Darlehen bestellt.

Die Zinsen für den Zeitraum von Ende August bis 31. Dezember 1991 in Höhe von 6 980 DM zahlte die Klägerin am 15. Januar 1992, die Zinsen für den Zeitraum vom 1. Januar bis 31. Dezember 1992 in Höhe von 21 385 DM zahlte sie am 30. Dezember 1992 an die Enkel.

Aufgrund einer Außenprüfung versagte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) die steuerliche Anerkennung der Darlehen und erhöhte für das Streitjahr (1992) die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung um die gezahlten Darlehenszinsen.

Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte in seinem Urteil aus, die Darlehensverträge seien als Vereinbarung zwischen nahen Angehörigen steuerlich nicht zu berücksichtigen, da sie nicht formwirksam abgeschlossen worden seien. Dieses Urteil hob der Bundesfinanzhof (BFH) mit seinem Urteil vom 7. Juni 2006 IX R 4/04 (BFHE 214, 173, BStBl II 2007, 294) auf und wies die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurück. Auch im zweiten Rechtsgang wies das FG die Klage ab. Nach den Grundsätzen des BFH-Urteils vom 22. Februar 2007 IX R 45/06 (BFHE 217, 409) sei es den Vertragsparteien anzulasten, die zivilrechtliche Form nicht beachtet zu haben. Dieses verstärkte Indiz gegen den vertraglichen Bindungswillen werde durch die Genehmigung nicht in Frage gestellt. Gegen die steuerliche Anerkennung spreche auch die fehlende Besicherung.

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts. Die Darlehensverträge seien --zunächst schwebend unwirksam-- durch den Ergänzungspfleger genehmigt und damit zivilrechtlich wirksam geworden. Es verhalte sich wie bei der nachträglichen Befreiung vom Verbot des In-Sich-Geschäfts nach den Grundsätzen des BFH-Urteils vom 23. Oktober 1996 I R 71/95 (BFHE 181, 328, BStBl II 1999, 35). Überdies sei die zivilrechtliche Unwirksamkeit lediglich ein Beweisanzeichen im Rahmen einer Gesamtwürdigung und der Klägerin im Übrigen nicht anzulasten.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Einkommensteuer 1992 unter Berücksichtigung der Darlehenszinsen als Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung festzusetzen.

Das FA beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

II.

Die Revision ist begründet. Das angefochtene Urteil ist aufzuheben und die Sache nach § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen. Das FG ist unzutreffend davon ausgegangen, die Darlehensverträge seien auf Grund ihrer Formunwirksamkeit im Streitjahr (1992) sowie ihrer fehlenden Besicherung steuerrechtlich nicht anzuerkennen.

1.

Vertragsverhältnisse zwischen nahen Angehörigen sind steuerrechtlich nur anzuerkennen, wenn die Verträge bürgerlich-rechtlich wirksam vereinbart worden sind und sowohl die Gestaltung als auch die Durchführung des Vereinbarten dem zwischen Fremden Üblichen entsprechen. Fehlt es innerhalb eines Familienverbundes typischerweise an einem Interessensgegensatz und können zivilrechtliche Gestaltungsmöglichkeiten steuerrechtlich missbraucht werden, so ist es im Interesse einer effektiven Missbrauchsbekämpfung geboten und zulässig, an den Beweis des Abschlusses und an den Nachweis der Ernstlichkeit von Vertragsgestaltungen zwischen nahen Angehörigen strenge Anforderungen zu stellen (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts --BVerfG-- vom 7. November 1995 2 BvR 802/90, BStBl II 1996, 34). Die besonderen Anforderungen der Rechtsprechung bilden Beweisanzeichen (Indizien) bei der im Rahmen einer Gesamtbetrachtung zu treffenden Entscheidung, ob die streitigen Aufwendungen in einem sachlichen Zusammenhang mit dem Erzielen von Einkünften stehen oder dem nicht steuerbaren privaten Bereich (§ 12 des Einkommensteuergesetzes --EStG--) zugehörig sind. Lassen die Vertragsbeteiligten zivilrechtliche Formerfordernisse unbeachtet, so führt dieses Beweisanzeichen gegen die Ernsthaftigkeit der getroffenen Vereinbarung --anders als z.B. das Nichterfüllen eines gesetzlichen Tatbestandsmerkmals-- nicht allein und ausnahmslos dazu, das Vertragsverhältnis steuerrechtlich nicht anzuerkennen. Die Indizwirkung gegen den vertraglichen Bindungswillen wird verstärkt, wenn es den Vertragspartnern angelastet werden kann, zivilrechtliche Formvorschriften insbesondere bei klarer Rechtslage nicht beachtet zu haben (vgl. dazu im Einzelnen BFH-Urteil in BFHE 217, 409, m.w.N.). Damit hat der BFH seine Rechtsprechung entgegen der Vorinstanz gegenüber seinem Urteil im ersten Rechtszug nicht geändert, wie sich aus dem Urteil in BFHE 217, 409, unter II. 3. der Gründe explizit ergibt.

2.

Diesen Grundsätzen widerspricht die angefochtene Entscheidung. Sie hat die streitigen Darlehenszinsen in einer unvollständigen und unzutreffenden Gesamtwürdigung der Beweisanzeichen vom Abzug als Werbungskosten (§ 9 Abs. 1 Satz 1 und Satz 3 Nr. 1 EStG) bei den Einkünften der Klägerin aus Vermietung und Verpachtung gemäß § 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG ausgeschlossen.

a)

Zwar würdigt es das FG zutreffend als Indiz gegen den vertraglichen Bindungswillen, dass die zu Grunde liegenden Darlehensverträge gemäß § 1629 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 1795 Abs. 1 Nr. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) zunächst --nämlich im Streitjahr-- schwebend unwirksam waren. Dabei hat das FG in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BFH darauf abgestellt, der Klägerin sei das Nichtbeachten der Formvorschriften anzulasten gewesen. Diese Würdigung ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, weil sich --entgegen der Revision-- die klare Rechtslage schon aus dem Wortlaut der einschlägigen Vorschriften des BGB ableiten lässt. Obschon der Ergänzungspfleger im Jahr 1998 die Darlehensverträge genehmigte, wirkte diese nachträgliche Zustimmung --wovon die Rechtsprechung anders als bei einer Genehmigung des In-sich-Geschäfts entgegen der Revision übereinstimmend ausgeht (vgl. z.B. BFH-Urteil in BFHE 214, 173, BStBl II 2007, 294; anders bei § 181 BGB das BFH-Urteil in BFHE 181, 328, BStBl II 1999, 35)-- nur zivilrechtlich nach § 184 Abs. 1 BGB (i.V.m. § 1909, § 1915 Abs. 1, § 1829 Abs. 1 BGB), nicht aber steuerrechtlich auf den Zeitpunkt der Vornahme der Darlehensverträge zurück.

b)

Indes ergibt sich der Rechtsfehler und Aufhebungsgrund aus dem zusätzlich in die Würdigung einbezogenen Indiz der fehlenden Sicherung der Darlehensverträge. Denn dieses Beweisanzeichen ist im Streitfall nicht ergiebig, erlaubt also nicht den Schluss auf einen fehlenden Bindungswillen der Vertragsparteien. Zwar geht die Rechtsprechung grundsätzlich davon aus, der Rückzahlungsanspruch aus einem langfristigen Darlehen zwischen nahen Angehörigen müsse ausreichend besichert sein (vgl. z.B. das BFH-Urteil vom 7. November 1990 X R 126/87, BFHE 163, 49, BStBl II 1991, 291, m.w.N.). Dieses aus dem Fremdvergleich abgeleitete generelle Erfordernis wird durch einen konkreten Fremdvergleich im jeweiligen Einzelfall überlagert (vgl. BFH-Urteil vom 28. Juni 2002 IX R 68/99, BFHE 199, 380, BStBl II 2002, 699). In diesem Zusammenhang hätte das FG nach der Aktenlage, wie sie in den Entscheidungen im ersten Rechtszug in Bezug genommen wurden, berücksichtigen müssen, dass drei verschiedene Kreditinstitute der Klägerin ungesicherte Darlehen von 200 000 DM, 250 000 DM und nochmals 250 000 DM bestätigt haben (vgl. Band III der Einkommensteuerakten, Bl. 32 bis 34). Vor diesem konkreten Hintergrund verliert das zwischen fremden Dritten übliche Vertragsgebaren für die Indizienwürdigung an Gewicht, so dass die fehlende Besicherung nicht ohne weiteres auf eine steuerrechtlich unerhebliche Veranlassung des hingegebenen Geldes hindeutet.

3.

Wegen der unzutreffenden Würdigung eines Beweisanzeichens wird die vom FG angestellte Gesamtwürdigung insgesamt fehlerhaft. Die Vorentscheidung ist deshalb aufzuheben.

Die Sache ist nicht spruchreif. Das FG wird die Darlehensverträge der Klägerin mit ihren Enkelkindern insgesamt neu zu beurteilen haben. Dabei wird es die im Revisionsurteil des ersten Rechtszuges (BFH-Urteil in BFHE 214, 173, BStBl II 2007, 294) aufgestellten Maßstäbe nach § 126 Abs. 5 FGO zu beachten haben. Hierbei wird es angesichts der tatsächlichen Durchführung der Verträge als späteren Umstand (vgl. BFH-Urteil vom 14. Dezember 2004 IX R 1/04, BFHE 208, 235, BStBl II 2005, 211, unter II. 1. a a.E.) auch würdigen müssen, dass die Parteien nach Erkennen der Unwirksamkeit zeitnah darauf hingewirkt haben, eine Genehmigung durch den Ergänzungspfleger zu erreichen und sich im Übrigen auch künftig tatsächlich so verhalten haben, wie sie es von vornherein untereinander vereinbart hatten. Der Senat kann als Revisionsinstanz die der Tatsacheninstanz obliegende Gesamtwürdigung nicht selbst anstellen.



Ende der Entscheidung

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