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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 01.04.2009
Aktenzeichen: IX R 5/08
Rechtsgebiete: FGO, AO, EigZulG


Vorschriften:

FGO § 118 Abs. 2
FGO § 126 Abs. 3 Sa. 1 Nr. 1
AO § 172 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Buchst. a
EigZulG § 9 Abs. 5
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I.

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute, die im Streitjahr 2003 für vier Kinder Kindergeld bezogen. Mit Bescheid vom 15. Oktober 1996 setzte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) zugunsten der Kläger Eigenheimzulage für die Jahre 1996 bis 2003 für die Anschaffung einer mit notariell beurkundetem Kaufvertrag vom 28. März 1996 erworbenen Eigentumswohnung fest. Nachdem die Kläger in ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr irrtümlicherweise nur die drei jüngeren Kinder, nicht aber den 1982 geborenen ältesten Sohn C angegeben hatten, obwohl sich dieser im Streitjahr noch in Berufsausbildung befand, setzte das FA mit Änderungsbescheid vom 22. November 2004 die Eigenheimzulage 2003 gemäß § 11 Abs. 2 des Eigenheimzulagengesetzes (EigZulG) neu fest und kürzte den Zulagenbetrag um die auf den Sohn C entfallende Kinderzulage in Höhe von 1 500 DM. Der hiergegen gerichtete Einspruch der Kläger ging unter dem 11. Februar 2005 bei dem FA ein und wurde mit Einspruchsbescheid vom 24. Februar 2005 als unzulässig verworfen.

Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 8. April 2005 machten die Kläger geltend, ihr Sohn C habe bereits Anfang Dezember 2004 in ihrem Namen und Auftrag sowie in ihrer Anwesenheit bei dem FA angerufen. Unter der auf dem Eigenheimzulagenbescheid genannten Telefonnummer habe sich eine Mitarbeiterin des FA gemeldet, die darauf verwiesen habe, dass die zuständige Sachbearbeiterin wegen einer Halbtagstätigkeit am heutigen Tag nicht mehr erreichbar sei. C habe seiner Gesprächspartnerin vom FA mitgeteilt, dass die Kläger für ihn, den noch in Berufsausbildung befindlichen Sohn C, im Streitjahr Kindergeld bezogen hätten und daher Anspruch auf eine Kinderzulage bestünde. Die Mitarbeiterin des FA habe C versichert, dass bei dem geschilderten Sachverhalt der maßgebliche Eigenheimzulagenbescheid geändert werden müsse; sie habe ferner zugesagt, eine Notiz zu fertigen, die sie der zuständigen Sachbearbeiterin weiterleiten würde. Vor diesem Hintergrund habe C den Eindruck gewonnen, dass die Sache erledigt sei und die gewünschte Änderung durch das FA ohne weiteres Zutun seitens der Kläger durchgeführt werde. Nachdem die Kläger indes weitere Zahlungsaufforderungen erhalten hätten, habe C Anfang 2005 erneut mehrfach im FA angerufen; als er dort einen --wiederum unzuständigen-- Sachbearbeiter erreicht habe, habe dieser ihn aufgefordert, weitere Unterlagen hinsichtlich seiner Berufsausbildung vorzulegen und schriftlich Einspruch einzulegen - nicht ohne darauf hinzuweisen, dass die Einspruchsfrist bereits versäumt sei. Nach Auffassung der Kläger ist jedoch bereits der erste Anruf ihres Sohnes C als Antrag auf schlichte Änderung i.S. des § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a der Abgabenordnung (AO) zu werten; dieser Antrag sei auch rechtzeitig vor Ablauf der Rechtsbehelfsfrist in der für schlichte Änderungsanträge zulässigen fernmündlichen Form bei dem FA gestellt worden.

Das FA lehnte den schlichten Änderungsantrag mit Bescheid vom 13. April 2005 mit der Begründung ab, die Kläger hätten nicht nachgewiesen, dass der behauptete Antrag innerhalb der Rechtsbehelfsfrist gestellt worden sei. Die vom FA befragten Mitarbeiter hätten sich an einen entsprechenden Antrag nicht erinnern können. Der hiergegen gerichtete Einspruch der Kläger wurde mit Einspruchsbescheid vom 2. Mai 2005 als unbegründet zurückgewiesen.

Die Klage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) ging aufgrund der Aussage des als Zeugen gehörten Sohnes C zwar davon aus, dass dieser tatsächlich Anfang Dezember 2004 --und damit innerhalb der Rechtsbehelfsfrist-- ein Telefongespräch mit einer Mitarbeiterin des FA geführt habe. Es sei jedoch nicht zweifelsfrei erwiesen, ob bei dem Telefonat tatsächlich ein Antrag auf Änderung des maßgeblichen Eigenheimzulagenbescheides gestellt worden sei.

Mit ihrer Revision vertreten die Kläger weiter die Auffassung, dass in dem Telefonat des Sohnes C mit dem FA zumindest ein konkludenter Antrag auf Änderung des Eigenheimzulagenbescheides für das Streitjahr gesehen werden müsse. Jedenfalls aber hätte das FA aufgrund der Schilderung des Sohnes den maßgeblichen Bescheid nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO ändern müssen. Insoweit habe das FA seine Pflicht, bei einer sachgerechten und zielführenden Antragstellung des rechtsunkundigen Steuerpflichtigen mitzuwirken, verletzt.

Die Kläger beantragen,

das angefochtene Urteil des FG sowie den Ablehnungsbescheid vom 13. April 2005 in Gestalt des Einspruchsbescheids vom 9. Mai 2005 aufzuheben und das FA zu verpflichten, die Eigenheimzulage für das Streitjahr mit der Maßgabe neu festzusetzen, dass für den im Förderzeitraum 2003 in Berufsausbildung befindlichen C eine Kinderzulage berücksichtigt wird.

Das FA beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

II.

Die Revision ist begründet; sie führt gemäß § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Aufhebung der Vorentscheidungen und zur Stattgabe der Klage. Entgegen der Auffassung des FG haben die Kläger rechtzeitig einen wirksamen Antrag gemäß § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO auf Änderung des Eigenheimzulagenbescheides für 2003 mit der Maßgabe gestellt, dass die Kinderzulage für den Sohn C zu berücksichtigen ist. Die Voraussetzungen für die Gewährung einer Kinderzulage nach § 9 Abs. 5 EigZulG liegen auch vor.

1.

Nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO darf ein Steuerbescheid zugunsten des Steuerpflichtigen im Wege der sog. schlichten Änderung geändert werden, soweit der Steuerpflichtige den Antrag vor Ablauf der Einspruchsfrist gestellt hat.

a)

Ein Antrag auf schlichte Änderung ist eine Willensbekundung des Steuerpflichtigen, deren Auslegung sich nach den allgemeinen Regeln aus objektivierter Empfängersicht bestimmt (von Groll in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 172 AO Rz 135). Willenserklärungen sind grundsätzlich Gegenstand der tatsächlichen Feststellung. Die Würdigung einer Willenserklärung durch das FG kann der Bundesfinanzhof (BFH) nur dahin überprüfen, ob das FG die gesetzlichen Auslegungsregeln (z.B. §§ 133, 157 des Bürgerlichen Gesetzbuchs --BGB--) beachtet und nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstoßen hat (BFH-Urteil vom 7. November 2001 XI R 14/00, BFH/NV 2002, 745, m.w.N.).

Bei der Auslegung einer Willenserklärung ist der wirkliche Wille zu erforschen. Auszugehen ist von dem Wortlaut der Erklärung; daneben sind auch der Zusammenhang, in dem die Erklärung abgegeben worden ist, sowie sämtliche Begleitumstände der Erklärung in die Auslegung einzubeziehen, soweit sie einen Schluss auf den Sinngehalt der Erklärung zulassen. Erklärungen sind im Zweifel so auszulegen, dass dasjenige gewollt ist, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der recht verstandenen Interessenlage des Erklärenden entspricht (BFH-Urteil vom 29. Oktober 1998 XI R 25/98, BFH/NV 1999, 633, m.w.N.).

b)

Im Streitfall hat das FG festgestellt, dass C Anfang Dezember 2004 --und damit innerhalb der Rechtsbehelfsfrist-- ein Telefongespräch mit einer Mitarbeiterin des FA geführt hat. Der BFH ist an diese in dem angefochtenen Urteil des FG getroffene Feststellung nach § 118 Abs. 2 FGO gebunden, da insoweit zulässige und begründete Revisionsgründe nicht vorgebracht worden sind.

Zu Unrecht hat das FG die von dem Zeugen C in diesem Zusammenhang getroffenen Äußerungen nicht als Antrag nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO ausgelegt. Eine solche Auslegung lässt die Begleitumstände, unter denen das Gespräch geführt wurde, außer Betracht und verletzt § 133 BGB. Denn nach den vom FG in der Niederschrift über die mündliche Verhandlung festgehaltenen Angaben des C hat dieser namens und im Auftrag der Kläger das Telefonat mit dem FA allein mit dem Ziel geführt, zu Gunsten seiner Eltern die Gewährung einer (weiteren) Kinderzulage durchzusetzen. Der Umstand, dass in diesem Zusammenhang auch ein Rechtsgespräch stattgefunden hat, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass eine nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftige und der recht verstandenen Interessenlage des Steuerpflichtigen entsprechende Auslegung zwingend dazu führen muss, dass ein objektiver Empfänger das nach den Feststellungen des FG Gesagte nur dahin deuten konnte, dass die Kläger eine (schlichte) Änderung des maßgeblichen Eigenheimzulagenbescheides wünschten.

Unerheblich ist dabei, ob C dabei tatsächlich wörtlich --wie in der Niederschrift über die mündliche Verhandlung festgestellt-- zum Ausdruck gebracht hat, dass "die Eigenheimzulage weiterhin in voller Höhe gewährt werden müsse"; unerheblich ist ferner, wie die beteiligte Mitarbeiterin des FA dieses Begehren tatsächlich aufgefasst hat und ob sie daraus die richtigen Schlüsse gezogen hat - insbesondere, ob sie den schlichten Änderungsantrag als solchen erkannte und dessen Rechtswirkungen richtig einschätzte. Vor diesem Hintergrund kommt es auch nicht --wovon indes das FG ausgegangen ist-- darauf an, ob die am Gespräch beteiligte Mitarbeiterin des FA die Fertigung einer Notiz und deren Weiterleitung an die zuständige Sachbearbeiterin zugesagt hat oder nicht; denn die Wirksamkeit eines schlichten Änderungsantrags ist nicht davon abhängig, ob sich die zuständige Behörde zum Handeln veranlasst fühlt oder nicht.

2.

Die Sache ist spruchreif. Die Kläger haben bereits im Rechtsbehelfsverfahren Nachweise vorgelegt, aufgrund derer zwischen den Beteiligten unstreitig feststeht, dass die Voraussetzungen für die Gewährung einer (weiteren) Kinderzulage nach § 9 Abs. 5 EigZulG im Streitjahr erfüllt sind.

Ende der Entscheidung

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