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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 19.08.2008
Aktenzeichen: IX R 71/07
Rechtsgebiete: AO, EStG, HGB, UmwStG


Vorschriften:

AO § 129
EStG § 6
EStG § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2
HGB § 255 Abs. 1
UmwStG § 13
Mit dem Erwerb neuer Anteile im Zuge der Verschmelzung beginnt für den Anteilseigner die nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG maßgebliche Veräußerungsfrist von einem Jahr.
Gründe:

I.

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) werden im Streitjahr (2000) zur Einkommensteuer zusammen veranlagt. Der Kläger erwarb am 22. März 1999 für 2 050 € Anteile an der X GmbH, die am gleichen Tag zur S GmbH umfirmierte (im Folgenden: S 1). Am 19. April 1999 erhöhte S 1 ihr Kapital, nahm neue Gesellschafter auf und wandelte sich in eine Aktiengesellschaft (AG) um. Am 14. Dezember 1999 wurde sie auf eine zuvor gegründete AG verschmolzen, die im Anschluss daran als S AG (S 2) firmierte und als solche am 16. Dezember 1999 in das Handelsregister eingetragen wurde. Der Kläger veräußerte am 27. Juni des Streitjahres seine im Zuge der Verschmelzung erhaltenen Anteile an der S 2 für 5 125 000 €.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) erfasste im (geänderten) Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften in Höhe von 5 124 995 DM (als Differenz der 5 125 000 DM aus der Veräußerung der Anteile im Streitjahr sowie einem Verlust von 5 DM aus Vorjahren).

Die Klage blieb erfolglos. Das Finanzgericht (FG) vertrat in seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2008, 392 veröffentlichten Urteil die Auffassung, mit dem Verschmelzungsvorgang beginne eine neue Veräußerungsfrist i.S. des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes i.d.F. des Streitjahres (EStG). Der damit zu erfassende Veräußerungsgewinn sei durch das FA zwar nicht zutreffend ermittelt worden, weil erkennbar keine Anschaffungs- und Veräußerungskosten steuermindernd berücksichtigt worden seien. Indes habe das FA statt des vereinbarten Euro-Betrages einen entsprechenden DM-Betrag erfasst. Weil es dadurch den Kaufpreis um ca. 5 000 000 DM zu niedrig angesetzt habe, dürfe das FG nicht berücksichtigte Anschaffungs- und Veräußerungskosten kompensieren.

Mit der Revision rügen die Kläger die Verletzung materiellen Rechts. Die Anteile an der übernehmenden Körperschaft träten steuerlich an die Stelle der Anteile der übertragenden Körperschaft. Das Gesetz fingiere in § 13 Abs. 2 des Umwandlungssteuergesetzes i.d.F. des Streitjahres (UmwStG) Veräußerungs- und Anschaffungsvorgänge. Die Kläger seien auch in ihrem Vertrauen auf das Fortgelten der ursprünglich sechsmonatigen Spekulationsfrist in verfassungsrechtlich bedeutsamer Weise zu schützen; denn die maßgebliche Disposition des Klägers (Erwerb der GmbH-Anteile) liege vor der Bekanntmachung der Gesetzesänderung am 31. März 1999. Ferner sei die zugrunde liegende Steuernorm (§ 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG) wegen strukturellen Vollzugsdefizits verfassungswidrig. Schließlich habe das FA den am Tage nach der Urteilsverkündung erlassenen Änderungsbescheid nicht wirksam bekannt gegeben und unzutreffend auf § 129 der Abgabenordnung (AO) gestützt.

Die Kläger beantragen,

das angefochtene Urteil aufzuheben und den Einkommensteueränderungsbescheid für 2000 vom 10. September 2004 in der zuletzt durch Berichtigungsbescheid vom 8. August 2007 geänderten Form sowie den entsprechenden Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer zum 31. Dezember 2000 dergestalt zu ändern, dass sonstige Einkünfte aus einem privaten Veräußerungsgeschäft nicht angesetzt werden.

Das FA beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Nach Verkündigung des angefochtenen Urteils hat das FA am 8. August 2007 den Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr geändert. Es hat diese Änderung auf § 129 AO gestützt und diesen Bescheid wie folgt begründet: "Statt des bisher irrtümlich angesetzten Veräußerungsgewinns von 5 125 000 DM sind nunmehr 5 125 000 € (10 023 628 DM) zu berücksichtigen".

II.

1. Das angefochtene Urteil ist bereits aus verfahrensrechtlichen Gründen aufzuheben. Es kann keinen Bestand haben; denn das FG hat über den Einkommensteuerbescheid vom 1. September 2006 und damit über einen nicht mehr wirksamen Bescheid entschieden (vgl. dazu Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 27. Juli 2004 IX R 44/01, BFH/NV 2005, 188, und vom 28. August 2003 IV R 20/02, BFHE 203, 143, BStBl II 2004, 10).

2. Der Senat entscheidet nach §§ 100, 121 der Finanzgerichtsordnung (FGO) auf der Grundlage der bestehen bleibenden Feststellungen und weist die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurück. Zwar ist die Anteilsveräußerung, um die es hier geht, nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG steuerbar und das FA musste einen Veräußerungsgewinn erfassen (unter b), es durfte den zunächst angefochtenen Bescheid auch nach § 129 AO ändern und statt des irrtümlich in DM ausgewiesenen Betrags den Euro-Betrag ansetzen (unter a). Wegen der durch diese Änderung allerdings nicht mehr möglichen Kompensation des zunächst zu niedrig ausgewiesenen Gewinns müssen die Kläger in die Lage versetzt werden, noch Anschaffungs- und Veräußerungskosten geltend machen zu können. Deshalb geht die Sache nach § 127 FGO an das FG zurück (unter c).

a) Der Änderungsbescheid vom 8. August 2007 ist nach §§ 68, 121 FGO zum Gegenstand dieses Verfahrens geworden.

Das FA durfte den zunächst angefochtenen Einkommensteuerbescheid nach § 129 AO ändern. Danach kann das FA offenbare Unrichtigkeiten, die beim Erlass des Steuerbescheides unterlaufen sind, jederzeit berichtigen. In der Verwechslung von DM und € liegt ersichtlich eine offenbare Unrichtigkeit. Das FA hat den Änderungsbescheid den (sowohl im Klage- wie auch im Revisionsverfahren) Prozessbevollmächtigten zugestellt und damit wirksam bekannt gemacht (vgl. BFH-Urteil vom 24. Februar 2005 IV R 28/00, BFH/NV 2005, 1062). Es hat den Änderungsbescheid nach § 121 Abs. 1 AO hinreichend begründet.

b) Das FA hat die Veräußerung der Anteile im Streitjahr dem Grunde nach zutreffend erfasst. Nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. § 22 Nr. 2 EStG sind steuerbar private Veräußerungsgeschäfte bei anderen Wirtschaftsgütern, insbesondere bei Wertpapieren, bei denen der Zeitraum zwischen Anschaffung und Veräußerung nicht mehr als ein Jahr beträgt.

aa) Diese Voraussetzungen liegen hier vor.

Der Kläger hat seine mit der Verschmelzung erhaltenen Anteile im Streitjahr veräußert. Er hat sie am 27. Juni des Streitjahres für 5 125 000 € verkauft und damit entgeltlich übertragen (vgl. zum Begriff der Veräußerung BFH-Urteil vom 18. Oktober 2006 IX R 7/04, BFHE 215, 193, BStBl II 2007, 258).

Er hat diese Anteile (an der S 2) mit der Verschmelzung und nicht schon mit dem Erwerb der Anteile an der S 1 angeschafft.

(1) Der in § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG verwendete Begriff "Anschaffung" ist wie der Ausdruck "Anschaffungskosten" i.S. des § 6 EStG und des § 255 Abs. 1 des Handelsgesetzbuches (HGB) auszulegen (vgl. BFH-Urteile vom 19. Dezember 2000 IX R 100/97, BFHE 194, 182, BStBl II 2001, 345, und vom 22. Mai 2003 IX R 9/00, BFHE 202, 309, BStBl II 2003, 712). Eine Anschaffung liegt danach vor, wenn das Wirtschaftsgut entgeltlich erworben wird (BFH-Urteil vom 20. April 2004 IX R 5/02, BFHE 206, 110, BStBl II 2004, 987).

(2) Erhält ein Anteilseigner im Zuge einer Verschmelzung der Körperschaft, an der er beteiligt ist, auf eine andere Körperschaft Anteile dieser (anderen) Körperschaft, so handelt es sich aus der Sicht dieses Anteilseigners um einen Tausch der Anteile an der übertragenden Körperschaft gegen die Anteile an der übernehmenden Körperschaft und damit um einen entgeltlichen Erwerb (vgl. zum Tausch als entgeltlichen Erwerb BFH-Urteil vom 2. Mai 2000 IX R 74/96, BFHE 192, 88, BStBl II 2000, 469).

Nach § 13 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 UmwStG gelten die Anteile an der übertragenden Körperschaft als zu den Anschaffungskosten veräußert und die an ihre Stelle tretenden Anteile als mit diesem Wert angeschafft. Indem das Gesetz von der Veräußerung der Anteile an der übertragenden Kapitalgesellschaft und der Anschaffung der "an ihre Stelle tretenden Anteile" spricht und sich in § 13 Abs. 3 Satz 2 UmwStG auf "die erworbenen Anteile" bezieht, geht es davon aus, dass die Gesellschafter der übertragenden Körperschaft für ihre Anteile an der übertragenden Körperschaft --und damit als Gegenleistung-- Anteile an der übernehmenden Körperschaft "erhalten" (vgl. BFH-Urteil vom 7. November 2007 I R 41/05, zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt, BFH/NV 2008, 679, unter II. 2. a, m.w.N.; siehe auch Trossen in Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, UmwStG, § 13 Rz 8). Die Vorschrift fingiert also nicht den Verschmelzungsvorgang als Anschaffung (das muss sie nicht, weil mit dem Anteilstausch ohnehin eine Anschaffung vorliegt), sondern allein die Kosten dieser Anschaffung. Nach § 13 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 UmwStG "gelten" die ... Anteile "als mit diesem Wert" (= Anschaffungskosten) angeschafft, um dadurch auch dem Anteilseigner eine steuerneutrale Verschmelzung zu ermöglichen, andererseits aber die Besteuerung der in den Anteilen an der übertragenden Körperschaft liegenden stillen Reserven sicherzustellen (vgl. zum Gesetzeszweck auch Bärwaldt in Haritz/Benkert, Umwandlungssteuergesetz, 2. Aufl., § 13 Rz 2).

(3) Mit dem als Anschaffung zu qualifizierenden Anteilstausch im Zuge der Verschmelzung beginnt die maßgebliche Veräußerungsfrist von einem Jahr (so auch Bundesministerium der Finanzen --BMF--, Schreiben vom 25. März 1998, BStBl I 1998, 268 ff., Tz. 13.08, und die h.M. im Schrifttum, z.B. Schmitt in Schmitt/Hörtnagl/Stratz, Umwandlungsgesetz, Umwandlungssteuergesetz, 4. Aufl., § 13 UmwStG Rz 43, m.w.N.; Blümich/ Klingberg § 13 UmwStG Rz 23; Widmann in Widmann/Mayer, Umwandlungsrecht, § 13 UmwStG Rz 150; a.A. Bärwaldt in Haritz/ Benkert, a.a.O., § 13 Rz 28).

Für den Streitfall folgt daraus: Der Kläger hat mit dem Verkauf seiner mit der Verschmelzung im Dezember 1999 angeschafften Anteile an S 2 am 27. Juni des Streitjahres innerhalb der einjährigen Veräußerungsfrist den Steuertatbestand des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG verwirklicht.

bb) Diese Besteuerung begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.

(1) § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG ist nicht wegen strukturellen Vollzugsdefizits verfassungsrechtlich zweifelhaft (BFH-Urteil vom 29. November 2005 IX R 49/04, BFHE 211, 330, BStBl II 2006, 178; Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts vom 10. Januar 2008 2 BvR 294/06, Deutsches Steuerrecht 2008, 197 --Nichtannahmebeschluss--, und des BFH vom 19. Dezember 2007 IX B 219/07, BFHE 219, 353, BStBl II 2008, 382).

(2) Die Rechtsanwendung im Streitfall führt auch nicht zu einer verfassungsrechtlich problematischen Rückwirkung, weil der Kläger die Anteile an der S 1 ursprünglich zu einer Zeit erwarb, als noch die sechsmonatige Spekulationsfrist galt (vgl. § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b EStG a.F., § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. § 52 Abs. 39 EStG i.d.F. des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 vom 24. März 1999, BGBl I 1999, 402). Abgesehen davon, dass es hier nicht auf den Anteilskauf im März 1999 ankommt, weil der hier maßgebliche Anschaffungsvorgang mit der Verschmelzung erst im Dezember 1999 stattfand, ist der Kläger in seinem Vertrauen selbst dann nicht schutzwürdig, wenn man auf den Erwerb der Anteile an S 1 als der maßgebenden Disposition abstellte. Denn nach dem Senatsbeschluss vom 16. Dezember 2003 IX R 46/02 (BFHE 204, 228, BStBl II 2004, 284, unter B. III. 4. c bb (2) und öfter) ist das Vertrauen in die alte Spekulationsfrist noch nicht durch den Ablauf der Spekulationsfrist zu einem Vertrauen in die "Steuerentstrickung" erstarkt, wenn die Spekulationsfrist --wie unstreitig im vorliegenden Fall-- zum Zeitpunkt der Gesetzesänderung noch nicht abgelaufen war.

c) Die Sache ist wegen des am 8. August 2007 erlassenen Änderungsbescheides in Bezug auf die Höhe des Veräußerungsgewinns noch nicht spruchreif, so dass der Senat sie nach § 127 FGO an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverweist: Das FA hat im Änderungsbescheid den Veräußerungspreis (5 125 000 €) als Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften erfasst, ohne die Anschaffungskosten (2 050 €) abzuziehen und eventuelle Veräußerungskosten zu berücksichtigen. Das FG musste hierzu keine Feststellungen treffen, weil im Einkommensteuerbescheid, über den es entschieden hat, ein um 5 Mio. DM zu gering ausgewiesener Gewinn erfasst worden war. Diese Kompensationsmöglichkeiten hat der erkennende Senat nicht mehr. Deshalb muss in einer neuen Verhandlung und Entscheidung geklärt werden, in welcher Höhe der Veräußerungsgewinn entstanden ist.

Ende der Entscheidung

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