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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 29.01.1999
Aktenzeichen: V B 112/97
Rechtsgebiete: AO 1977, FGO, UStG 1980, ZPO


Vorschriften:

AO 1977 § 69
AO 1977 § 34
AO 1977 § 40
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1
FGO § 115 Abs. 1 Nr. 3
FGO § 76 Abs. 1
FGO § 96 Abs. 1
FGO § 81 Abs. 1
FGO § 115 Abs. 3 Satz 3
UStG 1980 § 3
ZPO § 415 ff.
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe

I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) war Geschäftsführer der P-GmbH, die mit Gold handelte. Die P-GmbH hatte nach den Feststellungen des Finanzgerichts (FG) aus Rechnungen des inzwischen verstorbenen S und weiterer Personen (A, C, E) Umsatzsteuern im Jahr 1981 und im Jahr 1982 in ihren Umsatzsteuer-Voranmeldungen als Vorsteuern abgezogen. Das Landgericht (LG) K hatte in einer Strafsache wegen Goldschmuggels gegen B u.a. festgestellt, daß der Kläger von B geschmuggeltes Gold für die P-GmbH gekauft und an Scheideanstalten (steuerpflichtig) verkauft habe. Das LG R hatte S wegen Steuerhinterziehung verurteilt, weil er an die P-GmbH Rechnungen über Edelmetallieferungen ausgestellt und begeben habe, ohne daß die abgerechneten Waren geliefert worden seien.

Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) vertrat nach einer Steuerfahndungsprüfung die Auffassung, daß den von A, C und E ausgestellten Rechnungen keine wirklichen Lieferungen zugrunde lagen. Es habe sich bei diesen und den Rechnungen des S um "Scheinrechnungen" gehandelt, mit denen der Goldschmuggel habe verdeckt werden sollen.

Das FA machte den Kläger durch Bescheid vom 4. August 1988 wegen der von der P-GmbH zu Unrecht abgezogenen Vorsteuerbeträge gemäß § 69 i.V.m. § 34 der Abgabenordnung (AO 1977) haftbar. Sein Einspruch hatte nach der Einspruchsentscheidung vom 14. Mai 1991 keinen Erfolg.

Die dagegen gerichtete Klage wies das FG aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 15. Mai 1997 ab. Die Revision wurde nicht zugelassen.

Mit der Beschwerde begehrt der Kläger die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) und wegen Verfahrensmängeln (§ 115 Abs. 1 Nr. 3 FGO).

Nach Ansicht des Klägers hat die Sache grundsätzliche Bedeutung, weil das FG in der Vorentscheidung nicht erkannt habe, daß den Goldgeschäften Reihenlieferungen zugrundegelegen hätten, daß nach § 3 des Umsatzsteuergesetzes 1980 (UStG) und nach § 40 AO 1977 ein Vorsteuerabzug auch bei verbotswidriger Tätigkeit gegeben und daß die Festsetzungsfrist abgelaufen sei.

Die Revision sei außerdem zuzulassen, wie der Kläger weiter ausführt, weil die Vorentscheidung auf Verfahrensfehlern beruhe.

Das FG habe gegen § 76 Abs. 1 FGO und gegen § 96 Abs. 1 FGO verstoßen, weil es den Inhalt der Akten nicht ausgeschöpft habe; denn es habe die Strafurteile des LG R und des LG K verwertet, ohne die Akten förmlich beizuziehen und Akteneinsicht zu gewähren. Darin liege auch ein Verstoß gegen den Grundsatz der unmittelbaren Beweiserhebung (§ 81 Abs. 1 FGO), weil es die Verantwortung für die Beweiswürdigung einem anderen Gericht überlassen habe. So habe das FG die Feststellung im Urteil des LG K übernommen, daß B geschmuggeltes Gold an den Kläger bzw. die P-GmbH verkauft und S die Rechnungen geliefert habe. Das Urteil des FG lasse aber nicht erkennen, welche einzelnen Feststellungen es sich zu eigen gemacht habe. Durch die Stellung von Beweisanträgen habe der Kläger zu erkennen gegeben, daß er mit der Verwertung der Beweisaufnahme eines dritten Gerichts nicht einverstanden gewesen sei. Das FG habe die Beweisanträge nicht als unsubstantiiert zurückweisen dürfen. Die dafür gegebene Begründung, die Zeugen seien vorbestraft, reiche dafür nicht aus. Schließlich habe das FG bei der Beweiswürdigung Denkgesetze und allgemeine Erfahrungssätze nicht beachtet.

Der Kläger beantragt, die Revision zuzulassen.

Das FA ist der Beschwerde entgegengetreten.

Der Vorsitzende Richter des erkennenden Senats beim FG hat dienstlich versichert, daß die dem Beschwerdegericht nachträglich übersandte Kopie des Urteil des LG K (auszugsweise) bei der mündlichen Verhandlung vor dem FG am 15. Mai 1997, bei der Urteilsfindung und bei der Urteilsberatung vorgelegen und daß sie der damalige Prozeßbevollmächtigte des Klägers am 9. Mai 1997 mit den Akten eingesehen habe.

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde hat keinen Erfolg.

1. Soweit der Kläger Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) begehrt, ist die Beschwerde unzulässig. Sie genügt insoweit nicht den Anforderungen, die § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO an die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache stellt.

Der Kläger hat nicht eindeutig und schlüssig dargetan, welche Rechtsfrage im allgemeinen Interesse des Rechts in dem angestrebten Revisionsverfahren klärbar und klärungsbedürftig sein soll und in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchen Gründen sie umstritten ist (ständige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs --BFH--, z.B. Beschlüsse vom 30. Juni 1998 III B 232/95, BFH/NV 1999, 59, und vom 12. Dezember 1997 XI B 54/97, BFH/NV 1998, 614). Vielmehr beschränkt sich die Begründung der Beschwerde insoweit darauf auszuführen, daß das FG den Streitfall falsch entschieden habe, weil es Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug fehlerhaft beurteilt habe. In dem angestrebten Revisionsverfahren könnte somit nur die Rechtsanwendung im Einzelfall geprüft, aber keine Rechtsfrage geklärt werden, die darüber hinaus klärbar und klärungsbedürftig ist.

2. Auch soweit die Beschwerde die Zulassung der Revision wegen eines Verfahrensmangels (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) begehrt, hat sie keinen Erfolg. Die Beschwerdeschrift entspricht nicht den Anforderungen, die § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO an die Bezeichnung des Verfahrensmangels stellt und geht außerdem von Voraussetzungen aus, die nicht gegeben sind.

a) Mit dem Vorbringen, das FG habe bei der Bewertung des Beweisergebnisses gegen Denkgesetze und allgemeine Erfahrungssätze verstoßen, wird kein Verfahrensmangel, sondern ein Verstoß gegen sachliches Recht bezeichnet (vgl. BFH-Beschluß vom 18. Juni 1998 XI B 88/97, BFH/NV 1999, 57). Mit der Verfahrensbeschwerde können nur Fehler gerügt werden, die das FG bei der Handhabung seines Verfahrens begeht und die zur Folge haben, daß es an einer ordnungsgemäßen Grundlage für die Entscheidung im Urteil fehlt (BFH-Beschlüsse vom 27. Februar 1986 IV B 6/85, BFHE 146, 204, BStBl II 1986, 492; vom 10. November 1987 V B 19/85, BFH/NV 1988, 448). Denkgesetze oder (allgemeine) Erfahrungssätze enthalten --wie Rechtssätze-- Obersätze des richterlichen Syllogismus, an denen die im Einzelfall festgestellten Tatsachen gemessen werden (vgl. dazu auch BFH-Beschluß vom 11. Februar 1991 V B 13/89, BFH/NV 1992, 668).

b) Soweit der Kläger rügt, das FG habe es unterlassen, die erwähnten Strafakten beizuziehen, den Akteninhalt vollständig auszuwerten und Beweise zu erheben, macht er einen Verfahrensmangel durch Verletzung von § 76 Abs. 1 FGO geltend. Die Rüge genügt jedoch nicht den Anforderungen, die § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO an die Bezeichnung des Verfahrensmangels stellt.

Wer einen Verstoß des FG gegen die Amtsermittlungspflicht (§ 76 Abs. 1 FGO) wegen unvollständiger Auswertung des Akteninhalts und wegen unterlassener Beweiserhebung rügt, muß nach § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO in der Beschwerdebegründung bezeichnen (vgl. BFH-Beschluß vom 4. Juni 1998 VII B 67/98, BFH/NV 1999, 54, m.w.N.), welche weitere Aufklärung sich dem FG --nach dessen maßgebender sachlich-rechtlicher Auffassung-- von Amts wegen hätte aufdrängen müssen (BFH-Beschluß vom 19. Juni 1998 IX B 13/98, BFH/NV 1999, 58), welche Tatsachen aufklärungsbedürftig waren, welche Beweise das FG zu welchem Beweisthema nicht erhoben hat, weshalb ein entsprechender Beweisantrag nicht in der letzten mündlichen Verhandlung vor dem FG gestellt worden ist und inwieweit die als unterlassen gerügte Sachverhaltsaufklärung und Beweisaufnahme zu einer anderen Entscheidung des FG hätte führen können.

Die Beschwerdeschrift enthält dazu keine näheren Angaben. Insbesondere wird nicht dargelegt, daß der in der mündlichen Verhandlung am 15. Mai 1997 vor dem FG fachkundig vertretene Kläger die Sachaufklärung beantragt hat, deren Unterlassung er als Verfahrensmangel rügt. Ausweislich der Sitzungsniederschrift (§ 94 FGO i.V.m. § 160 Abs. 4 der Zivilprozeßordnung --ZPO--) sind weder Beweisanträge gestellt worden noch ist eine weitere Sachverhaltsaufklärung angeregt worden.

Das gilt auch für die Rüge, daß das FG die Akten der Strafsachen, deren Urteile das FG ausgewertet habe, nicht beigezogen habe. Dazu hätte der Kläger darlegen müssen, welche Aufschlüsse aus diesen Akten voraussichtlich zu gewinnen gewesen wären (vgl. dazu BFH-Beschluß vom 27. Januar 1995 X B 144/94, BFH/NV 1995, 784 zu 3. a).

Hinzu kommt, daß die Darlegung, es sei keine Akteneinsicht gewährt worden, nicht zutrifft. Der damalige Prozeßbevollmächtigte des Klägers (Rechtsanwalt M) hat am 9. Mai 1997 Akteneinsicht genommen, 167 Kopien gefertigt und weitere ihm überlassene Akten mit Schreiben vom 13. Mai 1997 zurückgegeben. In den Akten befanden sich auch Ablichtungen der erwähnten Strafurteile. Um so mehr hatte der durch einen Rechtsanwalt vertretene Kläger Anlaß, substantiierte Anträge zur Sachverhaltsaufklärung zu stellen (vgl. auch BFH-Beschluß vom 3. November 1981 VII R 46/79, Juris Dok).

c) Der Kläger rügt schließlich ohne Erfolg einen Verstoß des FG gegen § 96 Abs. 1 FGO. Die Rüge, das FG habe bei seiner Beweiswürdigung unbeachtet gelassen, daß er, der Kläger, eigene Beweisanträge gestellt, denen das FG nicht entsprochen habe, genügt nicht den Anforderungen (vgl. dazu BFH-Beschluß vom 2. Juni 1998 XI B 83/97, BFH/NV 1999, 53, m.w.N.). Rügt ein Beschwerdeführer die Nichterhebung eines angebotenen Beweises, muß er u.a. die ermittlungsbedürftigen Tatsachen, die dafür geeigneten Beweisthemen und Beweismittel nennen, die das FG zusätzlich hätte heranziehen müssen. Er muß außerdem die entscheidungserheblichen Tatsachen bezeichnen, die sich daraus über den festgestellten Sachverhalt hinaus ergeben hätten sowie das Ergebnis darlegen, das die Beweiserhebung gehabt hätte (BFH-Urteil vom 14. Januar 1981 I R 133/79, BFHE 132, 508, BStBl II 1981, 443).

Der Kläger hat die von ihm erwähnten Beweisanträge nicht näher bezeichnet und nicht erläutert, welches Beweisergebnis mit welchen Auswirkungen auf die Entscheidung dadurch erzielbar gewesen wäre.

Im übrigen ergibt sich aus dem Zusammenhang, daß das FG aufgrund einer eigenen Beweiswürdigung zu der Überzeugung gelangt ist, daß die Feststellungen in dem Urteil des LG K zutrafen, wonach die Rechnungen des S an die P-GmbH keine entsprechenden Lieferungen des S beurkundeten. Das FG hatte diese Überzeugung aufgrund des Geständnisses von S vor dem LG R und aufgrund der Zeugenaussagen vor dem erkennenden Senat des FG erlangt. Es hat sie an den Aussagen anderer Zeugen gemessen, den Schriftwechsel einbezogen und die übrigen Umstände beachtet.

Das FG war auch berechtigt, die erwähnten strafgerichtlichen Urteile bei der Bildung seiner Überzeugung von dem tatsächlichen Geschehen und bei der Wertung der Ereignisse zu berücksichtigen. Es durfte die tatsächlichen Feststellungen aus den Strafurteilen verwerten. Nach feststehender Rechtsprechung des BFH kann sich ein FG die tatsächlichen Feststellungen eines in das finanzgerichtliche Verfahren eingeführten Strafurteils zu eigen machen, es sei denn die Beteiligten erheben gegen die strafgerichtlichen Feststellungen substantiierte Einwendungen und stellen entsprechende Beweisanträge, die das FG nach den allgemeinen für die Beweiserhebung geltenden Grundsätzen nicht unbeachtet lassen kann (z.B. BFH-Beschluß vom 18. September 1997 X B 92/96, BFH/NV 1998, 472; Urteil vom 13. Juli 1994 I R 112/93, BFHE 175, 489, BStBl II 1995, 198; Beschlüsse vom 17. Dezember 1991 VIII B 163/91, BFH/NV 1992, 612; vom 1. August 1991 VII B 31/91, BFH/NV 1992, 257; vom 5. Mai 1989 V B 49/88, BFH/NV 1990, 300). Das FG ist auch nicht gehindert, Feststellungen aus einem Strafurteil in einem Verfahren zu berücksichtigen, an dem der Betroffene des finanzgerichtlichen Verfahrens nicht beteiligt war (BFH-Urteil vom 26. April 1988 VII R 124/85, BFHE 153, 463, Steuerrechtsprechung in Karteiform, Finanzgerichtsordnung, § 81, Rechtsspruch 13).

Das FG war aber nicht verpflichtet, für seine Überzeugungsbildung die Akten des Strafverfahrens beizuziehen. Anhaltspunkte, daß darin für das finanzgerichtliche Verfahren entscheidungserhebliche Tatsachen hätten enthalten sein können, hat der Kläger nicht bezeichnet.

Die Urteile des LG K und des LG R hatte das FG ordnungsgemäß in das Verfahren eingeführt. Ausweislich der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 15. Mai 1997 waren die Urteile des LG K gegen B Gegenstand der Verhandlung. Das Urteil des LG R vom 21. Februar 1983 gegen S hatte das FA als Anlage 2 der Klageerwiderung vom 23. März 1992 beigefügt. Der Kläger hatte die Klageerwiderung zur Kenntnis und Stellungnahme durch Sendung vom 27. März 1992 erhalten. Im übrigen lagen die Urteile dem damaligen Prozeßbevollmächtigten bei der erwähnten Akteneinsicht am 9. Mai 1997 vor.

Somit durfte das FG ohne Verfahrensverstoß die Beweisergebnisse der erwähnten Gerichtsverfahren im Wege des Urkundenbeweises in den Prozeß einführen (vgl. BFH-Urteile in BFHE 153, 463; vom 23. Januar 1985 I R 30/81, BFHE 143, 117, BStBl II 1985, 305). Es konnte auch die Niederschriften über die Vernehmungen der Zeugen in dem Verfahren ... gegen die P-GmbH wegen Umsatzsteuer 1980 bis 1982 auswerten (vgl. §§ 81, 82 FGO i.V.m. § 415 ff. ZPO), weil diese Akten Gegenstand der mündlichen Verhandlung vom 17. Mai 1997 waren (Sitzungsniederschrift) und dem Klägervertreter vorher bei der Akteneinsicht am 9. Mai 1997 vorlagen.

Das FG hat auch nicht gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme verstoßen; denn es hat Beweise selbst durch Vernehmung von Zeugen erhoben und hat das FG ... um Zeugenvernehmung ersucht. Es hat daher, soweit Zeugen nicht von ihrem Recht auf Zeugnisverweigerung Gebrauch gemacht hatten oder unbekannt verzogen waren, die möglichen Beweise erhoben.

Im übrigen ergeht die Entscheidung ohne weitere Begründung.

Ende der Entscheidung

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