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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 07.09.2007
Aktenzeichen: V B 119/07
Rechtsgebiete: UStG, FGO


Vorschriften:

UStG § 4 Nr. 9 Buchst. b n.F.
FGO § 69 Abs. 2 Satz 2
FGO § 69 Abs. 3 Satz 1
FGO § 128 Abs. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Die Antragstellerin und Beschwerdegegnerin (Antragstellerin) ist eine GmbH. Gegenstand ihres Unternehmens ist der Betrieb von Geldspielautomaten.

Mit ihrer Umsatzsteuervoranmeldung für das III. Kalendervierteljahr 2006 vom 24. Oktober 2006 erklärte die Antragstellerin steuerpflichtige Umsätze von 47 199 € und Vorsteuerbeträge von 3 333,97 €. Sie ermittelte eine Umsatzsteuervorauszahlung von 4 218 €.

Gleichzeitig legte die Antragstellerin gegen diese Umsatzsteuervoranmeldung unter Beifügung einer berichtigten Umsatzsteuervoranmeldung Einspruch ein und beantragte Aussetzung der Vollziehung (AdV). In der berichtigten Umsatzsteuervoranmeldung behandelte sie die Umsätze aus Geldspielgeräten als steuerfrei. Aufgrund der dadurch verminderten abziehbaren Vorsteuerbeträge ermittelte sie einen verbleibenden Überschuss zu ihren Gunsten von 12,54 €.

Mit Verfügung vom 26. Oktober 2006 lehnte der Antragsgegner und Beschwerdeführer (das Finanzamt --FA--) die AdV ab.

Den hiergegen erhobenen Einspruch und den Einspruch gegen die Umsatzsteuervoranmeldung für das III. Kalendervierteljahr 2006 wies das FA mit Einspruchsentscheidungen vom 12. Dezember 2006 als unbegründet zurück.

Gegen die Einspruchsentscheidung betreffend die Umsatzsteuervoranmeldung für das III. Kalendervierteljahr 2006 erhob die Antragstellerin beim Finanzgericht (FG) Klage, über die das FG bisher noch nicht entschieden hat.

Am 22. Dezember 2006 beantragte die Antragstellerin beim FG unter Berufung auf Art. 13 Teil B Buchst. f der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) AdV.

Der Antrag hatte Erfolg. Zur Begründung seines Beschlusses führte das FG im Wesentlichen aus, es bestünden ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Umsatzsteuervoranmeldung. Bei summarischer Prüfung sei zweifelhaft, ob § 4 Nr. 9 Buchst. b des Umsatzsteuergesetzes 2005 (UStG n.F.) i.d.F. des Art. 2 des Gesetzes zur Eindämmung missbräuchlicher Steuergestaltung vom 28. April 2006 (BGBl I 2006, 1095, BStBl I 2006, 353) mit Art. 13 Teil B Buchst. f der Richtlinie 77/388/EWG vereinbar sei. Es sei bisher nicht geklärt und begegne jedenfalls ernsthaften Bedenken, ob die den Mitgliedstaaten in Art. 13 Teil B Buchst. f der Richtlinie 77/388/EWG eingeräumte Befugnis zur Festlegung von Bedingungen und Beschränkungen es ihnen gestatte, sämtliche sonstigen Glücksspiele mit Geldeinsatz --wie durch die Neufassung des § 4 Nr. 9 Buchst. b UStG n.F. geschehen-- von der Steuerfreiheit auszunehmen.

Das FG teile jedoch nicht die Ansicht der Antragstellerin, die in Art. 13 Teil B Buchst. f der Richtlinie 77/388/EWG enthaltene Befugnis zur Festlegung von Bedingungen und Beschränkungen sei gewerberechtlich zu verstehen. Die Bestimmung ermächtige vielmehr die Mitgliedstaaten, bestimmte Formen des Glücksspiels von der Steuerfreiheit auszunehmen, wobei jedoch der Grundsatz der steuerlichen Neutralität zu wahren sei.

Ernstlich zweifelhaft sei, ob sich der deutsche Gesetzgeber mit der Ausdehnung der Steuerpflicht auf sämtliche sonstigen Glücksspiele mit Geldeinsatz noch innerhalb des ihm durch das Gemeinschaftsrecht gewährten Gestaltungsspielraums bewege. Nach Art. 13 Teil B Buchst. f der Richtlinie 77/388/EWG seien neben Wetten und Lotterien auch sonstige Glücksspiele mit Geldeinsatz grundsätzlich von der Umsatzsteuer befreit. Hingegen beschränke § 4 Nr. 9 Buchst. b UStG n.F. die Steuerbefreiung auf die unter das Rennwett- und Lotteriegesetz fallenden Umsätze. Sonstige Glücksspiele mit Geldeinsatz würden hingegen ausnahmslos besteuert. Entgegen der Richtlinienregelung würde die Besteuerung von Glücksspielen damit zum von wenigen Ausnahmen durchbrochenen Regelfall. Die Bestimmung des Art. 13 Teil B Buchst. f der Richtlinie 77/388/EWG könnte so zu verstehen sein, dass die Gesamtheit der "sonstigen Glücksspiele mit Geldeinsatz" nicht insgesamt der Umsatzsteuer unterworfen werden dürfe. Aus dem Grundsatz, dass die in Art. 13 der Richtlinie 77/388/EWG normierten Steuerbefreiungen --nicht hingegen deren Ausnahmen-- eng auszulegen seien, könnte dagegen auch zu folgern sein, dass der den Mitgliedstaaten eingeräumte Gestaltungsspielraum, Ausnahmen von einer gemeinschaftsrechtlich geregelten Steuerbefreiung vorzusehen, eher weit zu fassen sei.

Hiergegen richtet sich die vom FG zugelassene Beschwerde des FA. Es trägt im Wesentlichen vor, es beständen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Umsatzsteuervoranmeldung der Antragstellerin für das III. Kalendervierteljahr 2006 vom 24. Oktober 2006. Die AdV komme daher nicht in Betracht. § 4 Nr. 9 Buchst. b UStG n.F. verstoße nicht gegen Art. 13 Teil B Buchst. f der Richtlinie 77/388/EWG. Die Bestimmung räume den Mitgliedstaaten die Befugnis ein, Art und Umfang der Steuerbefreiung in den Grenzen des Neutralitätsgrundsatzes selbst zu bestimmen. Die Mitgliedstaaten seien nicht verpflichtet, sämtliche Glücksspiele mit Geldeinsatz steuerfrei zu stellen, sie dürften allerdings auch nicht sämtliche Glücksspiele mit Geldeinsatz besteuern. Der den Mitgliedstaaten durch Art. 13 Teil B Buchst. f der Richtlinie 77/388/EWG eingeräumte Gestaltungsspielraum ermögliche es, festgelegte Formen des Glücksspiels mit Umsatzsteuer zu belegen. Der umsatzsteuerliche Neutralitätsgrundsatz gebiete den Mitgliedstaaten, die Befugnis zur Einschränkung der Umsatzsteuerbefreiung so auszuüben, dass gleichartige und miteinander in Wettbewerb stehende Glücksspielumsätze umsatzsteuerlich gleich behandelt würden.

Der Neutralitätsgrundsatz verbiete jedoch nicht die Besteuerung bestimmter Glücksspielumsätze, sofern alle gleichartigen Glücksspielumsätze erfasst würden. Die Beschränkung der Umsatzsteuerbefreiung durch § 4 Nr. 9 Buchst. b UStG n.F. auf solche Glücksspiele, die der Rennwett- und Lotteriesteuer unterliegen, liege im Bereich des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums. Das Argument, hierdurch würde die überwiegende Mehrzahl der Glücksspiele mit Geldeinsatz der Umsatzsteuer unterworfen, und damit der Gestaltungsspielraum, den die Bestimmung des Art. 13 Teil B Buchst. f der Richtlinie 77/388/EWG den einzelnen Mitgliedstaaten einräume, in sein Gegenteil verkehrt, sei nicht tragfähig. Zum einen repräsentierten die unter das Rennwett- und Lotteriegesetz fallenden Umsätze einen wesentlichen Teil der inländischen Glücksspielumsätze. Zum anderen sei der Grundsatz zu beachten, dass jede Dienstleistung, die ein Steuerpflichtiger gegen Entgelt erbringe, der Umsatzsteuer unterliege. Davon ausgehend entspreche es dem Ziel der Richtlinie 77/388/EWG, auch Glücksspiele mit Geldeinsatz der Umsatzsteuer zu unterwerfen. Über die Ausnahmeregelung des Art. 13 Teil B Buchst. f der Richtlinie 77/388/EWG sei zugelassen worden, diesen Bereich von der Umsatzsteuer zu befreien. Die Öffnungsklausel in der Bestimmung erlaube aber gleichsam im Wege einer Rückausnahme, den Steuerbefreiungstatbestand wieder einzuschränken.

Das FA beantragt sinngemäß,

den Beschluss des FG Düsseldorf vom 14. Mai 2007 1 V 5056/06 A (U) aufzuheben und den Antrag abzulehnen.

Die Antragstellerin hat sich hierzu nicht geäußert.

II. Die gemäß § 128 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) statthafte Beschwerde des FA ist unbegründet und daher zurückzuweisen. Die AdV des angefochtenen Verwaltungsaktes durch das FG ist nicht zu beanstanden.

1. Das Gericht der Hauptsache kann gemäß § 69 Abs. 3 Satz 1 FGO die Vollziehung eines Verwaltungsaktes ganz oder teilweise aussetzen. Gemäß § 69 Abs. 3 Satz 1 und Abs. 2 Satz 2 FGO soll die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes auf Antrag u.a. dann ausgesetzt werden, wenn ernstliche Zweifel an dessen Rechtmäßigkeit bestehen (vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 6. März 2000 V B 170/99, BFH/NV 2000, 1147).

Ernstliche Zweifel in diesem Sinne sind anzunehmen, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Verwaltungsaktes im Aussetzungsverfahren neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Gründen gewichtige, gegen sie sprechende Umstände zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der entscheidungserheblichen Rechtsfragen bewirken oder Unklarheiten in der Beurteilung der Tatfragen aufwerfen. Ernstliche Zweifel können danach auch bestehen, wenn die streitige Rechtsfrage höchstrichterlich noch nicht entschieden wurde und im Schrifttum oder auch in der Rechtsprechung der Finanzgerichte unterschiedliche Auffassungen vertreten werden (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 18. Oktober 1989 IV B 149/88, BFHE 158, 426, BStBl II 1990, 71; in BFH/NV 2000, 1147; Birkenfeld in Hübschmann/Hepp/Spitaler --HHSp--, § 69 FGO Rz 311, m.w.N.; Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 69 Rz 87).

Die AdV setzt nicht voraus, dass die für die Rechtswidrigkeit sprechenden Gründe überwiegen (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 6. Juni 2002 V B 110/01, BFHE 199, 55, BFH/NV 2002, 1267, unter II. 1., m.w.N., und vom 25. November 2005 V B 75/05, BFHE 212, 176, BStBl II 2006, 484).

2. Nach diesen Grundsätzen sind im Streitfall ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes zu bejahen.

Das FG hat zutreffend ausgeführt, dass der BFH bislang zu der streitigen und entscheidungserheblichen Rechtsfrage noch nicht entschieden hat, ob § 4 Nr. 9 Buchst. b UStG n.F. mit der Richtlinienbestimmung des Art. 13 Teil B Buchst. f der Richtlinie 77/388/EWG insoweit vereinbar ist, als er "sonstige Glücksspiele mit Geldeinsatz" im Sinne der Richtlinienbestimmung von der Steuerbefreiung ausnimmt. Diese Rechtsfrage war im Gesetzgebungsverfahren und ist im Schrifttum umstritten. Das Für und Wider hat das FG dargelegt (die Richtlinienkonformität bejahen: Entwurf eines Zwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes, BTDrucks 15/5558, Gegenäußerung der Bundesregierung, BTDrucks 15/5812; Gesetzesentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Eindämmung missbräuchlicher Steuergestaltung, BTDrucks 16/634, 11, Begründung II. Besonderer Teil, zu Art. 2; Entwurf eines Gesetzes zur Eindämmung missbräuchlicher Steuergestaltung, BTDrucks 16/634, Gegenäußerung der Bundesregierung zur Stellungnahme des Bundesrates, BTDrucks 16/749, zu den Nrn. 5 bis 7; Klenk in Rau/ Dürrwächter, Umsatzsteuergesetz, § 4 Nr. 9 Rz 133.2, a.E.; Huschens in Vogel/Schwarz, UStG, § 4 Nr. 9 Rz 14 und 15j; Dziadkowski, Internationales Steuerrecht --IStR-- 2006, 685, 688; derselbe, der Umsatz-Steuer-Berater --UStB-- 2007, 16; Jahndorf/Oellerich, Umsatzsteuer-Rundschau 2007, 457. Die Richtlinienkonformität verneinen: Stellungnahme des Bundesrates, Entwurf eines Zwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes, BRDrucks 326/05, Stellungnahme des Bundesrates, Entwurf eines Gesetzes zur Eindämmung missbräuchlicher Steuergestaltung, BRDrucks 937/05, Nr. 5, zu Art. 2 Nr. 1; dem folgend Thill/Puls, UStB 2006, 166, 168 ff.; P. Weymüller in Hartmann/Metzenmacher, Umsatzsteuergesetz, E § 4 Nr. 9 Rz 211 ff.). Ferner hat das FG Aussagen aus den Schlussanträgen zu einschlägigen Verfahren des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften berücksichtigt und seine Zweifel darauf gestützt.

Dies genügt für die Annahme ernstlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes (vgl. Birkenfeld in HHSp, § 69 FGO Rz 311, sowie Korf, IStR 2007, 519 - Anm. zum Beschluss des FG Düsseldorf vom 27. März 2007 5 V 4521/06 A(U)).

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