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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 18.07.2001
Aktenzeichen: V B 198/00
Rechtsgebiete: FGO, EStG, UStG, UStG 1993, UStDV


Vorschriften:

FGO § 69
EStG § 41 Abs. 2
UStG § 18 Abs. 8
UStG 1993 § 2
UStDV §§ 51 ff.
UStDV § 52 Abs. 2
UStDV § 51 Abs. 1 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Die Antragstellerin und Beschwerdegegnerin (Antragstellerin) ist als Besitzgesellschaft Organträgerin der Bauunternehmung GmbH.

Diese hatte mit der vom Antragsgegner und Beschwerdeführer (Finanzamt --FA--) als Domizilgesellschaft bezeichneten D Bau Ltd. (Ltd.) die "Erbringung von Maurerarbeiten" vereinbart.

Die Ltd. war im Companies Registration Office in Cardiff (Großbritannien) mit dem Certificate Incorporation of a private Limited Company eingetragen. Nach einer beim Bundesamt für Finanzen (BfF) eingeholten Auskunft hatte die Ltd. nur ihren formellen Sitz in Großbritannien; an dem angegebenen Sitz A, sowie unter dem bis Juli 1994 angegebenen Sitz B sollen keinerlei wirtschaftliche Aktivitäten ausgeübt worden sein; ein Büro sowie ein Telefonanschluss seien weder im Haftungszeitraum noch später dort vorhanden gewesen. Es konnten auch keine Mitarbeiter am jeweiligen Sitz der Ltd. festgestellt werden. Das eingezahlte Stammkapital der Ltd. beträgt lediglich 2 GBP. Der Geschäftsführer, C, ist als Geschäftsführer ähnlicher Gesellschaften bekannt.

Sie wurde lohnsteuerlich vom 1. Januar 1995 bis 1. Juli 1997 beim FA E als Betriebsstätte i.S. von § 41 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) erfasst. Für diesen Zeitraum wurden beim FA E von einem Steuerberater monatlich Lohnsteueranmeldungen eingereicht, der bei dem Versuch, eine Lohnsteuerprüfung durchzuführen, sein Mandant niedergelegt hat. Die Anzahl der beschäftigten Arbeitnehmer wurde auf den Steueranmeldungen mit 70 Personen angegeben.

Das Landesarbeitsamt ... ging davon aus, dass die Ltd. eine rechtswidrige gewerbsmäßige Arbeitnehmerüberlassung betrieb und erließ gegen sie einen sog. Verfallbescheid. Demgemäß erging auch gegen die GmbH nach einer Baustellenbesichtigung des Arbeitsamtes ... ein Bußgeldbescheid wegen 25 fahrlässiger Verstöße gegen Art. 1 § 1 Abs. 1 des Gesetzes zur Regelung der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung i.V.m. Art. 1 § 16 Abs. 1 Nr. 1a des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG) und § 30 Abs. 4 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten (OWiG). Gegen den Bußgeldbescheid legte die Antragstellerin Einspruch ein. Das Bußgeldverfahren wurde zwischenzeitlich eingestellt.

Nach den Einlassungen der Antragstellerin hatte die GmbH mit der Ltd. über eine niederländische Kooperationsadresse (H Ltd.) Kontakt aufgenommen.

In schriftlichen Verträgen vom 31. Januar 1995 und 3. Februar 1995 hatte die GmbH mit der Ltd. eine Vergütung von 510 000 DM vereinbart. Nach den Feststellungen einer Lohnsteueraußenprüfung hat die GmbH für die insoweit erbrachten Fremdleistungen Zahlungen in Höhe von insgesamt 453 917,78 DM (in 1995: 364 552,35 DM, in 1996: 80 365,43 DM und in 1997: 9 000 DM) geleistet. In Rechnung gestellt worden waren insgesamt 503 912,43 DM; aufgrund von Nachlässen, sonstigen Kürzungen und Sicherheitseinbehalt für Gewährleistungen wurden tatsächlich jedoch nur 453 917,78 DM gezahlt. Die Abrechnung der erbrachten Leistungen erfolgte weitgehend nach Aufmaß; gesondert aufgelistet waren im Vorfeld vereinbarte Regiearbeiten in Höhe von 45 DM/Std.

Die Zahlungen erfolgten durch die Aushändigung von Barschecks an einen Herrn G aus Holland. Für Herrn G liegt eine schriftliche Inkassovollmacht vor, die von einem Herrn K unterschrieben war, dessen Beziehungen zur Ltd. unklar sind. Die Einlösung der Barschecks erfolgte zeitnah nach Aushändigung zur Auszahlung der auf den Baustellen tätigen Arbeiter.

Aufgrund dieses Sachverhalts nahm das FA die Antragstellerin wegen Umsatzsteuer 1995 unter Berufung auf § 55 der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung 1993 (UStDV) in Haftung. Das FA beurteilte die britische Ltd. nicht als Unternehmerin i.S. des § 2 des Umsatzsteuergesetzes 1993 (UStG), sondern ging davon aus, dass als leistender Unternehmer nicht benannte Hintermänner der Ltd. anzusehen seien. Es hat hieraus gefolgert, dass für den Fall des Steuerausweises in den Rechnungen der Ltd. die Antragstellerin keinen Vorsteuerabzug hätte geltend machen können, so dass die die Haftung ausschließende Regelung des § 52 Abs. 2 UStDV (Nullregelung) nicht eingreife. Die Antragstellerin sei deshalb verpflichtet gewesen, die von den Hintermännern geschuldete Umsatzsteuer einzubehalten und abzuführen; für diese Steuer hafte sie. Den Haftungsbetrag setzte das FA auf 15 v.H. der im Jahre 1995 geleisteten Zahlungen (364 552 DM) fest (Haftungsbescheid vom 16. Juni 1999 i.d.F. der Einspruchsentscheidung vom 24. Februar 2000).

Die Antragstellerin hat gegen den Haftungsbescheid i.d.F. der Einspruchsentscheidung Klage erhoben, über die das Finanzgericht (FG) noch nicht entschieden hat. Nach Zurückweisung eines Antrags auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) des Haftungsbescheids durch das FA hat die Antragstellerin beim FG die AdV beantragt. Dieser Antrag hatte Erfolg; das FG setzte die Vollziehung bis zur Bestandskraft des Bescheids, längstens jedoch bis zum Ablauf eines Monats nach Zustellung eines Urteils im Hauptsacheverfahren aus. Zur Begründung führte das FG aus, es sei bereits ernstlich zweifelhaft, ob --entsprechend der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH)-- an Rechnungen im Abrechnungsverfahren grundsätzlich dieselben Anforderungen zu stellen seien wie im allgemeinen Besteuerungsverfahren und es für die Anwendung der Nullregelung auf die vom FA behauptete fehlende Identität von Rechnungsaussteller und leistendem Unternehmer überhaupt ankomme. Im Übrigen könne auch nicht davon ausgegangen werden, dass die Arbeiter unmittelbar für die Ltd. oder eine von dieser beauftragten Firma, sondern für unbekannte Dritte tätig geworden seien.

Gegen diesen Beschluss hat das FA --die vom FG zugelassene-- Beschwerde eingelegt. Das FA beantragt die Vorentscheidung aufzuheben und den Antrag auf AdV abzuweisen.

Die Antragstellerin ist der Beschwerde entgegengetreten.

II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

1. Das FG hat zu Recht ernstliche Zweifel i.S. des § 69 der Finanzgerichtsordnung (FGO) an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids bejaht. Dabei liegen die Zweifel auf rechtlichem und auf tatsächlichem Gebiet.

2. Wie das FG zutreffend ausgeführt hat, ist es zweifelhaft, welche Bedeutung der Rechnung und der Bestimmbarkeit des leistenden Unternehmens im Abzugsverfahren nach § 18 Abs. 8 UStG, §§ 51 ff. UStDV zukommt.

Nach § 51 Abs. 1 Satz 1 UStDV hat der Leistungsempfänger für die Werklieferungen und die sonstigen Leistungen eines im Ausland ansässigen Unternehmers die Umsatzsteuer einzubehalten und abzuführen. Er haftet für diese Steuer (§ 55 UStDV). Dies gilt aber nicht, wenn der Unternehmer keine Rechnung mit gesondertem Ausweis der Steuer erteilt hat, und der Leistungsempfänger im Fall des gesonderten Ausweises der Steuer den Vorsteuerabzug hinsichtlich dieser Steuer voll in Anspruch nehmen kann (sog. Nullregelung gemäß § 52 Abs. 2 UStDV).

Nach Auffassung des BFH gilt die Nullregelung nicht für "Ohne-Rechnung-Geschäfte". Die bei der Vereinbarung der Nullregelung erteilte Rechnung muss somit nach Auffassung des BFH von dem leistenden Unternehmer ausgestellt worden sein; sie muss die Leistung so genau beschreiben (vgl. § 14 Abs. 4 UStG 1980), dass eindeutig und leicht nachprüfbar beurteilt werden kann, über welche Leistung abgerechnet worden ist. Im Rahmen des Abzugsverfahrens nach §§ 51 ff. UStDV 1980 kann aber darauf verzichtet werden, dass der in der Rechnung bezeichnete leistende Unternehmer eindeutig und leicht nachprüfbar bestimmbar ist. Da die Steuer im Abzugsverfahren nicht beim Rechnungsaussteller und leistenden Unternehmer erhoben wird, hat seine leichte Identifizierbarkeit hier nicht die Bedeutung, die ihr im allgemeinen Besteuerungsverfahren zukommt (vgl. BFH-Urteile vom 11. Dezember 1997 V R 28/97, BFHE 185, 279, BStBl II 1998, 521, und vom 28. Mai 1998 V R 17/97, BFH/NV 1999, 220).

Gegen diese Rechtsprechung wird eingewandt, dass das Abzugsverfahren im Allgemeinen keine Rechnung voraussetzt und dies auch für die Nullregelung des § 52 Abs. 2 UStDV gelten muss (vgl. Stadie in Rau/Dürrwächter, Umsatzsteuergesetz (Mehrwertsteuer), Kommentar, § 18 Anm. 798).

Jedenfalls verstößt die Inanspruchnahme des Leistungsempfängers als Haftungsschuldner für die Umsatzsteuer des leistenden Unternehmers --in Fällen der vorliegenden Art-- gegen den Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer, wenn der Leistungsempfänger die Umsatzsteuer nicht als Vorsteuer abziehen darf. Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) hat in seinem Urteil vom 19. September 2000 Rs. C-454/98, Schmeink & Cofreth und Manfred Strobel (Slg. 2000, I-6973; Umsatzsteuer-Rundschau --UR-- 2000, 470) unter Rn. 59 wörtlich ausgeführt:

"Maßnahmen, die die Mitgliedstaaten nach Artikel 22 Absatz 8 der Sechsten Richtlinie erlassen dürfen, um die genaue Erhebung der Steuer zu gewährleisten und Steuerhinterziehungen zu verhindern, dürfen nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieser Ziele erforderlich ist (Urteil vom 21. März 2000 in den Rechtssachen C-110/98 bis C-147/98, Gabalfrisa u.a., Slg. 2000, I-0000, Randnr. 52). Sie dürfen daher nicht so eingesetzt werden, dass sie die Neutralität der Mehrwertsteuer in Frage stellen, die ein Grundprinzip des durch das einschlägige Gemeinschaftsrecht geschaffenen gemeinsamen Mehrwertsteuersystems darstellt."

Der Senat konnte dieses EuGH-Urteil bei seinen Entscheidungen in BFHE 185, 279, BStBl II 1998, 521 und in BFH/NV 1999, 220 noch nicht berücksichtigen; er wird deshalb nicht umhin kommen, seine Rechtsprechung zu §§ 51 ff. UStDV noch einmal zu überprüfen. Dabei wird auch die Richtlinienkonformität des Abzugsverfahrens untersucht werden müssen.

3. Im Übrigen hat das FG auch zu Recht bezweifelt, dass die streitbefangenen Leistungen von unbekannten Hintermännern der D Bau Ltd. und nicht von dieser ausgeführt wurden.

a) Der vom FA behauptete "Erfahrungssatz, wonach die unter einer Domiziladresse eingetragene oder sonst als Domizilgesellschaft erkennbaren Ltd. im Allgemeinen Geschäftsverkehr regelmäßig keine eigenständige aktive Bedeutung haben, sondern

* diese fast ausnahmslos über Treuhänder gegründet werden und nach ihrem Zweck der Abschirmung der tatsächlich handelnden Unternehmen dienen,

* die im Register eingetragenen Direktoren (Board of Direktors) die Ltd. regelmäßig nicht mit eigener Willensbildung am Wirtschaftsleben beteiligen (keine Entscheidung gesellschaftsinterner oder gesellschaftsexterner Art zur Umsetzung tatsächlicher Handlungen)

* die offiziellen Vertreter der Ltd. regelmäßig Treuhänder oder Rechtsanwälte sind, die mehrere Briefkastenfirmen betreuen,"

ist jedenfalls kein allgemeiner Erfahrungssatz; für die Annahme eines sog. speziellen Erfahrungssatzes (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, § 118 Rz. 21) fehlen Feststellungen.

b) Es gibt auch keinen allgemeinen Rechtssatz, dass Domizilgesellschaften und Ltds. als leistende Unternehmer ausscheiden (vgl. BFH-Urteil vom 21. April 1994 V R 105/91, BFHE 174, 469, BStBl II 1994, 671; Beschluss vom 9. Juli 1998 V B 143/97, BFH/NV 1999, 221). Auch "Strohmänner" kommen als Unternehmer in Betracht; Schuldner der Umsatzsteuer aus einem Leistungsaustausch ist grundsätzlich derjenige, der als leistender Unternehmer nach außen aufgetreten ist; dementsprechend sind auch dem sog. Strohmann Umsätze zuzurechnen, die der sog. Hintermann berechtigterweise im Namen des Strohmanns ausgeführt hat (BFH-Beschluss vom 25. Juni 1999 V B 107/98, BFH/NV 1999, 1649).

Im Streitfall könnte allerdings deshalb etwas anderes gelten, weil die D Bau Ltd. anscheinend in Großbritannien keinerlei wirtschaftliche Aktivitäten ausübte. Dies könnte dafür sprechen, dass sie ihren tatsächlichen Verwaltungssitz in Deutschland hatte und hier nicht als rechtsfähig anzusehen ist (vgl. für liechtensteinische Domizilgesellschaft BFH-Urteil vom 26. April 2001, V R 50/99, Steuer-Eildienst 2001, 469).

Falls es hierauf ankommen sollte, muss die endgültige Entscheidung im Klageverfahren erfolgen.

c) Ein Unternehmer muss zwar in der Lage sein, die in seinem Namen in Rechnung gestellten Umsätze auszuführen; es erscheint aber zweifelhaft, ob er sich hierzu nicht auch der Hilfe Dritter (hier: der niederländischen koppelbazen) bedienen kann.

d) Es mag zwar sein, dass im Streitfall --ähnlich wie in den Rechtssachen Schmeink & Cofreth und Manfred Strobel-- Rechtsverstöße vorliegen. Es ist aber zweifelhaft, ob diese Rechtsverstöße von umsatzsteuerrechtlicher Bedeutung sein können, solange sie nicht das Umsatzsteuerrecht betreffen und das Umsatzsteueraufkommen nicht gefährden (vgl. § 40 der Abgabenordnung --AO 1977-- und EuGH-Urteil in UR 2000, 470).

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