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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 30.07.2009
Aktenzeichen: V B 27/08
Rechtsgebiete: AO, FGO


Vorschriften:

AO § 370 Abs. 1 Nr. 1
FGO § 105 Abs. 2 Nr. 5
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I.

Streitig ist die Rechtmäßigkeit der Festsetzung von Hinterziehungszinsen nach § 235 der Abgabenordnung (AO).

Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) war selbständiger Handelsvertreter. Nach Kündigung seines Vertrages durch seinen Auftraggeber erhielt der Kläger eine Ausgleichszahlung nach § 89b des Handelsgesetzbuches, über die der Kläger unter dem ... April 2001 mit offenem Umsatzsteuerausweis in Höhe von 1 000 000 DM zuzüglich 160 000 DM Umsatzsteuer abrechnete. Auf dem Bankkontoauszug vom 4. Mai 2001 war der Betrag von 1 160 000 DM gutgeschrieben worden. In der von einer Steuerberatungsgesellschaft A abgegebenen und "in Vertretung" durch Rechtsanwalt B unterzeichneten und am 18. Juni 2001 beim Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt --FA--) abgegebenen Voranmeldung für April 2001 wurde der Umsatz von 1 000 000 DM nicht erklärt. Stattdessen führte die Voranmeldung zu einer Erstattung. Die Voranmeldung April 2001 hatte die Steuerberatungsgesellschaft dem Kläger als Doppel oder Ablichtung übersandt.

Am 8. Oktober 2003 ging eine berichtigte Voranmeldung für den Monat Dezember 2001 beim FA ein, in der der bisher nicht berücksichtigte Umsatz nacherklärt wurde. Zur Begründung wurde ausgeführt, die vom Kläger beauftragte Steuerberatungsgesellschaft habe den Umsatz irrtümlich nicht erklärt. Eine Mitarbeiterin habe den auf dem Bankkonto eingegangenen Betrag von 1 160 000 DM auf ein durchlaufendes Konto gebucht, weil sie von einer irrtümlichen Buchung der Bank ausgegangen sei. Das FA ging von einer Selbstanzeige aus und setzte --nachdem im Klageverfahren erstmalig die Rechnung vom ... April 2001 vorgelegt worden war-- durch geänderten Bescheid Hinterziehungszinsen in Höhe von ... EUR fest.

Die hiergegen erhobene Klage begründete der Kläger damit, die fehlerhafte Voranmeldung beruhe auf einem Irrtum, weil die beauftragte Steuerberatungsgesellschaft den Betrag als Fehlbuchung angesehen und auf ein Konto "durchlaufende Posten" gebucht habe. Dies beruhe darauf, dass der Kläger die Rechnung nicht mit übersandt habe, weil er diese irrtümlich nicht in seinem Buchhaltungsordner, sondern in einem Sonderordner abgelegt habe.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage mit der Begründung ab, aufgrund des Gesamtergebnisses des Verfahrens sei es von einer vorsätzlichen Steuerhinterziehung des Klägers nach § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO überzeugt, weil dieser den Umsatz verspätet erklärt habe. Der Kläger habe zumindest billigend in Kauf genommen, dass die Steuerberatungsgesellschaft den fraglichen Umsatz nicht in die Steuererklärung mit aufgenommen habe. Er habe eingeräumt, dass ihm Doppel bzw. Ablichtungen der unzutreffenden Voranmeldungen von der Steuerberatungsgesellschaft übersandt worden seien. Als seit 20 Jahren als Handelsvertreter tätigem auch in umsatzsteuerrechtlichen Dingen erfahrenem Kaufmann habe ihm die Unrichtigkeit der Voranmeldung wegen der Höhe und der Einzigartigkeit der Rechnung vom ... April 2001 auffallen müssen. Wenn der Kläger angebe, die ihm übersandte objektiv unrichtige Voranmeldung nicht geprüft zu haben, liege hierin eine stillschweigende Billigung, dass eventuell aufgetretene Fehler nicht unverzüglich korrigiert wurden. Zudem sei die Nichtprüfung der Voranmeldung vom Kläger nicht nachvollziehbar erläutert worden. Auch bei Prüfung seiner Bankkontoauszüge hätte dem Kläger auffallen müssen, dass (statt der Abbuchung einer hohen Umsatzsteuerschuld) eine Erstattung gutgeschrieben worden war. Dass der Kläger erst im Klageverfahren die Rechnung vorgelegt habe, aus der sich ergab, dass die Rechnungskorrektur nicht erst für den Monat Dezember 2001, sondern bereits für den Monat April 2001 zu erfolgen hatte, runde das Gesamtbild ab, wonach es dem Kläger darum gegangen sei, den wahren Geschehensablauf über mehrere Jahre zu verschleiern. Es liege nicht nur fahrlässiges, sondern zumindest bedingt vorsätzliches Verhalten vor.

Hiergegen wendet sich der Kläger mit der Nichtzulassungsbeschwerde. Die Revision sei zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) zuzulassen. Die Entscheidung des FG sei greifbar gesetzwidrig, willkürlich und geeignet, das Vertrauen in die Rechtsprechung zu beschädigen. Der Rechtsfehler des FG liege darin, dass es zunächst ausgeführt habe, das Verhalten des Klägers verwirkliche den objektiven Tatbestand des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO durch aktives Tun, während es in der weiteren Begründung den Vorsatz des Klägers auf ein Unterlassen nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO beziehe, nämlich die Nichtangabe der in der Rechnung vom ... April 2001 ausgeführten Leistung in der Voranmeldung für April 2001. Die Entscheidung des FG beruhe auch auf diesem Rechtsfehler, da bei Annahme eines Unterlassens die Strafbarkeit nach § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO wegen aktiven Tuns entfalle. Ohne eine derartige Präzisierung werde das Vertrauen der Allgemeinheit in die Rechtsprechung beschädigt. Er, der Kläger, begehre zudem eine Klarstellung des Gerichts, dass durch ihn keine Steuerhinterziehung verwirklicht worden sei.

Zudem sei die Revision wegen eines Verfahrensfehlers zuzulassen, weil das Urteil des FG hinsichtlich eines wesentlichen Streitpunkts nicht mit Gründen versehen sei (Hinweis auf § 119 Nr. 6 FGO). Das FG habe keine hinreichenden Ausführungen zu den wesentlichen Streitpunkten des Tatbeitrages, der Begehungs- und Beteiligungsform gemacht. Es sei nicht auf die Ausführungen des Bevollmächtigten eingegangen, wonach keine Steuerhinterziehung in mittelbarer Täterschaft vorliege, weil ihm, dem Kläger, die Tatherrschaft gefehlt habe. Auch fehlten Feststellungen dazu, welches Unterlassen konkreter Handlungsmöglichkeiten ihm vorgeworfen werde.

II.

Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

1. Die Frage, ob das FG im vorliegenden Einzelfall zu Recht die Voraussetzungen einer Steuerhinterziehung durch vorsätzliche verspätete Erklärung des Umsatzes in Höhe von 1 000 000 DM bejaht hat oder ob von einer nur fahrlässigen fehlerhaften Erklärung auszugehen ist, rechtfertigt keine Zulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung oder zur Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 FGO). Nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO kann eine Revisionszulassung jedoch ausnahmsweise im Individualinteresse "zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung" dann erfolgen, wenn dem FG besonders schwere Fehler bei der Rechtsanwendung unterlaufen sind. Dies ist der Fall, wenn die Entscheidung des FG objektiv willkürlich erscheint oder auf sachfremden Erwägungen beruht und unter keinem denkbaren Gesichtspunkt rechtlich vertretbar ist (vgl. z.B. Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 1. September 2008 IV B 4/08, BFH/NV 2009, 35, m.w.N.). Derartige Umstände hat der Kläger nicht geltend gemacht und liegen auch nicht vor.

a) Nach § 370 Abs. 1 AO begeht u.a. eine Steuerhinterziehung, wer 1. den Finanzbehörden oder anderen Behörden über steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben macht, oder 2. die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lässt und dadurch Steuern verkürzt oder für sich oder einen anderen nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt. Vorsätzlich handelt nach ständiger Rechtsprechung auch, wer es für möglich hält, dass er den Tatbestand verwirklicht oder das billigt oder doch in Kauf nimmt (bedingter Vorsatz, z.B. BFH-Urteil vom 31. Juli 1996 XI R 74/05, BFHE 181, 230, BStBl II 1997, 157; BFH-Beschluss vom 29. Januar 2008 VIII B 37/07, nicht veröffentlicht).

b) Das FG hat bei seiner Entscheidung gewürdigt, dass der Kläger seit 20 Jahren als Handelsvertreter tätig und damit ein auch in umsatzsteuerrechtlichen Angelegenheiten erfahrener Kaufmann war. Es hat weiter berücksichtigt, dass der Kläger den wahren Sachverhalt --dass nämlich die Umsätze im Voranmeldungszeitraum 4/2001 nicht, wie erklärt, 0 DM, sondern richtigerweise 1 000 000 DM betrugen-- erst durch Vorlage der Rechnung vom ... April 2001 zusammen mit der Klagebegründung am 9. März 2005 richtig gestellt und offenbart hat und nicht nachvollziehbar erklären konnte, weshalb er ungeachtet der --auch hinsichtlich der Höhe-- Einzigartigkeit des in der Rechnung erfassten Umsatzes weder die von der Steuerberatungskanzlei gefertigte und von deren Mitarbeiter unterschriebene Umsatzsteuervoranmeldung für 4/2001 noch die ebenso berichtigte Umsatzsteuererklärung für den Voranmeldungszeitraum 12/2001, die ihm als Doppel bzw. Ablichtung übersandt worden waren, überprüft haben will, noch bemerkt hat, dass auf seinem Konto eine Umsatzsteuererstattung für den Voranmeldungszeitraum 4/2001 gutgeschrieben worden ist - dies, obwohl aufgrund des einzigen Umsatzes bei zutreffender Umsatzsteuererklärung im Voranmeldungszeitraum 4/2001 Umsatzsteuer in Höhe von über 155 000 DM angefallen wäre. Die Würdigung des FG, dass ein gleichsam "bewusstes Wegsehen" angesichts der Einzigartigkeit des in der Rechnung vom ... April 2001 erfassten Umsatzes gerade bei einem Kaufmann mit langjähriger Erfahrung nicht anders als mit der billigenden Inkaufnahme der Steuerverkürzung zu erklären sei, ist nach den vom FG festgestellten Gesamtumständen möglich (zur Bindung nach § 118 Abs. 2 FGO z.B. BFH-Beschluss vom 10. Februar 2005 VI B 113/04, BFHE 209, 211, BStBl II 2005, 488) und nicht willkürlich.

c) Eine greifbar gesetzwidrige Entscheidung, die eine Korrektur des BFH erfordert, liegt auch nicht darin, dass das FG eine Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO bejaht hat. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat die Frage offen gelassen und entschieden, dies erfordere jedenfalls, dass der Täter rechtlich dafür einzustehen hat, dass der missbilligte Erfolg nicht eintritt, weil er insoweit eine Garantenpflicht --wie im Streitfall der Kläger aufgrund der Steuererklärungspflicht-- hat (vgl. BGH-Beschluss vom 17. März 2009 1 StR 479/08, Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 2009, 1984; BGH-Urteil vom 25. Juli 2000 1 StR 162/00, NJW 2000, 3013, m.w.N.). Ein Rechtsfehler, der vergleichbar einer willkürlichen Entscheidung greifbar gesetzwidrig ist, liegt daher nicht vor.

2. Auch die Rüge, das angefochtene Urteil sei i.S. des § 119 Nr. 6 FGO nicht mit Gründen versehen, greift nicht durch. Der behauptete Verfahrensmangel liegt vor allem dann vor, wenn überhaupt jede Begründung der Entscheidung fehlt. Dem völligen Fehlen der Entscheidungsgründe steht es gleich, wenn diese zwar vorhanden, aber derart unverständlich und verworren sind, dass nicht mehr erkennbar ist, welche Überlegungen für die (Sach-)Entscheidung maßgebend waren. Hingegen stellt grundsätzlich eine bloß lückenhafte Begründung keinen Mangel in diesem Sinne dar (vgl. z.B. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 119 Rz 23, m.w.N. aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung). Allerdings kann § 105 Abs. 2 Nr. 5 FGO auch dann verletzt sein, wenn die Entscheidungsgründe nur zum Teil fehlen. Dies setzt indes grobe Begründungsmängel in einem Ausmaß voraus, dass die vom FG fixierten Entscheidungsgründe zum Nachweis der Rechtmäßigkeit des Urteilsspruchs schlechterdings ungeeignet erscheinen und den Beteiligten keine (hinlängliche) Kenntnis darüber vermitteln, auf welchen Feststellungen, Erkenntnissen und rechtlichen Erwägungen das Urteil beruht (vgl. dazu z.B. die Nachweise aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung bei Gräber/Ruban, a.a.O., § 119 Rz 24). Dies ist nicht der Fall.



Ende der Entscheidung

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