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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 13.07.2006
Aktenzeichen: V B 70/06
Rechtsgebiete: AO 1977, FGO, UStG 1999, InsO


Vorschriften:

AO 1977 § 37 Abs. 2
AO 1977 § 124 Abs. 2
AO 1977 § 218 Abs. 2
FGO § 69 Abs. 3
UStG 1999 § 17 Abs. 1
InsO § 178 Abs. 3
Es ist ernstlich zweifelhaft, ob die auf der Änderung der Bemessungsgrundlage beruhende Berichtigung des Umsatzsteuerbetrages und korrespondierend des Vorsteuerabzugs nach § 17 Abs. 1 UStG 1999 zu einer Änderung der ursprünglichen Steuerfestsetzung in dem Sinne führt, dass ein abgetretener Erstattungsanspruch nach § 37 Abs. 2 AO 1977 zurückgefordert werden kann (vgl. BFH-Urteil vom 9. April 2002 VII R 108/00, BFHE 198, 294, BStBl II 2002, 562).
Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit eines Rückforderungsbescheides, mit dem die Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Antragstellerin) vom Antragsgegner und Beschwerdegegner (Finanzamt --FA--) nach § 218 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) i.V.m. § 37 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 auf Rückzahlung der von der T GmbH & Co. KG (T) an sie abgetretenen Vorsteuerüberschüsse in Höhe von 983 899,21 DM in Anspruch genommen wird. Die Antragstellerin hat wegen ernstlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit die Aussetzung der Vollziehung (AdV) des Rückforderungsbescheides beantragt. Das Hauptsacheverfahren ist unter dem Az. 2 K 5154/04 beim Finanzgericht (FG) Berlin anhängig.

Die Antragstellerin schloss mit der T am 30. September 1998 einen Mietkaufvertrag über Baukräne. Sie machte die Vorsteuerbeträge in Höhe von 1 891 297,56 DM aus den Anschaffungskosten in der Umsatzsteuervoranmeldung für September 1998 geltend; der Vorsteuerüberschuss wurde an die Antragstellerin abgetreten und --dazu fehlen Feststellungen des FG-- wohl auch an sie ausgezahlt oder verrechnet. Am 21. Mai 1999 kündigte die Antragstellerin den Mietkaufvertrag vom 30. September 1998; die Abrechnung der Antragstellerin vom 31. Juli 1999 weist "rückgängig zu machende Vorsteuerbeträge" von 983 899,21 DM aus. Am 13. September 1999 wurde über das Vermögen der T das Insolvenzverfahren eröffnet, ohne dass das FA bis dahin die Vorsteuerberichtigung gegenüber der T festgesetzt hatte. Das FA meldete im Juli 2000 u.a. eine Umsatzsteuerforderung für September 1999 in Höhe von 1 171 297 DM nach § 174 Abs. 1 der Insolvenzordnung (InsO) beim Insolvenzverwalter an. Diese Forderung wurde im Prüfungstermin vom 30. Juli 2003 zur Tabelle festgestellt. Mit Bescheid vom 14. Oktober 2003 forderte das FA Umsatzsteuer für September 1998 in Höhe von 503 058,68 € (983 899,21 DM) zurück; Rechtsgrundlage sei § 218 Abs. 2 AO 1977 i.V.m. § 37 Abs. 2 Satz 2 AO 1977. Der Rechtsgrund für die Auszahlung des abgetretenen Vorsteuerüberschusses September 1998 an die Antragstellerin sei durch die Berichtigung nach § 17 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1999 entfallen. Der Einspruch der Antragstellerin blieb erfolglos.

Hiergegen erhob die Antragstellerin Klage (über die noch nicht entschieden ist) und stellte beim FG Antrag auf AdV nach § 69 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Zur Begründung führte sie aus: Zunächst sei durch die Berichtigung des Vorsteuerabzugs, die nach § 17 Abs. 1 Satz 3 UStG 1999 den Besteuerungszeitraum 1999 betreffe, nicht die Rechtsgrundlage für die Auszahlung des abgetretenen Vorsteuerüberschusses September 1998 entfallen; dies verkenne der BFH in seinem Urteil vom 9. April 2002 VII R 108/00 (BFHE 198, 294, BStBl II 2002, 562). Abgesehen davon habe das FA über die zu berichtigende Umsatzsteuer für 1999 zu keiner Zeit eine wirksame Festsetzung vorgenommen --die dann auf der Grundlage des o.g. Urteils des Bundesfinanzhofs (BFH) allein den Wegfall des Rechtsgrundes für die Auszahlung des Vorsteuerüberschusses September 1998 begründen könnte--, weil vor Insolvenzeröffnung kein entsprechender Steuerbescheid ergangen sei und nach Insolvenzeröffnung auch nicht mehr habe ergehen dürfen; die Feststellung der im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens, September 1999, offenen Umsatzsteuer für September 1999 zur Tabelle und ihre Eintragung in diese nach § 178 Abs. 2 InsO entfalte nur Wirkung gegenüber dem Insolvenzverwalter und den Insolvenzgläubigern, nicht aber ihr gegenüber als Zessionarin und könne nicht die Wirkung einer Steuerfestsetzung erlangen. Die Eintragung der Umsatzsteuerforderung September 1999 --in der die berichtigte Vorsteuer enthalten sei-- in die Tabelle führe nicht insoweit zu einer "Erledigung" der Umsatzsteuerfestsetzung für September 1998.

Das FG wies den Antrag auf AdV zurück und verneinte ernstliche Zweifel i.S. des § 69 Abs. 3, Abs. 2 Satz 2 FGO an der Rechtmäßigkeit des Rückforderungsbescheides vom 14. Oktober 2003. Rechtsgrundlage für die Rückforderung sei § 37 Abs. 2 Satz 2 AO 1977: Nach der Rechtsprechung des BFH in BFHE 198, 294, BStBl II 2002, 562 wirke die Vorsteuerberichtigung nach § 17 UStG 1999 materiell-rechtlich auf den ursprünglichen Vorsteuerabzug zurück und nehme --ähnlich wie der Jahressteuerbescheid den Umsatzsteuervorauszahlungsbescheid-- die ursprüngliche Steuerfestsetzung in ihren Regelungsgehalt auf; damit entfalle der Rechtsgrund für die Auszahlung des Vorsteuerüberschusses und es entstehe der Anspruch des FA auf Rückzahlung gegenüber dem Zahlungsempfänger --also dem Zessionar--, unbeschadet der Möglichkeit, nach § 37 Abs. 2 Satz 3 AO 1977 auch den Zedenten in Anspruch nehmen zu können. Das FA habe die berichtigte Umsatzsteuer auch wirksam gegenüber der Antragstellerin festgesetzt, indem dieser Anspruch in der Tabelle eingetragen worden sei und diese Eintragung damit nach § 178 Abs. 3 InsO die Wirkung eines rechtskräftigen Urteils erlange, das auch gegenüber dem FA als Insolvenzgläubiger wirke (BFH-Beschluss vom 30. Juni 1997 V R 59/95, BFH/NV 1998, 42); die Eintragung ersetze damit die Steuerfestsetzung. Damit habe sich die Umsatzsteuerfestsetzung September 1998 "auf andere Weise" i.S. des § 124 Abs. 2 AO 1977 erledigt, weshalb sich die Antragstellerin auf diese nicht mehr berufen könne. Da die Eintragung in die Tabelle die Steuerfestsetzung ersetze, nehme sie wie diese im Sinne der Rechtsprechung des BFH in BFHE 198, 294, BStBl II 2002, 562 den Regelungsgehalt der Umsatzsteuerfestsetzung September 1998 in sich auf. Letztlich trete die Antragstellerin in die Rechtsstellung ein, wie sie die Steuerpflichtige innehabe und könne nicht besser gestellt werden als der Steuerpflichtige selbst.

Das FG hat die Beschwerde nach § 128 Abs. 3 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen.

Die Antragstellerin beantragt, den Beschluss des FG vom 17. März 2006 aufzuheben und die Vollziehung des angefochtenen Rückforderungsbescheides vom 14. Oktober 2003 ab Fälligkeit bis zum Ablauf eines Monats nach Bekanntgabe einer Entscheidung im ebenfalls beim FG Berlin anhängigen Verfahren 2 K 5154/04 auszusetzen.

Das FA hält die Beschwerde für unzulässig und beantragt, diese zu verwerfen, hilfsweise, sie als unbegründet zurückzuweisen.

Das FG habe die Beschwerde nur beschränkt auf die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen; dessen Voraussetzungen habe die Antragstellerin aber nicht dargelegt. Im Übrigen teilt das FA die Rechtsauffassung des FG.

II.

Die Beschwerde ist zulässig und begründet. Es bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Rückzahlungsbescheides vom 14. Oktober 2003 (§ 69 Abs. 3 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 FGO).

1. Entgegen der Auffassung des FA ist die Beschwerde zulässig, weil sie das FG nach § 128 Abs. 3 FGO zugelassen hat; die Bezugnahme auf § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO stellt keine Einschränkung der Zulassung dar, sondern den vom FG angenommenen Rechtsgrund der Zulassung.

2. Die Beschwerde ist auch begründet. Es bestehen ernstliche Zweifel i.S. des § 69 Abs. 3 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 FGO an der Rechtmäßigkeit des Rückzahlungsbescheides vom 14. Oktober 2003, weil bei der gebotenen summarischen Prüfung neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zutage treten, die Unsicherheit oder Unentschiedenheit in der Beurteilung der zugrunde liegenden Rechtsfragen bewirken (vgl. die ständige Rechtsprechung des BFH seit dem Beschluss vom 10. Februar 1967 III B 9/66, BFHE 87, 447, BStBl III 1967, 182) und deshalb die beim FG anhängige Klage Aussicht auf Erfolg hat. Entgegen der Auffassung des FG bestehen ernstliche Zweifel daran, ob der Rechtsgrund für die Auszahlung des Vorsteuerüberschusses für September 1998 an die Antragstellerin als Zessionarin i.S. des § 37 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 weggefallen ist.

a) Die Zweifel gründen sich zunächst darauf, ob das FA die Voraussetzungen und Wirkungen des § 17 UStG 1999 zutreffend beurteilt hat. Wird eine Lieferung rückgängig gemacht, haben der Unternehmer, der diesen Umsatz ausgeführt hat, den dafür geschuldeten Steuerbetrag und der Unternehmer, an den dieser Umsatz ausgeführt worden ist, den dafür in Anspruch genommenen Vorsteuerabzug zu berichtigen; die Berichtigungen sind für den Besteuerungszeitraum vorzunehmen, in dem die Änderung der Bemessungsgrundlage eingetreten ist (§ 17 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 1 Sätze 1 und 3 UStG 1999). § 17 UStG 1999 regelt einen eigenständigen materiell-rechtlichen Berichtigungstatbestand gegenüber den Änderungsvorschriften der AO 1977. Liegen die Voraussetzungen für eine Berichtigung i.S. von § 17 UStG 1999 vor (z.B. durch Uneinbringlichkeit des Entgeltes), so führt dies nicht zu einer rückwirkenden Änderung der ursprünglichen Steuerfestsetzung für den entsprechenden Umsatz; dieser Sachverhalt ist vielmehr (als unselbständige Besteuerungsgrundlage nach § 157 Abs. 2 AO 1977) in der Umsatzsteuerfestsetzung für den maßgeblichen Besteuerungszeitraum (§ 17 Abs. 1 UStG 1999) zu berücksichtigen. Der erkennende Senat hat deshalb Zweifel, ob er sich der Auffassung des VII. Senats in BFHE 198, 294, BStBl II 2002, 562 anschließen könnte, nach der mit der Berichtigung der Bemessungsgrundlage zugleich der Rechtsgrund für die Erstattung der entsprechenden Vorsteuer im Zeitpunkt der "ursprünglichen" Umsatzsteuerfestsetzung entfalle. Aus demselben Grund ist auch die im vorgenannten Urteil vertretene Auffassung zweifelhaft, dass bei einer Berichtigung nach § 17 UStG 1999 der "ursprüngliche" Bescheid und der Umsatzsteuerbescheid, in dem die Berichtigung erfolgt, in einem vergleichbaren Zusammenhang stünden wie das Verhältnis von Vorauszahlungsbescheid und Jahressteuerbescheid (vgl. bereits Klenk in Sölch/Ringleb, Kommentar zum Umsatzsteuergesetz, § 17 Rz. 165). Diese Überlegungen sind auf das Verhältnis des "ursprünglichen" Umsatzsteuerbescheides zum Umsatzsteuerbescheid, in dem die Berichtigung nach § 17 UStG erfolgt, nicht ohne weiteres übertragbar.

b) Soweit entscheidungserheblich, bestehen ernstliche Zweifel auch darüber, ob die Eintragung in die Tabelle nach § 178 Abs. 3 InsO eine (rückwirkende) Änderung einer Steuerfestsetzung bewirken könnte und gegenüber Dritten --wie hier der Antragstellerin als Zessionarin-- Wirkung erlangt; dazu hat der BFH bislang keine Entscheidung getroffen, der vom FG zitierte BFH-Beschluss in BFH/NV 1998, 42 trifft dazu keine Aussage. Nach § 178 Abs. 3 InsO wirkt die festgestellte Forderung "ihrem Betrag und ihrem Rang nach wie ein rechtskräftiges Urteil gegenüber dem Insolvenzverwalter und allen Insolvenzgläubigern"; zwar ist auch das FA ein Insolvenzgläubiger, dem gegenüber die Eintragung diese Wirkung entfaltet. § 178 Abs. 3 InsO beschränkt die Wirkung aber auf den Betrag und den Rang und trifft keine Aussage darüber, ob die Eintragung --wie eine Steuerfestsetzung-- auch Wirkung gegenüber am Insolvenzverfahren nicht Beteiligten haben kann. Dabei ist zu beachten, dass der Zessionar (hier die Antragstellerin) und der Zedent (hier: der Insolvenzschuldner) hinsichtlich des Rückzahlungsanspruchs des FA nach § 37 Abs. 2 Satz 3 AO 1977 i.V.m. § 44 Abs. 1 AO 1977 Gesamtschuldner sind, der Zessionar aber am Insolvenzverfahren nicht beteiligt ist, so dass zweifelhaft ist, ob ihm gegenüber Rechtswirkungen aus der Eintragung in die Tabelle abgeleitet werden können.

Ende der Entscheidung

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