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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 30.10.2000
Aktenzeichen: V B 89/00
Rechtsgebiete: AO, AO 1977


Vorschriften:

AO § 180
AO § 175 Abs. 1
AO 1977 § 171 Abs. 10
AO 1977 § 175 Abs. 1 Nr. 1
AO 1977 § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
AO 1977 § 38
AO 1977 § 118 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe

I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin), eine nichtselbständig tätige Ärztin, errichtete im Rahmen einer Bauherrengemeinschaft eine Eigentumswohnung, die im November 1982 bezugsfertig wurde und von der Klägerin unter Einschaltung eines gewerblichen Zwischenvermieters (Option zur Umsatzsteuer) vermietet wurde. Die Umsatzsteuererklärung für 1981 ging beim Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt --FA--) am 26. November 1982 ein (Umsätze 0 DM, Vorsteuer 231,42 DM), die Umsatzsteuererklärung für 1982 am 16. Mai 1983 (Umsätze 863 DM, Vorsteuerbeträge 14 718,68 DM). In den unter Vorbehalt der Nachprüfung ergangenen Umsatzsteuerbescheiden folgte das FA im Wesentlichen der Erklärung; die geringfügige Vorsteuerkürzung erläuterte es unter Berufung auf den Feststellungsbescheid des FA W vom 7. April 1983. Das FA W erließ zunächst am 25. Februar 1987 einen Feststellungsbescheid, in dem es die Zwischenmietverhältnisse umsatzsteuerlich nicht mehr anerkannte; schließlich teilte es am 5. Januar 1988 dem für die Klägerin zuständigen FA mit, der Feststellungsbescheid sei aus formellen Gründen aufgehoben worden, weil über die Zwischenvermietung nicht durch gesonderte Feststellung entschieden werde. Das FA änderte daraufhin die Umsatzsteuerbescheide für 1981 und 1982 und setzte die Umsatzsteuer in den Änderungsbescheiden vom 17. Februar 1988 auf 0 DM fest.

Mit der nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage machte die Klägerin geltend, die Änderung der Umsatzsteuerbescheide für 1981 und 1982 sei wegen Eintritts der Verjährung nicht mehr zulässig gewesen. Die Regelverjährungsfrist sei mit Ablauf des Jahres 1987 abgelaufen. § 171 Abs. 10 der Abgabenordnung (AO 1977) sei nicht anwendbar, weil innerhalb der Festsetzungsfrist kein Grundlagenbescheid ergangen sei.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Die Änderung der Umsatzsteuerbescheide sei zulässig gewesen, weil vor Ablauf der Regelfestsetzungsfrist (§ 170 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 i.V.m. § 169 Abs. 2 Nr. 2 AO 1977) der Feststellungsbescheid betreffend die Nichtanerkennung der Zwischenvermietung vom 25. Februar 1987 ergangen und dadurch gemäß § 171 Abs. 10 AO 1977 der Ablauf der Festsetzungsfrist gehemmt gewesen sei. Ohne Bedeutung sei in diesem Zusammenhang, dass dieser Feststellungsbescheid aufgehoben worden sei. Rechtsfolge dieser Aufhebung sei lediglich, dass der zunächst im Grundlagenbescheid erfasste Sachverhaltskomplex aus der Bindungswirkung entlassen werde und nunmehr --innerhalb der Jahresfrist seit der Aufhebung des Feststellungsbescheides-- im bisherigen Folgebescheid zu berücksichtigen sei. Die Aufhebung des Feststellungsbescheides führe entgegen der Auffassung der Klägerin nicht dazu, dass die Ausdehnung der Festsetzungsfrist nach § 171 Abs. 10 AO 1977 nachträglich entfalle. Materiell-rechtlich seien die Umsatzsteueränderungsbescheide nicht zu beanstanden, weil wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe für die Einschaltung des Zwischenvermieters nicht vorlägen.

Die Klägerin begehrt die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung.

Sie meint, einer erneuten Klärung bedürfe die Frage, ob "§ 175 Abs. 1 AO (unbeschadet anderer Änderungsrechtsgrundlagen) auch dann eine eigenständige Ermittlungs- und Änderungsrechtsgrundlage zugunsten des Veranlagungsfinanzamtes (sei), wenn eine zutreffende und rechtmäßige Grundlagenfeststellung ohne Rechtsgrund aufgehoben" werde; sie führt hierzu lediglich aus, § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 bestimme zwar einerseits eindeutig, dass ein Steuerbescheid aufzuheben sei, wenn ein Grundlagenbescheid, dem Bindungswirkung zukomme, aufgehoben werde. Diese am Wortlaut orientierte Auslegung führe bei Rücknahme eines rechtmäßig ergangenen Feststellungsbescheides wegen der Korrespondenzwirkung jedoch zwingend zur Rücknahme auch des Folgebescheides. Andererseits habe "der BFH für den Fall eines im Feststellungsverfahren ergangenen negativen Feststellungsbescheides --wegen Fehlens der materiellen Voraussetzungen des § 180 AO-- entschieden, dass hierdurch eine eigenständige Abwicklungsverpflichtung mit der Folge der Berichtigungsmöglichkeit nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO zugunsten des Veranlagungsfinanzamtes begründet werde".

II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Zur schlüssigen Darlegung (vgl. § 115 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) der grundsätzlichen Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) gehört u.a., dass der Beschwerdeführer bereits vorhandene Rechtsprechung (und Literatur) zu der von ihm für klärungsbedürftig gehaltenen Rechtsfrage berücksichtigt und vorträgt, weshalb nach seiner Ansicht eine Klärung bislang noch aussteht (vgl. z.B. Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 26. Januar 1999 X B 135/98, BFH/NV 1999, 954, 955, m.w.N.).

Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.

1. Von vornherein unbeachtlich in diesem Verfahren sind nach ständiger Rechtsprechung die Einwände, die allein die Richtigkeit des angefochtenen Urteils betreffen (z.B. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl. 1997, § 115 Rz. 58 und 62 f., jeweils m.w.N.).

2. Im Übrigen fehlt eine (erschöpfende) Auseinandersetzung insbesondere mit der zu § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 ergangenen und vom FG zur Begründung seiner Rechtsauffassung herangezogenen BFH-Rechtsprechung.

a) Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des BFH, die nach ersatzloser Aufhebung eines gesonderten und einheitlichen Feststellungsbescheides oder nach Erlass eines sog. negativen Feststellungsbescheides gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 gebotene Anpassung der Folgebescheide in weitgehendem Umfang zuzulassen. Die Bedeutung des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 im Rahmen der Aufgabenverteilung zwischen Grundlagen- und Folgebescheid gebietet es, seinen Anwendungsbereich auch auf Fälle zu erstrecken, in denen ein zur Tatbestandsverwirklichung i.S. des § 38 AO 1977 gehörender Sachverhalt oder Sachverhaltskomplex, der zunächst in einem Grundlagenbescheid geregelt war, durch dessen Aufhebung oder Änderung aus dessen Regelungsbereich ausgegliedert und damit aus der Bindung entlassen wird (vgl. BFH-Urteil vom 14. Juli 1993 X R 34/90, BFHE 172, 290, BStBl II 1994, 77, unter 5. b der Gründe, m.w.N. aus der BFH-Rechtsprechung). Erst die Aufhebung des Feststellungsbescheides oder der Erlass eines negativen Feststellungsbescheides erlaubt es dem für den Erlass des Folgebescheides zuständigen FA, den Sachverhalt, der bisher Gegenstand des Feststellungsverfahrens war, in eigener Zuständigkeit zu ermitteln und steuerrechtlich zu beurteilen (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 9. Juni 1993 I R 90/92, BFHE 172, 298, BStBl II 1993, 822; vom 28. November 1995 IX R 16/93, BFHE 179, 8, BStBl II 1996, 142, jeweils m.w.N.). Im Urteil in BFHE 172, 290, BStBl II 1994, 77 betont der BFH, ohne die extensive Interpretation des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 sei nicht sicherzustellen, dass möglichst jeder materiell-rechtlich relevante Sachverhalt gemäß dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung einer Einzelfallregelung i.S. des § 118 Satz 1 AO 1977 zugeführt werde, denn nach den anderen in solchen Fällen in Betracht kommenden Korrekturregelungen könne sonst nicht ausgeschlossen werden, dass ein solcher Sachverhalt nur deshalb ungeregelt bleibe, weil er fälschlicherweise zunächst dem Regelungsbereich eines Feststellungsbescheides zugeordnet worden sei und die nach Entdeckung dieses Fehlers erforderliche Erfassung im Folgebescheid am Eintritt der Verjährung scheitere (vgl. auch BFH-Urteil in BFHE 172, 298, BStBl II 1993, 822).

b) Das FG hat die Grundsätze der Rechtsprechung beachtet und auf den konkreten Fall angewendet. Unter diesen Umständen hätte sich die Klägerin zur substantiierten Darlegung der --weiteren-- Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Rechtsfrage mit dieser Rechtsprechung auseinandersetzen müssen (BFH-Beschluss vom 5. November 1998 VIII B 18/98, BFH/NV 1999, 513). Allein der Umstand, dass die Klägerin die Anwendung dieser Rechtsprechung für ihren Fall nicht befürwortet, reicht hierfür nicht.



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