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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 18.11.1999
Aktenzeichen: V R 13/99
Rechtsgebiete: UStG 1993


Vorschriften:

UStG 1993 § 1 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a
UStG 1993 § 1 Abs. 1a
UStG 1993 § 3 Abs. 1
UStG 1993 § 4 Nr. 9 Buchst. a
UStG 1993 § 15a
BUNDESFINANZHOF

1. Ein Unternehmer, der Gegenstände aus seinem Unternehmen an Angehörige aus unternehmensfremden Gründen unentgeltlich liefert, verwirklicht dadurch einen Eigenverbrauch durch Gegenstandsentnahme (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a UStG 1993).

2. An der Steuerbarkeit der Entnahme änderte sich --bis zum In-Kraft-Treten des § 1 Abs. 1a UStG 1993 am 1. Januar 1994-- auch dann nichts, wenn die Lieferung im Rahmen einer Geschäftsveräußerung im Ganzen erfolgte.

3. Eine Lieferung eines Gegenstands (Verschaffung der Verfügungsmacht) setzt die Übertragung von Substanz, Wert und Ertrag voraus. Die Verfügungsmacht an einem Mietgrundstück ist mangels Ertragsübergangs noch nicht verschafft, solange der Lieferer dieses aufgrund seines Eigentums wie bislang für Vermietungsumsätze verwendet.

4. Das gilt auch für eine unentgeltliche Lieferung des Mietgrundstücks. Solange die Verfügungsmacht nicht übergegangen ist, liegt keine Entnahme und keine durch sie verursachte Änderung der Verwendungsverhältnisse i.S. des § 15a UStG 1993 vor.

UStG 1993 § 1 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a, Abs. 1a, § 3 Abs. 1, § 4 Nr. 9 Buchst. a, § 15a

Urteil vom 18. November 1999 - V R 13/99 -

Vorinstanz: FG Baden-Württemberg (EFG 1999, 733)


Gründe

I.

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) errichtete in den Jahren 1988 und 1989 auf einem ihr gehörenden Grundstück ein Gebäude für einen Autoteilezubehörmarkt. Seit März 1989 vermietete sie das Grundstück unter Verzicht auf die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 12 Buchst. a des Umsatzsteuergesetzes (UStG 1980-1993). Die im Zusammenhang mit der Gebäudeerrichtung angefallenen Vorsteuerbeträge betrugen 89 267,46 DM (im Jahre 1988) und 47 398,98 DM (im Jahre 1989); sie wurden bei den Umsatzsteuer-Veranlagungen für diese Jahre berücksichtigt.

Aufgrund eines Schenkungsvertrags vom 17. Dezember 1993 übertrug die Klägerin das Grundstück samt aufstehendem Gebäude auf ihren Sohn.

Wegen dieses Sachverhalts berichtigte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) im Rahmen der Umsatzsteuerveranlagung der Klägerin für das Jahr 1993 den Vorsteuerabzug für das Gebäude unter Berufung auf die Vorschrift des § 15a UStG 1993.

Das Finanzgericht (FG) gab der nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage statt mit der Begründung, es läge eine unentgeltliche Geschäftsveräußerung vor, die nicht steuerbar sei und deshalb den Tatbestand des § 15a UStG 1993 nicht erfülle (vgl. Urteil in Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 1999, 733).

Hiergegen wendet sich das FA mit der Revision. Es rügt Verletzung materiellen Rechts und beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin ist der Revision entgegengetreten. Sie macht sich die Ausführungen des FG zu Eigen und meint außerdem, die Schenkung sei nicht im Streitjahr 1993, sondern erst zum 1. Januar 1994 vollzogen worden.

II.

Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

1. Das FG ging im Streitfall stillschweigend davon aus, dass die Klägerin ihrem Sohn das Grundstück bereits im Jahre 1993 geliefert habe; jedenfalls hat es dies zugunsten des FA unterstellt. Unter dieser Voraussetzung war entgegen der Auffassung des FG der Tatbestand des § 15a UStG 1993 für eine Vorsteuerberichtigung erfüllt.

a) Ändern sich bei einem Grundstück (einschließlich seiner wesentlichen Bestandteile) die Verhältnisse, die im Kalenderjahr der erstmaligen Verwendung maßgebend waren, innerhalb von zehn Jahren seit dem Beginn der Verwendung, so ist für jedes Kalenderjahr der Änderung ein Ausgleich durch eine Berichtigung der auf die Anschaffungs- oder Herstellungskosten entfallenden Vorsteuerbeträge vorzunehmen (§ 15a Abs. 1 Satz 1 und 2 UStG 1993). Eine Änderung der Verhältnisse liegt auch vor, wenn das noch verwendungsfähige Wirtschaftsgut vor Ablauf des maßgeblichen Berichtigungszeitraums veräußert oder zum Eigenverbrauch entnommen wird und dieser Umsatz für den Vorsteuerabzug anders zu beurteilen ist als die Verwendung im ersten Jahr (§ 15a Abs. 4 UStG 1993).

b) Entgegen der Auffassung des FG hat die Klägerin das Grundstück zum Eigenverbrauch entnommen, falls sie es ihrem Sohn noch im Jahre 1993 unentgeltlich geliefert hat.

Nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a UStG 1993 liegt Eigenverbrauch vor, wenn ein Unternehmer Gegenstände aus seinem Unternehmen für Zwecke entnimmt, die außerhalb des Unternehmens liegen.

Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind auch dann erfüllt, wenn ein Unternehmer Gegenstände aus seinem Unternehmen an Angehörige oder sonstige Personen aus unternehmensfremden Gründen unentgeltlich liefert.

An der Steuerbarkeit der Entnahme änderte sich --bis zum In-Kraft-Treten des § 1 Abs. 1a UStG 1993-- auch dann nichts, wenn die Lieferung im Rahmen einer Geschäftsveräußerung im Ganzen erfolgte (Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 2. Oktober 1986 V R 91/78, BFHE 147, 548, BStBl II 1987, 44; vom 25. Juni 1987 V R 92/78, BFHE 150, 200, BStBl II 1987, 655; vom 21. Dezember 1989 V R 184/84, Umsatzsteuer-Rundschau --UR-- 1990, 212, und vom 28. Juni 1990 V R 110/87, BFH/NV 1991, 203).

Der Senat folgt nicht der Auffassung, dass der Unternehmer bei einer unentgeltlichen Geschäftsveräußerung die dem Erwerber gelieferten Gegenstände nicht "seinem Unternehmen" entnehmen konnte. Da der Begriff des Unternehmens ebenso tätigkeitsbezogen ist, wie der des Unternehmers, geht das Unternehmen des Geschäftsveräußerers nicht auf den Erwerber über (vgl. BFH in UR 1990, 212).

Erst durch die am 1. Januar 1994 in Kraft getretene Vorschrift des § 1 Abs. 1a UStG 1993 wurde bestimmt, dass die Umsätze im Rahmen einer Geschäftsveräußerung nicht der Umsatzsteuer unterliegen. Dem lag die Auffassung zugrunde, dass bis dahin die unentgeltliche Geschäftsveräußerung im Ganzen umsatzsteuerlich als Eigenverbrauch anzusehen war (vgl. die Gesetzesbegründung in BTDrucks 12/5630, S. 84; zitiert in Hartmann/Metzenmacher, Umsatzsteuergesetz, Kommentar, E § 1 Abs. 1a Rz. 11). Dafür, dass bis zum In-Kraft-Treten des § 1 Abs. 1a UStG 1993 die unentgeltliche Geschäftsveräußerung im Ganzen (aus unternehmensfremden Gründen) als Entnahme von Gegenständen anzusehen war, spricht auch die Bestimmung des Art. 5 Abs. 8 der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG), auf dem die Vorschrift des § 1 Abs. 1a UStG 1993 beruht. Nach Satz 1 der zitierten Richtlinienbestimmung können die Mitgliedstaaten die --entgeltliche oder unentgeltliche-- Übertragung des Gesamtvermögens oder eines Teilvermögens so behandeln, als ob keine Lieferung von Gegenständen vorläge, und den Begünstigten der Übertragung als Rechtsnachfolger des Übertragenden ansehen. Diese Bestimmung wäre unverständlich, wenn die unentgeltliche Übertragung des Gesamtvermögens bereits nach allgemeinen Vorschriften so zu behandeln wäre, als ob keine Lieferung von Gegenständen vorläge und der Begünstigte der Übertragung als Rechtsnachfolger des Übertragenden anzusehen wäre.

c) Eine Entnahme des Grundstücks zum Eigenverbrauch war auch für den Vorsteuerabzug anders zu beurteilen als die Verwendung im ersten Jahr (§ 15a Abs. 4 UStG 1993). Ursprünglich wurde das Grundstück zur Ausführung steuerpflichtiger und somit nicht vorsteuerabzugsschädlicher Umsätze verwandt. Eine Entnahme des Grundstücks im Jahre 1993 wäre hingegen nach § 15 Abs. 2 UStG 1993 vorsteuerabzugsschädlich. Die Grundstücksentnahme ist nämlich in entsprechender Anwendung des § 4 Nr. 9 Buchst. a UStG 1993 steuerfrei (ständige Rechtsprechung, vgl. Urteil des Reichsfinanzhofs --RFH-- vom 12. April 1935 V A 387/34, RStBl 1935, 925, und BFH in BFHE 147, 548, BStBl II 1987, 44); sie schließt deshalb den Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 2 UStG 1993 aus.

2. Der Senat kann in der Sache nicht selbst entscheiden. Er kann dem Urteil des FG nicht entnehmen, ob die mit der Grundstücksschenkung verbundene Geschäftsveräußerung tatsächlich bereits im Jahre 1993 oder erst zum 1. Januar 1994 erfolgt ist. Ist sie erst zum 1. Januar 1994 erfolgt, findet § 1 Abs. 1a UStG 1993 Anwendung (vgl. Art. 20 Nr. 1 und Art. 34 Abs. 3 des Gesetzes zur Bekämpfung des Missbrauchs und zur Bereinigung des Steuerrechts, BGBl I 1993, 2310, BStBl I 1994, 50). Die Geschäftsveräußerung unterlag dann nicht der Umsatzsteuer (§ 1 Abs. 1a Satz 1 UStG 1993); vielmehr trat dann der Sohn an die Stelle der Klägerin (vgl. § 1 Abs. 1a Satz 3 UStG 1993). Damit entfiele eine steuerbare Grundstücksentnahme durch die Klägerin und die Berichtigung des Vorsteuerabzugs.

Entgegen den Ausführungen des FA in der Einspruchsentscheidung kann dem Schenkungsvertrag vom 17. Dezember 1993 nicht entnommen werden, dass bereits zu diesem Zeitpunkt die Verfügungsmacht an dem Grundstück auf den Sohn der Klägerin überging.

Eine Lieferung eines Gegenstands i.S. von § 3 Abs. 1 UStG 1993 liegt vor, wenn ein Unternehmer den Abnehmer befähigt, im eigenen Namen über einen Gegenstand zu verfügen (Verschaffung der Verfügungsmacht). Die Verschaffung der Verfügungsmacht setzt die Übertragung von Substanz, Wert und Ertrag voraus (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Urteil vom 20. Juli 1995 V R 121/93, BFH/NV 1996, 270).

Dabei kommt dem Zeitpunkt des Ertragsübergangs besondere Bedeutung zu. Der Eigentümer eines bebauten Grundstücks, der dieses aus eigenem Recht durch Vermietung nutzt, hat die Verfügungsmacht an dem Grundstück; er behält sie auch dann, wenn er das Grundstück veräußert, dieses aber weiterhin aufgrund seiner bisherigen Eigentümerposition als Vermieter nutzt (vgl. BFH in BFH/NV 1996, 270). Solange der Verkäufer eines Mietgrundstücks dieses aufgrund seines Eigentums wie bislang für Vermietungsumsätze verwendet, liegt noch keine Lieferung des Grundstücks an den Erwerber vor. So ist es auch bei der unentgeltlichen Lieferung; solange die Verfügungsmacht nicht übergegangen ist, liegt keine Entnahme und keine durch sie verursachte Änderung der Verwendungsverhältnisse i.S. des § 15a UStG 1993 vor. Etwas anderes gilt lediglich, wenn der Veräußerer das Grundstück nicht mehr aufgrund seiner Eigentümerposition, sondern aufgrund einer Gebrauchsüberlassung durch den Erwerber vermietet (z.B. im Wege einer Untervermietung, vgl. BFH in BFHE 147, 548, BStBl II 1987, 44).

Nach dem dem Senat bekannten Sachverhalt blieb die Klägerin über den 17. Dezember 1993 hinaus (bürgerlich-rechtliche) Eigentümerin des Grundstücks. Nach dem Schenkungsvertrag gingen zu diesem Zeitpunkt zwar Besitz, Nutzen, Lasten und die Gefahr auf den Sohn über. Dies hindert aber nicht, dass die Klägerin gleichwohl noch weiterhin das Grundstück aufgrund ihres Eigentums vermietete. Die Steuern und sonstigen laufenden, öffentlichen Lasten sollten erst ab 1. Januar 1994 auf den Erwerber übergehen. Dementsprechend kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Sohn auch erst ab dem 1. Januar 1994 das Grundstück vermietet hat.

In diesem Fall trat er zum 1. Januar 1994 gemäß § 1 Abs. 1 a Satz 3 UStG 1993 an die Stelle der Klägerin. Da die Frage, ob die Geschäftsveräußerung unter § 1 Abs. 1a UStG 1993 fällt, für den Veräußerer und den erwerbenden Unternehmer einheitlich zu beantworten ist, geht der Senat bei dieser Fallalternative davon aus, dass auch die Klägerin ihr Geschäft erst zum 1. Januar 1994 an ihren Sohn veräußert hat. Der für das Grundstück maßgebliche Berichtigungszeitraum wurde dann durch die Geschäftsveräußerung nicht unterbrochen (§ 15a Abs. 6a UStG 1993).

Ende der Entscheidung

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