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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 18.06.1998
Aktenzeichen: V R 24/97
Rechtsgebiete: AO 1977, FGO


Vorschriften:

AO 1977 § 169 Abs. 1 Satz 1
AO 1977 § 122 Abs. 2 letzter Halbs.
AO 1977 § 169 Abs. 1 Satz 3
AO 1977 § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2
AO 1977 § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1
AO 1977 § 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1
AO 1977 § 171 Abs. 4
AO 1977 § 171 Abs. 5 u. 6
FGO § 120 Abs. 1 Satz 1
FGO § 56 Abs. 1 u. 2
FGO § 118 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe

I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) haben sich als Grundstücksgemeinschaft in der Rechtsform einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts an einer Bauherrengemeinschaft X beteiligt. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) veranlagte die Kläger erklärungsgemäß mit Bescheid vom 18. März 1983 zur Umsatzsteuer. Das Finanzamt Z teilte dem FA am 11. Dezember 1986 mit, daß bei der Bauherrengemeinschaft eine Außenprüfung durchgeführt werde und nach den bisherigen Erkenntnissen des Prüfers das von den Klägern mit der A-GmbH eingegangene Zwischenmietverhältnis umsatzsteuerrechtlich voraussichtlich nicht anerkannt werden könne. Das FA erließ daraufhin einen geänderten Umsatzsteuerbescheid für 1981, in dem der bisherige Vorsteuerabzug auf die Beteiligung an der Bauherrengemeinschaft bezogen annulliert wurde. Der Bescheid wurde manuell erstellt und an die Grundstücksgemeinschaft der Kläger unter der in der Steuererklärung bezeichneten Anschrift gerichtet. Die in den Steuerakten befindliche Abschrift enthält Absendevermerke vom 16. Dezember 1986 und 7. Januar 1987.

Mit maschinell erstellter Abrechnung der Finanzkasse vom 7. Januar 1987 wurde die Grundstücksgemeinschaft aufgefordert, spätestens am 10. Februar 1987 den Betrag von ... DM zu zahlen. Dagegen wandte sich der Prozeßbevollmächtigte der Kläger mit Schreiben vom 22. Januar 1987 und beantragte, die "Festsetzung vom 7. Januar 1987" wegen Eintritts der Festsetzungsverjährung aufzuheben. Auf den Hinweis des FA, daß der geänderte Umsatzsteuerbescheid 1981 vor Ablauf der Verjährungsfrist am 16. Dezember 1986 zur Post gegeben worden sei, erwiderte der Prozeßbevollmächtigte, bei der Grundstücksgemeinschaft sei kein geänderter Umsatzsteuerbescheid 1981 eingegangen. Das FA gab darauf den geänderten Bescheid 1981 am 4. März 1987 zur Post. Einspruch und Klage gegen den geänderten Bescheid blieben erfolglos.

Das Finanzgericht (FG) führte zur Begründung seines in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1997, 849 veröffentlichen klageabweisenden Urteils im wesentlichen aus, daß es für die Wahrung der Festsetzungsfrist genüge, wenn der betreffende Steuerbescheid vor Ablauf dieser Frist den Bereich der für die Steuerfestsetzung zuständigen Finanzbehörde verlassen und diese alle Voraussetzungen eingehalten habe, die für den Erlaß eines wirksamen Steuerbescheids vorgeschrieben seien.

Gegen das den Beteiligten am 5. März 1997 zugestellte FG-Urteil haben die Kläger Revision eingelegt. Die am Freitag, dem 4. April 1997, von den Prozeßbevollmächtigten der Kläger als Einschreiben mit Eilzustellung zur Post gegebene Revisionsschrift ist erst am Dienstag, dem 8. April 1997, beim FG eingegangen.

Mit ihrer Revision rügen die Kläger eine Verletzung des § 169 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung (AO 1977). Sie bestreiten, daß das FA den Änderungsbescheid schon am 16. Dezember 1986 zur Post gegeben habe. Dagegen spreche der Umstand, daß das FA nach einem Erlaß des Landesfinanzministers in der Weihnachtszeit keine Steuerbescheide verschicken dürfe und den Steuerbescheid grundsätzlich zusammen mit der Steuerabrechnung versende. Wegen der Regelung in § 122 Abs. 2 letzter Halbsatz AO 1977 hätte das FA überdies den Nachweis des rechtzeitigen Zugangs des Steuerbescheids durch Verwendung der Zustellform "Einschreiben mit Rückschein" sicherstellen müssen.

Die Kläger beantragen, die Vorentscheidung und den Umsatzsteuerbescheid vom 4. März 1987 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 12. Juli 1993 aufzuheben.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen. Es hat keine Bedenken dagegen, daß den Klägern im Hinblick auf die Versäumung der Frist für die Revisionseinlegung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt wird.

Das dem Verfahren beigetretene Bundesministerium der Finanzen hält die Auffassung des FG für zutreffend. Sie trage dem Charakter des Besteuerungsverfahrens als Massenverfahren Rechnung und führe zu keiner ungerechtfertigten Benachteiligung des Steuerpflichtigen. Denn die Finanzbehörde müsse auch nach dieser Ansicht den Zugang des Steuerbescheids im Zweifel nachweisen. § 169 Abs. 1 Satz 3 AO 1977 ermögliche es ihr lediglich, die Steuer bei fehlgeschlagener oder nicht nachweisbarer Bekanntgabe auch noch nach Ablauf der Festsetzungsfrist festzusetzen. Letztlich werde die Finanzbehörde bei dieser Auslegung des § 169 Abs. 1 Satz 3 AO 1977 so gestellt, als würde ihr wegen unverschuldeten Untergangs des vor Fristablauf abgesandten Steuerbescheids kraft Gesetzes eine "Wiedereinsetzung in den vorigen Stand" gewährt.

II. 1. Die Revision ist zulässig. Den Klägern ist im Hinblick auf die Nichteinhaltung der Monatsfrist für die Einlegung der Revision (§ 120 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) von Amts wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 56 Abs. 1 und 2 FGO) zu gewähren. Die Fristversäumung beruhte auf einer ungewöhnlich langen Postlaufzeit, mit der die Kläger (insbesondere beim Eilzustellauftrag) nicht rechnen mußten und die ihnen deshalb --auch nach Ansicht des FA-- nicht angelastet werden kann (vgl. dazu allgemein Söhn in Hübschmann/Hepp/ Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., § 110 AO 1977 Rz. 58). Eine Wiederholung der objektiv verspäteten Rechtshandlung ist bei bloßer Fristversäumung nicht notwendig (vgl. Söhn in Hübschmann/Hepp/Spitaler, a.a.O., § 110 AO 1977 Rz. 139 a).

2. Die Revision ist unbegründet.

a) Der angefochtene Umsatzsteueränderungsbescheid für 1981 ist in formeller Hinsicht rechtmäßig ergangen. Durch die Aufgabe des Umsatzsteueränderungsbescheids zur Post am 16. Dezember 1986 ist die Festsetzungsfrist gewahrt worden.

Die vierjährige Festsetzungsfrist (§ 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO 1977) begann im Streitfall nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 mit Ablauf des Jahres 1982, in dem die Steuererklärung für 1981 eingereicht wurde, und endete mit dem 31. Dezember 1986.

Der am 16. Dezember 1986 zur Post gegebene Umsatzsteueränderungsbescheid für 1981 wahrt die Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 AO 1977. Nach dieser Vorschrift ist die Festsetzungsfrist gewahrt, wenn vor Ablauf dieser Frist der Steuerbescheid den Bereich der für die Steuerfestsetzung zuständigen Finanzbehörde verlassen hat. Dies ist ausweislich des Vermerks im Verfügungsteil des Steuerbescheids vor Ablauf der Festsetzungsfrist geschehen. Neben dem Vermerk befindet sich die Paraphe des zuständigen Veranlagungssachbearbeiters B. Die dem Vermerk vorangestellte weitere Paraphe und das Stempeldatum "7. Jan. 1987" stammen dagegen nach den tatsächlichen Feststellungen des FG, an die der erkennende Senat mangels entsprechender Verfahrensrügen nach § 118 Abs. 2 FGO gebunden ist, von einem Mitarbeiter der Finanzkasse und betreffen die Versendung der maschinell erstellten Kassenabrechnung unter diesem Datum.

Die Frist nach § 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 AO 1977 ist gewahrt, wenn der Steuerbescheid vor Ablauf der Festsetzungsfrist den Bereich der für die Steuerfestsetzung zuständigen Finanzbehörde verlassen hat und die Finanzbehörde alle Voraussetzungen eingehalten hat, die für den Erlaß eines wirksamen Steuerbescheids vorgeschrieben sind (Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 31. Oktober 1989 VIII R 60/88, BFHE 160, 7, BStBl II 1990, 518, und vom 19. März 1998 IV R 64/96, BFHE 186, 94, BStBl II 1998, 556). Es ist nicht unbedingt erforderlich, daß der Steuerbescheid, der vor Ablauf der Festsetzungsfrist den Bereich der für die Steuerfestsetzung zuständigen Finanzbehörde verlassen hat, auf dem eingeschlagenen Wege wirksam wird. Es genügt, wenn er nach dem Inhalt der Steuerakten hätte wirksam werden können und später dem Steuerpflichtigen tatsächlich zugeht (BFH-Urteil IV R 64/96).

Dieses Verständnis des § 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 AO 1977 entspricht dem Sinn und Zweck der Vorschriften über die Festsetzungsverjährung, die --aus Gründen der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens-- in gleicher Weise dem Interesse des jeweiligen Verpflichteten aus dem Steuerschuldverhältnis und dem Allgemeininteresse an einem geordneten Arbeitsablauf bei der Finanzverwaltung dienen (vgl. Ruban in Hübschmann/Hepp/Spitaler, a.a.O., vor § 169 AO 1977 Rz. 4).

Es liegt in der dem Gesetzgeber eingeräumten Gestaltungsfreiheit, den Grundsätzen der vereinfachten Zustellung von Steuerbescheiden auch für den Fall der Bekanntgabe kurz vor Ablauf der Festsetzungsfrist Geltung zu verschaffen. Der Steueranspruch besteht, gleichgültig ob die Bekanntgabe fehlgeschlagen ist oder ob dies vom Steuerpflichtigen nur behauptet wird. Nichts anderes ist in der Begründung des Regierungsentwurfs zur AO 1977 gemeint, wonach die Vorschrift erforderlich sei, um die Einhaltung der Festsetzungsfrist von den Zufälligkeiten des Bekanntgabevorgangs unabhängig zu machen (BTDrucks VI/1982 S. 150). In beiden Fällen wird die Bekanntgabe nach Ablauf der Festsetzungsfrist wiederholt und dem Steuerpflichtigen damit die Möglichkeit gegeben, Rechtsbehelfe einzulegen.

Überdies zeigen die Vorschriften über die Hemmung des Ablaufs der Frist für die Festsetzungsverjährung im Falle des Beginns einer Außenprüfung (§ 171 Abs. 4 AO 1977) und im Falle des Beginns von Ermittlungen (§ 171 Abs. 5 und 6 AO 1977), daß auch sonst verwaltungsinterne, dem Steuerpflichtigen (zunächst) nicht bekanntgegebene Maßnahmen den Eintritt der Festsetzungsverjährung hindern können.

Die Regelung, daß bereits die Absendung des Steuerbescheids die Festsetzungsfrist wahrt, erscheint auch im Hinblick auf die Verwandtschaft des Rechtsinstituts der Verjährung mit dem der Verwirkung (vgl. dazu Ruban in Hübschmann/Hepp/Spitaler, a.a.O., vor § 169 AO 1977 Rz. 3) gerechtfertigt, bei der es ebenfalls darauf ankommt, daß die Finanzbehörde zur Geltendmachung ihres Steueranspruchs rechtzeitig tätig wird.

b) Der materiell-rechtliche Regelungsgehalt des angefochtenen Umsatzsteueränderungsbescheids ist zwischen den Beteiligten nicht im Streit. Nach Aktenlage bestehen keine Zweifel an der Rechtmäßigkeit der geänderten Umsatzsteuerfestsetzung, so daß das FG von Ausführungen hierzu zu Recht absehen konnte.

Ende der Entscheidung

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