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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 12.08.2004
Aktenzeichen: V R 27/02
Rechtsgebiete: UStG, EStG


Vorschriften:

UStG § 4 Nr. 14
UStG § 4 Nr. 14 Satz 1
EStG § 18 Abs. 1 Nr. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) erzielt seit 1992 Umsätze aus der selbständigen Tätigkeit als Psychosoziale-Beraterin/Erzieherin und Geburtsvorbereiterin. Daneben hält sie gelegentlich Fortbildungskurse. Die Klägerin übt diese Tätigkeiten fast ausschließlich für das A.-Hospital in B. aus. Dort ist sie seit dem 25. April 1985 als Honorarkraft in der Elternschule tätig. Die Elternschule ist verantwortlich für das Kursangebot rund um die Geburt, hier z.B. für Geburtsvorbereitung, Schwangerschafts- und Rückbildungsgymnastik. Die Kursleiterinnen sind Fachkräfte aus den Berufen Hebamme, Erzieherin, Krankengymnastin, Sozialpädagogin und Geburtsvorbereiterin. Die Teilnehmer/innen zahlen ihre Gebühr bei Kursbeginn. Die Elternschule und die Kursleiterinnen sind berechtigt, den Teilnehmern/innen die Kursgebühr zu quittieren. Diese reichen dann die Quittung nach Beendigung des Kurses bei ihrer jeweiligen Krankenkasse ein, die ihnen den Betrag ganz oder teilweise erstattet.

Die Klägerin hat zunächst eine Ausbildung zur staatlich anerkannten Erzieherin an der Fachschule für Sozialpädagogik und anschließend eine Aus- und Weiterbildung in Geburtsvorbereitung bei der Gesellschaft für Geburtsvorbereitung e.V. einschließlich Kursen für Geburtsvorbereitung, Babymassage und Praktikum im Kreißsaal absolviert. Des Weiteren hat sie einen Fernstudiengang mit der Ausbildung zur geprüften psychologischen Beraterin SPH erfolgreich abgeschlossen. Schließlich hat sie Fortbildungskurse besucht, wie z.B. psycho-soziale Betreuung von Frühgeborenen, der frühe Tod von Kindern, Start ins Leben, vorgeburtliche Diagnostik in der Frühschwangerschaft.

Die Klägerin gab in der Annahme, sie führe umsatzsteuerfreie Umsätze aus, für die Streitjahre 1992 bis 1996 keine Umsatzsteuererklärungen ab.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) teilte diese Auffassung nicht mit der Begründung, eine ähnliche heilberufliche Tätigkeit i.S. des § 4 Nr. 14 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) liege nur vor, wenn sie in wesentlichen Merkmalen mit einer der im Gesetz genannten Berufe verglichen werden könne. Die Ausbildung der Klägerin als staatlich anerkannte Erzieherin mit Befähigung, Frauen und Paargruppen zur Geburtsvorbereitung zu leiten, sowie der Weiterbildung zur geprüften psychologischen Beraterin SPH sei weder mit der Ausbildung einer Hebamme noch der eines Krankengymnasten oder Heilpraktikers vergleichbar.

Das FA erließ für die Streitjahre 1992 bis 1996 entsprechende Umsatzsteuerbescheide.

Die nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG), dessen Urteil in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2002, 1264 abgedruckt ist, war der Auffassung, die Tätigkeit der Klägerin sei der einer Hebamme vergleichbar.

Mit der vom FG zugelassenen Revision rügt das FA Verletzung materiellen Rechts.

Die Ausbildung sei nicht vergleichbar der einer Hebamme, deren staatliche Anerkennung eine 3-jährige Ausbildung und abschließende Prüfung erfordere. Deren Schwerpunkt sei neben der Vor- und Nachsorge und der Erfüllung von Dokumentations- und Meldepflichten die selbständige Durchführung der Entbindungen. Unerheblich sei, dass die Ausbildung der Klägerin Teilbereiche der Hebammentätigkeit abdecke. Zu vergleichen seien nicht Tätigkeiten, sondern Berufe. Es liege keine Heilbehandlung vor, denn die Kursteilnehmer seien keine Patienten, die medizinischer Hilfe bedürften. Soweit sich das FG zur Begründung auch auf die Erstattung der Kosten durch die Krankenkassen stütze, fehle es an einer Rechtsgrundlage.

Das FA beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt die Zurückweisung der Revision.

Die psychosoziale Betreuung von Schwangeren und Frauen nach der Geburt sei eine Heilbehandlung.

II. Die Revision ist aus anderen als den geltend gemachten Gründen begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

1. Nach § 4 Nr. 14 Satz 1 UStG sind "die Umsätze aus der Tätigkeit als Arzt, Zahnarzt, Heilpraktiker, Dentist, Krankengymnast, Hebamme oder aus einer ähnlichen heilberuflichen Tätigkeit im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes" steuerfrei.

2. § 4 Nr. 14 UStG ist richtlinienkonform auszulegen (z.B. Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 19. Dezember 2002 V R 28/00, BFHE 201, 330, BStBl II 2003, 532; vom 1. April 2004 V R 54/98, BFH/NV 2004, 1199). Nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) befreien die Mitgliedstaaten von der Steuer "die Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin, die im Rahmen der Ausübung der von dem betreffenden Mitgliedstaat definierten ärztlichen und arztähnlichen Berufe erbracht werden". Der durch Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 77/388/EWG gezogene gemeinschaftsrechtliche Rahmen und die Auslegung der Tatbestandsmerkmale der bezeichneten Vorschrift durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) sind deshalb bei der gebotenen richtlinienkonformen Auslegung von § 4 Nr. 14 UStG zu beachten.

3. Eine Heilbehandlung im Bereich der Humanmedizin i.S. des Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 77/388/EWG setzt voraus, dass es sich

- um ärztliche oder arztähnliche Leistungen handeln muss,

- diese von Personen erbracht werden, die die erforderlichen beruflichen Befähigungsnachweise besitzen (EuGH-Urteile vom 10. September 2002 Rs. C-141/00, Ambulanter Pflegedienst Kügler GmbH, Slg. 2002, I-6833, Umsatzsteuer-Rundschau --UR-- 2002, 513 Rdnr. 26 ff.; vom 6. November 2003 Rs. C-45/01, Christoph-Dornier-Stiftung, Rdnr. 50, UR 2003, 585).

Der Begriff der ärztlichen oder arztähnlichen Leistung setzt weiter voraus, dass es sich um medizinische Eingriffe handelt, die zu keinem anderen Zweck als dem der Vorbeugung, Diagnose, der Behandlung und, soweit möglich, der Heilung von Krankheiten oder Gesundheitsstörungen vorgenommen werden (EuGH-Urteile in Rdnr. 48, UR 2003, 585; vom 20. November 2003 Rs. C-212/01, Margarete Unterpertinger, UR 2004, 70, Rdnr. 39 und Rs. C-307/01, Peter d'Ambrumenil, UR 2004, 75 Rdnr. 57).

4. Aus den tatsächlichen Feststellungen des FG ergibt sich nicht, welche konkreten Tätigkeiten die Klägerin im Rahmen der von der "Elternschule" angebotenen Kurse "rund um die Geburt" ausgeführt hat; das FG erwähnt insoweit nur, dass die Klägerin als Honorarkraft in der Elternschule tätig war. Lediglich als Beispiele für das Kursangebot nennt das FG die Geburtsvorbereitung, Schwangerschafts- und Rückbildungsgymnastik und als Kursleiterinnen neben Hebammen und Geburtsvorbereiterinnen auch Fachkräfte aus den Berufen Erzieherin und Sozialpädagogin. Den Feststellungen lässt sich weder entnehmen, welche Kurse mit welchem Inhalt die --u.a. auch als ausgebildete Erzieherin staatlich anerkannte-- Klägerin ausgeführt hat, welche Leistungen ihrer Art nach die Krankenkassen --ganz oder teilweise-- ersetzen bzw. welche Leistungen erstattungsfähig sind. Nicht erkennbar ist weiter, welchen Inhalt die von der Klägerin durchgeführten Fortbildungskurse haben.

Die Sache wird deshalb zur Nachholung entsprechender Feststellungen zurückverwiesen. Bei seiner erneuten Entscheidung wird das FG die Grundsätze des zur Veröffentlichung bestimmten Senatsurteils vom 12. August 2004 V R 18/02 zu beachten haben.

Ende der Entscheidung

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