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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 25.01.2006
Aktenzeichen: V R 46/04
Rechtsgebiete: UStG 1993, Richtlinie 77/388/EWG


Vorschriften:

UStG 1993 § 4 Nr. 16 Buchst. b
Richtlinie 77/388/EWG Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b
Richtlinie 77/388/EWG Art. 13 Abs. 2 Buchst. b

Entscheidung wurde am 12.04.2006 korrigiert: im Leitsatz unter 1. wurde das Wort "unentgeltlich" gestrichen
1. Die Personalgestellung durch ein Krankenhaus an eine Arztpraxis kann ein mit dem Betrieb des Krankenhauses eng verbundener, nach § 4 Nr. 16 Buchst. b UStG 1993 steuerfreier Umsatz sein, z.B. wenn das Krankenhaus medizinische Großgeräte der Arztpraxis durch eigenes Personal nutzen darf und im Gegenzug sein Personal zur Bedienung der Geräte auch für die Nutzung durch die Arztpraxis gegen Kostenerstattung überlässt.

2. Ein mit dem Betrieb des Krankenhauses eng verbundener Umsatz kann danach ausnahmsweise auch dann vorliegen, wenn die Arztpraxis nicht nur die Krankenhauspatienten, sondern auch andere Patienten versorgt. Ob ein derartiger Ausnahmefall vorliegt, kann nur unter Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls beurteilt werden (Anschluss an BFH-Urteil vom 18. Januar 2005 V R 35/02, BFHE 208, 486, BStBl II 2005, 507).


Gründe:

I.

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger), ein eingetragener Verein, ist u.a. Träger eines Krankenhauses, welches die Voraussetzungen des § 67 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) erfüllt. Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die aus der Personalgestellung an eine radiologische Gemeinschaftspraxis erzielten Umsätze des Klägers nach § 4 Nr. 16 Buchst. b des Umsatzsteuergesetzes (UStG 1993) steuerfrei sind.

Das Krankenhaus des Klägers hat eine eigene Abteilung für Röntgendiagnostik und Röntgentherapie, die sowohl für die stationäre Behandlung der Patienten als auch für die ambulanten Patienten des Krankenhauses zur Verfügung steht. Außerdem besteht in den Räumen des Krankenhauses eine private Gemeinschaftspraxis, die seit dem 1. April 1984 eine Praxis für Röntgendiagnostik und Röntgentherapie betreibt. Die Geräte und das Personal des Krankenhauses stehen auch für die Behandlung der ambulanten Patienten der Gemeinschaftspraxis zur Verfügung. Daneben verfügte die Gemeinschaftspraxis in den Streitjahren 1995 und 1996 über einen Computertomograph (CT) und einen Kernspintomograph (MR). Sie hatte diese Großgeräte in Absprache mit dem Krankenhaus des Klägers angeschafft. Für die Bedienung dieser Geräte wurde das Personal des Klägers eingesetzt, dessen Kosten der Kläger dann der Gemeinschaftspraxis in Rechnung stellte. Die Gemeinschaftspraxis hatte in den Streitjahren kein eigenes Personal.

Bezüglich der Nutzung der medizinischen Großgeräte liegen nach den Feststellungen des Finanzgerichts (FG) zwischen dem Kläger und der Gemeinschaftspraxis folgende Vereinbarungen vor:

"1. Großgeräte, die dem Krankenhaus gehören (Kobaltanlage und DSA), kann die Praxisgemeinschaft einschließlich des Hilfspersonals gegen Entgelt mitnutzen.

2. Computertomograph --CT-- (1990/1994) und Kernspintomograph --MR-- (1995): Das CT-Gerät kann das Krankenhaus für eigene Zwecke gegen Entgelt selbst nutzen. Das MR-Gerät wird bei den stationären Patienten des Krankenhauses über die Praxisgemeinschaft gegen Entgelt eingesetzt."

Im Rahmen einer Umsatzsteuer-Sonderprüfung im Jahr 2000 wegen der steuerpflichtigen Umsätze in den Jahren 1995 und 1996 stellte der Prüfer u.a. Folgendes fest:

"Ferner wird das Personal (gemeint ist das Personal des Krankenhauses) auch für die Bedienung der Großgeräte der Praxisgemeinschaft - Computertomograph (CT) und Kernspintomograph (MR) - usw. überlassen. Die Personalkosten werden jährlich abgerechnet (monatliche Vorauszahlungen werden geleistet). Die Praxisgemeinschaft verfügt im Prüfungszeitraum über kein eigenes Personal. Diese Personalgestellung gehört nicht zu den eng mit dem Betrieb eines Krankenhauses verbundenen Umsätzen. Nach Abschnitt 100 Abs. 1 der Umsatzsteuer-Richtlinien 1992/1996 (UStR) sind nur solche Umsätze mit dem Betrieb eines Krankenhauses eng verbunden, die für diese Einrichtungen nach der Verkehrsauffassung typisch und unerlässlich sind, regelmäßig und allgemein beim laufenden Betrieb vorkommen und damit unmittelbar oder mittelbar zusammenhängen.

Die Personalgestellung unterliegt dem allgemeinen Steuersatz.

1995: Personalkosten lt. Abrechnung - Bruttobetrag 362.054,49 DM - Nettobetrag 314.830,-- DM.

1996: Personalkosten lt. Abrechnung - Bruttobetrag 436.143,51 DM - Nettobetrag 379.255,-- DM."

Am 2. Januar 2001 erließ der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) für die Streitjahre 1995 und 1996 entsprechend geänderte Umsatzsteuerbescheide.

Dagegen legte der Kläger erfolglos Einspruch ein.

In seiner Klage gegen die geänderten Umsatzsteuerbescheide und die Einspruchsentscheidung vom 6. Juli 2001 führte der Kläger insbesondere aus: Die Kooperation mit der Praxisgemeinschaft sichere die Nutzung der Großgeräte für das Krankenhaus insgesamt und insbesondere des CT und des MR, die Eigentum der Praxisgemeinschaft seien, auch außerhalb der Arbeitszeiten der Praxisgemeinschaft. Das Krankenhaus hätte dadurch --auch in der Vergangenheit-- neben der allgemeinen Versorgung auch seinen notärztlichen Versorgungsauftrag kompetent und umfassend erfüllen können. Der Einsatz der Großgeräte wirke sich damit zum einen über die Pflegesätze selbst und zum anderen durch mehr Patienten aufgrund des Angebotes direkt auf den krankenhauseigenen Umsatz aus. In der Darstellung nach außen, d.h. gegenüber den Patienten, werde betreffend des Einsatzes der Großgeräte keine Unterscheidung zwischen der Ärztegemeinschaft und dem Krankenhaus getroffen. Für die Bedienung der Großgeräte, unabhängig, ob sie im Eigentum des Krankenhauses oder der Ärztegemeinschaft ständen, sei das medizinisch-technische Personal des Krankenhauses eingesetzt worden; dadurch habe auch die Qualifizierung des eigenen Personals für die Bedienung der modernen Großgeräte sichergestellt werden können. Die eigene Röntgenabteilung sei nicht aufgegeben, sondern die neuen Großgeräte der Praxisgemeinschaft seien durch den Kooperationsvertrag in das Krankenhaus eingegliedert worden.

Das FG gab der Klage statt und hob die Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 1995 und 1996 vom 20. Januar 2001 sowie die Einspruchsentscheidung vom 6. Juli 2001 auf. Zur Begründung führt es im Wesentlichen aus, dass der Senat nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung die Überzeugung gewonnen habe, dass die Überlassung von medizinisch-technischen Hilfskräften durch das Krankenhaus an die Gemeinschaftspraxis zur Bedienung des CT und des MR, die im Eigentum der Gemeinschaftspraxis standen, als Dienstleistungen zu beurteilen seien, die mit der Krankenhausbehandlung eng verbunden sind und daher die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 16 Buchst. b UStG 1993 eingreife. Ein unmittelbarer Wettbewerb mit anderen Personalgestellungsunternehmen, die steuerpflichtige Umsätze ausführten, habe nicht vorgelegen. Das Urteil des FG ist in "Entscheidungen der Finanzgerichte" (EFG) 2004, 1799 veröffentlicht.

Mit der vom FG zugelassenen Revision rügt das FA Verletzung materiellen Rechts. Es ist der Meinung, es lägen keine mit den Krankenhausleistungen eng verbundene Umsätze i.S. des § 4 Nr. 16 Buchst. b UStG 1993 vor, schon weil diese Leistungen nicht an die Patienten, sondern an einen anderen medizinischen Betrieb erbracht würden. Eine Personalgestellung gehöre im Regelfall nicht zu den typischen, regelmäßig und allgemein im laufenden Betrieb eines Krankenhauses vorkommenden Umsätzen; eine Ausnahme i.S. des Abschn. 100 Abs. 1 Satz 1 UStR liege nicht vor. Die bloße Verschaffung zusätzlicher Einnahmen --im Wettbewerb zu steuerpflichtigen Umsätzen anderer Unternehmer (Personalvermittlungsunternehmen, Leiharbeitsfirmen)-- unterfalle nicht der Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 16 Buchst. b UStG 1993.

Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Die Beteiligten haben auf mündliche Verhandlung verzichtet.

II.

Die Revision ist unbegründet. Sie ist daher nach § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückzuweisen.

1. Nach § 4 Nr. 16 Buchst. b UStG 1993 sind die mit dem Betrieb der Krankenhäuser, Diagnosekliniken und anderen Einrichtungen ärztlicher Heilbehandlung eng verbundenen Umsätze steuerfrei, wenn bei Krankenhäusern im vorangegangenen Kalenderjahr die in § 67 Abs. 1 oder 2 AO 1977 bezeichneten Voraussetzungen erfüllt sind.

Die Vorschrift beruht --soweit hier von Interesse-- auf Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG). Nach dieser Bestimmung befreien die Mitgliedstaaten unter den Bedingungen, die sie zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung der Befreiungen sowie zur Verhütung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und etwaigen Missbräuchen festsetzen, von der Steuer:

"die Krankenhausbehandlung und die ärztliche Heilbehandlung sowie die mit ihnen eng verbundenen Umsätze, die von Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder unter Bedingungen, welche mit den Bedingungen für diese Einrichtungen in sozialer Hinsicht vergleichbar sind, von Krankenanstalten, Zentren für ärztliche Heilbehandlung und Diagnostik und anderen ordnungsgemäß anerkannten Einrichtungen gleicher Art durchgeführt werden beziehungsweise bewirkt werden."

Nach Art. 13 Teil A Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG ist die in Abs. 1 Buchst. b vorgesehene Steuerbefreiung ausgeschlossen, wenn

- sie zur Ausübung der Tätigkeiten, für die Steuerbefreiung gewährt wird, nicht unerlässlich sind;

- sie im Wesentlichen dazu bestimmt sind, der Einrichtung zusätzliche Einnahmen durch Tätigkeiten zu verschaffen, die in unmittelbarem Wettbewerb mit Tätigkeiten von der Mehrwertsteuer unterliegenden gewerblichen Unternehmen durchgeführt werden.

2. Der Kläger betreibt ein Krankenhaus, für das die Voraussetzungen des § 67 AO 1977 unstreitig vorliegen.

a) Das FG ist auch ohne Rechtsverstoß davon ausgegangen, dass die Personalgestellung durch ein Krankenhaus an eine Arztpraxis (Gemeinschaftspraxis) ein mit dem Betrieb des Krankenhauses eng verbundener Umsatz sein kann, wenn die Personalgestellung für die ärztliche Versorgung der Krankenhauspatienten unerlässlich ist. Dies wird auch grundsätzlich von der Finanzverwaltung anerkannt (vgl. Abschn. 100 Abs. 2 UStR 2005). Ein mit dem Betrieb des Krankenhauses eng verbundener Umsatz kann in Ausnahmefällen sogar dann vorliegen, wenn die Arztpraxis nicht nur die Krankenhauspatienten, sondern auch andere Patienten versorgt. Ob ein derartiger Ausnahmefall vorliegt, kann nur unter Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls beurteilt werden, die in erster Linie dem FG obliegt (vgl. Senatsurteil vom 18. Januar 2005 V R 35/02, BFHE 208, 486, BStBl II 2005, 507). Auf die Frage, ob die Gemeinschaftspraxis nur die Krankenhauspatienten des Klägers behandelt hat, kommt es demnach nicht an.

b) Im Streitfall ist das FG ohne Rechtsverstoß zu dem Ergebnis gelangt, dass die Personalgestellung für die umfassende radiologische Behandlung der Krankenhauspatienten unerlässlich war, weil anders eine Nutzung von Computertomographie und Kernspintomographie für die Krankenhauspatienten nicht möglich gewesen wäre. Dies ist im Wesentlichen eine tatsächliche Würdigung des streitigen Sachverhalts, an die der Senat gebunden ist (vgl. § 118 Abs. 2 FGO).

Dem FA ist zwar einzuräumen, dass Steuerbefreiungsvorschriften grundsätzlich eng auszulegen sind. Wie der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) jedoch entschieden hat, verlangt der Begriff der mit der Krankenhausbehandlung oder ärztlichen Heilbehandlung eng verbundenen Umsätze in Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG keine besonders enge Auslegung, da durch die Befreiung der eng mit der Krankenhausbehandlung oder ärztlichen Heilbehandlung verbundenen Umsätze gewährleistet werden soll, dass der Zugang zu solchen Behandlungen nicht durch höhere Kosten versperrt wird, die entstünden, wenn die Behandlungen selbst oder die eng mit ihnen verbundenen Umsätze der Mehrwertsteuer unterworfen wären (EuGH-Urteil vom 11. Januar 2001 Rs. C-76/99, Kommission/Frankreich, Slg. 2001, I-249, Umsatzsteuer-Rundschau --UR-- 2001, 62 RandNr. 23). Dies muss auch für § 4 Nr. 16 UStG 1993 gelten. "Eng verbundene Umsätze" liegen allgemein dann vor, wenn die erbrachten Leistungen als Nebenleistungen zu einer Krankenhausbehandlung anzusehen sind; dies ist dann der Fall, wenn sie keinen eigenen Zweck erfüllen, sondern das Mittel darstellen, um die Hauptleistung unter optimalen Bedingungen in Anspruch nehmen zu können (EuGH-Urteil vom 1. Dezember 2005 C-394/04 und C-395/05 Ygeia, UR 2006, 150); wegen des Zweckes der Steuerbefreiung in Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG muss es sich dabei um Leistungen handeln, die sich auf die Kosten der medizinischen Behandlungen auswirken, wie dies hier der Fall ist. Das Krankenhaus des Klägers behält seine eigene Röntgenabteilung, "modernisiert" diese nur unter Nutzung der für sie zu teuren Geräte --CT und MR-- der Gemeinschaftspraxis und stellt dafür zur Bedienung der im Eigentum der Gemeinschaftspraxis stehenden Geräte eigenes Personal. Weil diese verschränkte Nutzung in vielfacher Weise dem Krankenhaus selbst zugute kommt --den eigenen Patienten, Anerkennung als Notfallkrankenhaus, Qualifikation des eigenen Personals-- sind die Personalgestellungsumsätze eng mit den eigenen Krankenhausleistungen verbunden; jedenfalls ist diese tatsächliche Würdigung des FG revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

c) Der Senat kann auch nicht erkennen, dass die streitige Personalgestellung im Wesentlichen dazu bestimmt war, dem Kläger zusätzliche Tätigkeiten zu verschaffen, die in unmittelbarem Wettbewerb mit Tätigkeiten von der Mehrwertsteuer unterliegenden gewerblichen Unternehmen durchgeführt werden. Das FG hat einen schädlichen Wettbewerb i.S. des Art. 13 Teil A Abs. 2 Buchst. b 2. Gedankenstrich der Richtlinie 77/388/EWG mit der Begründung verneint, dass in den Streitjahren ohnehin kaum medizinisch-technisches Personal mit CT- oder MR-Schein auf dem Arbeitsmarkt zu erhalten war. Diese tatsächliche Feststellung ist mit Verfahrensrügen nicht angegriffen worden und daher für den Senat bindend (§ 118 Abs. 2 FGO).

Ende der Entscheidung

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