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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 19.05.2005
Aktenzeichen: V R 50/01 (1)
Rechtsgebiete: FGO, 1980/1991


Vorschriften:

FGO § 74
1980/1991 § 1 Abs. 1 Nr. 1
1980/1991 § 4 Nr. 9 Buchst. b
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) betrieb von September 1987 bis 1991 in H das Spielcasino "Monte Carlo". Er veranstaltete zunächst überwiegend Roulette. Spätestens ab Oktober 1989 wurden auch Kartenspiele ausgerichtet. Sämtliche Spiele durften gemäß der gewerberechtlichen Erlaubnis nur nach bestimmten Regeln lt. Unbedenklichkeitsbescheinigung des Bundeskriminalamtes gespielt werden. U.a. wurden auch Karten-Memory-Spiele für unbedenklich erklärt, die neben dem Spieltisch über eine sog. Kartentafel verfügen. In diese müssen 42 Karten eines 52er Kartenspiels mit der Rückseite nach oben gelegt werden. Anschließend wird die Kartentafel für eine Minute offen gelegt. In dieser Einsichtszeit müssen die Spieler versuchen, sich die Lage derjenigen Karten zu merken, die sie für das Spiel verwenden wollen. In maximal fünf Ziehungsdurchgängen teilen die Spieler dem Croupier durch Ansagen der jeweiligen Kartenfachnummer mit, welche Karte sie für ihr Handblatt benötigen. Ziel des Spiels ist es, mit mindestens zwei und höchstens fünf Karten eine möglichst hohe Kartenkombination mit maximal 21 Punkten zu erreichen. Der Einsatz ist auf maximal 45 DM pro Spieler beschränkt. Der Veranstalter erhält eine Spielabgabe in Höhe von 10 % des Einsatzes.

Der Kläger hielt sich in den Streitjahren (1989 bis 1991) sowohl beim Roulettespiel als auch beim Kartenspiel nicht an die Vorgaben der Unbedenklichkeitsbescheinigung des Bundeskriminalamts. U.a. wurden die Kartentafel nicht benutzt und die zulässigen Einsätze überschritten. Der Kläger führte über die Spielumsätze keine Aufzeichnungen.

Nach einer Betriebsprüfung setzte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) die Umsatzsteuer für die Streitjahre fest (Umsatzsteuerbescheide 1989 bis 1991 vom 1. April 1996). In den Bescheiden waren zunächst die nicht genehmigten Roulette- und Kartenspielumsätze berücksichtigt. Der Einspruch des Klägers hatte insoweit Erfolg, als das FA aufgrund des Urteils des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) vom 11. Juni 1998 Rs. C-283/95 --Karlheinz Fischer-- (Slg. 1998, I-3369, Internationales Steuerrecht --IStR-- 1998, 399) das Roulettespiel steuerfrei beließ. Die illegal veranstalteten Kartenspiele behandelte das FA jedoch weiterhin als steuerpflichtig; dabei schätzte es den Anteil der Kartenspielumsätze an den Gesamtumsätzen (Einspruchsentscheidung vom 4. September 2000).

Die daraufhin erhobene Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) kam zum Ergebnis, entsprechend den Grundsätzen des EuGH-Urteils in Slg. 1998, I-3369, IStR 1998, 399 seien auch die Kartenspielumsätze nach Art. 13 Teil B Buchst. f der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) von der Umsatzsteuer befreit; der Unternehmer könne sich insoweit unmittelbar auf diese Vorschrift berufen. Der Senat sehe keine Gründe, die vom EuGH aufgestellten Grundsätze nur auf das Roulettespiel zu beschränken.

Gegen das Urteil des FG, das in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2001, 1252 veröffentlicht ist, wendet sich das FA mit der vorliegenden Revision. Es meint, die Grundsätze des EuGH-Urteils in Slg. 1998, I-3369, IStR 1998, 399 könnten nicht ohne weiteres auf das vom Kläger veranstaltete Kartenspiel übertragen werden; es handele sich um das Spiel "Jeu 21". Der EuGH habe in seinem Urteil ein echtes Wettbewerbsverhältnis zwischen dem Roulettespiel in öffentlichen Spielbanken und dem von Karlheinz Fischer veranstalteten Roulettespiel unterstellt. Hieran fehle es im Streitfall; das vom Kläger veranstaltete "Jeu 21" könne mit den in öffentlichen Spielbanken gespielten "Black Jack" nur bedingt verglichen werden.

Mit Beschluss vom 6. November 2002 (BFHE 200, 145) hatte der Senat das Verfahren gemäß § 74 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ausgesetzt und dem EuGH gemäß Art. 234 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften (EG) folgende Fragen zur Auslegung der Richtlinie 77/388/EWG vorgelegt:

"1. Verbietet Art. 13 Teil B Buchst. f der Richtlinie 77/388/EWG einem Mitgliedstaat, die Veranstaltung eines Kartenspiels bereits dann der Mehrwertsteuer zu unterwerfen, wenn die Veranstaltung eines Kartenspiels durch eine zugelassene öffentliche Spielbank steuerfrei ist, oder muss zusätzlich feststehen, dass die außerhalb der Spielbanken veranstalteten Kartenspiele in wesentlichen Punkten, wie z.B. bei den Spielregeln, beim Höchsteinsatz und Höchstgewinn, mit den Kartenspielen in den Spielbanken vergleichbar sind?

2. Kann sich der Veranstalter auf die Steuerfreiheit nach Art. 13 Teil B Buchst. f der Richtlinie 77/388/EWG berufen?"

Der EuGH hat die Sache mit der Rs. C-453/02 verbunden und mit Urteil vom 17. Februar 2005 Rs. C-453/02 --Edith Linneweber-- und C-462/02 --Savvas Akritidis-- (Umsatzsteuer-Rundschau --UR-- 2005, 194 mit Anm. Birk/Jahndorf, Deutsches Steuerrecht --DStR-- 2005, 371 mit Anm. Zugmaier, IStR 2005, 200 mit Anm. Dziadkowski, Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht --EuZW-- 2005, 210 mit Anm. Thym/ Heckeler) geantwortet:

"1. Artikel 13 Teil B Buchstabe f der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG ... ist dahin auszulegen, dass er nationalen Rechtsvorschriften entgegensteht, wonach die Veranstaltung oder der Betrieb von Glücksspielen und Glücksspielgeräten aller Art in zugelassenen öffentlichen Spielbanken steuerfrei ist, während diese Steuerbefreiung für die Ausübung der gleichen Tätigkeit durch Wirtschaftsteilnehmer, die nicht Spielbankbetreiber sind, nicht gilt.

2. Artikel 13 Teil B Buchstabe f der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG hat unmittelbare Wirkung in dem Sinne, dass sich ein Veranstalter oder Betreiber von Glücksspielen oder Glücksspielgeräten vor den nationalen Gerichten darauf berufen kann, um die Anwendung mit dieser Bestimmung unvereinbarer innerstaatlicher Rechtsvorschriften zu verhindern."

Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger ist der Revision entgegengetreten.

Er behauptet, nicht das Spiel, sondern lediglich das Spielgerät, auf dem es gespielt werde, trage den Namen "Jeu 21". So wie das Spiel gespielt worden sei, entspreche es den in Spielbanken gespielten Kartenspielen.

II. Die Revision ist unbegründet. Das FG hat zu Recht entschieden, dass sich der Kläger auf die Steuerbefreiung seiner Kartenspielumsätze nach Art. 13 Teil B Buchst. f der Richtlinie 77/388/EWG berufen kann.

1. Der Kläger hat als Betreiber des Spielcasinos "Monte Carlo" Umsätze i.S. des § 1 Abs. 1 Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes 1980/1991 (UStG) gegenüber den Spielern ausgeführt.

2. Diese Umsätze waren nicht nach § 4 Nr. 9 Buchst. b UStG steuerfrei. Nach dieser Vorschrift sind die Umsätze, die unter das Rennwett- und Lotteriegesetz (RennwLottG) fallen, sowie die Umsätze der zugelassenen öffentlichen Spielbanken, die durch den Betrieb der Spielbank bedingt sind, steuerfrei.

Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind nicht erfüllt, da die streitigen Umsätze nicht unter das RennwLottG fallen und der Kläger keine öffentliche Spielbank betrieb.

3. Der Kläger kann sich jedoch --auch wegen der noch streitigen Kartenspiele-- auf die Steuerfreiheit nach Art. 13 Teil B Buchst. f der Richtlinie 77/388/EWG berufen.

Nach dieser Bestimmung befreien die Mitgliedstaaten Wetten, Lotterien und sonstige Glücksspiele mit Geldeinsatz "unter den Bedingungen und Beschränkungen, die von jedem Mitgliedstaat festgelegt werden" und die sie zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung der Befreiungen sowie zur Verhütung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und etwaigen Missbräuchen festsetzen, von der Steuer.

a) Wie der EuGH in der vorliegenden Sache entschieden hat, ist Art. 13 Teil B Buchst. f der Richtlinie 77/388/EWG "dahin auszulegen, dass er nationalen Rechtsvorschriften entgegensteht, wonach die Veranstaltung oder der Betrieb von Glücksspielen und Glücksspielgeräten aller Art in zugelassenen öffentlichen Spielbanken steuerfrei ist, während diese Steuerbefreiung für die Ausübung der gleichen Tätigkeit durch Wirtschaftsteilnehmer, die nicht Spielbankbetreiber sind, nicht gilt".

Eine derartige nationale Rechtsvorschrift ist § 4 Nr. 9 Buchst. b UStG. Nach ihr sind die Umsätze der öffentlichen Spielbanken, die durch den Betrieb der Spielbank bedingt sind, und damit auch die dort getätigten Kartenspielumsätze steuerfrei, während diese Steuerbefreiung für die Ausübung der gleichen Tätigkeit durch Wirtschaftsteilnehmer, die nicht Spielbankbetreiber sind, nicht gilt. Die Vorschrift des § 4 Nr. 9 Buchst. b UStG macht die Steuerbefreiung der von ihr erfassten Spielumsätze von der Identität des Veranstalters der Glücksspiele abhängig und ist deshalb nach Auffassung des EuGH unter Berücksichtigung des Grundsatzes der steuerlichen Neutralität mit Art. 13 Teil B Buchst. f der Richtlinie 77/388/EWG unvereinbar (vgl. RandNr. 24 ff., 29 und 30 des EuGH-Urteils).

Der Frage, ob die außerhalb der Spielbanken veranstalteten Kartenspiele in wesentlichen Punkten, wie z.B. bei den Spielregeln, beim Höchsteinsatz und Höchstgewinn, mit den Kartenspielen in den Spielbanken vergleichbar sind, hat der EuGH daher keine Bedeutung beigemessen.

Ebenso wenig hindert der Umstand, dass die Spielbanken einer auf der Grundlage ihrer Spielerträge berechneten Spielbankabgabe unterliegen, dass die Veranstaltung von Glücksspielen in zugelassenen öffentlichen Spielbanken und außerhalb dieser Spielbanken "die Ausübung der gleichen Tätigkeit" darstellt (vgl. EuGH-Urteil in Slg. 1998, I-3369, IStR 1998, 399 RandNr. 29).

b) Da § 4 Nr. 9 Buchst. b UStG mit der Bestimmung des Art. 13 Teil B Buchst. f der Richtlinie 77/388/EWG unvereinbar ist, kann sich der Kläger in dem Sinne auf diese Bestimmung berufen, dass die Vorschrift des § 4 Nr. 9 Buchst. b UStG keine Anwendung findet.

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