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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 21.06.2001
Aktenzeichen: V R 68/00
Rechtsgebiete: UStG 1993, Richtlinie 77/388/EWG


Vorschriften:

UStG 1993 § 2 Abs. 2 Nr. 2
UStG 1993 § 13 Abs. 1
UStG 1993 § 13 Abs. 2 Nr. 1
UStG 1993 § 14 Abs. 1 Satz 6
UStG 1993 § 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2
UStG 1993 § 27 Abs. 1
Richtlinie 77/388/EWG Art. 10 Abs. 2 Unterabs. 2
1. Die Regelung über die Entstehung der Steuer für vereinnahmte Anzahlungen nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Satz 4 UStG enthält einen selbständigen und abschließenden Steuerentstehungstatbestand.

2. Von einem Organträger versteuerte Anzahlungen für Leistungen, die erst nach Beendigung der Organschaft abschließend erbracht werden, sind bei der Steuerfestsetzung gegenüber der vormaligen Organgesellschaft steuermindernd zu berücksichtigen.


Gründe:

I.

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Konkursverwalter einer GmbH, über deren Vermögen am 28. Februar 1995 das Konkursverfahren eröffnet wurde. Die GmbH, ein Bauunternehmen, war bis zu diesem Zeitpunkt Organgesellschaft; Organträger war bis zum 31. Dezember 1994 ein Einzelunternehmer und danach eine GmbH & Co. KG.

Aufgrund des fortgeschrittenen Bauzustandes entschloss sich der Kläger, das Bauvorhaben X in A fertig zu stellen. Die Auftraggeberin hatte zuvor in den Jahren 1993 und 1994 erhebliche Anzahlungen geleistet. Nach Fertigstellung des Bauvorhabens und Abrechnung (Gesamtbausumme 1 691 541,88 DM + 253 731,28 DM Umsatzsteuer) erhielt der Kläger eine Restzahlung in Höhe von 169 165 DM brutto.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) stellte sich im Anschluss an eine Umsatzsteuer-Sonderprüfung auf den Standpunkt, die Organschaft sei mit der Konkurseröffnung beendet worden. Infolgedessen habe die GmbH als ehemalige Organgesellschaft nach der Fertigstellung der Baumaßnahme die gesamte Netto-Bausumme der Umsatzsteuer zu unterwerfen, während die Versteuerung der Anzahlungen beim Organträger rückgängig zu machen sei. Dementsprechend erließ das FA einen Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheid für Mai 1995 gegen den Kläger als Konkursverwalter der GmbH, in dem es Umsätze in Höhe von 1 691 541 DM der Besteuerung unterwarf.

Der Einspruch gegen diesen Bescheid blieb erfolglos. Während des anschließenden Klageverfahrens erging der Umsatzsteuer-Jahresbescheid 1995. Darin erhöhte das FA die vom Kläger für die GmbH in der Umsatzsteuer-Jahreserklärung erklärten Umsätze (451 649 DM) um (1 691 541 DM - 169 165 DM =) 1 522 376 DM. Dabei ging es zum einen irrtümlich davon aus, dass der Kläger den Betrag von 169 165 DM bereits in seiner Umsatzsteuer-Jahreserklärung berücksichtigt habe; zum anderen setzte es zugunsten des Klägers mit 169 165 DM den Brutto-Betrag (statt richtig: 147 100 DM) ab. Dementsprechend wurde die Umsatzsteuer 1995 (um 228 356 DM erhöht) auf 246 477 DM festgesetzt.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage gegen den vom Kläger zum Gegenstand des Verfahrens erklärten Umsatzsteuer-Jahresbescheid 1995 als unbegründet ab. Es folgte der Auffassung des FA. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2000, 1421 veröffentlicht.

Mit der vom FG zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er vertritt die Auffassung, die vom Organträger versteuerten Anzahlungen müssten von der Umsatzsteuerschuld der GmbH abgesetzt werden, so dass diese lediglich die nach Konkurseröffnung erhaltene Restzahlung in Höhe von 169 165 DM mit dem Nettobetrag zu versteuern habe.

Der Kläger beantragt sinngemäß, die Vorentscheidung aufzuheben und die Umsatzsteuer 1995 vermindert um die bereits versteuerten Anzahlungen festzusetzen.

Das FA tritt der Revision entgegen.

II.

Die Revision des Klägers ist begründet.

Das FA hat im angefochtenen Umsatzsteuerbescheid 1995 zu Unrecht die für das Bauvorhaben X insgesamt erbrachten Leistungen ohne Minderung um die vom vormaligen Organträger erklärten und entrichteten Umsatzsteuerbeträge auf erhaltene Anzahlungen festgesetzt.

1. Steuerschuldner ist bei Lieferungen und sonstigen Leistungen, die ein Unternehmer im Inland gegen Entgelt im Rahmen seines Unternehmens ausführt, gemäß § 13 Abs. 2 Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes 1993 (UStG) der Unternehmer. Unternehmer und Steuerschuldner der im Rahmen des Bauvorhabens X erbrachten und mit Rechnung vom 1. März 1995 abgerechneten Leistungen war im Streitfall die GmbH.

Unternehmer ist, wer eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbständig ausübt (§ 2 Abs. 1 Satz 1 UStG). Die gewerbliche oder berufliche Tätigkeit wird nicht selbständig ausgeübt, wenn eine juristische Person nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in das Unternehmen des Organträgers eingegliedert ist (Organschaft, § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG).

Die GmbH war ab Eröffnung des Konkursverfahrens am 28. Februar 1995 selbständiger Unternehmer. Vorher war sie zwar nach den --nicht umstrittenen-- Feststellungen des FG als Organgesellschaft i.S. des § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG unselbständig. Diese Stellung als Organgesellschaft verlor sie aber mit Eröffnung des Konkursverfahrens über ihr Vermögen. Damit endet die Organschaft, denn der Organträger verliert mit der Eröffnung des Konkurses den maßgeblichen Einfluss auf die frühere Organgesellschaft an deren Konkursverwalter (allgemeine Ansicht, vgl. z.B. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 28. Januar 1999 V R 32/98, BFHE 187, 355, BStBl II 1999, 258, m.w.N.).

2. Die Umsatzsteuer entsteht für Lieferungen und sonstige Leistungen bei der Berechnung der Steuer nach vereinbarten Entgelten --wie hier-- mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums, in dem die Leistungen ausgeführt worden sind (§ 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Satz 1 UStG). Das gilt auch für Teilleistungen; sie liegen vor, wenn für bestimmte Teile einer wirtschaftlich teilbaren Leistung das Entgelt gesondert vereinbart wird (§ 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Sätze 2 und 3 UStG). Wird das Entgelt oder ein Teil des Entgelts vereinnahmt, bevor die Leistung oder die Teilleistung ausgeführt worden ist, so entsteht insoweit die Steuer mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums, in dem das Entgelt oder das Teilentgelt vereinnahmt worden ist (§ 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Satz 4 UStG).

Die letztgenannte Vorschrift trägt nach der Gesetzesbegründung der gemeinschaftsrechtlichen Vorgabe durch Art. 10 Abs. 2 Unterabs. 2 der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) Rechnung (vgl. BTDrucks 8/1779 S. 40). Wenn Anzahlungen geleistet werden, bevor die Lieferung von Gegenständen oder die Dienstleistung bewirkt ist, so entsteht nach dieser Bestimmung der Steueranspruch zum Zeitpunkt der Vereinnahmung entsprechend dem vereinnahmten Betrag.

3. Im Streitfall wurde der umsatzsteuerrechtliche Leistungstatbestand (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG) für sämtliche von der GmbH bzw. von ihrem Organträger im Rahmen des Bauvorhabens X erbrachten Leistungen erst mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums verwirklicht, in dem die Leistungen ausgeführt worden sind. Dabei geht der Senat mit dem FG und den Beteiligten davon aus, dass es sich bei den ausgeführten Bauleistungen um Werklieferungen handelte, die (insgesamt) von der Auftraggeberin erst nach Eröffnung des Konkursverfahrens abgenommen worden sind. Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass vorher Teilleistungen i.S. des § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Sätze 2 und 3 UStG erbracht worden sind.

4. Entgegen der Ansicht des FA und des FG müssen gleichwohl die vor Konkurseröffnung vom damaligen Organträger der GmbH gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Satz 4 UStG versteuerten Anzahlungen von der Umsatzsteuerschuld der GmbH abgesetzt werden.

a) § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Satz 4 UStG enthält einen selbständigen und abschließenden Steuerentstehungstatbestand.

Das ergibt sich aus dem --nicht mit einer weiteren Bedingung versehenen-- Wortlaut der Vorschrift (..."so entsteht insoweit die Steuer...") und deren Sinn. Die Entstehung der Steuerschuld nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Satz 4 UStG führt zu einer Vorverlagerung der Entstehung des Steueranspruchs. Die Vorschrift beseitigt den Zinsvorteil, den der leistende Unternehmer bei Vereinnahmung des Entgelts oder Teilentgelts (zuzüglich Umsatzsteuer) vor Ausführung der Leistung ohne diese Regelung hätte.

§ 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Satz 4 UStG korrespondiert mit § 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 UStG. Nach dieser Vorschrift steht einem Unternehmer der Vorsteuerabzug abweichend von § 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG (ausnahmsweise) bereits vor Bezug der Leistung zu, wenn die Rechnung vorliegt "und die Zahlung geleistet worden ist".

b) Dafür, dass § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Satz 4 UStG einen selbständigen und abschließenden Steuerentstehungstatbestand enthält, spricht auch § 14 Abs. 1 Satz 6 UStG.

Nach dieser Vorschrift hat der Unternehmer in einer Endrechnung die von ihm vor Ausführung der Lieferung oder sonstigen Leistung vereinnahmten Teilentgelte und die auf sie entfallenden Steuerbeträge "abzusetzen", wenn über die Teilentgelte Rechnungen ausgestellt worden sind. Die Regelung soll nach der Gesetzesbegründung verhindern, dass es bei der Erteilung von Endrechnungen hinsichtlich der vor der Leistung gezahlten Teilentgelte zu einem doppelten Vorsteuerabzug kommt (vgl. BTDrucks 8/1779 S. 41). Auch § 14 Abs. 1 Satz 6 UStG geht mithin davon aus, dass unter den dort bestimmten Voraussetzungen vor Ausführung der Leistung vereinnahmte und abgerechnete Teilentgelte nicht noch einmal in Rechnung gestellt werden dürfen, also (endgültig) abzusetzen sind.

c) Dass die Versteuerung von Anzahlungen nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Satz 4 UStG endgültig ist, lässt sich schließlich auch aus der Übergangsvorschrift des § 27 Abs. 1 UStG ableiten.

Danach sind Änderungen des UStG auf Umsätze anzuwenden, die ab In-Kraft-Treten der maßgeblichen Änderungsvorschrift ausgeführt werden (Satz 1). Das gilt für Lieferungen und sonstige Leistungen auch insoweit, als die Steuer dafür nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Satz 4 UStG vor dem In-Kraft-Treten der Änderungsvorschrift entstanden ist (Satz 2), wobei --aus Vereinfachungsgründen (vgl. BTDrucks 9/2074 S. 70)-- die Berechnung dieser Steuer (nicht schon bei In-Kraft-Treten der Neuregelung, sondern erst) für den Voranmeldungszeitraum zu berichtigen ist, in dem die Lieferung oder sonstige Leistung ausgeführt wird (Satz 3).

Durch § 27 Abs. 1 Satz 2 UStG wird mithin ausdrücklich bestimmt, dass Änderungen des UStG (z.B. eine Erhöhung des Steuersatzes) "auch" auf bereits versteuerte Anzahlungen anzuwenden ist, wenn der Umsatz erst nach In-Kraft-Treten der Gesetzesänderung ausgeführt wird. Dieser Sonderregelung hätte es nicht bedurft, wenn die Versteuerung von Anzahlungen nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Satz 4 UStG nicht --wie dargelegt-- (grundsätzlich) abschließend wäre.

5. Dass die Anzahlungen nicht von der GmbH, sondern (zu Recht) von ihrem damaligen Organträger gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Satz 4 UStG versteuert worden sind, während der Steuertatbestand des § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG erst nach der Beendigung der Organschaft von der --inzwischen selbständigen-- GmbH verwirklicht worden ist, rechtfertigt kein anderes Ergebnis.

a) Die mit dem Gemeinschaftsrecht und dem Grundgesetz vereinbarte Regelung der Organschaft durch § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG (vgl. BFH-Urteil vom 19. Oktober 1995 V R 71/93, BFH/NV 1996, 273; Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 2. April 1996 1 BvR 2604/95, Umsatzsteuer- und Verkehrsteuer-Recht 1996, 212) hat unmittelbar zum Inhalt, dass einer Organgesellschaft die für die Unternehmereigenschaft erforderliche Selbständigkeit fehlt; deshalb sind die von der Organgesellschaft bewirkten Umsätze dem Organträger zuzurechnen (vgl. BFH-Urteil vom 20. Februar 1992 V R 80/85, BFH/NV 1993, 133). Während des Bestehens der Organschaft ist mithin allein der Organträger --und nicht die Organgesellschaft-- Umsatzsteuersubjekt.

b) Hieraus folgt weiter, dass in diesem Zeitraum eine nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Satz 4 UStG --wie dargelegt abschließend-- entstandene Steuerschuld des Organträgers nach Beendigung der Organschaft nicht erneut gegen die vormalige Organgesellschaft festgesetzt werden darf. Andernfalls käme es im Umfang der bereits versteuerten Leistungen zu einer Doppelbesteuerung.

Ende der Entscheidung

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