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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 09.10.2002
Aktenzeichen: V R 81/01
Rechtsgebiete: AO 1977, Richtlinie 77/388/EWG


Vorschriften:

AO 1977 § 233a
Richtlinie 77/388/EWG Art. 33 Abs. 1
Nachzahlungszinsen zur Umsatzsteuer haben nicht den Charakter von Umsatzsteuern. Ihre Festsetzung verstößt deshalb nicht gegen Art. 33 Abs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG.
Gründe:

I.

Streitig ist die Rechtmäßigkeit der Festsetzung von Nachzahlungszinsen zur Umsatzsteuer.

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) betrieb im Streitjahr 1996 einen Einzelhandel mit Drogerieartikeln. Im Anschluss an eine Außenprüfung erließ der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) gegen die Klägerin einen geänderten Umsatzsteuerbescheid 1996. Dabei wurde der Eigenverbrauch für PKW und Telefon erhöht.

In dem Änderungsbescheid setzte das FA gemäß § 233a der Abgabenordnung (AO 1977) Nachzahlungszinsen gegen die Klägerin in Höhe von 68 DM fest.

Mit ihrem ausschließlich gegen die Zinsfestsetzung gerichteten Einspruch trug die Klägerin vor, die Festsetzung von Nachzahlungszinsen zur Umsatzsteuer wirke wie eine (weitere) Umsatzbesteuerung. Sie verstoße deshalb gegen Art. 33 Abs. 1 der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG).

Einspruch und Klage blieben erfolglos (vgl. Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 2001, 1413).

Zur Begründung ihrer vom Finanzgericht (FG) zugelassenen Revision bezieht sich die Klägerin auf Äußerungen in der Literatur (Nagler, Deutsches Steuerrecht --DStR-- 1999, 1176 ff.; Grams, Umsatzsteuer-Rundschau --UR-- 2000, 456 ff.) und macht darüber hinaus im Wesentlichen geltend: Gegen einen Unternehmer festgesetzte Nachzahlungszinsen wirkten sich wirtschaftlich auf den nachfolgenden Stufen innerhalb der Leistungskette in Form von Preiserhöhungen aus und träfen so letztlich auch --wie die Umsatzsteuer selbst-- den Endverbraucher.

Die Klägerin beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung den Umsatzsteuerbescheid 1996 vom 15. Februar 2001 in Gestalt des Einspruchsbescheids vom 11. April 2001 insoweit zu ändern, dass die Zinsfestsetzung zur Umsatzsteuer ersatzlos aufgehoben wird.

Das FA tritt der Revision entgegen.

II.

Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Das FG hat zu Recht entschieden, dass die angefochtene Zinsfestsetzung rechtmäßig ist und insbesondere nicht gegen Art. 33 Abs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG verstößt.

1. Führt die Festsetzung der Umsatzsteuer zu einem Unterschiedsbetrag i.S. des § 233a Abs. 3 AO 1977, ist dieser zu verzinsen (§ 233a Abs. 1 Satz 1 AO 1977). Der Zinslauf beginnt 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Steuer entstanden ist (§ 233a Abs. 2 Satz 1 AO 1977). Er endet mit Ablauf des Tages, an dem die Steuerfestsetzung wirksam wird, spätestens vier Jahre nach seinem Beginn (§ 233a Abs. 2 Satz 3 AO 1977).

2. Die Voraussetzungen dieser Vorschriften sind erfüllt. Die angefochtenen Nachzahlungszinsen sind --auch der Höhe nach (§ 238 AO 1977)-- zutreffend gegen die Klägerin festgesetzt worden. Das ist zwischen den Beteiligten nicht streitig.

3. Die Zinsfestsetzung verstößt nicht gegen Art. 33 Abs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG.

a) Die Vorschrift lautet: "Unbeschadet anderer Gemeinschaftsbestimmungen, insbesondere der geltenden Gemeinschaftsbestimmungen über das allgemeine System, den Besitz, die Beförderung und die Kontrolle von verbrauchsteuerpflichtigen Waren, hindern die Bestimmungen dieser Richtlinie einen Mitgliedstaat nicht daran, Abgaben auf Versicherungsverträge, Abgaben auf Spiele und Wetten, Verbrauchsteuern, Grunderwerbsteuern sowie ganz allgemein alle Steuern, Abgaben und Gebühren, die nicht den Charakter von Umsatzsteuern haben, beizubehalten oder einzuführen, sofern diese Steuern, Abgaben und Gebühren im Verkehr zwischen den Mitgliedstaaten nicht mit Formalitäten beim Grenzübergang verbunden sind."

b) Art. 33 Abs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG verbietet es den Mitgliedstaaten, Steuern, Abgaben und Gebühren beizubehalten oder einzuführen, die den Charakter von Umsatzsteuern haben (vgl. z.B. Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften --EuGH-- vom 3. März 1988 Rs. 252/86 --Bergandi--, Slg. 1988, 1343, Steuerrechtsprechung in Karteiform --StRK--, Richtlinie 77/388/EWG, Art. 33, Rechtsspruch 3, Rdnr. 10 und 11).

Dadurch soll verhindert werden, dass das Funktionieren des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems durch steuerliche Maßnahmen eines Mitgliedstaats beeinträchtigt wird, die den Waren- und Dienstleistungsverkehr belasten und gewerbliche Umsätze in einer mit der Mehrwertsteuer vergleichbaren Art und Weise erfassen. Solche steuerlichen Maßnahmen sind zumindest Steuern, Abgaben und Gebühren, die die wesentlichen Merkmale der Mehrwertsteuer aufweisen, auch wenn sie nicht in allen Punkten mit dieser übereinstimmen (vgl. EuGH-Urteil vom 9. März 2000 Rs. C-437/97 --Krankenhausverein Wien--, Slg. I-2000, 1157, UR 2000, 242, StRK, Richtlinie 77/388/EWG, Art. 33, Rechtsspruch 12, Rdnr. 20, 21).

c) Diese wesentlichen Merkmale der Mehrwertsteuer sind, wie der EuGH bereits mehrfach ausgeführt hat (vgl. EuGH-Urteil in Slg. I-2000, 1157, UR 2000, 242, StRK, Richtlinie 77/388/EWG, Art. 33, Rechtsspruch 12, Rdnr. 22, m.w.N.), die folgenden:

- Die Mehrwertsteuer gilt ganz allgemein für alle Umsätze mit Gegenständen und Dienstleistungen;

- sie ist, unabhängig von der Anzahl der Geschäfte, proportional zum Preis dieser Gegenstände und Dienstleistungen;

- sie wird auf jeder Stufe der Erzeugung und des Vertriebs erhoben,

- und sie erfasst schließlich den Mehrwert der Gegenstände und Dienstleistungen, d.h., die bei einem Umsatz entstehende Steuer wird unter Abzug der Steuer berechnet, die bei dem vorhergehenden Umsatz entrichtet worden ist.

Weist eine Steuer, Abgabe oder Gebühr auch nur eines dieser wesentlichen Merkmale der Mehrwertsteuer nicht auf, steht Art. 33 Abs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG der Beibehaltung oder Einführung dieser Steuer, Abgabe oder Gebühr nicht entgegen (vgl. EuGH-Urteil in Slg. I-2000, 1157, UR 2000, 242, StRK, Richtlinie 77/388/EWG, Art. 33, Rechtsspruch 12, Rdnr. 23, m.w.N.).

d) Nach § 233a AO 1977 festgesetzte Nachzahlungszinsen zur Umsatzsteuer weisen diese wesentlichen Merkmale der Mehrwertsteuer nicht auf (vgl. bereits Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 12. April 2000 XI R 21/97, BFH/NV 2000, 1178, unter II. 3.).

Als steuerliche Nebenleistungen i.S. des § 3 Abs. 3 AO 1977 werden Nachzahlungszinsen nicht allgemein für alle Umsätze mit Gegenständen oder Dienstleistungen und auch nicht auf jeder Produktions- oder Vertriebsstufe festgesetzt, sondern nur dann, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen des § 233a AO 1977 erfüllt sind. Zweck dieser Vorschrift ist es, Zinsvorteile und -nachteile auszugleichen, die sich für die Steuerpflichtigen daraus ergeben, dass die Steuern zu unterschiedlichen Zeitpunkten festgesetzt werden (vgl. Ruban in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 233a AO 1977 Rz. 4, m.w.N.). § 233a AO 1977 zielt dagegen nicht darauf ab, bestimmte oder sämtliche Umsätze eines Unternehmers zu erfassen (vgl. dazu EuGH-Urteil in Slg. I-2000, 1157, UR 2000, 242, StRK, Richtlinie 77/388/EWG, Art. 33, Rechtsspruch 12, Rdnr. 24, m.w.N.).

Nachzahlungszinsen werden ferner nicht proportional zum Preis der Lieferungen oder sonstigen Leistungen erhoben, sondern nach der Höhe des Unterschiedsbetrags (§ 233a Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 AO 1977) und der Dauer des Zinslaufs (§ 233a Abs. 2 AO 1977).

Schließlich werden Nachzahlungszinsen entgegen der Ansicht der Klägerin nicht in einer für die Mehrwertsteuer kennzeichnenden Weise auf den Endverbraucher abgewälzt. Denn auch wenn man davon ausgehen kann, dass ein Unternehmer, der an den Endverbraucher verkauft, bei seiner Preisbildung die in seine Kosten eingeflossenen Nachzahlungszinsen berücksichtigt, so haben doch nicht alle Unternehmer die Möglichkeit, die Belastung in dieser Weise oder in vollem Umfang abzuwälzen (vgl. EuGH-Urteil vom 8. Juni 1999 Rs. C-338/97, C-344/97 und C-390/97 --Pelzl u.a.--, Slg. I-1999, 3119, UR 1999, 328, StRK, Richtlinie 77/388/EWG, Art. 33, Rechtsspruch 11, Rdnr. 24).

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