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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 16.03.2000
Aktenzeichen: V R 9/99
Rechtsgebiete: WEG, AO 1977, UStG 1980/1991, UStG 1993/1999, FGO


Vorschriften:

WEG § 3
AO 1977 § 42
UStG 1980/1991 § 15 Abs. 2
UStG 1993/1999 § 9 Abs. 2
FGO § 126 Abs. 3 Nr. 2
FGO § 121 Satz 1, § 90 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe

I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist selbständiger Versicherungskaufmann. Seine Ehefrau ist Fachärztin für ....

Der Kläger und seine Ehefrau waren Gesellschafter einer aus sechs Personen bestehenden Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR), die ein Grundstück zwecks Überbauung erworben hatte. Ende November 1990 räumten sich die Gesellschafter --jedenfalls nach der Sachverhaltsdarstellung des Finanzgerichts (FG)-- nach § 3 des Wohnungseigentumsgesetzes (WEG) Sondereigentum an den projektierten Wohnungen und den nicht Wohnzwecken dienenden Teileigentumseinheiten ein. Auf diese Weise erhielt der Kläger eine nicht Wohnzwecken dienende Teileigentumseinheit, die seine Ehefrau später als Arztpraxis nutzte.

In der Folge errichtete die aus den Gesellschaftern der GbR bestehende Bauherrengemeinschaft das projektierte Geschäfts- und Wohngebäude.

Zur Finanzierung der auf ihn entfallenden Baukosten nahm der Kläger im März und April 1990 zwei Darlehen über 550 000 DM und 200 000 DM sowie im Jahr 1992 ein weiteres Darlehen über 100 000 DM auf. Im Hinblick auf die Rückzahlung des Darlehens über 200 000 DM schloss der Kläger eine Kapitalversicherung auf den Todes- und Erlebensfall seiner Ehefrau ab; Versicherungsnehmer war der Kläger, bezugsberechtigt waren er und seine Ehefrau.

Mit Wirkung vom 1. November 1991 vermietete der Kläger die in seinem Sondereigentum stehenden Räume an seine Ehefrau, die fortan ihre Praxis in diesen betrieb. Er optierte zur Steuerpflicht der Mietumsätze. Ab Frühjahr 1993 mietete die Räume an Stelle der Ehefrau eine Gemeinschaftspraxis, an der die Ehefrau des Klägers beteiligt war.

Bis September 1993 reichten die Mieteinnahmen und die sonstigen Einkünfte des Klägers nicht aus, um die Ausgaben für die Praxisräume abzudecken. Dies gelang dem Kläger nachhaltig erst seit dem 1. Oktober 1993, als ihm der verfügbare Erlös aus dem Verkauf eines Bauplatzes zufloss.

Der Kläger sowie die beiden anderen Eigentümer der gewerblich genutzten Räume reichten eine Erklärung zur gesonderten und einheitlichen Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für die Umsatzsteuer für die Streitjahre (1990 und 1991) ein, in der er einen anteiligen Vorsteuerabzug von 1 838,49 DM für 1990 und von 67 193,60 DM für 1991 geltend machte.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) sah in der Vermietung der Praxisräume an die Ehefrau einen Rechtsmissbrauch und lehnte beim Kläger einen Vorsteuerabzug ab (Feststellungsbescheid vom 2. Juni 1993).

Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg.

Das FG sah unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) es als unangemessene Gestaltung des Rechts (§ 42 der Abgabenordnung --AO 1977--) an, dass der Kläger unter Inanspruchnahme des Vorsteuerabzugs die Praxisräume an seine Frau vermietete, da diese als Bauherrin nach § 15 Abs. 2 des Umsatzsteuergesetzes (UStG 1980/1991) vom Vorsteuerabzug ausgeschlossen gewesen wäre, die Aufwendungen für die Praxisräume aber wirtschaftlich durch Mietzahlungen und Zuwendungen so getragen habe, als hätte sie selbst die Praxisräume angeschafft oder hergestellt.

Dabei nahm das FG auf ein Rechenwerk des Klägers Bezug, nach dem in den Jahren 1990 bis 1993 die Geldzuflüsse beim Kläger die Ausgaben um rd. 2 800 DM überstiegen haben sollen. Das FG korrigierte dieses Rechenwerk in einzelnen Punkten und kam zu einer Unterdeckung von mehr als 56 000 DM. Dasselbe Bild ergebe sich, wenn man lediglich auf die Zeit ab der Vermietung der Praxisräume abstelle. Der Kläger sei ab dem Zeitpunkt der Vermietung während nahezu vierzehn Monaten nicht in der Lage gewesen, die mit den Praxisräumen zusammenhängenden Aufwendungen mittels vereinnahmter Mietzinsen, Einkünften aus Berufstätigkeit sowie Geldzuflüssen aus Vermögensumschichtung auszugleichen; während insgesamt dreiundzwanzig Monaten sei ihm dies jedenfalls nicht nachhaltig gelungen.

Hiergegen wendet sich der Kläger mit der Revision. Er rügt Verletzung materiellen Rechts und beantragt, unter Aufhebung des Urteils des FG und der Einspruchsentscheidung des FA den Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für die Umsatzbesteuerung für 1990 und 1991 dergestalt zu ändern, dass für den Kläger anteilige Vorsteuerbeträge in Höhe von 1 838,49 DM für 1990 und in Höhe von 67 193 DM für 1991 festgestellt werden.

Das FA ist der Revision entgegengetreten.

II. Die Revision des Klägers ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Die Feststellungen des FG tragen nicht seine Rechtsansicht, die Vermietung der Praxisräume sei rechtsmissbräuchlich gewesen.

1. Der BFH hat es in ständiger Rechtsprechung (vgl. Urteil vom 14. Dezember 1995 V R 12/95, BFHE 179, 472, BStBl II 1996, 252, m.w.N.) als unangemessene Gestaltung des Rechts (§ 42 AO 1977) angesehen, wenn ein Steuerpflichtiger, der eine den Vorsteuerabzug ausschließende Umsatztätigkeit i.S. von § 15 Abs. 2 UStG 1980 ausführt, die für die Anschaffung von Gegenständen für sein Unternehmen erforderlichen finanziellen Mittel seinem Ehegatten zur Verfügung stellt, damit dieser den Gegenstand erwirbt, um ihn (nunmehr als Unternehmer) an den vom Vorsteuerabzug ausgeschlossenen Unternehmer-Ehegatten vorsteuerabzugsunschädlich zu vermieten. Der Vermieter-Ehegatte wird unter solchen Umständen gewissermaßen "vorgeschaltet", um das wirtschaftliche Ergebnis aus den Leistungsbezügen zu erzielen, obwohl der Mieter-Ehegatte die Aufwendungen wirtschaftlich durch Mietzahlungen und Zuwendungen so trägt, als hätte er den fraglichen Gegenstand angeschafft.

Eine derartige Vorschaltung liegt nach der bezeichneten Rechtsprechung vor, wenn der Vermieter-Ehegatte in einem überschaubaren Zeitraum vom Zeitpunkt der Vermietung an die Aufwendungen für Zins und Tilgung der aufgenommenen Fremdmittel und für die Erhaltung des vermieteten Gegenstands nicht aus der Miete, sonstigem eigenen Einkommen und Vermögen decken kann und sich der Mieter-Ehegatte deshalb über die Zahlung der Miete und ggf. von Arbeitslohn hinaus in nicht unwesentlichem Umfang an diesen Aufwendungen beteiligen muss. Wirkt der Steuerpflichtige, dessen Steuerschuld zu beurteilen ist, durch Teilnahme an dieser dem Gesetzesplan widersprechenden Gestaltung mit, unterliegen die davon betroffenen Sachverhalte der Rechtsfolge des § 42 AO 1977.

2. Nach der Rechtsprechung des Senats beginnt der überschaubare Zeitraum, in dem der vermietende Ehegatte die Aufwendungen für die vermieteten Räume nicht aus eigenen Einnahmen und eigenem Vermögen decken kann, mit der Vermietung und nicht mit dem Bau des Vermietungsobjekts. Hieran hält der Senat fest, da er nicht die Übernahme der Baukosten durch den Mieter-Ehegatten, sondern die mietweise Überlassung der Räume an diesen als rechtsmissbräuchlich angesehen hat. Der Umstand, dass ohne die Zahlungen des Arzt-Ehegatten ein Zugriff der Grundpfandgläubiger auch bereits während der Bauphase denkbar gewesen wäre, besagt noch nichts darüber, welche Form der späteren Nutzungsüberlassung rechtsmissbräuchlich ist.

Gegen die vom FG befürwortete Änderung der Rechtsprechung des Senats spricht auch, dass es um ausgelaufenes Recht geht (vgl. § 9 Abs. 2 UStG 1993 und 1999), bei dem die Kontinuität der Rechtsprechung besonderes Gewicht hat.

3. Die Ansicht des FG, der Kläger sei in einem überschaubaren Zeitraum ab der Vermietung nicht in der Lage gewesen, die mit den Praxisräumen in Zusammenhang stehenden Aufwendungen mittels vereinnahmter Mietzinsen, Einkünften aus Berufstätigkeit sowie Geldzuflüssen aufgrund Vermögensumschichtung auszugleichen, steht im Widerspruch zu dem von ihm festgestellten Sachverhalt. Danach konnte der Kläger die Aufwendungen für die vermieteten Räume aus eigenen Einnahmen und eigenem Vermögen abdecken. Er hatte nämlich außer den Praxisräumen noch sonstiges Vermögen (Wertpapiere, Grundbesitz, Lebensversicherung), das er ab Dezember 1992 zur Abdeckung seiner auf die Praxisräume entfallenden Schulden umschichtete. Am 1. Oktober 1993 floss ihm ein Erlös aus der Veräußerung eines Bauplatzes zu; hierdurch wandelte sich die bisherige Unterdeckung der Ausgaben durch die Einnahmen in einen nachhaltigen Überschuss. Dies steht einem Rechtsmissbrauch durch Vermietung der Räume entgegen.

Was unter einem überschaubaren Zeitraum zu verstehen ist, in dem der vermietende Ehegatte die Aufwendungen für die vermieteten Räume nicht aus eigenen Einnahmen und eigenem Vermögen decken kann, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Einerseits sind Einnahmenerhöhungen innerhalb eines Jahres nach Vermietungsbeginn zu berücksichtigen; andererseits kann der überschaubare Zeitraum nach den Umständen des Einzelfalls kürzer als zwei Jahre und acht Monate sein (BFH in BFHE 179, 472, BStBl II 1996, 252). Jedenfalls kann es sich nur um einen kurzen Überbrückungszeitraum handeln, in dem ein Zugriff der Grundpfandgläubiger auf die Praxisräume nicht zu erwarten ist (BFH in BFHE 179, 472, BStBl II 1996, 252).

Im Streitfall hatte der Kläger von Anfang an Vermögen, das er zur Minderung seiner Bauschulden einsetzen konnte. Mit Hilfe dieses Vermögens gelang es dem Kläger binnen zweier Jahre, nachhaltig einen Überschuss der Mieteinnahmen und seiner sonstigen Einkünfte über die Ausgaben für die Praxisräume zu erzielen. Da der Kläger außer den Praxisräumen noch anderes Vermögen hatte, kann nicht unterstellt werden, dass bis zum 1. Oktober 1993 ein Zugriff der Grundpfandgläubiger auf die Praxisräume ohne die Zahlungen der Ehefrau zu erwarten gewesen wäre. Entscheidend ist, dass er aufgrund seiner Vermögensverhältnisse von Anfang an in der Lage war, nach einer Vermögensumschichtung einen Überschuss der Mieteinnahmen und sonstigen Einkünfte über die Ausgaben für die Praxisräume zu erzielen.

Da der Senat nicht beurteilen kann, ob die begehrte Steuerfestsetzung der Höhe nach gerechtfertigt ist, war die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.

4. Der Senat entscheidet im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung durch Urteil (§ 121 Satz 1, § 90 Abs. 2 FGO).

Ende der Entscheidung

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