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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 19.12.2008
Aktenzeichen: V S 44/07
Rechtsgebiete: FGO, GG


Vorschriften:

FGO § 133a Abs. 2 S. 1
FGO § 133a Abs. 2 S. 6
GG Art. 2
GG Art. 3
GG Art. 19 Abs. 4
GG Art. 20 Abs. 3
GG Art. 101 Abs. 1 S. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I.

Die Beschwerdeführerin, Antragstellerin und Rügeführerin (Antragstellerin) ist eine GmbH. Gegenstand ihres Unternehmens ist die Erbringung von Bauleistungen im Tiefbau sowie die Vermietung von Transportgeräten.

Die Antragstellerin hat seit 1. November 1992 in A bei B einen Büroraum angemietet.

Das für A zuständige Finanzamt (FA) C hat verschiedene Steuerfestsetzungen erlassen. Insoweit sind seit 2001 bzw. 2002 zahlreiche Verfahren beim Sächsischen Finanzgericht (FG) anhängig. In den Verfahren sind verschiedene Aufklärungsanordnungen ergangen.

Die Antragstellerin hat insbesondere in den Klageverfahren 4 K 127/02, 4 K 741/02, 4 K 747/02 und 4 K 1506/01 geltend gemacht, dass die von ihr ausgeführten Umsätze größtenteils nicht steuerbar seien, da der Ort der von ihr fast ausschließlich ausgeführten sonstigen Leistungen in Frankreich liege. Darüber hinaus hat sie geltend gemacht, dass sachlich unzuständige Behörden tätig geworden seien; wegen des in Frankreich belegenen Orts der Geschäftsleitung sei eine zentrale Zuständigkeit des FA D bzw. E begründet.

Unter Hinweis auf diverse beim FG anhängige Verfahren hat die Antragstellerin in den mündlichen Verhandlungen des Verfahrens 4 K 1506/01 am 11. Dezember 2006 und in den Verfahren 4 K 127/02, 4 K 741/02, 4 K 747/02 am 12. Dezember 2006 beim FG Anträge auf Durchführung selbständiger Beweisverfahren gestellt. Diese Anträge hat das FG durch Beschlüsse vom 2. Februar 2007 (4 S 2258/06 und 4 S 2291/06), vom 9. Februar 2007 (4 S 2260/06) sowie vom 27. März 2007 (4 S 2283/06 und 4 S 2285/06) abgelehnt.

Mit ihren hiergegen erhobenen Beschwerden hat die Antragstellerin im Wesentlichen geltend gemacht, dass die Voraussetzungen für selbständige Beweisverfahren in ausreichender Weise glaubhaft gemacht worden seien und dass das FG einen gesetzlichen Beteiligtenwechsel nicht beachtet habe. Sie hat u.a. Verletzung formellen Rechts (insbesondere fehlende Prozessführungsbefugnis des FA C, Vorliegens einer Überraschungsentscheidung wegen Verletzung der richterlichen Hinweispflicht sowie fehlerhafte Besetzung des Gerichts) und materiellen Rechts gerügt.

Der Senat hat mit den angefochtenen Beschlüssen vom 11. Oktober 2007 V B 68/07 und vom 19. Oktober 2007 V B 66-67/07 und V B 93-94/07 die Beschwerden der Antragstellerin gegen die ablehnenden Beschlüsse des FG, selbständige Beweisverfahren durchzuführen, als unbegründet zurückgewiesen.

Dagegen wendet sich die Antragstellerin mit ihren Anhörungsrügen und Gegenvorstellungen wegen "greifbarer Gesetzes- und Rechtswidrigkeit".

Zum Vorbringen der Antragstellerin nimmt der Senat Bezug auf die Schriftsätze vom 29. November 2008.

Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,

die Beschlüsse vom 11. Oktober 2007 V B 68/07 und vom 19. Oktober 2007 V B 66-67/07 und V B 93-94/07 aufzuheben, die Verfahren fortzuführen und die selbständigen Beweisverfahren unter Aufhebung der entgegenstehenden Beschlüsse des Sächsischen FG vom 2. Februar 2007 (4 S 2258/06 und 4 S 2291/06), vom 9. Februar 2007 (4 S 2260/06) und 27. März 2007 (4 S 2283/06 und 4 S 2285/06) anzuordnen.

Der Beschwerdegegner, Antragsgegner und Rügegegner (das FA) hat sich zur Anhörungsrüge und Gegenvorstellung nicht geäußert.

II.

1.

Die Verfahren werden gemäß § 73 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur gemeinsamen Entscheidung verbunden, weil es zweckmäßig ist, über die mit den gleichen Gründen erhobenen Anhörungsrügen und Gegenvorstellungen einheitlich zu entscheiden.

2.

Die Anhörungsrügen der Antragstellerin sind als unzulässig zu verwerfen.

Gemäß § 133a Abs. 1 Satz 1 FGO ist auf die Rüge eines durch eine gerichtliche Entscheidung beschwerten Beteiligten das Verfahren fortzuführen, wenn ein Rechtsmittel oder ein anderer Rechtsbehelf gegen die Entscheidung nicht gegeben ist und das Gericht den Anspruch dieses Beteiligten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat.

Die Rüge ist innerhalb von zwei Wochen nach Kenntnis von der Verletzung des rechtlichen Gehörs zu erheben; der Zeitpunkt der Kenntniserlangung ist glaubhaft zu machen (§ 133a Abs. 2 Satz 1 FGO). Die Rüge muss die angegriffene Entscheidung bezeichnen und das Vorliegen der in § 133a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 FGO genannten Voraussetzungen darlegen (§ 133a Abs. 2 Satz 6 FGO).

Die Antragstellerin hat die Voraussetzungen des § 133a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 FGO nicht entsprechend den Anforderungen des § 133a Abs. 2 Satz 6 FGO substantiiert dargelegt (vgl. zum Erfordernis der substantiierten Darlegung z.B. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs vom 21. Oktober 2007 X S 18/07, BFH/NV 2007, 2143; vom 10. September 2008 I S 14/08, [...]).

a)

Der Senat hat die mit den Beschwerden geltend gemachten Rügen wegen Missachtung eines angeblichen Beteiligtenwechsels auf Seiten des FA sowohl im Hinblick auf die Sachentscheidungsvoraussetzungen als auch im Hinblick auf die Begründetheit der Beschwerden zur Kenntnis genommen und erwogen, jedoch nicht für durchgreifend erachtet. Der Senat verweist insoweit auf die Begründung der Beschwerden.

Aus welchen Gründen der Senat von diesem Rechtsstandpunkt aus gehalten gewesen sein soll, dem diesbezüglichen Vorbringen der Antragstellerin weiter nachzugehen, hat die Antragstellerin nicht dargelegt. Ebenso ist weder dargelegt noch erkennbar, inwieweit die Ausführungen der Antragstellerin zur materiellen Rechtslage, zum Vorgehen des FG und zum Erfordernis einer Beiziehung von Akten auf der Grundlage der vom Senat vertretenen Rechtsauffassung rechtserheblich sein sollen.

b)

Soweit die Antragstellerin rügt, die Beschlüsse wichen von der Rechtsprechung anderer Bundesgerichte sowie anderer Senate des BFH sowie von der Entscheidung des Senats vom 5. Mai 1999 V B 83/98 ([...]) ab, ist nicht erkennbar, inwiefern die behaupteten Abweichungen des Senatsbeschlusses von Entscheidungen anderer Senate des BFH und anderen obersten Bundesgerichten und von der Entscheidung im BFH-Beschluss vom 5. Mai 1999 V B 83/98 ([...]) zu einer Verletzung des Anspruchs der Antragstellerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs führen könnten.

c)

Gleiches gilt für die Rügen, die Beschlüsse verletzten das Recht auf den gesetzlichen Richter gemäß Art. 101 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes, weil eine Vorlage wegen Divergenzen an den Gemeinsamen Senat der Obersten Gerichtshöfe des Bundes und den Großen Senat des BFH unterblieben sei, der Senat des FG sei unzuständig gewesen, der gesetzliche Richter sei wegen willkürlicher Nichtanwendung zuständigkeitsbestimmender Gesetze entzogen worden und ein Besetzungsmangel liege vor, weil der Senat des FG willkürlich seine Zuständigkeit bejaht habe, weil das Verfahrensgrundrecht des rechtlichen Gehörs nicht betroffen ist (BFH-Beschluss vom 10. September 2008 I S 14/08, [...]; Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 133a FGO Rz 3). Entsprechendes gilt für die angeblichen Verstöße gegen Art. 2, Art. 3, Art. 19 Abs. 4 GG und Art. 20 Abs. 3 GG sowie gegen Art. 6 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten.

d)

Auch soweit die Antragstellerin die Verletzung rechtlichen Gehörs rügt, durch "rechtswidrig unterlassene Hinweise", insbesondere durch unterlassene Aufforderung zur "Antragsergänzung analog § 65 Abs. 2 FGO", hat die Rüge keinen Erfolg. Das Gericht ist aus dem Gesichtspunkt der Gewährung rechtlichen Gehörs nicht verpflichtet, einen Hinweis auf seine Rechtsauffassung zu geben (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 3. März 1998 VIII R 66/96, BFHE 185, 422, BStBl II 1998, 383; BFH-Beschluss vom 31. Januar 2007 III S 33/06, BFH/NV 2007, 953). Auch liegt entgegen der Auffassung der Antragstellerin keine sog. "Überraschungsentscheidung" vor, wenn das Gericht den Rechtsauffassungen der Antragstellerin zu den Sachentscheidungsvoraussetzungen nicht folgt.

e)

Auch soweit die Antragstellerin rügt, "die Beschlüsse übergingen wesentlichen Vortrag der Antragstellerin", geht der Vortrag wie auch im Übrigen im Wesentlichen dahin, der Senat habe eine unzutreffende Sachentscheidung getroffen. Mit diesem Vorbringen kann die Antragstellerin im Rahmen einer Anhörungsrüge nach § 133a FGO nicht gehört werden (s. allgemein z.B. BFH-Beschlüsse vom 17. Juni 2005 VI S 3/05, BFHE 209, 419, BStBl II 2005, 614; vom 21. April 2006 III S 9/06, BFH/NV 2006, 1500).

Der Senat hat das gesamte Sachvorbringen der Antragstellerin zur Kenntnis genommen; dass der Senat den rechtlichen Schlussfolgerungen der Antragstellerin in den angefochtenen Beschlüssen nicht gefolgt ist, lässt einen Rückschluss auf eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nicht zu.

Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 133a Abs. 4 Satz 4 FGO).

3.

Auch die "Gegenvorstellungen" der Antragstellerin gegen die Beschlüsse vom 11. Oktober 2007 V B 68/07, und vom 19. Oktober 2007 V B 66-67/07 und V B 93-94/07 verhelfen der Antragstellerin nicht zum Erfolg. Selbst wenn man entgegen der Auffassung des Senats (vgl. BFH-Beschluss vom 26. September 2007 V S 10/07, BFHE 219, 27, BStBl II 2008, 60) von der Statthaftigkeit einer Gegenvorstellung ausgeht, beschränkt die vorrangige, kodifizierte Anhörungsrüge den Anwendungsbereich der Gegenvorstellung von vornherein auf Ausnahmefälle auf schwerwiegende Grundrechtsverstöße, wenn die angegriffene Entscheidung unter keinem denkbaren Gesichtspunkt vertretbar erscheint und jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt oder gegen das Gebot des gesetzlichen Richters ergangen ist (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 14. November 2006 IX S 14/06, BFH/NV 2007, 474; vom 31. Januar 2007 V S 26/06, BFH/NV 2007, 953; vom 11. Juni 2007 IX S 4/07, BFH/NV 2007, 1535).

Derart schwerwiegende Verstöße hat die Antragstellerin nicht substantiiert dargelegt. Sie hat nicht hinreichend deutlich gemacht, warum diese Entscheidungen unter keinem denkbaren Gesichtspunkt vertretbar sein sollen. Dies gilt insbesondere für den Vortrag der Antragstellerin zum gesetzlichen Beteiligtenwechsel.

Dass der Senat in den Beschlüssen vom 11. Oktober 2007 V B 68/07 und vom 19. Oktober 2007 V B 66-67/07 und V B 93-94/07 auch im Übrigen den rechtlichen Schlussfolgerungen der Antragstellerin nicht gefolgt ist, führt nicht dazu, dass den Beschlüssen schwerwiegende Grundrechtsverstöße anhaften oder die Entscheidung unter keinem denkbaren Gesichtspunkt vertretbar erscheint und jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt. Insbesondere ist auch nach den Ausführungen des Senats in den Beschlüssen vom 11. Oktober 2007 V B 68/07, und vom 19. Oktober 2007 V B 66-67/07 und V B 93-94/07 (hierzu bereits unter II. 2. a) kein Verstoß gegen das Gebot des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) ersichtlich.

4.

Die mit Schriftsätzen vom 29. November 2007 unter den Aktenzeichen V B 66/07, V B 67/07, V B 68/07, V B 93/07 und V B 94/07 beantragte Akteneinsicht war nicht zu gewähren. Da die Rechtsbehelfe unzulässig sind, besteht kein Anspruch auf Akteneinsicht, denn die Akteneinsicht ist unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt geeignet, der Rechtsschutzgewährung der Antragstellerin im vorliegenden Verfahren zu dienen (vgl. BFH-Beschluss vom 14. Juni 2007 VIII B 201/06, BFH/NV 2007, 1804, m.w.N.).

5.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 2 FGO.

Die Kostenpflicht der Anhörungsrügen ergibt sich dabei aus Nr. 6400 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtskostengesetz --GKG-- (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG), eingefügt durch das Anhörungsgesetz vom 9. Dezember 2004 (BGBl. I 2004, 3220, BStBl I 2005, 370).

Hinsichtlich der Gegenvorstellungen ergeht die Entscheidung gerichtsgebührenfrei, weil für das Verfahren im Rahmen einer Gegenvorstellung kein Gebührentatbestand vorgesehen ist (BFH-Beschlüsse vom 13. Oktober 2005 IV S 10/05, BFHE 211, 13, BStBl II 2006, 76; vom 25. August 2006 V S 3/06, BFH/NV 2006, 2292, m.w.N.).

Ende der Entscheidung

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