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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 27.10.2005
Aktenzeichen: VI B 70/05
Rechtsgebiete: EStG, Berliner SpBG, FGO


Vorschriften:

EStG § 3 Nr. 51
Berliner SpBG § 11 Abs. 1
FGO § 69 Abs. 2 Satz 2
FGO § 69 Abs. 3 Satz 1, 2. Halbsatz
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Antragstellerin) war im Streitjahr 2002 als Angestellte bei der Spielbank X im Bereich des Automatenspiels tätig. Laut Angabe in der Einkommensteuererklärung war sie ... Sie erhielt ein Grundgehalt nach dem Rahmentarifvertrag "Kleines Spiel" zwischen der Spielbank X und der Gewerkschaft Z vom ... bzw. nach dem Gehaltstarifvertrag "Automatenspiel" zwischen der Spielbank X und der Gewerkschaft vom ... Daneben wurden ihr Trinkgelder in Höhe von insgesamt ... € ausgezahlt, die von den Gästen des Automatenspiels entsprechend den Regelungen des Gesetzes über die Zulassung öffentlicher Spielbanken in Berlin (Berliner Spielbankengesetz) vom 8. Februar 1999 (Gesetz- und Verordnungsblatt --GVBl-- Berlin 1999, 70) gewährt wurden.

Die Trinkgelder werden in dafür innerhalb der Spielbank aufgestellten "Trinkgeldbehältern" von den Gästen hinterlassen. Das Trinkgeld-Aufkommen wird täglich festgestellt und einem Trinkgeldkonto "Automatenspiel" zugeführt. Das monatliche Trinkgeldaufkommen im Automatenspiel wird sodann --ggf. abzüglich einer in § 7 Abs. 4 des Gehaltstarifvertrages Automatenspiel vorgesehenen Zahlung an den Arbeitgeber-- an die Arbeitnehmer im Automatenspiel zusätzlich zur Vergütung ausgezahlt. Die Verteilung erfolgt unter Berücksichtigung der jeweiligen Arbeitszeiten der Mitarbeiter. Nach § 7 Abs. 3 des Tarifvertrages ist das Trinkgeldaufkommen ausschließlich zugunsten der unmittelbar im Automatenspiel beschäftigten Arbeitnehmer zu verwenden. § 8 Abs. 3 des Tarifvertrages bestimmt, dass bei Krankheit der Trinkgeldanteil für den betreffenden Arbeitnehmer ab dem 43. Tag der Arbeitsunfähigkeit entfällt. Nach § 10 Abs. 1 des Tarifvertrages erhalten die Arbeitnehmer eine Weihnachtsgratifikation in Höhe eines Monatsverdienstes. Dieser ergibt sich aus dem monatlichen Gesamtgehalt (= Tarifgehalt gemäß § 5 zuzüglich Trinkgeldanteil) plus den durchschnittlichen Zuschlägen der letzten zwölf Monate.

Die Beteiligten streiten um die Frage, ob die Trinkgeldzahlungen nach § 3 Nr. 51 des Einkommensteuergesetzes (EStG) steuerfrei sind. Erst ab dem 13. November 2002 unterwarf die Spielbank als Arbeitgeberin die Trinkgelder dem Lohnsteuerabzug. Mit Prüfungsmitteilung vom 3. November 2004 teilte das Finanzamt Mitte/Tiergarten dem Antragsgegner und Beschwerdegegner (Finanzamt --FA--) mit, dass die Antragstellerin nach den Feststellungen der Lohnsteuer-Außenprüfung von der Spielbank X steuerpflichtigen Arbeitslohn (Trinkgelder) in Höhe von ... € erhalten habe, der vom Arbeitgeber nicht versteuert worden sei. Gemäß Einkommensteuerbescheid für 2002 vom 3. Januar 2005 legte das FA der Steuerfestsetzung über den erklärten Bruttoarbeitslohn von ... € (Grundgehalt) hinaus die vorgenannten Trinkgelder zugrunde, so dass sich eine Steuer von ... € ergab. Über den hiergegen gerichteten Einspruch hat das FA noch nicht entschieden. Der gleichzeitig gestellte Antrag auf Aussetzung der Vollziehung wurde mit Schreiben des FA vom 20. Januar 2005 abgelehnt.

Mit Beschluss vom 7. Juli 2005 7 B 7055/05 wies das Finanzgericht (FG) den Antrag auf Aussetzung des Einkommensteuerbescheids für 2002 vom 3. Januar 2005 mangels ernstlicher Zweifel an seiner Rechtmäßigkeit ab und ließ die Beschwerde zu.

Der Antrag könne bereits keinen Erfolg haben, soweit er über den Nachzahlungsbetrag von ... € hinausgehe. Die Antragstellerin habe nichts dargetan, was eine Steuerfestsetzung von 00 € rechtfertigen würde, da sich auch bei Ansatz allein des von ihr erklärten Bruttoarbeitslohns von ... € eine Steuerfestsetzung ergebe. Der Antrag auf Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung sei ferner unbegründet, soweit ernstliche Zweifel an der Versteuerung der Trinkgeldzahlung geltend gemacht werden. "Trinkgeld" sei "das einem Arbeitnehmer oder sonstigen Dienstleistenden anlässlich einer Dienstleistung über die hierfür zu beanspruchende Vergütung hinaus freiwillig gewährte Entgelt". Als Trinkgelder könnten nicht schlechthin alle Leistungen angesehen werden, die einem Arbeitnehmer von einem Dritten, wenn auch mit Rücksicht auf seine Arbeitnehmerstellung, so doch ohne Rechtsanspruch, gewährt würden. Zum Begriff "Trinkgeld" gehöre, dass es eine Art Anerkennung der Mühewaltung des Arbeitnehmers bedeute. Es setze eine gewisse persönliche Beziehung zwischen dem Arbeitnehmer und dem Dritten voraus (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 19. Juli 1963 VI 73/62 U, BFHE 77, 433, BStBl III 1963, 479). Davon ausgehend sei der BFH in dem genannten Urteil zu dem Ergebnis gelangt, dass die dem Spielleiter einer Spielbank bzw. Croupier aus dem so genannten Tronc gezahlten Bezüge nicht unter § 3 Nr. 51 EStG a.F. fielen, weil es an der erforderlichen gewissen persönlichen Beziehung zwischen dem Croupier und dem Dritten fehle, da doch die vornehmste Aufgabe des Croupiers nicht bloß nach den von ihm übernommenen Verpflichtungen und den Spielregeln der Bank, sondern nach Auffassung der Spieler darin bestehe, seines "Amtes" völlig unabhängig von solchen Beziehungen zu walten. Die Auffassung des BFH sei in der Literatur allerdings auf Widerspruch gestoßen.

Auch unter Berücksichtigung dieser Ausführung sei der Senat jedoch zu der Auffassung gelangt, dass bei den "Trinkgeldzahlungen" der Spielbank X das Vorliegen von "Trinkgeld" i.S. des § 3 Nr. 51 EStG zu verneinen sei. Es handle sich dabei gerade nicht um den klassischen Fall des zusätzlichen Entgelts, dass anlässlich einer Dienstleistung --d.h. in einem Veranlassungszusammenhang zu einer konkreten Arbeitsleistung, für welche der Leistungsempfänger (Gast) ein Entgelt zu entrichten habe-- durch den Leistungsempfänger bzw. einen Dritten gegeben werde, sondern vielmehr um eine zusätzliche Zahlung, die unabhängig von einem Bezug zu einer konkreten entgeltlichen Dienstleistung gegeben werde. Auch wenn es sich bei den "Trinkgeldzahlungen" im Verhältnis zwischen dem Gast und den Mitarbeitern um "freiwillige" Zuwendungen handele, so könne allein dies gleichwohl nicht zur Steuerfreiheit der Zahlungen führen. Es sei vielmehr zu berücksichtigen, dass es sich nach den Regelungen des Gehaltstarifvertrages vom Februar 2002 im Verhältnis zwischen der Spielbank X und ihren Mitarbeitern gerade nicht um freiwillig gewährte zusätzliche Zahlungen handele, sondern der Arbeitgeber die entsprechenden Beträge zunächst vereinnahme, um sie schließlich als Zahlung im Rahmen eines laufenden Arbeitsverhältnisses auf die Mitarbeiter des Automatenspiels zu verteilen.

Für die Verteilung des Trinkgeldaufkommens maßgebend sei dabei nicht ein besonderer persönlicher Service einzelner Mitarbeiter gegenüber den Gästen, sondern die Verteilung erfolge unter Berücksichtigung der jeweiligen Arbeitszeiten der Mitarbeiter und dies letztlich auch unabhängig von ihrer Anwesenheit. So sei in § 8 Abs. 3 des Gehaltstarifvertrages vom ... für den Fall der Krankheit geregelt, dass der Trinkgeldanteil für den betreffenden Arbeitnehmer ab dem 43. Tag der Arbeitsunfähigkeit entfalle. Das "Trinkgeld" entfalle mithin mit dem Ende der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, was ebenfalls darauf hindeute, dass es sich bei den streitigen Zahlungen nicht um ein Trinkgeld im klassischen Sinne, sondern um einen --von der Höhe her variablen-- Bestandteil der Vergütung im Rahmen des Arbeitsverhältnisses zwischen der Spielbank X und den Mitarbeitern des Automatenspieles handele, auf den der einzelne Mitarbeiter aufgrund der tarifvertraglichen Regelungen auch einen Rechtsanspruch habe. Das Trinkgeldaufkommen im Rahmen der Spielbank dürfte auch bereits vom Sprachgebrauch her nicht mehr als "Trinkgeld" zu verstehen sein. Mit diesem Begriff sei nur ein zusätzlicher Betrag gemeint, der gemessen an dem für die Arbeitsleistung zu zahlenden Entgelt eine gewisse, allerdings nicht näher bestimmte relative und absolute Höhe nicht überschreite.

Gegen den Beschluss des FG richtet sich die Beschwerde der Antragstellerin, mit der sie weiterhin Aussetzung der Vollziehung des Einkommensteuerbescheids begehrt, soweit die Trinkgelder der Besteuerung unterworfen worden sind. Trinkgelder seien Geld- und Sachzuwendungen, die zusätzlich zum Entgelt für die erbrachten Leistungen gewährt würden. Begünstigt seien aber nur Trinkgelder "von Dritten", wobei Dritter jeder sei, der nicht Arbeitgeber oder Arbeitnehmer sei. Der Dritte müsse das Trinkgeld nicht unmittelbar an den Arbeitnehmer leisten. Eine Steuerbefreiung bestehe auch dann, wenn das Trinkgeld zunächst in eine gemeinsame Kasse eingebracht und dann aufgeteilt werde und auch dann, wenn die Zuwendung über den Arbeitgeber erfolge. Rechtsirrig gelange das FG zu dem Ergebnis, dass die Zuwendungen der Spielbankbesucher nicht als Trinkgeld i.S. des § 3 Nr. 51 EStG anzusehen seien. Trinkgelder der Steuerpflicht zu unterwerfen sei nach Ansicht des Beschwerdeführers auch unter Bezugnahme auf das BFH-Urteil vom 19. Juli 1963 nicht gerechtfertigt, da der dort entschiedene Fall eines Croupiers mit einem Angestellten der Spielbank X im Automatenspiel nicht zu vergleichen sei. Zum Begriff des Trinkgeldes gehöre nach Ansicht des BFH, dass es eine Art Anerkennung der Bemühungen des Arbeitnehmers bedeute. Das setze eine gewisse persönliche Beziehung zwischen dem Arbeitnehmer und dem Dritten voraus. Diese läge im Streitfall vor. Die Zuwendung durch die Besucher der Spielbank X im Automatenspiel erfolge im Gegensatz zu einem Croupier im klassischen Spiel aufgrund der Mühewaltung der Mitarbeiter der Spielbank X. Eine besondere Neutralität werde von den Kassierern und Technikern der Spielbank X im Gegensatz zu solchen Mitarbeitern im klassischen Spiel gerade nicht gefordert. Die Kassierer bzw. die Techniker stünden den Spielern jederzeit zur Verfügung, wenn es Probleme mit den Spielautomaten gebe. Weniger versierte Spieler erhielten eine Einweisung in den Ablauf der Spielautomaten. Das Personal der Spielbank X versorge die Spieler im Bedarfsfalle mit Getränken jeglicher Art usw.

Sofern das FG ausführe, dass es sich zwar um freiwillige Zuwendungen der Besucher der Spielbank X handele, dies jedoch nicht zur Steuerfreiheit der Zahlungen führen könne, verkenne das FG weitgehend die grundlegende gesetzliche Ausgestaltung eines Anspruchs. Die grundlegende Systematik eines Rechtsanspruches setze voraus, dass der Rechtsanspruch i.S. von § 3 Nr. 51 EStG zwischen dem Arbeitnehmer und dem Kunden bzw. dem Gast bestehe. Ein Austausch des Schuldners dergestalt, dass anstelle des Gastes nunmehr der Arbeitgeber trete und somit ein Rechtsanspruch aus arbeitsvertraglichen bzw. tarifrechtlichen Regelungen konstruiert werde, verstoße gegen das Bestimmtheitsgebot eines Rechtsanspruchs und laufe dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers zuwider. Gemäß der Gesetzesbegründung zum Gesetz zur Steuerbefreiung von Arbeitnehmertrinkgeldern sollten gerade Berufe, bei denen Arbeitnehmertrinkgeld traditionell einen flankierenden Bestandteil der Entlohnung darstellten, begünstigt werden. Bei der im vorliegenden Fall gegebenen Konstellation bei der Verteilung der Trinkgelder sei nach Ansicht der Antragstellerin davon auszugehen, dass die Mitarbeiter der Spielbank X Miteigentum an den Trinkgeldern erwerben würden. Bereits aufgrund dieser Tatsache, dass die Spieler der Spielbank X sicherlich nicht der Spielbank selbst Trinkgeld zuwenden wollten, könne insoweit ausgeschlossen werden, dass damit eine Verfügungsbefugnis des Unternehmers in der Art eines Eigentümers gerechtfertigt erscheine. Die Trinkgelder sollten nach dem ausschließlich maßgeblichen Willen der Spieler den Angestellten zugute kommen.

Der Umstand, der sich aus dem Gehaltstarifvertrag ergebe, dass auch erkrankten Mitarbeitern der Spielbank X Anspruch aus dem Trinkgeldaufkommen zustehe, rechtfertige nach Ansicht der Antragstellerin die Annahme, dass die Zuwendungen nicht mehr als Trinkgelder anzusehen seien, nicht. Das FG verkenne, dass es den Mitarbeitern der Spielbank X unbenommen sei, einen entsprechenden Verteilungsmaßstab im Hinblick auf die vereinnahmten Trinkgelder festzulegen. Nach Ansicht der Antragstellerin sei auch die Höhe der vereinnahmten Trinkgelder kein taugliches Abgrenzungskriterium für die Frage, ob es sich tatsächlich noch um Trinkgeld handele.

Die Antragstellerin beantragt, die Vollziehung des angefochtenen Einkommensteuerbescheides für das Jahr 2002 in Höhe des nachzuzahlenden Betrages von ... € (Einkommensteuer), ... € (Zinsen zur Einkommensteuer) sowie ... € (Solidaritätszuschlag) auszusetzen.

Das FA beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Mit seinem Urteil vom 19. Juli 1963 VI 73/62 U (BFHE 77, 433, BStBl III 1963, 479) habe der BFH eindeutig entschieden, dass auf die Trinkgelder, die die Spielbankangestellten erhielten und die an den Tronc abgeführt werden müssten, die Steuerbefreiungsvorschrift des § 3 Nr. 51 EStG nicht anwendbar sei. Der BFH unterscheide dabei nicht zwischen Croupiers und dem übrigen Spielbankenpersonal. Den in Spielbanken tätigen Arbeitnehmern sei gemäß § 11 Abs. 1 des Berliner Spielbankengesetzes zudem die Annahme von Trinkgeldern untersagt. Die von den Besuchern einer Spielbank den "Trinkgeldbehältern" zugeführten Zuwendungen seien an den Spielbankunternehmer abzuliefern und von diesem zur Deckung der Personalkosten zu verwenden. Die Beträge, die die Spielbankenangestellten aus dem Tronc erhielten, stellten somit steuerpflichtigen Arbeitslohn dar. Aufgrund ihrer Arbeitsverträge hätten die Arbeitnehmer des Automatenspielbereichs einen Rechtsanspruch auf die (anteiligen) Trinkgelder.

II. Die Beschwerde ist begründet. Der Antragstellerin ist gemäß § 69 Abs. 3 Satz 1, 2. Halbsatz i.V.m. Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) Aussetzung der Vollziehung des Einkommensteuerbescheids 2002 im beantragten Umfang zu gewähren. Zur Begründung wird auf den Beschluss des Senats vom 18. August 2005 in dem Verfahren VI B 40/05 verwiesen.

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