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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 16.01.1998
Aktenzeichen: VI R 130/95
Rechtsgebiete: EStG i.d.F. des StÄndG 1992, BKGG i.d.F. des StÄndG 1992, GG


Vorschriften:

EStG i.d.F. des StÄndG 1992 § 32 Abs. 6 Satz 1
BKGG i.d.F. des StÄndG 1992 § 10 Abs. 1 Satz 1
GG Art. 3 Abs. 1
BUNDESFINANZHOF

Der steuerliche Kinderlastenausgleich im Jahr 1992 für Steuerpflichtige mit einem Kind ist mit dem GG vereinbar.

EStG i.d.F. des StÄndG 1992 § 32 Abs. 6 Satz 1 BKGG i.d.F. des StÄndG 1992 § 10 Abs. 1 Satz 1 GG Art. 3 Abs. 1

Urteil vom 16. Januar 1998 - VI R 130/95

Vorinstanz: Hessisches FG


Gründe

Mit seinem Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid für 1992 wandte sich der Kläger und Revisionskläger (Kläger) u.a. gegen die Höhe des (halben) Kinderfreibetrages für ein Kind von 2 052 DM. Die Klage, die der Kläger auch wegen des seiner Meinung nach zu niedrigen Kinderfreibetrages erhoben hatte, wies das Finanzgericht (FG) ab. Es entschied, der Kinderlastenausgleich sei im Jahre 1992 ausreichend hoch gewesen.

Mit der Revision rügt der Kläger die Verfassungswidrigkeit des § 32 Abs. 6 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in der für das Streitjahr 1992 gültigen Fassung. Er regt eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) gemäß Art. 100 des Grundgesetzes (GG) an und beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid für 1992 vom 3. September 1993 dahin zu ändern, daß bei der Ermittlung des zu versteuernden Einkommens ein halber Kinderfreibetrag von 6 300 DM gewährt werde.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Die Revision ist unbegründet.

Der vom FA berücksichtigte (halbe) Kinderfreibetrag von 2 052 DM stimmt mit der gesetzlichen Regelung in § 32 Abs. 6 Satz 1 i.V.m. § 52 Abs. 1 EStG i.d.F. des Gesetzes zur Entlastung der Familien und zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für Investitionen und Arbeitsplätze (Steueränderungsgesetz 1992 --StÄndG 1992--) vom 25. Februar 1992 (BGBl I, 297, BStBl I, 146) überein. Diese Vorschrift ist nach zutreffender Auffassung der Vorinstanz i.V.m. § 10 Abs. 1 Satz 1 des Bundeskindergeldgesetzes (BKGG) i.d.F. des Art. 25 StÄndG 1992, wonach das Kindergeld für das erste Kind 70 DM beträgt, verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

Nach der Rechtsprechung des BVerfG muß der Gesetzgeber den Unterhaltsaufwand für Kinder des Steuerpflichtigen in dem Umfang als besteuerbares Einkommen außer Betracht lassen, in dem die Unterhaltsaufwendungen zur Gewährleistung des Existenzminimums der Kinder erforderlich sind; anderenfalls läge ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG vor, weil Steuerpflichtige mit Kindern gegenüber Kinderlosen benachteiligt würden (Beschlüsse vom 29. Mai 1990 1 BvL 20/84, 1 BvL 26/84, 1 BvL 4/86, BVerfGE 82, 60, BStBl II 1990, 653; vom 14. Juni 1994 1 BvR 1022/88, BVerfGE 91, 93, BStBl II 1994, 909). Bei der Beurteilung, ob der Gesetzgeber diesen Anforderungen gerecht wird, müssen die steuerlichen Kinderfreibeträge und das Kindergeld in ihrem Zusammenwirken berücksichtigt werden. Das in einen fiktiven Kinderfreibetrag umzurechnende Kindergeld und der im Einkommensteuerrecht vorgesehene Kinderfreibetrag sind dem Betrag des Existenzminimums gegenüberzustellen (BVerfG in BVerfGE 82, 60, BStBl II 1990, 653).

Hinsichtlich der Methode, wie die vom Gesetzgeber steuerfrei zu belassenden Unterhaltsaufwendungen für das Existenzminimum von Kindern zu berechnen sind, bestehen noch Unsicherheiten. Das BVerfG hat noch nicht entschieden, auf welche Weise der für das Existenzminimum maßgebliche Wohnbedarfswert zu ermitteln ist (vgl. Beschluß in BVerfGE 91, 93, BStBl II 1994, 909, 916; Beschluß der 3. Kammer des 1. Senats des BVerfG vom 13. Dezember 1996 1 BvR 1474/88, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1997, 251). Es hat auch noch nicht eindeutig festgelegt, mit welchem Steuersatz das tatsächlich gezahlte Kindergeld in einen fiktiven Kinderfreibetrag umzurechnen ist. Auf diese Unsicherheiten kommt es jedoch im Streitfall nicht an. Denn das BVerfG hat eine Verfassungswidrigkeit jedenfalls dann nicht angenommen, wenn der fiktive Kinderfreibetrag bei einer Umrechnung des tatsächlich gezahlten Kindergeldes mit einem Steuersatz von 45 v.H. die Richtwerte des durchschnittlichen Sozialhilfebedarfs um weniger als 15 v.H. unterschritten hat (BVerfGE 91, 93, BStBl II 1994, 909, 916 f.).

Bei Anwendung dieser Grundsätze ist der steuerliche Kinderlastenausgleich im Jahre 1992 bei einem Kind verfassungsgemäß. Der fiktive Kinderfreibetrag betrug für das Streitjahr 1992 bei einem Kind und einer Umrechnung mit einem Steuersatz von 45 v.H. 5 971 DM (840 x 100 : 45 = 1 867 DM zuzüglich 4 104 DM gesetzlicher Kinderfreibetrag). Der durchschnittliche Sozialhilfebedarf eines Kindes in den alten Bundesländern ist mit 6 816 DM anzusetzen (vgl. BTDrucks 12/6224, 4). Die sich danach ergebende Unterdeckung von 845 DM liegt mit 12,39 v.H. im Rahmen des Einschätzungsspielraums, den das BVerfG dem Gesetzgeber zugebilligt hat.

Die Verfassungsmäßigkeit des Kinderlastenausgleichs für das Jahr 1992 bei einem Kind wird auch nicht dadurch in Frage gestellt, daß bei sog. Zahlvätern, wie dem Kläger, der Anspruch auf das Kindergeld im konkreten Fall der Mutter zusteht. Denn dies ist bei der Bemessung der Höhe des Unterhalts, den der Vater nach zivilrechtlichen Grundsätzen zahlen muß, zu berücksichtigen.

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