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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 07.08.2003
Aktenzeichen: VI R 17/01
Rechtsgebiete: EStG


Vorschriften:

EStG § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 b
EStG § 9 Abs. 5
Ein Arbeitsplatz in einem Großraumbüro ist auch dann ein "anderer Arbeitsplatz" i.S. des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 b Satz 2 Alternative 2 EStG, wenn er dem Steuerpflichtigen nicht individuell zugeordnet ist.
Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten darüber, wann einem Steuerpflichtigen ein "anderer Arbeitsplatz" i.S. des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 b Satz 2 Alternative 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) mit der Folge zur Verfügung steht, dass die Kosten für ein häusliches Arbeitszimmer steuerlich nicht geltend gemacht werden können.

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist beim Technischen Überwachungsverein (TÜV) X angestellt und arbeitet für die Niederlassung B als "amtlich anerkannter Sachverständiger für den Kraftfahrzeugverkehr mit Teilbefugnissen im Außendienst". Die TÜV-Station in B verfügt über ein Großraumbüro; die dortigen Arbeitsplätze sind den einzelnen Prüfern nicht individuell zugeordnet.

In seinem Haus nutzte der Kläger für die Vor- und Nachbereitung der anfallenden Prüfungen, Kfz-Abnahmen und Gutachten (etc.) ein häusliches Arbeitszimmer. Die hieraus entstandenen Aufwendungen machte er mit der Einkommensteuer-Erklärung 1996 in Höhe von 2 400 DM als Werbungskosten geltend. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) erkannte diese Aufwendungen nicht an.

Die dagegen gerichtete Klage war erfolgreich. Das Finanzgericht (FG) entschied (u.a.), dass die Kosten des häuslichen Arbeitszimmers in Höhe von 2 400 DM zu berücksichtigen seien. Der Kläger habe den Arbeitsplatz in dem Großraumbüro bei einem wesentlichen Teil seiner Arbeiten objektiv nicht nutzen können; denn als Sachverständiger sei er häufig gerade nicht an der TÜV-Station, sondern an anderen Orten (privaten Kfz-Werkstätten, Autohäusern etc.) und zum Teil in anderen Städten tätig gewesen. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2001, 557 veröffentlicht.

Mit der Revision macht das FA geltend, das FG habe § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 b Satz 2 Alternative 2 EStG unzutreffend ausgelegt. Der Arbeitsplatz des Klägers im Großraumbüro des Arbeitgebers schließe einen --auch nur begrenzten-- Abzug von Aufwendungen für das häusliche Arbeitszimmer aus.

Das FA beantragt, das vorinstanzliche Urteil insoweit aufzuheben, als der begrenzte Werbungskostenabzug für ein häusliches Arbeitszimmer in Höhe von 2 400 DM gewährt worden ist.

Der Kläger tritt der Revision entgegen.

II.

Die Revision des FA ist begründet.

Das FG hätte die geltend gemachten Aufwendungen für das häusliche Arbeitszimmer nicht als Werbungskosten berücksichtigen dürfen. Das Urteil war dementsprechend zu ändern und die Klage insoweit abzuweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

1. a) Nach § 9 Abs. 5 i.V.m. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 b Satz 1 EStG kann ein Steuerpflichtiger Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer nicht als Werbungskosten abziehen. Dies gilt nach Satz 2 der letztgenannten Vorschrift u.a. dann nicht, wenn dem Steuerpflichtigen für die berufliche Tätigkeit kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung steht. In diesen Fällen wird nach Satz 3 Halbsatz 1 der Vorschrift (in der hier maßgeblichen Fassung) die Höhe der abziehbaren Aufwendungen regelmäßig auf 2 400 DM begrenzt.

b) "Anderer Arbeitsplatz" im Sinne der Abzugsbeschränkung ist grundsätzlich jeder Arbeitsplatz, der zur Erledigung büromäßiger Arbeiten geeignet ist; weitere Anforderungen an seine Beschaffenheit sind nicht zu stellen. Die Abzugsbeschränkung setzt insbesondere keinen eigenen, räumlich abgeschlossenen Arbeitsbereich voraus.

aa) Die gesetzliche Regelung enthält zwei sinnverwandte Begriffe, die einander gegenüberstellt werden: Arbeitsplatz und Arbeitszimmer. Dementsprechend kommt den beiden Begriffen eine jeweils eigenständige Bedeutung zu.

"Arbeitsplatz" ist dem allgemeinen Wortsinn nach der Oberbegriff und meint schlicht einen "zum Arbeiten bestimmten Platz". "Arbeitszimmer" beschreibt demgegenüber eine besondere Form des Arbeitsplatzes, nämlich den büromäßigen Arbeitsplatz in einem von anderen Räumen abgeschlossenen Raum (vgl. auch Duden, Das große Wörterbuch der deutschen Sprache in acht Bänden, 2. Aufl., Bd. I, "Arbeitsplatz" und "Arbeitszimmer", S. 247 f.).

Daraus folgt zunächst, dass der Begriff "Arbeitsplatz" in § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 b Satz 2 Alternative 2 EStG im Gegensatz zum "Arbeitszimmer" keine räumliche Abgeschlossenheit des betreffenden Bereiches voraussetzt. Auch ein Raum, den sich der Steuerpflichtige mit weiteren Personen teilt, kann ein anderer Arbeitsplatz im Sinne der Abzugsbeschränkung sein (so auch Söhn in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, Einkommensteuergesetz, § 4 Rdnr. Lb 144).

bb) Allerdings fällt nicht jeder andere Arbeitsplatz unter die Ausnahmeregelung, sondern nur ein büromäßig ausgestatteter Arbeitsplatz. Dies ergibt sich aus der Entstehungsgeschichte der gesetzlichen Bestimmung und wird durch deren Sinn und Zweck bestätigt.

In der Gesetzesbegründung wird vorausgesetzt, dass Lehrer in der Regel über keinen anderen Arbeitsplatz im Sinne der Abzugsbeschränkung verfügen (s. BTDrucks 13/1686, 16). Verstünde man aber den Begriff "Arbeitsplatz" --dem allgemeinen Wortsinn nach-- ohne weitere Einschränkung als "zum Arbeiten bestimmter Platz", so könnten sich auch Lehrer nicht auf die Ausnahmeregelung des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 b Satz 2 Alternative 2 EStG berufen; denn der vom Arbeitgeber bzw. Dienstherrn "zum Arbeiten bestimmte Platz" sind das Klassenzimmer und die Schule. Was einem Lehrer dort allerdings regelmäßig fehlt, ist ein Platz, an dem er seinen Unterricht vorbereiten und Arbeiten korrigieren (etc.) kann, also ein Schreibtisch-Arbeitsplatz. Der Gesetzgeber muss demzufolge bei der Formulierung der gesetzlichen Regelung den "büromäßig" ausgestatteten Arbeitsplatz gemeint haben.

Auch nach Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung ist es geboten, das grundsätzlich weite Verständnis des Begriffs "anderer Arbeitsplatz" einzuschränken. Der Rechtsprechung des Senats zufolge liegt der Abzugsbeschränkung der Gedanke zugrunde, dass Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer (nur) dann steuerlich berücksichtigt werden sollen, wenn ein solches für die Erwerbstätigkeit erforderlich ist (so zuletzt Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 13. November 2002 VI R 82/01, BFHE 201, 93, BFH/NV 2003, 688; vom 13. November 2002 VI R 104/01, BFHE 201, 100, BFH/NV 2003, 691; vom 13. November 2002 VI R 28/02, BFHE 201, 106, BFH/NV 2003, 693, m.w.N.). Die Erforderlichkeit entfällt aber nicht bereits dann, wenn dem Steuerpflichtigen irgendein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung steht, sondern nur dann, wenn dieser Arbeitsplatz grundsätzlich so beschaffen ist, dass der Steuerpflichtige auf das häusliche Arbeitszimmer nicht angewiesen ist. Das ist der Fall, wenn es sich um einen Büroarbeitsplatz handelt (ebenso: Giloy, Betriebs-Berater --BB-- 1995, 2454, 2456; Paus, Die Information über Steuer und Wirtschaft --Inf-- 1995, 577, 579; Urban, Deutsche Steuer-Zeitung --DStZ-- 1996, 229, 232).

cc) Weitere Anforderungen an die Beschaffenheit des Arbeitsplatzes sind nicht zu stellen. Der Begriff "anderer Arbeitsplatz" wird durch kein weiteres Adjektiv näher beschrieben bzw. eingeschränkt. Die gesetzliche Regelung setzt insbesondere nicht voraus, dass dem Steuerpflichtigen ein "angemessener" oder auch "ruhiger" anderer Arbeitsplatz zur Verfügung steht. Publikumsverkehr ist daher für die Frage, ob es sich um einen anderen Arbeitsplatz im Sinne der Abzugsbeschränkung handelt, grundsätzlich ebenso unbeachtlich wie der Umstand, dass sich der Steuerpflichtige den Arbeitsplatz mit weiteren Personen teilen muss.

c) Der andere Arbeitsplatz steht nur dann "für die betriebliche oder berufliche Tätigkeit ... zur Verfügung", wenn ihn der Steuerpflichtige in dem konkret erforderlichen Umfang und in der konkret erforderlichen Art und Weise tatsächlich nutzen kann.

aa) Die Ausnahmeregelung in Satz 2 Alternative 2 der Abzugsbeschränkung knüpft daran an, dass dem Steuerpflichtigen für die betriebliche "oder" berufliche Tätigkeit kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung steht. Für den Fall eines Steuerpflichtigen mit mehreren betrieblichen oder beruflichen Tätigkeiten folgt damit aus dem Wortlaut der Regelung, dass in Bezug auf jede dieser Tätigkeiten gesondert geprüft werden muss, ob ein anderer Arbeitsplatz --hierfür-- zur Verfügung steht.

bb) Ebenso muss bei Steuerpflichtigen, die nur einer beruflichen Tätigkeit nachgehen, ggf. geprüft werden, ob ein --an sich vorhandener-- anderer Arbeitsplatz auch tatsächlich für alle Aufgabenbereiche der Erwerbstätigkeit genutzt werden kann. Dies folgt aus dem Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung und insbesondere aus dem ihr zugrunde liegenden Leitgedanken der "Erforderlichkeit" von Aufwendungen (s.o., II. 1. b bb). Der Steuerpflichtige ist auch dann auf das häusliche Arbeitszimmer angewiesen, wenn er dort einen nicht unerheblichen Teil seiner beruflichen Tätigkeit verrichten muss (ebenso: Söhn, a.a.O., § 4 Rdnr. Lb 151; Mainzer/Strohner, Finanz-Rundschau --FR-- 1996, 91, 95; Märkle, Festschrift Offerhaus (1999), S. 461, 471 f.).

Es genügt dagegen nicht, dass ein Steuerpflichtiger nach Feierabend oder am Wochenende im häuslichen Arbeitszimmer Arbeiten verrichtet, die er grundsätzlich auch an einem anderen Arbeitsplatz verrichten könnte. Die Beweggründe, die ihn dazu veranlassen, die Arbeiten im häuslichen Arbeitszimmer zu erledigen, sind unbeachtlich (vgl. auch Söhn, a.a.O., § 4 Rdnr. Lb 151; Märkle, a.a.O., S. 461, 471).

cc) Die Frage, ob ein Steuerpflichtiger seinen anderen Arbeitsplatz in dem konkret erforderlichen Umfang und in der konkret erforderlichen Art und Weise nutzen kann, betrifft die Tatsachenfeststellung. Sie muss von den Finanzgerichten anhand der objektiven Umstände des konkreten Einzelfalls beantwortet werden. Anhaltspunkte können sich sowohl aus der Beschaffenheit des Arbeitsplatzes selbst (Größe, Lage, Ausstattung etc.) als auch aus den Rahmenbedingungen seiner Nutzung (Ausgestaltung des Arbeitsverhältnisses, Verfügbarkeit des Arbeitsplatzes bzw. Zugang zu dem betreffenden Gebäude etc.) ergeben.

2. Das FG geht zutreffend davon aus, dass der Arbeitsplatz des Klägers im Großraumbüro der TÜV-Station ein "anderer Arbeitsplatz" im Sinne der Abzugsbeschränkung ist. Den Feststellungen des FG zufolge ist das Büro mit Schreibtischen und Arbeitsmitteln des Arbeitgebers ausgestattet, die der Kläger für seine schriftlichen Arbeiten benötigt. Es handelt sich dementsprechend um einen Büroarbeitsplatz, der den gesetzlichen Anforderungen genügt.

Nicht zu folgen ist dagegen der Ansicht des FG, dem Kläger habe dieser Arbeitsplatz für einen Teil seiner beruflichen Tätigkeit (im Sinne der Abzugsbeschränkung) nicht zur Verfügung gestanden. Das FG stützt sich auf die Feststellung, der Kläger habe "seine Tätigkeit als Sachverständiger häufig nicht an der TÜV-Station, sondern an anderen Orten (Kfz-Werkstätten, Autohäusern etc.) unter Einsatz seiner mobilen Arbeitsmittel durchzuführen". Das FG führt weiter aus, dass dem Kläger dort --also in den Kfz-Werkstätten, Autohäusern etc.-- kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung gestanden habe und er das Großraumbüro für diese Arbeiten --also den Außendienst-- objektiv nicht habe nutzen können.

Hierauf kommt es jedoch nicht an. Folgte man der Argumentation des FG, so wäre ein --begrenzter-- Abzug von Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer in vergleichbaren Fällen bei Außendienstmitarbeitern nur dann ausgeschlossen, wenn diesen an jedem einzelnen Ort ihrer Außendiensttätigkeit ein anderer Büroarbeitsplatz zur Verfügung stünde. Das entspricht weder dem Wortlaut der gesetzlichen Regelung noch ihrem Sinn und Zweck. Denn an der Erforderlichkeit der Aufwendungen für das häusliche Arbeitszimmer fehlt es bereits dann, wenn dem Steuerpflichtigen für die jeweiligen Aufgabenbereiche seiner Erwerbstätigkeit --überhaupt-- ein anderer (Büro-)Arbeitsplatz zur Verfügung steht.

Von Bedeutung ist daher im Streitfall nur, ob der Kläger den anderen Arbeitsplatz im Großraumbüro der TÜV-Station für die anfallenden Schreibarbeiten (Prüfungsberichte, Protokolle, Gutachten etc.) tatsächlich hätte nutzen können. In dem Protokoll zum Erörterungstermin vom 29. April 1999, auf das die vorinstanzliche Entscheidung Bezug nimmt, hat der Kläger insoweit ausgeführt, dass ihm der Arbeitsplatz im Großraumbüro der TÜV-Station zur Verfügung stehe, wenn er sich dort aufhalte; das genügt. Dass die Arbeitsplätze des Großraumbüros den einzelnen Prüfern nicht individuell zugeordnet sind, ist demgegenüber unbeachtlich.

Ende der Entscheidung

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