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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 19.10.2001
Aktenzeichen: VI R 174/00
Rechtsgebiete: BKGG, AO 1977, BGB, EStG


Vorschriften:

BKGG § 2
AO 1977 § 108 Abs. 1
BGB § 187 Abs. 2
BGB § 188 Abs. 2
EStG § 66 Abs. 2
EStG § 32 Abs. 4 Satz 1
EStG § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 b
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Der am 13. April 1972 geborene Sohn O des Klägers und Revisionsklägers (Kläger) bestand die Rechtspflegerprüfung am 3. November 1997 und war von Dezember 1997 bis einschließlich April 1998 in diesem Beruf tätig. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (die Familienkasse) setzte das Kindergeld für O mit Bescheid vom 20. November 1997 ab 1. Dezember 1997 auf 0 DM fest. Nachdem der Familienkasse im Mai 1999 der Einkommensteuerbescheid 1997 des O mit Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit in Höhe von 15 886 DM (bei Werbungskosten von 10 693 DM) bekannt gegeben worden war, setzte sie das Kindergeld für O wegen Überschreitens der Einkünftegrenze von Januar bis November 1997 auf 0 DM fest und forderte Kindergeld in Höhe von (11 x 350 DM =) 3 850 DM zurück.

Die hiergegen erhobene Klage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte aus, der Sohn sei bis November 1997 und ab April 1998 "für einen Beruf ausgebildet worden" (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 a des Einkommensteuergesetzes --EStG--). Auch der Monat Dezember 1997 sei zu berücksichtigen, weil O sich trotz der Berufstätigkeit in einer Übergangszeit zwischen zwei Ausbildungsabschnitten von höchstens vier Monaten (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 b EStG) befunden habe. Danach sei von den gesamten Einnahmen des Kindes im Jahr 1997 (26 579 DM) auszugehen. Nach Abzug der Werbungskosten (10 693 DM) werde der Jahresgrenzbetrag (12 000 DM) um 5 886 DM überstiegen, weshalb Kindergeld für dieses Jahr nicht zu gewähren gewesen sei.

Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung formellen und materiellen Rechts.

1. Das FG habe den Anspruch auf rechtliches Gehör dadurch verletzt, dass es dem Vertagungsantrag nicht entsprochen habe. Der Anspruch auf rechtliches Gehör gebiete, dass ein Urteil nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden dürfe, zu denen sich die Beteiligten hätten äußern können (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 10. August 1988 III R 220/84, BFHE 154, 17, BStBl II 1988, 948). Ihm, dem Kläger, sei nicht ausreichend Gelegenheit gegeben worden, sich in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zu der Frage zu äußern, ob sich sein Sohn in der Zeit von Dezember 1997 bis März 1998 in einer Übergangszeit zwischen zwei Ausbildungsabschnitten befunden habe.

2. Das angefochtene Urteil beruhe auf Verletzung von § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 b EStG.

a) Der Dezember 1997 habe nicht in einer Übergangszeit zwischen zwei Ausbildungsabschnitten von höchstens vier Monaten gelegen. Für die Berechnung des Vier-Monate-Zeitraums seien nach § 108 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) die Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) für die Berechnung von Fristen und die Bestimmung von Terminen entsprechend anzuwenden. Danach habe gemäß § 187 Abs. 2 BGB die viermonatige Übergangszeit am Tag der Rechtspflegerprüfung, dem 3. November 1997, zu laufen begonnen und sei gemäß § 188 Abs. 2 BGB am 3. März 1998 abgelaufen. Selbst wenn man den Beginn des zweiten Ausbildungsabschnitts mit dem Semesterbeginn am 1. April 1998 annehme, liege dieser nach Ablauf der Übergangszeit. Angesichts der eindeutigen Regelung in § 108 Abs. 1 AO 1977 sei nicht der Auffassung des FG zu folgen, dass die Vier-Monate-Frist einen Zeitraum von vier vollen zusammenhängenden Kalendermonaten umfasse. Hierfür spreche im Übrigen in § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 b EStG die Wortwahl "höchstens" vier Monate. Daraus folge, dass der nächste Ausbildungsabschnitt spätestens am ersten Tag nach Ablauf der Vier-Monate-Frist beginne. Die feste Übergangszeit sei im Rahmen einer Änderung des § 2 des Bundeskindergeldgesetzes (BKGG) in bewusster Abgrenzung zur Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) eingeführt worden, welches die Warte- und Übergangszeiten ausgedehnt habe. Dies sei damit begründet worden, dass eine so großzügige Berücksichtigung von Warte- und Übergangszeiten nicht vertretbar erscheine. Die Regelung sei so begrenzt, dass sie den Normalfall der üblichen Übergangszeiten erfasse. Dies erscheine deswegen gerechtfertigt, weil Ausbildungswillige, die längere Übergangs- oder Wartezeiten zu überbrücken hätten, sich, sobald dies sichtbar werde, darauf einstellen könnten und müssten, diese Zeiten mit einer Erwerbstätigkeit zu überbrücken (BTDrucks 9/765, S. 54). Es bestünden keine Bedenken, der abweichenden Auslegung in der Dienstanweisung zur Durchführung des Familienleistungsausgleichs nach dem X. Abschnitt des Einkommensteuergesetzes (DA-FamEStG) 63.3.3 dann zu folgen, wenn sie zu einer Begünstigung des Kindergeldberechtigten führe. Dagegen sei eine Anwendung zu seinen Lasten nach dem Grundsatz des Vorbehaltes des Gesetzes nicht möglich.

b) Dessen ungeachtet sei § 32 Abs. 4 Satz 1 EStG nach seinem Sinn und Zweck nicht auf Zeiträume anzuwenden, in denen das Kind einer Vollzeiterwerbstätigkeit nachgehe. Das Kindergeld bezwecke, die kindbedingte Minderung der steuerlichen Leistungsfähigkeit der Eltern während der Ausbildung des Kindes zu berücksichtigen. In Verfolgung dieses Zieles sei der rückwirkende Verlust des Kindergeldanspruchs aufgrund von Einkünften des Kindes zu vermeiden, die im letzten Ausbildungsmonat nach Ende der Ausbildung anfielen (BFH-Urteile vom 1. März 2000 VI R 19/99, BFHE 191, 62, BStBl II 2000, 462, und vom 24. Mai 2000 VI R 143/99, BFHE 191, 557, BStBl II 2000, 473). Lege man diese Rechtsprechung zugrunde, seien solche Überbrückungsmonate unberücksichtigt zu lassen, in denen das Kind einer Vollzeiterwerbstätigkeit nachgehe. Andernfalls wäre der rückwirkende Wegfall des Kindergeldes in solchen Fällen die regelmäßige Folge der Einbeziehung dieser Monate.

3. Bei Anwendung der obigen Grundsätze sei die Gewährung von Kindergeld für Januar bis November 1997 zu Unrecht rückgängig gemacht worden. Im maßgebenden Zeitraum Januar bis November 1997 hätten die Einkünfte des Sohnes bei Einnahmen in Höhe von 19 771 DM und anteiligen Werbungskosten von 10 632 DM lediglich 9 139 DM betragen, also den anteiligen Jahresgrenzbetrag von 11 000 DM nicht überstiegen.

Der Kläger beantragt sinngemäß, die Vorentscheidung sowie den Änderungsbescheid vom 1. Juni 1999 in Gestalt der Einspruchsentscheidung aufzuheben.

Die Familienkasse beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Dem Kläger sei das rechtliche Gehör nicht versagt worden, da er Gelegenheit erhalten habe, sich dazu zu äußern, ob sich sein Sohn von Dezember 1997 bis einschließlich März 1998 in einer Übergangszeit i.S. von § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 b EStG befunden habe und ob der Beginn des Semesters auf den 1. April 1998 zu datieren sei. Der Kläger habe in der mündlichen Verhandlung nicht in Frage gestellt, dass sein Sohn von vornherein beabsichtigt habe, zu studieren. Ggf. hätte der Kläger die Annahme, sein Sohn habe stets sein Studium weiterführen wollen, bestreiten und einen diesbezüglichen Beweisantrag stellen können. Da der Kläger lediglich allgemein Vertagung angeregt habe, um die Rechtslage noch einmal überprüfen zu können, habe kein Anlass bestanden, dem zu entsprechen, da nicht ersichtlich gewesen sei, welches Ergebnis die Vertagung habe erbringen sollen.

Dem FG sei auch in der Sache zu folgen. § 108 Abs. 1 AO 1977 sei nicht einschlägig. Vielmehr sei die Vorschrift des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 b EStG aus sich heraus auszulegen. Dabei sei zu berücksichtigen, dass nach § 66 Abs. 2 EStG der Monat November 1997 in der Gesamtheit mit zur Ausbildung zu rechnen sei, sodass die Übergangszeit die vier folgenden Monate Dezember, Januar, Februar und März umfasst habe, da der nächste Ausbildungsabschnitt am 1. April 1998 begonnen habe.

II. Die Revision ist begründet. Es kann dahinstehen, ob dem Kläger das Recht auf Gehör verweigert worden ist, weil die Sache bereits aus einem anderen Grund zurückzuverweisen war.

Der Senat hat mit Urteil vom 19. Oktober 2001 VI R 39/00 entschieden, dass eine Übergangszeit i.S. von § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 b EStG nicht vorliegt, wenn das Kind während des Vier-Monate-Zeitraums einer Vollzeiterwerbstätigkeit nachgeht. Zur Begründung im Einzelnen wird auf dieses Urteil Bezug genommen. Danach lagen im Dezember 1997 die Begünstigungsvoraussetzungen nicht vor, weshalb die auf diesen Monat entfallenden Einkünfte und Bezüge außer Ansatz bleiben.

Das FG hat --aus seiner Sicht zu Recht-- bislang keine Feststellungen dazu getroffen, wie hoch die Einkünfte und Bezüge des O von Januar bis November 1997 waren und ob sie den anteiligen Jahresgrenzbetrag überstiegen haben. Die diesbezüglichen Feststellungen wird das FG nunmehr nachzuholen haben.



Ende der Entscheidung

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