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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 22.02.2001
Aktenzeichen: VI R 192/97
Rechtsgebiete: EStG


Vorschriften:

EStG § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5
EStG § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger), von Beruf Schauspieler, wohnte bis zum 1. März 1992 in A. Danach zog er mit seiner damaligen Lebensgefährtin und jetzigen Ehefrau nach B. Bereits im Jahre 1978 hatte er ein Wohngrundstück in C erworben.

Nach seinen Angaben hatte der Kläger im Jahre 1993 lockere --und wohl auch kurzfristige-- Engagements mit diversen Film- und Theatergesellschaften in B. Im Jahre 1994 erhielt er einen bis zum 31. Dezember 1994 befristeten Arbeitsvertrag bei einem Theater in B. Eine Verlängerung des Vertrages war bis zum Ende des Jahres 1994 nicht abzusehen.

Bei der Einkommensteuerveranlagung des Streitjahres 1994 machte der Kläger u.a. Aufwendungen für doppelte Haushaltsführung in Höhe von 31 563 DM geltend. Die Mehraufwendungen bezogen sich auf Familienheimfahrten in Höhe von 3 927 DM, Unterkunftskosten in Höhe von 24 116 DM und Verpflegungsmehraufwand in Höhe von 3 520 DM. Zur Begründung führte der Kläger an, er halte sich nur aus beruflichen Gründen in B auf; sein Haupthausstand befinde sich in C.

Nach erfolglosem Vorverfahren gab das Finanzgericht (FG) der Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1998, 187 veröffentlichten Gründen statt.

Mit der Revision trägt der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) vor, das angefochtene Urteil verletze die Vorschrift des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Die Vorinstanz sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass sich der Mittelpunkt der Lebensinteressen des Klägers in C befunden habe. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) sei im Regelfall davon auszugehen, dass sich der Mittelpunkt der Lebensinteressen am Ort der Wohnung befinde, von der aus der Steuerpflichtige sich überwiegend zur Arbeit begebe. Wohne ein nicht verheirateter Arbeitnehmer am neuen Beschäftigungsort in einer Wohnung mit seiner Lebensgefährtin, so kämen den damit verbundenen persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen des Arbeitnehmers größeres Gewicht zu als seinen Bindungen an Verwandte und Freunde am bisherigen Wohnort. Zwar habe der BFH in seinem Urteil vom 5. Oktober 1994 VI R 62/90 (BFHE 175, 430, BStBl II 1995, 180) die Voraussetzungen für das Vorliegen einer doppelten Haushaltsführung bei Alleinstehenden gelockert; gleichzeitig habe der BFH jedoch ausgeführt, bei Ledigen würde vieles dafür sprechen, dass --je länger die auswärtige Beschäftigung dauere-- die eigentliche Haushaltsführung und auch der Mittelpunkt der Lebensinteressen an den Beschäftigungsort verlegt und die Heimatwohnung lediglich für Besuchszwecke vorgehalten werde. Die Vorinstanz habe nicht berücksichtigt, dass der Kläger und seine damalige Lebensgefährtin am Beschäftigungsort in B eine 90 qm große Dachgeschosswohnung bewohnt hätten; die Lebensgefährtin sei zu keiner Zeit in C mit Haupt- oder Nebenwohnsitz gemeldet gewesen.

Das FA beantragt sinngemäß, das angefochtene Urteil der Vorinstanz aufzuheben und die Klage abzuweisen, hilfsweise die Sache an die Vorinstanz zurückzuverweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

1. Nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 EStG sind Werbungskosten auch notwendige Mehraufwendungen, die einem Arbeitnehmer wegen einer aus beruflichem Anlass begründeten doppelten Haushaltsführung entstehen. Eine doppelte Haushaltsführung liegt vor, wenn der Arbeitnehmer außerhalb des Ortes, in dem er einen eigenen Hausstand unterhält, beschäftigt ist und auch am Beschäftigungsort wohnt. Auch ein nicht verheirateter Steuerpflichtiger kann nach der neueren Rechtsprechung des erkennenden Senats einen eigenen Hausstand außerhalb des Beschäftigungsortes unterhalten, wenn er seinen Lebensmittelpunkt dort beibehält und sich --abgesehen von der Berufstätigkeit am Beschäftigungsort-- ständig dort aufhält (grundlegend BFH-Urteil in BFHE 175, 430, BStBl II 1995, 180; vgl. auch von Bornhaupt, Der örtliche Mittelpunkt der Lebensinteressen, ein Fixpunkt der Rechtsprechung, in Festschrift für Klaus Offerhaus, Köln, 1999, S. 419, 430).

Nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 2 EStG ist zwischen dem Wohnen am Beschäftigungsort und dem Unterhalten eines eigenen Hausstandes außerhalb dieses Ortes zu unterscheiden. An Letzterem muss sich die Hauptwohnung bzw. der Mittelpunkt der Lebensinteressen des Arbeitnehmers befinden. Das Unterhalten dieses Hausstandes erfordert, dass sich der Arbeitnehmer dort --im Wesentlichen nur unterbrochen durch die arbeitsbedingte Abwesenheit und ggf. Urlaubsfahrten-- aufhält. Das Vorhalten einer Wohnung außerhalb des Beschäftigungsortes für gelegentliche Besuche oder für Ferienaufenthalte ist nicht als Unterhalten eines Hausstandes zu werten.

2. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats erfordert die Feststellung, ob der eigene Hausstand gegenüber der Wohnung am Beschäftigungsort als "Haupthausstand" anzusehen ist, eine Gesamtwürdigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls (ständige Rechtsprechung, vgl. zuletzt BFH-Urteil vom 12. September 2000 VI R 165/97, BFHE 193, 282, BStBl II 2001, 29). Weil die Bestimmung des Mittelpunkts der Lebensinteressen --gerade bei nicht verheirateten Steuerpflichtigen-- im Einzelfall schwierig sein kann, sind die gesamten Umstände sorgfältig zu bewerten und abzuwägen.

Bei nicht verheirateten Arbeitnehmern spricht --je länger die Beschäftigung dauert-- vieles dafür, dass sich der Mittelpunkt der Lebensinteressen am Beschäftigungsort befindet und die weitere zur Verfügung stehende Wohnung lediglich für Besuchs- bzw. Ferienzwecke vorgehalten wird. Umgekehrt deutet eine kurzfristige auswärtige Beschäftigung darauf hin, dass der Lebensmittelpunkt am ursprünglichen Wohnort beibehalten wird.

Zu berücksichtigen ist ferner, wie oft und wie lange sich der Arbeitnehmer in der einen und der anderen Wohnung aufhält, wie beide Wohnungen ausgestattet und wie groß sie sind. Ebenfalls von Bedeutung sind die Dauer des Arbeitsverhältnisses bzw. des Aufenthaltes am Beschäftigungsort, die Entfernung beider Wohnungen sowie die Zahl der Heimfahrten (vgl. BFH-Urteil vom 10. Februar 2000 VI R 60/98, BFH/NV 2000, 949).

Erhebliches Gewicht kommt auch dem Umstand zu, zu welchem Wohnort die engeren persönlichen Beziehungen bestehen. Insoweit ist von Belang, wo sich Bezugspersonen des Arbeitnehmers überwiegend aufhalten; dies gilt auch, soweit ein alleinstehender Arbeitnehmer mit einer Lebensgefährtin zusammenlebt (vgl. auch Schmidt/Drenseck, Einkommensteuergesetz, 20. Aufl., § 9 Rz. 142, m.w.N.).

Durch die von der Vorinstanz herangezogene Entscheidung des Senats in BFHE 175, 430, BStBl II 1995, 180 entfiel lediglich das Erfordernis hauswirtschaftlichen Lebens einer vom Arbeitnehmer abhängigen Zurechnungsperson während dessen berufsbedingter Abwesenheit. Diese Entscheidung befreit den Tatrichter jedoch nicht von der Prüfung nach den beschriebenen Maßstäben, wo sich der Mittelpunkt der Lebensinteressen eines alleinstehenden Arbeitnehmers befindet.

3. Die Vorentscheidung, die von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen ist, ist danach aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen. Die bisherigen Feststellungen des FG reichen nicht aus, um abschließend beurteilen zu können, wo sich der Lebensmittelpunkt des Klägers im Streitjahr befunden hat.

Die Vorinstanz ist davon ausgegangen, dass der Kläger seinen Haupthausstand in C unterhielt. Nähere Feststellungen hierzu fehlen. Eine eingehende Prüfung war indes schon deshalb geboten, weil der Kläger selbst in anderem Zusammenhang diese --zum Teil fremdvermietete-- Wohnung als "Ferienimmobilie" bezeichnet hat (Schreiben vom 23. August 1994). Ferner hat das FA in der Einspruchsentscheidung darauf hingewiesen, der Kläger habe am 23. Oktober 1994 ausgeführt, dass die Beschäftigung an einem Theater in B in 1994 die absolute Anwesenheit in B erforderte und er --der Kläger-- das Haus eigentlich nur im Drei-Wochen-Turnus aufsuchen konnte, um nach dem Rechten zu sehen. Insoweit wird die Vorinstanz auch die Angaben des Klägers zur Häufigkeit seiner Heimfahrten nach C zu prüfen haben.

In die gebotene Gesamtwürdigung hat die Vorinstanz auch nicht den Umstand einbezogen, dass --nach dem Vortrag des FA-- der Kläger in B im Streitjahr eine 90 qm große Wohnung unterhalten hat, die er zusammen mit seiner Lebensgefährtin nutzte. Auch hinsichtlich dieser Wohnung fehlen Feststellungen bezüglich der Ausstattung wie auch der schon bestehenden Mietdauer.

Schließlich wird das FG auch dem Umstand nachzugehen haben, dass der Kläger im März 1992 von A nach B umgezogen ist. Die näheren Umstände könnten darauf hinweisen, dass der Kläger damals möglicherweise seinen Haupthausstand von A nach B verlegte bzw. eine aus beruflichem Anlass begründete doppelte Haushaltsführung nicht vorgelegen hat.



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