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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 20.06.2001
Aktenzeichen: VI R 224/98
Rechtsgebiete: EStG


Vorschriften:

EStG § 64 Abs. 2 Satz 1
Bei dem Wechsel eines Kindes von einem Elternteil zum anderen kann das Kind auch dann in den neuen Haushalt aufgenommen sein (§ 64 Abs. 2 Satz 1 EStG), wenn der Wechsel zwar noch nicht endgültig ist, das Kind aber für einen längeren Zeitraum von dem aufnehmenden Elternteil betreut und unterhalten wird.
Gründe:

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) und die Beigeladene und Revisionsklägerin (Beigeladene) sind seit Mai 1987 geschieden. Zwei der gemeinsamen Kinder, die Töchter A (geboren 1980) und B (geboren 1982), lebten im Haushalt des Klägers, der auch sorgeberechtigt war. Der Kläger erhielt für die beiden Töchter das Kindergeld. Im September bzw. Oktober 1996 zogen die Töchter gegen den Willen des Klägers zu der Beigeladenen, die schon vorher beantragt hatte, ihr das Sorgerecht zu übertragen. Vor dem Amtsgericht (Familiengericht) einigten sich der Kläger und die Beigeladene auf Vorschlag des Gerichts im Oktober 1996 im Rahmen des Sorgerechtsverfahrens darauf, dass beide Töchter zunächst für die Dauer von drei Monaten bei der Beigeladenen wohnen sollten. Danach sollte eine abschließende Entscheidung über den Sorgerechtsantrag der Beigeladenen getroffen werden. Im März 1997 übertrug das Familiengericht das Sorgerecht im Einverständnis mit dem Kläger auf die Beigeladene. Die beiden Töchter verblieben endgültig im Haushalt der Beigeladenen.

Mit Bescheid vom 11. April 1997 hob der Beklagte und Revisionskläger (das Arbeitsamt -Familienkasse-) die Kindergeldfestsetzung gegenüber dem Kläger gemäß § 70 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) mit Wirkung ab Oktober 1996 bzw. November 1996 wegen des Haushaltswechsels auf und forderte das nach dem Zeitpunkt der Aufhebung gezahlte Kindergeld zurück. Der Einspruch gegen den Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid blieb erfolglos.

Das Finanzgericht (FG) gab der dagegen gerichteten Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1999, 181 abgedruckten Entscheidungsgründen statt, nachdem es die Kindesmutter gemäß § 60 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zu dem Rechtsstreit beigeladen hatte. Denn die Kinder seien auch nach dem vorläufigen Wechsel zur Beigeladenen zunächst weiter in den Haushalt des Klägers aufgenommen gewesen, so dass diesem gemäß § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG das Kindergeld bis zu dem endgültigen Umzug zugestanden habe. Eine Haushaltsaufnahme im Sinne dieser Vorschrift bestehe fort, wenn das Kind nur vorübergehend anderweitig untergebracht sei. Eine solche vorübergehende Unterbringung liege auch dann vor, wenn Kinder geschiedener Eheleute im Haushalt des einen Elternteils lebten und zu einem späteren Zeitpunkt probeweise zu dem anderen Elternteil zögen. Im Streitfall habe bis zur Entscheidung des Familiengerichts im März 1997 nicht endgültig festgestanden, ob die beiden Töchter nur zeitweise nicht mehr im Haushalt des Klägers lebten.

Gegen dieses Urteil wenden sich die Beigeladene und die Familienkasse mit ihren Revisionen. Beide rügen die Verletzung des § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG.

Die Familienkasse führt zur Begründung ihrer Revision aus, mit dem FG sei davon auszugehen, dass die Haushaltszugehörigkeit eines Kindes nicht durch eine nur vorübergehende anderweitige Unterbringung entfalle. Ob die Unterbringung nur vorübergehend sei, müsse danach beurteilt werden, ob bei wertender Betrachtung der bisherige Berechtigte weiterhin als die maßgebliche Person für Erziehung, Betreuung und Versorgung des Kindes anzusehen sei oder ob diese Funktion auf den anderen Elternteil übergegangen sei. Im Streitfall habe die Beigeladene die Töchter nicht für die Dauer eines vorübergehenden Ferienaufenthalts, sondern mit dem Ziel der dauerhaften Betreuung in ihren Haushalt aufgenommen, was zur Beendigung der Aufnahme in den Haushalt des Klägers geführt habe.

Die Beigeladene führt aus, bei einer Beurteilung der Haushaltsaufnahme nach den später eingetretenen Verhältnissen ergebe sich zwanglos, dass die Töchter seit ihrem Wechsel in den Haushalt der Beigeladenen nicht nur vorübergehend, sondern ständig in deren Haushalt aufgenommen gewesen seien. Der Sorgerechtsbeschluss des Familiengerichts habe den seit September bzw. Oktober 1996 bestehenden Zustand nur festgeschrieben.

Die Familienkasse beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Beigeladene beantragt, das Urteil des FG aufzuheben.

Der Kläger beantragt, die Revisionen zurückzuweisen.

Er habe für die Töchter über zehn Jahre gesorgt und entsprechende Räumlichkeiten gemietet. Der Wechsel der Töchter zur Beigeladenen sei an sich gegen seinen Willen erfolgt. Wegen des familiengerichtlichen Hinweises, dass man so große Kinder nicht gewaltsam zurückholen könne, habe er sein Einverständnis mit einer probeweisen Regelung gegeben. Er sei aber rechtlich weiterhin für die Töchter, die auch ihre persönlichen Sachen weiter bei ihm gehabt hätten, verantwortlich gewesen. Demzufolge habe man jederzeit mit einer Rückkehr der Töchter rechnen können.

Die Revisionen der Familienkasse und der Beigeladenen sind begründet. Sie führen zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 FGO). Das FG ist rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, dass eine Haushaltsaufnahme i.S. des § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG auch dann fortbestehe, wenn das Kind zeitweise nicht mehr in dem Haushalt des einen Elternteils wohne, versorgt und betreut werde.

Erfüllen mehrere Personen --wie hier der Kläger und die Beigeladene-- die Anspruchsvoraussetzungen für das Kindergeld, so wird dieses gemäß § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG an die Person gezahlt, die das Kind in ihren Haushalt aufgenommen hat. Haushaltsaufnahme i.S. dieser Vorschrift bedeutet die Aufnahme in die Familiengemeinschaft mit einem dort begründeten Betreuungs- und Erziehungsverhältnis familienhafter Art. Neben dem örtlich gebundenen Zusammenleben müssen Voraussetzungen materieller Art (Versorgung, Unterhaltsgewährung) und immaterieller Art (Fürsorge, Betreuung) erfüllt sein (vgl. Senatsbeschluss vom 19. Oktober 2000 VI B 68/99, BFH/NV 2001, 441). Danach gehört ein Kind dann zum Haushalt eines Elternteils, wenn es dort wohnt, versorgt und betreut wird, so dass es sich in der Obhut dieses Elternteils befindet. Formale Gesichtspunkte, z.B. die Sorgerechtsregelung oder die Eintragung in ein Melderegister, können bei der Beurteilung, in welchen Haushalt das Kind aufgenommen ist, allenfalls unterstützend herangezogen werden. Ein Obhutverhältnis in dem geschilderten Sinne besteht allerdings dann nicht, wenn sich das Kind nur für einen von vornherein begrenzten, kurzfristigen Zeitraum bei einem Elternteil befindet, etwa zu Besuchszwecken oder in den Ferien. Dagegen steht einer Aufnahme in den Haushalt des einen Elternteils nicht entgegen, wenn die Aufnahme in diesen Haushalt zwar zunächst noch nicht endgültig ist, aber für einen längeren Zeitraum gelten soll, so dass das Obhutverhältnis zu dem abgebenden Elternteil jedenfalls zunächst beendet ist (vgl. auch Senatsurteil vom 24. Oktober 2000 VI R 21/99, BFH/NV 2001, 444). In einem solchen Fall wird das Kind nach dem Umzug von dem aufnehmenden Elternteil betreut, versorgt und unterhalten, so dass ein neues Obhutverhältnis begründet wird. Ob etwas anderes dann gilt, wenn das Kind dem abgebenden Elternteil widerrechtlich entzogen wird, z.B. in Entführungsfällen, kann offen bleiben (vgl. dazu den Senatsbeschluss vom 19. Mai 1999 VI B 22/99, BFHE 188, 403, BFH/NV 1999, 1425, aber auch das Urteil in BFH/NV 2001, 444). Denn im Streitfall war der Kläger letztlich mit dem Wechsel der Töchter zur Beigeladenen einverstanden.

Bei Anwendung dieser Grundsätze auf den Streitfall kann die Vorentscheidung keinen Bestand haben. Die Töchter des Klägers und der Beigeladenen lebten seit Oktober bzw. November 1996 im Haushalt der Beigeladenen. Ihr Umzug war zwar noch nicht endgültig, weil insbesondere eine Entscheidung des Familiengerichts über die Übertragung des Sorgerechts noch ausstand. Die Töchter wohnten aber bei der Beigeladenen und wurden von dieser versorgt und betreut, so dass mit dem Umzug der Töchter ein neues Obhutverhältnis zwischen den Töchtern und der Beigeladenen begründet wurde. Dem steht nicht entgegen, dass die persönlichen Sachen der Töchter zunächst noch beim Kläger verblieben und dieser auch Wohnräume für die Töchter vorhielt. Bei dem Wechsel in den Haushalt der Beigeladenen handelte es sich auch nicht nur um einen von vornherein begrenzten, kurzfristigen Aufenthalt bei der Beigeladenen. Die Töchter sollten jedenfalls drei Monate bei der Beigeladenen bleiben, also für einen Zeitraum, der einen gewöhnlichen Ferienaufenthalt überschreitet. Die Familienkasse ist deshalb zutreffend davon ausgegangen, dass mit dem Wechsel der Töchter die Aufnahme in den Haushalt des Klägers beendet war. Sie hat die Kindergeldfestsetzung gegenüber dem Kläger zu Recht aufgehoben (§ 70 Abs. 2 EStG) und das überzahlte Kindergeld vom Kläger zurückgefordert (§ 37 Abs. 2 der Abgabenordnung --AO 1977--).

Ende der Entscheidung

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