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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 11.05.2005
Aktenzeichen: VI R 38/02
Rechtsgebiete: FGO, EStG


Vorschriften:

FGO § 60 Abs. 3 Satz 1
FGO § 123 Abs. 1 Satz 2
EStG § 32 Abs. 6
Erhebt der im Einspruchsverfahren hinzugezogene Elternteil Klage gegen die Übertragung des eigenen Kinderfreibetrags auf den anderen Elternteil, so ist dieser andere Elternteil notwendig beizuladen (Abgrenzung zum BFH-Beschluss vom 4. Juli 2001 VI B 301/98, BFHE 195, 50, BStBl II 2001, 729).
Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten um die wirksame Übertragung eines Kinderfreibetrags.

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) und seine frühere Ehefrau A sind Eltern einer gemeinsamen Tochter. Ende 1992 kam es zu unterhaltsrechtlichen Streitigkeiten zwischen den geschiedenen Elternteilen, in deren Verlauf der Rechtsanwalt des Klägers in zwei an die Anwälte der Frau A gerichteten Schreiben vom 25. Januar 1993 und vom 1. Juni 1993 den Verzicht des Klägers auf den ihm zustehenden Kinderfreibetrag für die Tochter in den Raum stellte. Die daraufhin von den Anwälten der Frau A angeforderte Unterschrift unter die Anlage "K" zur Einkommensteuererklärung leistete der Kläger indessen nicht. In der Folge beantragte Frau A unter Vorlage der genannten beiden anwaltlichen Schriftsätze in ihren Einkommensteuererklärungen neben den ihr selbst zustehenden Freibeträgen auch den auf den Kläger entfallenden Kinderfreibetrag, der ihr vom Beklagten und Revisionsbeklagten (dem für sie zuständigen Finanzamt --FA--) bei ihrer Veranlagung für die Streitjahre 1993 bis 1995 jeweils auch zuerkannt wurde.

Später erlangte das FA davon Kenntnis, dass für die gleichen Jahre auch dem Kläger ein Kinderfreibetrag gewährt worden war. Es änderte daraufhin mit Bescheiden vom 7. Oktober 1996 die noch unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Einkommensteuerbescheide der Frau A ab und ließ bei ihr den auf den Kläger entfallenden Kinderfreibetrag nunmehr unberücksichtigt.

Gegen diese Änderungen legte Frau A jeweils Einspruch ein. Das FA zog den Kläger zu den Einspruchsverfahren hinzu. Es gelangte sodann zu der Auffassung, der Kläger habe den ihm zustehenden Kinderfreibetrag aufgrund der in den anwaltlichen Schriftsätzen gewählten Formulierungen wirksam auf Frau A übertragen, und half den Einsprüchen ab, indem es die gegen Frau A erlassenen Änderungsbescheide wieder aufhob. Dem Kläger erteilte das FA eine Entscheidung gleichen Inhalts.

Hiergegen erhob der Kläger Klage zum Finanzgericht (FG) mit dem Antrag, unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung des FA bei Frau A für die Streitjahre nur den hälftigen Kinderfreibetrag zu berücksichtigen.

Das FG vertrat die Ansicht, Frau A sei zu dem finanzgerichtlichen Verfahren nicht beizuladen, weil nach Maßgabe der Erwägungen des Bundesfinanzhofs (BFH) in dessen Beschluss vom 4. Juli 2001 VI B 301/98 (BFHE 195, 50, BStBl II 2001, 729) kein Fall der notwendigen Beiladung vorliege. In der Sache wies das FG die Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2002, 910 veröffentlichten Gründen ab, da die für die Übertragung des Kinderfreibetrags auf den anderen Elternteil erforderliche Erklärung aus den Verzichtsbekundungen des Klägers Frau A gegenüber entnommen werden könne und es Sache des Klägers gewesen wäre, einen möglicherweise abweichenden Willen gegenüber dem FA rechtzeitig richtigzustellen.

Gegen das Urteil des FG hat der Kläger Revision eingelegt, mit der er die Verletzung der §§ 133, 147 Abs. 2, 151, 154 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) sowie des § 32 Abs. 6 des Einkommensteuergesetzes (EStG) rügt. Der Kläger beruft sich insbesondere darauf, Frau A habe den ihr lediglich angebotenen Verzicht nicht binnen angemessener Frist angenommen und einen möglichen Annahmewillen in dieser Zeit auch nicht nach außen hin unzweideutig bekundet. Zudem treffe das angefochtene Urteil keine Feststellungen dazu, ob Frau A als Botin überhaupt Vertretungsmacht zur Weitergabe der Willenserklärung des Klägers an die Finanzverwaltung gehabt habe.

Über die Revision hat der Senat noch nicht entschieden.

II.

Frau A ist zu dem Verfahren notwendig beizuladen.

1. Nach § 60 Abs. 3 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) hat eine Beiladung dann zu erfolgen, wenn an dem streitigen Rechtsverhältnis Dritte derart beteiligt sind, dass die gerichtliche Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann. Das ist der Fall, wenn die Entscheidung nach Maßgabe des materiellen Steuerrechts notwendigerweise und unmittelbar Rechte oder Rechtsbeziehungen des Dritten gestaltet, bestätigt, verändert oder zum Erlöschen bringt (z.B. BFH-Urteil vom 19. April 1988 VII R 56/87, BFHE 153, 472, BStBl II 1988, 789; BFH-Beschluss in BFHE 195, 50, BStBl II 2001, 729; Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 60 Rz. 23; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 60 FGO Tz. 19). Die notwendige Beiladung soll sicherstellen, dass eine Sachentscheidung, die die Rechte eines Dritten in der vorbezeichneten Weise betrifft und aus diesem Grunde auch ihm gegenüber nur einheitlich ergehen kann, nicht ohne Beteiligung dieses Dritten erlassen wird (BFH-Beschlüsse vom 12. Januar 2001 VI R 49/98, BFHE 194, 6, BStBl II 2001, 246; vom 27. Februar 2003 V B 131/01, BFHE 202, 12, BStBl II 2003, 667).

Streitgegenstand der Klage ist die Rechtmäßigkeit der Entscheidung des FA über die von Frau A erhobenen Einsprüche und über die damit verbundene Aufhebung der Änderungsbescheide vom 7. Oktober 1996. Der Rechtsstreit betrifft daher unmittelbar die Einkommensteuerfestsetzungen des FA gegenüber Frau A. Zwar stünde bei einem Misserfolg der Klage fest, dass der Kläger zur Inanspruchnahme des streitigen Kinderfreibetrages in den Streitjahren nicht berechtigt war. Gelangte der Senat im anhängigen Verfahren indessen zu der Auffassung, Einspruchsentscheidung und Aufhebungsbescheid seien --wie vom Kläger beantragt-- aufzuheben, so hätte dies zur Folge, dass die geänderten Festsetzungen vom 7. Oktober 1996 ohne weitere Zwischenschritte zum Nachteil der Frau A wieder erstarken würden.

2. Zu Unrecht beruft sich das FG für die unterbliebene Beiladung auf den Beschluss des Senats in BFHE 195, 50, BStBl II 2001, 729. Zwar liegt danach bei Streitigkeiten um die Frage, ob die Übertragung eines Kinderfreibetrags vom einen auf den anderen Elternteil zu Recht erfolgt ist, in der Regel kein Fall der notwendigen Beiladung vor (ebenso BFH-Beschluss vom 16. April 2002 VIII B 171/01, BFHE 198, 300, BStBl II 2002, 578, für die Klage eines Elternteils auf Gewährung von bislang zugunsten des anderen Elternteils festgesetztem Kindergeld). Diese Rechtsprechung bezieht sich indessen nur auf solche Fallgestaltungen, in denen der klagende Elternteil vom FA die Berücksichtigung des eigentlich dem anderen Elternteil zustehenden Freibetrags bei seiner (des klagenden Elternteils) eigenen Veranlagung verlangt. Im Streitfall hingegen begehrt der klagende Elternteil, die vom FA ausgesprochene Zuordnung des eigenen Freibetrags zum anderen Elternteil bei dessen Veranlagung wieder rückgängig zu machen. Es handelt sich dabei um die Anfechtung eines begünstigenden Steuerverwaltungsakts durch einen Dritten. In diesen Fällen ist der begünstigte andere Elternteil notwendig beizuladen, da er vom Ausgang des Verfahrens unmittelbar betroffen ist.

3. Die von der Vorinstanz unterlassene notwendige Beiladung stellt einen Verstoß gegen die Grundordnung des Verfahrens dar. Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 FGO i.d.F. des Zweiten Gesetzes zur Änderung der Finanzgerichtsordnung und anderer Gesetze (2. FGOÄndG) vom 19. Dezember 2000 (BGBl I 2000, 1757, BStBl I 2000, 1567) kann der Senat die unterbliebene Beiladung indessen nach seinem Ermessen im Revisionsverfahren nachholen (vgl. BFH-Beschlüsse in BFHE 194, 6, BStBl II 2001, 246; vom 7. April 2003 VIII R 38/02, BFH/NV 2003, 916). Eine solche Nachholung ist im Streitfall aus Gründen der Verfahrensbeschleunigung und auch deswegen interessengerecht, weil nach derzeitigem Sachstand nicht ohne weiteres damit zu rechnen ist, dass aufgrund der Beiladung weitere tatsächliche Feststellungen durch das FG getroffen werden müssen.

4. Hierdurch erhält Frau A als Beigeladene die Stellung eines Beteiligten (§ 57 Nr. 3 FGO; zur Verfahrensstellung des Beigeladenen vgl. Gräber/Koch, a.a.O., § 60 Rz. 140 ff.). Die Rechtskraft einer in dieser Sache ergehenden Entscheidung wirkt in jedem Fall für und gegen die Beigeladene (vgl. § 110 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 FGO).

5. Der Senat weist darauf hin, dass die Beigeladene Verfahrensmängel nur innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Beschlusses rügen kann (§ 123 Abs. 2 Satz 1 FGO). Die Frist kann nach Maßgabe des § 123 Abs. 2 Satz 2 FGO verlängert werden. Der Senat verweist den Rechtsstreit an die Vorinstanz zurück, wenn die Beigeladene ein berechtigtes Interesse daran hat (§ 126 Abs. 3 Satz 2 FGO). Das kann etwa der Fall sein, wenn die Beigeladene geltend macht, sich noch zu den tatsächlichen Umständen des Streitfalls äußern zu wollen (Spindler, Der Betrieb 2001, 61, 63), oder wenn sie neue Tatsachen und Beweismittel in das Verfahren einführen will (Gräber/Ruban, a.a.O., § 126 Rz. 17).

Jeder Beteiligte, also auch die Beigeladene, muss sich vor dem BFH durch eine Person i.S. des § 3 Nr. 1 des Steuerberatungsgesetzes (StBerG) vertreten lassen (§ 62a Abs. 1 FGO; vgl. auch Gräber/Koch, a.a.O., § 62a Rz. 18). Zur Vertretung der Beteiligten vor dem BFH berechtigt sind Steuerberater, Steuerbevollmächtigte, Rechtsanwälte, niedergelassene europäische Rechtsanwälte, Wirtschaftsprüfer und vereidigte Buchprüfer; ferner Steuerberatungsgesellschaften, Rechtsanwaltsgesellschaften, Wirtschaftsprüfungsgesellschaften und Buchprüfungsgesellschaften sowie zur geschäftsmäßigen Hilfeleistung in Steuersachen befugte Partnerschaftsgesellschaften, die durch einen der in dem vorherigen Halbsatz aufgeführten Berufsangehörigen tätig werden.

Ende der Entscheidung

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