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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 13.05.2008
Aktenzeichen: VI S 7/08
Rechtsgebiete: FGO


Vorschriften:

FGO § 69 Abs. 6 Satz 2
FGO § 118 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Die Klägerin, Revisionsklägerin und Antragstellerin (Antragstellerin) betreibt in der Rechtsform einer Aktiengesellschaft ein Unternehmen mit dem Gegenstand Befragungen für Markt- und Meinungsforschung. In den Streitjahren (1999 bis 2002) führte sie Kundenzufriedenheitsbefragungen, Marktpotentialerhebungen und Meinungsbefragungen per Telefon und/oder Internet durch. Die Antragstellerin beschäftigte je nach Auftragsvolumen ca. 900 bis 1 000 Interviewer, die sie als freie Mitarbeiter behandelte und für die sie dementsprechend weder Lohnsteuer noch Sozialversicherungsbeiträge einbehielt und abführte.

Der Beklagte, Revisionsbeklagte und Antragsgegner (das Finanzamt --FA--) ordnete die Interviewer als Arbeitnehmer ein und nahm die Antragstellerin für nicht abgeführte Lohnsteuer in Höhe von 733 752,72 € (zuzüglich Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer) in Haftung. Bei der Berechnung der Lohnsteuer wandte das FA in allen Fällen die Steuerklasse VI an.

Der Einspruch der Antragstellerin gegen den Haftungsbescheid blieb weitgehend erfolglos. In seiner Einspruchsentscheidung kürzte das FA die Lohnsteuer der Jahre 1999 bis 2002 um pauschal 10 % für die Fälle, in denen die Interviewer möglicherweise ihre Einkünfte bereits im Rahmen der eigenen Einkommensteuer-Veranlagung berücksichtigt hatten, und setzte den Haftungsbetrag für Lohnsteuer auf 660 377,45 € (zuzüglich Zuschlagsteuern) fest.

Die dagegen gerichtete Klage hatte nur teilweise Erfolg. Mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2007, 1034 veröffentlichten Gründen setzte das Finanzgericht (FG) die Haftungssumme für Lohnsteuer 1999 bis 2002 auf 468 014,44 € (zuzüglich Zuschlagsteuern) herab; im Übrigen wies es die Klage als unbegründet ab.

Nach Zulassung durch das FG hat die Antragstellerin Revision eingelegt (Az. VI R 11/07). Der von der Antragstellerin gestellte Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) wurde vom FA unter Bezug auf das angefochtene Urteil des FG vom 6. Dezember 2006 abgelehnt.

Am 30. März 2007 wandte sich die Antragstellerin mit einem Antrag auf AdV an den Bundesfinanzhof (BFH) und brachte vor, an der Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheids und des finanzgerichtlichen Urteils bestünden ernstliche Zweifel. Denn das FG habe die Frage, ob die Interviewer als Arbeitnehmer anzusehen seien, nicht auf der Grundlage der vom BFH zur Arbeitnehmereigenschaft aufgestellten Kriterien beurteilt.

Mit Beschluss vom 6. März 2008 VI S 2/07, BFH/NV 2008, 957 hat der erkennende Senat den Antrag abgelehnt und ausgeführt, dass bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage im Streitfall keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Haftungsbescheids i.d.F. der finanzgerichtlichen Entscheidung bestünden; die Gewichtung der einzelnen Merkmale des Arbeitnehmerbegriffs sei eine tatrichterliche Aufgabe des FG, die der BFH nur bei Rechtsverstößen überprüfen könne. Die im Streitfall vorgenommene Würdigung lasse jedenfalls bei summarischer Prüfung keinen Verstoß gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze erkennen. Gegen die den Umfang der Haftungsschuld betreffenden Erwägungen des FG habe sich auch die Antragstellerin nicht gewandt.

Mit Schriftsatz vom 11. April 2008 hat sich die Antragstellerin erneut mit einem Antrag auf AdV an den BFH gewandt. Sie trägt vor, das FA habe einen weiteren, auf neue Aspekte gestützten Antrag auf AdV abgelehnt. Erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Haftungsbescheids begründe der Umstand, dass das Haftungsvolumen ein Vielfaches des voraussichtlichen Steuervolumens ausmache, das bei unterstellter individueller Veranlagung der für die Antragstellerin tätigen Interviewer hätte entstehen können. Der weitaus überwiegende Teil dieser Interviewer sei nämlich Student oder Rentner gewesen; die Einkünfte dieser Personen hätten einzig aus dem von der Antragstellerin gezahlten Honorar bestanden. Die Berechnung von Lohnsteuer nach der Lohnsteuerklasse VI sei nicht angebracht. Die Antragstellerin habe nunmehr Listen erstellt, in denen die jeweiligen Zahlungen pro Veranlagungszeitraum an jeden einzelnen Interviewer ausgewiesen seien und in denen die hierauf individuell von jedem einzelnen Interviewer nach der Einkommensteuergrundtabelle geschuldete Einkommensteuer ermittelt sei. Hiernach ergebe sich eine Einkommensteuer in Höhe von allenfalls 25 320,94 €. Aber selbst nach der auf die Interviewer individuell nach Steuerklasse VI angewandten Tabelle ergebe sich ein Betrag von 555 363 €, der entsprechend den Überlegungen des FG um pauschal 20 % auf 444 290 € zu mindern sei. Die Antragstellerin solle für eine Steuerschuld haften, die nicht existiere und die nicht mehr richtig gestellt werden könne. Dies billigend in Kauf genommen zu haben, stelle einen weiteren Ermessensfehlgebrauch des FA dar.

Die Antragstellerin beantragt sinngemäß, die Vollziehung des Haftungsbescheids über Lohnsteuer 1999 bis 2002 vom 5. August 2002 i.d.F. des FG-Urteils vom 6. Dezember 2006 auszusetzen.

Das FA beantragt, den Antrag auf AdV abzulehnen.

Die Voraussetzungen des § 69 Abs. 6 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) lägen nicht vor. Auch seien weiterhin keine Gründe ersichtlich, die Steuerschuld im Streitfall nicht nach der Steuerklasse VI zu ermitteln.

II. Der Antrag ist unzulässig.

1. Nach § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO ist ein erneuter Antrag auf AdV nur statthaft, wenn veränderte oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemacht Umstände vorgetragen werden. Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall nicht vor.

a) Zwar kann das Gericht der Hauptsache einen einmal ergangenen Beschluss jederzeit ändern oder aufheben (§ 69 Abs. 6 Satz 1 FGO); Gericht der Hauptsache ist der BFH, wenn der angefochtene Verwaltungsakt Gegenstand eines bei ihm anhängigen Verfahrens ist (BFH-Beschlüsse vom 23. Januar 1985 I S 4/84, BFH/NV 1987, 385, und vom 14. August 1997 X B 108/97, BFH/NV 1998, 68). Die Beteiligten können die Aufhebung oder Änderung jedoch nur wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen (§ 69 Abs. 6 Satz 2 FGO). Aus dem Zweck der in § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO getroffenen Regelung folgt zudem, dass hiervon nicht nur diejenigen Fälle erfasst werden, in denen formal die Aufhebung oder Änderung einer ergangenen Entscheidung begehrt wird. § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO soll verhindern, dass sich das Gericht wiederholt mit denselben Aussetzungsbegehren befassen muss (Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 69 FGO Rz 166). Deshalb muss die Begrenzung der Antragsmöglichkeit gleichermaßen gelten, wenn zunächst über einen Antrag auf AdV entschieden worden ist und nunmehr ein Beteiligter erneut einen solchen Antrag stellt (BFH-Beschluss vom 13. Oktober 1999 I S 4/99, BFHE 190, 34, BStBl II 2000, 86). Denn in dieser Konstellation wird das Gericht ebenso wiederholt mit dem Begehren auf AdV befasst wie im Fall des Antrags auf Abänderung der ursprünglichen Entscheidung. Demgemäß ist die Zulässigkeit eines solchen Folgeantrags ebenfalls an die Voraussetzungen des § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO gebunden (BFH-Beschluss in BFHE 190, 34, BStBl II 2000, 86, m.w.N.).

b) Die in § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO benannten Umstände liegen vor, wenn entweder nachträglich eingetretene oder bekannt gewordene Gegebenheiten den Fall in tatsächlicher Hinsicht in einem neuen Licht erscheinen lassen (vgl. BFH-Beschlüsse vom 18. September 1996 I B 39/96, BFH/NV 1997, 247, vom 19. November 2003 I S 7/03, BFH/NV 2004, 516, und vom 16. Oktober 2006 IV S 8/06, juris) oder wenn eine Gesetzesänderung oder eine zwischenzeitlich ergangene gerichtliche Entscheidung zu einer veränderten Beurteilung der maßgeblichen Rechtslage führen können (BFH-Beschluss vom 15. Januar 1991 IX S 6/90, BFH/NV 1991, 535). Bei unveränderter tatsächlicher und rechtlicher Ausgangslage erfüllen neue rechtliche Überlegungen des Antragstellers ebenso wie die bloße Wiederholung der bisherigen Argumentation den Tatbestand des § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO jedoch nicht (BFH-Beschluss in BFH/NV 2004, 516; Gosch in Beermann/Gosch, § 69 FGO Rz 330 f., m.w.N.; Gräber/ Koch, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 69 Rz 199; Seer in Tipke/Kruse, a.a.O., § 69 FGO Rz 166 f.). Sie sind deshalb nicht geeignet, die Statthaftigkeit eines wiederholten Antrags auf gerichtliche Aufhebung der Vollziehung zu begründen. Dies gilt auch für einen in der Revisionsinstanz wiederholt gestellten Antrag auf AdV.

c) Nach diesen Maßstäben ist der von der Antragstellerin erneut gestellte Antrag auf AdV unzulässig. Diese begründet ihren wiederholten Antrag im Ergebnis mit dem Umstand, dass bei Betrachtung der individuellen Verhältnisse der von ihr beschäftigten Interviewer von einer deutlich geringeren Steuerschuld auszugehen sei. Damit stützt sich der wiederholte Antrag indes nicht auf nachträglich eingetretene oder bekannt gewordene Gegebenheiten. Das FG hat sich in seiner im Revisionsverfahren VI R 11/07 angefochtenen Entscheidung bereits damit befasst, inwieweit die Anwendung der Lohnsteuerklasse VI aus sachlichen Gründen gerechtfertigt sei. Es hat dazu u.a. ausgeführt, bereits aus dem Vortrag der Antragstellerin gehe hervor, dass die überwiegende Mehrzahl der Interviewer auch noch in weiteren Arbeitsverhältnissen gestanden habe. Ungeachtet der Frage, inwieweit der BFH im Revisionsverfahren VI R 11/07 an die tatsächlichen Feststellungen einschließlich der hierzu zählenden Schätzung des FG nach § 118 Abs. 2 FGO gebunden sein könnte (vgl. dazu z.B. BFH-Urteil vom 21. Oktober 1997 VIII R 18/96, BFH/NV 1998, 582), ist im Streitfall nicht erkennbar, dass seither eingetretene oder bekannt gewordene Gegebenheiten vorliegen, die den Fall in tatsächlicher Hinsicht in einem neuen Licht erscheinen lassen. Erst recht gilt dies für den seit der erstmaligen Entscheidung des BFH über einen Aussetzungsantrag der Antragstellerin in dem Verfahren VI S 2/07 vergangenen Zeitraum. Dabei hat auch die Antragstellerin nicht behauptet, dass sich seit der vorangegangenen BFH-Entscheidung die tatsächlichen Gegebenheiten geändert oder sich neue tatsächliche Gesichtspunkte ergeben haben. Vielmehr stellt die Antragstellerin bei unveränderter tatsächlicher und rechtlicher Ausgangslage neue rechtliche Überlegungen an. Unter diesen Umständen ist indes ein wiederholt gestellter Antrag auf AdV nach § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO nicht statthaft.

2. Demnach war der erneute Antrag auf AdV --allerdings wiederum ohne Präjudiz für die Hauptsache-- abzulehnen.

Ende der Entscheidung

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