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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 09.12.2005
Aktenzeichen: VII B 125/05
Rechtsgebiete: AO 1977, EStG, InsO, FGO, GesO


Vorschriften:

AO 1977 § 34
AO 1977 § 34 Abs. 1
AO 1977 § 69
AO 1977 § 225 Abs. 2
EStG § 38 Abs. 2
EStG § 41a Abs. 1
InsO § 130 Abs. 1 Nr. 1
InsO § 133
InsO § 142
FGO § 69 Abs. 2 Satz 2
FGO § 69 Abs. 3 Satz 1
FGO § 128 Abs. 3 Satz 1
GesO § 10 Abs. 1 Nr. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
VII B 124/05 VII B 125/05

Gründe:

I. Der Antragsteller, Beschwerdegegner und Beschwerdeführer (Antragsteller) wurde als alleiniger Geschäftsführer einer in Insolvenz geratenen GmbH vom Antragsgegner, Beschwerdeführer und Beschwerdegegner (Finanzamt --FA--) gemäß § 69 i.V.m. § 34 der Abgabenordnung (AO 1977) wegen in den Monaten März bis Juni 2000 angemeldeter, jedoch nicht entrichteter Lohnsteuer nebst steuerlichen Nebenleistungen als Haftungsschuldner in Anspruch genommen. Der gegen den Haftungsbescheid eingelegte Einspruch führte zu einer Herabsetzung der Haftungssumme. Den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) sowie den Einspruch gegen die ablehnende Verfügung wies das FA zurück.

Daraufhin hat der Antragsteller beim Finanzgericht (FG) einen Antrag auf AdV des Haftungsbescheides gestellt, den das FG teilweise als begründet erachtet hat. Es führte aus, dass der Antragsteller die Löhne in Kenntnis der schwierigen finanziellen Lage der GmbH nicht ungekürzt hätte auszahlen dürfen. Durch die Nichtabführung der geschuldeten Lohnsteuer habe er die ihm nach § 41a Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) obliegende Pflicht zur Einbehaltung und Abführung der Lohnsteuer zumindest grob fahrlässig verletzt. Er könne sich weder auf die schlechte Liquiditätslage der GmbH, noch darauf berufen, dass er darauf vertraut habe, die Rückstände aufgrund neuer Kredite oder der Einziehung von Außenständen ausgleichen zu können. Soweit die Lohnsteuer für die Monate März bis April 2000 betroffen sei, hätte das pflichtwidrige Verhalten des Antragstellers zum Eintritt eines Vermögensschadens geführt.

Anders sei die Rechtslage hinsichtlich der für die Monate Mai und Juni 2000 geschuldeten Lohnsteuer zu beurteilen. Eine Zahlung dieser Steuer hätte der Insolvenzverwalter nach § 130 Abs. 1 Nr. 1 der Insolvenzordnung (InsO) anfechten können, so dass die Pflichtverletzung des Antragstellers nicht ursächlich für den Schadenseintritt gewesen sei. Nach den Feststellungen des Insolvenzverwalters sei die GmbH im Juli 2000 zahlungsunfähig gewesen. Aber schon Ende 1999 habe die GmbH mit einem erheblichen Verlust rechnen müssen. Lohnsteuerzahlungen seien in 1999 nur mit einer zeitlichen Verzögerung von mehreren Monaten erfolgt. Da die Zahlungen nicht gegenüber sämtlichen Gläubigern wieder aufgenommen worden seien, sei die bestehende Zahlungsunfähigkeit durch die freiwillige Zahlung der laufenden Steuerverbindlichkeiten ab November 1999 nicht wieder behoben worden. Eine freiwillige Zahlung der angemeldeten Lohnsteuer für die Monate Mai bis Juli 2000 wäre innerhalb der Drei-Monats-Frist des § 130 Abs. 1 Nr. 1 InsO erfolgt und damit als gläubigerbenachteiligende Rechtshandlung anfechtbar gewesen. Insoweit sei dem Beschluss des FG Baden-Württemberg vom 30. August 2004 1 V 49/03 (Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 2005, 2) und nicht der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs --BFH-- (Beschluss vom 21. Dezember 1998 VII B 175/98, BFH/NV 1999, 745) zu folgen.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die vom FG zugelassene Beschwerde des FA, mit der es beantragt, den Beschluss des FG aufzuheben und den Antrag auf AdV in vollem Umfang abzuweisen. Zur Begründung macht das FA geltend, dass bereits die ungekürzte Auszahlung der Löhne und nicht erst die Nichtzahlung der Lohnsteuer zum gesetzlichen Fälligkeitszeitpunkt eine haftungsbegründende Pflichtverletzung darstelle. Durch eine gekürzte Auszahlung oder Nichtzahlung der Löhne wegen Zahlungsunfähigkeit der GmbH wäre eine Benachteiligung des FA gegenüber den Arbeitnehmern vermieden worden. Bei dieser Betrachtungsweise sei eine etwaige Anfechtbarkeit der Lohnsteuerzahlungen nach § 130 Abs. 1 Nr. 1 InsO unbeachtlich.

Der Antragsteller hat ebenfalls Beschwerde gegen den Beschluss des FG eingelegt und begehrt sinngemäß die Aufhebung der Vorentscheidung und die AdV des Haftungsbescheides in vollem Umfang. Zur Begründung führt er aus, dass es nicht auszuschließen sei, dass das FA bei der Verbuchung von Zahlungen der GmbH von deren Verrechnungsanweisungen abgewichen sei. Allerdings ließen sich diese Anweisungen aufgrund fehlender Unterlagen nicht nachvollziehen. Während seiner Geschäftsführertätigkeit von November 1999 bis Juni 2000 habe das FA tatsächlich Zahlungen erhalten. Diese Beträge seien jedoch mit Lohnsteuerschulden verrechnet worden, die vor der Aufnahme seiner Geschäftsführertätigkeit entstanden seien. Eine haftungsrechtliche Inanspruchnahme scheide deshalb aus, da er nicht für Steuerrückstände seines Vorgängers verantwortlich gemacht werden könne. Allenfalls könne man ihm zur Last legen, bei Begleichung der aktuellen Steuerschulden die vorangegangenen Fälligkeitszeiträume außer Acht gelassen zu haben. Letztlich hafte er allein deshalb, weil er in einer langen Kette von Vorgängern im Amt der letzte Geschäftsführer gewesen sei, was einer der AO 1977 fremden Zufallshaftung gleichkomme.

Mit Pfändungs- und Einziehungsverfügungen habe das FA im Juni 2000 nahezu die gesamte Geschäftstätigkeit der GmbH lahm gelegt, so dass ein Kontokorrentkredit gekündigt worden sei. Aufgrund des vertragswidrigen Verhaltens eines Investors seien auch die im Mai 2000 aufgenommenen Verhandlungen über einen neuen Kapitalzufluss letztlich gescheitert. Diese Bemühungen belegten, dass ein grob fahrlässiges Verhalten nicht vorliege.

Darüber hinaus sei zu berücksichtigen, dass entgegen der Auffassung des FA § 69 AO 1977 keine gleichmäßige Befriedigung des Steuergläubigers und der Arbeitnehmer sicherstellen solle. Der Geschäftsführer könne nur dann haftungsrechtlich in Anspruch genommen werden, wenn im Vermögen des Arbeitgebers tatsächlich ein bestimmter Betrag verbleibe, der für die Arbeitnehmer verwahrt und zur Lohnsteuerzahlung verwendet werde. Eine solche Absonderung sei in der Praxis jedoch die Ausnahme, vielmehr werde nicht das Geld der Arbeitnehmer, sondern das Geld der den Kreditrahmen zur Verfügung stellenden Bank einbehalten. Es bleibe dem FA unbenommen, den Arbeitnehmer nach § 38 Abs. 2 EStG auf Zahlung der geschuldeten Lohnsteuer in Anspruch zu nehmen, so dass von einer Ungleichbehandlung des Steuergläubigers nicht gesprochen werden könne. Auch aus diesem Grunde scheide eine Haftung aus. Ergänzend verweist der Antragsteller auf das Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 18. April 2005 II ZR 61/03 (Betriebs-Berater 2005, 1905), das seine Rechtsauffassung stützen würde.

II. Die nach § 128 Abs. 3 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zulässigen Beschwerden sind unbegründet und daher zurückzuweisen.

Nach der im Aussetzungsverfahren gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage gelangt der beschließende Senat zu der Auffassung, dass an der Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheides hinsichtlich der darin angeordneten Lohnsteuerhaftung für die Monate Mai und Juni 2000 ernstliche Zweifel bestehen, so dass die AdV gemäß § 69 Abs. 3 Satz 1 und Abs. 2 Satz 2 FGO in dem vom FG bestimmten Umfang zu Recht erfolgt ist. Keinen rechtlichen Bedenken begegnet die Ablehnung einer weitergehenden AdV durch das FG und die Annahme einer zumindest grob fahrlässigen Pflichtverletzung des Antragstellers.

1. Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen (§ 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO). Nach der Rechtsprechung des BFH bestehen solche Zweifel, wenn bei summarischer Prüfung des Bescheides neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung einer Rechtsfrage bewirken (BFH-Entscheidungen vom 15. Juli 1998 I B 134/97, BFH/NV 1999, 372, und vom 10. November 1994 IV R 44/94, BFHE 176, 303, BStBl II 1995, 814, m.w.N.).

2. Im Streitfall begegnet es nach Auffassung des beschließenden Senats keinen rechtlichen Bedenken, dass das FG von einer schuldhaften Pflichtverletzung des Antragstellers ausgegangen ist.

a) Als Geschäftsführer der GmbH oblag dem Antragsteller nach § 41a Abs. 1 EStG i.V.m. § 34 Abs. 1 AO 1977 die Pflicht, für eine fristgerechte Anmeldung und Abführung der von der GmbH geschuldeten Lohnsteuer zu sorgen. Entgegen dieser Verpflichtung wurde die im Haftungszeitraum entstandene und fällige Lohnsteuer nicht an das FA abgeführt. Soweit Zahlungen von der GmbH geleistet worden sind, ist davon auszugehen, dass diese in Ermangelung einer entgegenstehenden Tilgungsbestimmung gemäß § 225 Abs. 2 AO 1977 mit rückständigen Lohnsteuerforderungen verrechnet worden sind, die bereits vor dem Haftungszeitraum entstanden waren. Dieser Darstellung des FA hat der Antragsteller lediglich die Vermutung entgegengesetzt, dass möglicherweise eine entgegenstehende Verrechnungsanweisung der GmbH bestanden habe, die sich jedoch aufgrund der Unauffindbarkeit von Geschäftsunterlagen nicht nachvollziehen lasse. Der Antragsteller räumt selbst ein, dass diesbezüglich ein geordneter Sachvortrag nicht erfolgen könne. Bei dieser Sachlage ist im summarischen Verfahren die Schlussfolgerung des FG nicht zu beanstanden, dass der Antragsteller zwar rückständige Steuerschulden getilgt haben mag, die fälligen Lohnsteuern für die Monate März bis Juni 2000 jedoch nicht an das FA abgeführt hat. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats stellt die Nichtabführung einzubehaltender und anzumeldender Lohnsteuer zu den gesetzlichen Fälligkeitszeitpunkten regelmäßig eine zumindest grob fahrlässige Verletzung der Geschäftsführerpflichten dar (Senatsentscheidungen vom 8. Mai 2001 VII B 252/00, BFH/NV 2001, 1222, und in BFH/NV 1999, 745).

b) Dabei ist in den Fällen, in denen die Löhne über einen längeren Zeitraum in voller Höhe ausbezahlt wurden, die Annahme gerechtfertigt, dass für die zurückliegenden Monate ausreichende Mittel zur Abführung der Lohnsteuer vorhanden gewesen sind (BFH-Entscheidung vom 17. Januar 1989 VII B 96-97/88, BFH/NV 1989, 424); denn es erscheint nahezu ausgeschlossen, dass über Monate Zahlungsmittel nur noch in Höhe der ausgezahlten Nettolöhne zur Verfügung gestanden haben und dass andere Verbindlichkeiten auch nicht teilweise getilgt worden sind. Jedenfalls würde es sich bei solchen Umständen um einen außergewöhnlichen Sachverhalt handeln, für dessen Vorliegen der Haftungsschuldner die volle Beweislast trägt (Senatsentscheidung in BFH/NV 2001, 1222, m.w.N.). Im Streitfall lässt sich dem Vorbringen des Antragstellers nicht entnehmen, dass solche besonderen Umstände im Haftungszeitraum vorgelegen haben. Auch kann seiner Behauptung nicht gefolgt werden, dass in der Masse der Fälle eine Absonderung und Einbehaltung der Lohnsteuer nicht erfolge und tatsächlich nur die Nettolöhne ausbezahlt würden, so dass die Rechtsprechung des Senats zur Lohnsteuerhaftung einer Korrektur bedürfe. In diesem Zusammenhang übersieht der Antragsteller bei seiner Argumentation, dass bereits die Nichteinbehaltung der Lohnsteuer eine eigenständige Pflichtverletzung darstellen kann, die geeignet ist, die in § 69 AO 1977 angeordneten Haftungsfolgen auszulösen.

c) Entgegen der Auffassung des Antragstellers ist seine Haftung nicht deshalb ausgeschlossen, weil die vor seinem Amtsantritt aufgelaufenen Lohnsteuerschulden nicht von ihm zu vertreten sind. Denn ein Geschäftsführer darf die vor Aufnahme der Geschäftsführertätigkeit entstandenen Steuerschulden nicht gänzlich unberücksichtigt lassen. Zwar kann ihm das Verschulden seiner Vorgänger nicht wie eigenes Verschulden zugerechnet werden (BFH-Urteil vom 30. Juni 1995 VII R 85/94, BFH/NV 1996, 2), jedoch verletzt er die ihm obliegenden steuerlichen Pflichten dadurch, dass er nach der Übernahme der Geschäfte nicht für eine alsbaldige Tilgung der Steuerverbindlichkeiten sorgt. Reichen die finanziellen Mittel hierzu nicht aus, darf er die Löhne nicht über einen längeren Zeitraum ungekürzt auszahlen und die Befriedigung des Steuergläubigers hinten anstellen. Im Übrigen beruht die Inanspruchnahme des Antragstellers im Streitfall darauf, dass er die während seiner Geschäftsführertätigkeit entstandenen Lohnsteuern nicht zum Fälligkeitszeitpunkt an das FA abgeführt hat.

d) Auch der Umstand, dass sich der Antragsteller um weitere Kreditmittel bemüht und auf eine Kapitalzuführung durch einen Investor vertraut hat, vermag den Vorwurf der grob fahrlässigen Pflichtverletzung und damit die Haftung nicht entfallen zu lassen. Denn nach ständiger Rechtsprechung des BFH vermag die Erwartung, Lohnsteuerrückstände später durch Kredite eines privaten Kreditgebers, durch Realisierung von Außenständen, durch öffentliche Fördermittel oder durch eine Aufrechnung mit vermeintlichen Steuerguthaben ausgleichen zu können, den Vertreter in der Liquiditätskrise von seiner Pflicht zur entsprechenden Kürzung der Löhne und zur Abführung der auf die gekürzten Löhne entfallenden Lohnsteuer nicht zu entlasten (vgl. Senatsentscheidungen vom 24. März 2004 VII B 317/03, BFH/NV 2004, 1069; vom 1. Februar 2000 VII B 256/99, BFH/NV 2000, 939; vom 5. Mai 1999 VII B 311/98, BFH/NV 1999, 1445; vom 24. November 1998 VII B 75/98, BFH/NV 1999, 898, und vom 20. Januar 1998 VII R 80/97, BFH/NV 1998, 814). Nimmt der Geschäftsführer die gebotene Lohnkürzung nicht vor, geht er damit bewusst ein Haftungsrisiko ein, so dass ihn die Haftungsfolgen des § 69 AO 1977 auch bei unerwartetem Ausbleiben der Kreditmittel oder bei einem unerwarteten Eintritt der Zahlungsunfähigkeit treffen (Senatsurteil vom 11. Dezember 1990 VII R 85/88, BFHE 163, 119, BStBl II 1991, 282).

Aus diesen Gründen war die Beschwerde des Antragstellers als unbegründet zurückzuweisen.

3. Aber auch die entgegen der Auffassung des Antragstellers zulässige Beschwerde des FA kann keinen Erfolg haben, denn soweit es die Haftung für die Monate Mai bis Juni 2000 betrifft, bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheides.

a) Obwohl die Beschwerdeschrift keinen bestimmten Antrag enthält, ist die Beschwerde zulässig. Für die Zulässigkeit genügt es, wenn sich aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers ergibt, dass er eine Überprüfung der angefochtenen Entscheidung anstrebt (Senatsbeschluss vom 21. August 1990 VII B 34/90, BFH/NV 1991, 466). Diese Mindestvoraussetzungen sind im Streitfall erfüllt.

b) Nach der Rechtsprechung des BFH kommt eine Haftung nach § 69 AO 1977 nur dann in Betracht, wenn zwischen der schuldhaften Pflichtverletzung des Haftungsschuldners und dem Eintritt des infolge des Steuerausfalls verursachten Vermögensschadens ein Kausalzusammenhang besteht (Senatsurteil vom 5. März 1991 VII R 93/88, BFHE 164, 203, BStBl II 1991, 678, m.w.N.). An dem aufgrund des Schadensersatzcharakters der Haftungsnorm zu fordernden Kausalzusammenhang fehlt es, wenn der Steuerausfall auch bei pflichtgemäßem Verhalten des Haftungsschuldners nicht zu vermeiden gewesen wäre. Dies ist z.B. der Fall, wenn im Zeitpunkt der Fälligkeit der Steuer infolge bestehender Zahlungsunfähigkeit des Vertretenen Mittel zur Begleichung der Steuerschuld nicht mehr zur Verfügung gestanden haben und solche auch nicht mehr hätten beschafft werden können. Ebenso kann ein vom Verhalten des Vertreters unabhängiger Anspruch auf Rückgewähr des vom FA erlangten Steuerbetrages dazu führen, dass der Steuerausfall auch bei pflichtgemäßem Verhalten des Haftungsschuldners nicht hätte verhindert werden können. Ein solcher Anspruch kann sich im Falle einer erfolgreichen Anfechtung durch den Insolvenzverwalter aus § 130 Abs. 1 Nr. 1 InsO ergeben.

c) Der Auffassung des FA, dass bereits die ungekürzte Auszahlung der Nettolöhne die Kausalität zwischen dieser Pflichtverletzung und dem Eintritt des Vermögensschadens herbeizuführen vermag, ohne dass es auf eine Anfechtungsmöglichkeit nach § 130 Abs. 1 Nr. 1 InsO ankäme, ist nicht zu folgen. Denn der Tatbestand des § 69 AO 1977 setzt nicht nur eine formale Benachteiligung der Finanzbehörde, sondern den Eintritt eines konkreten Vermögensschadens voraus. Hätte der Antragsteller sich pflichtgemäß verhalten und unter Berücksichtigung der noch vorhandenen Mittel die Löhne entsprechend gekürzt, hätte er dennoch zumindest die auf die gekürzten Löhne entfallende Lohnsteuer an das FA abführen müssen. Da er dies nicht getan hat, ist ein Vermögensschaden zumindest in Höhe dieser Abzugsbeträge entstanden. Nach der Rechtsprechung des BGH würde die zu fordernde Kausalität zwischen der Pflichtverletzung und dem Schadenseintritt jedoch bei einer erfolgreichen Anfechtung dieser Zahlungen nach § 130 Abs. 1 Nr. 1 InsO entfallen (BGH-Urteile vom 14. November 2000 VI ZR 149/99, Zeitschrift für Wirtschaftsrecht --ZIP-- 2001, 80, sowie vom 18. April 2005 II ZR 61/03, ZIP 2005, 1026).

In der Rechtsprechung des BFH ist bisher nicht eindeutig geklärt, ob und in welchem Umfang bei der Haftung nach § 69 AO 1977 hypothetische Geschehensabläufe Berücksichtigung finden können (vgl. Senatsentscheidungen vom 5. Juni 1985 VII R 57/82, BFHE 144, 290, BStBl II 1985, 688, und in BFHE 164, 203, BStBl II 1991, 678, sowie Urteil des Sächsischen FG vom 24. Mai 2005 1 K 2361/04, EFG 2005, 1238). Die sich in diesem Zusammenhang stellenden Rechtsfragen bedürfen im Rahmen des vorliegenden Verfahrens jedoch keiner abschließenden Klärung. Denn die aufgezeigten Unsicherheiten in ihrer Beurteilung belegen gewichtige Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheides.

d) Im Streitfall bestehen nach summarischer Prüfung auch Unsicherheiten in der Beurteilung der Rechtsfrage, ob die Voraussetzungen nach § 130 Abs. 1 Nr. 1 bzw. nach § 142 InsO vorliegen.

Nach § 130 Abs. 1 Nr. 1 InsO ist eine Rechtshandlung, die einem Insolvenzgläubiger eine Sicherung oder Befriedigung gewährt oder ermöglicht hat, anfechtbar, wenn sie in den letzten drei Monaten vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen worden ist, sofern der Schuldner zur Zeit der Handlung zahlungsunfähig war oder wenn der Gläubiger zu dieser Zeit die Zahlungsunfähigkeit oder Umstände kannte, die auf eine solche hätten zwingend schließen lassen.

aa) Im Streitfall sind für den beschließenden Senat keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass dem FA die im Zeitpunkt der gesetzlichen Fälligkeit der Lohnsteuer bestehende Zahlungsunfähigkeit der GmbH verborgen geblieben sein sollte. Im Dezember 1999 hatte der Antragsteller auf die wirtschaftlichen Schwierigkeiten der GmbH hingewiesen und dem FA mitgeteilt, dass mit einem erheblichen Verlust zu rechnen sei. Zu diesem Zeitpunkt bestanden bereits erhebliche Steuerrückstände. Laufende Lohnsteuerschulden hatte die GmbH nur mit einer zeitlichen Verzögerung von mehreren Monaten beglichen. Im Rahmen der summarischen Prüfung ist daher davon auszugehen, dass im Streitfall die Voraussetzungen des § 130 Abs. 1 Nr. 1 InsO erfüllt sind.

bb) Eine Anfechtbarkeit nach § 130 Abs. 1 Nr. 1 InsO könnte dennoch nicht in Betracht kommen, wenn es sich bei der Abführung der geschuldeten Lohnsteuer um ein Bargeschäft i.S. von § 142 InsO handeln würde und eine vorsätzliche Gläubigerbenachteiligung nach § 133 InsO ausgeschlossen werden könnte. Konkrete Anhaltspunkte für eine Anfechtbarkeit nach § 133 InsO vermag der Senat nicht zu erkennen. Die Frage, ob die Abführung von Lohnsteuer in der Insolvenz des Steuerschuldners gläubigerbenachteiligend wirkt oder ob ein nur unter den Voraussetzungen des § 133 InsO und damit nahezu anfechtungsfestes Bargeschäft vorliegt, wird in der höchstrichterlichen Rechtsprechung unterschiedlich beantwortet. Nach einer Entscheidung des Senats (Senatsbeschluss in BFH/NV 1999, 745), die im summarischen Verfahren zu § 10 Abs. 1 Nr. 1 der Gesamtvollstreckungsordnung ergangen ist, liegt deshalb ein Bargeschäft vor, weil die Abzugsbeträge zum Arbeitslohn gehören, auf den die Arbeitnehmer einen arbeitsvertraglichen Anspruch haben. Die Lohnsteuer stellt somit ein aufgrund der steuerrechtlichen Vorschriften nicht direkt an die Arbeitnehmer auszuzahlendes Entgelt für die von ihnen erbrachte Arbeitsleistung dar, so dass die Entrichtung an das FA ebenso wenig wie die Auszahlung des Nettolohnes an die Arbeitnehmer als eine objektive Benachteiligung der übrigen Gläubiger der GmbH hätte angesehen werden können.

Dieser Rechtsansicht ist der BGH in seinem Urteil vom 22. Januar 2004 IX ZR 39/03 (BGHZ 157, 350) entgegengetreten und hat ausgeführt, dass der BFH nicht beachtet habe, dass nur Leistungen des Schuldners, für die dieser aufgrund einer Parteivereinbarung mit dem anderen Teil, also dem Anfechtungsgegner, eine gleichwertige Gegenleistung in sein Vermögen erhalten habe, als Bargeschäfte angesehen werden könnten. Der Schuldner habe mit dem FA weder eine Vereinbarung getroffen noch von ihm eine Gegenleistung erhalten. Zu berücksichtigen sei, dass die Lohnsteuer ebenso wie Sozialversicherungsbeiträge (vgl. hierzu BGH-Entscheidungen vom 11. April 2002 IX ZR 211/01, ZIP 2002, 1159, und vom 10. Juli 2003 IX ZR 89/02, ZIP 2003, 1666) aus dem Vermögen des Arbeitgebers geleistet würden und zugunsten des Arbeitnehmers in der Regel auch kein Treuhandverhältnis in Bezug auf diese Gelder bestehe. Der Auffassung des BGH haben sich die FG teilweise angeschlossen (Entscheidungen des FG Baden-Württemberg vom 28. Juli 2004 1 V 30/04, EFG 2004, 1425, und des FG des Saarlandes vom 20. Dezember 2004 2 V 385/04, EFG 2005, 680; a.A. Sächsisches FG in EFG 2005, 1238).

cc) Im Rahmen der summarischen Überprüfung der Entscheidung des FG hält es der beschließende Senat nicht für geboten, über die aufgeworfenen Rechtsfragen abschließend zu entscheiden. Jedenfalls belegen die unterschiedlichen Rechtsauffassungen des BFH und des BGH sowie die divergierenden Entscheidungen der Instanzgerichte die vom FG aufgezeigten erheblichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheides (so auch Senatsbeschluss vom 11. August 2005 VII B 244/04, BFHE 210, 410). Die Beschwerde des FA war deshalb zurückzuweisen.

Ende der Entscheidung

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