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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 11.02.2002
Aktenzeichen: VII B 136/01
Rechtsgebiete: FGO, ZK


Vorschriften:

FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1
FGO § 116 Abs. 3 Satz 3
ZK Art. 12 Abs. 2 (vZTA)
1. Die Eingliederung der Zolltarifsachen in das allgemeine Revisionssystem durch die FGO-Novelle zum 1. Januar 2001 macht es erforderlich, dass auch bei Zolltarifsachen die grundsätzliche Bedeutung i.S. des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO dargelegt werden muss.

2. Auf die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung in Zolltarifsachen kann insoweit verzichtet werden, als diese unter den Umständen des konkreten Streitfalles offenkundig ist. Ist eine vZTA erfolgreich angefochten worden und hat das FG die Zollbehörde zu einer anderweitigen Einreihung der Ware verpflichtet, so werden in der auf grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache gestützten Nichtzulassungsbeschwerde Ausführungen hinsichtlich der Formulierung einer konkreten Rechtsfrage, zur über den Einzelfall hinausgehenden Bedeutung der Tarifierungsfrage und zu ihrer Entscheidungserheblichkeit in einem künftigen Revisionsverfahren regelmäßig verzichtbar sein. Nicht verzichtbar sind hingegen im Einklang mit den allgemein gestellten Darlegungsanforderungen Ausführungen zur Klärungsbedürftigkeit der zutreffenden Einreihung der betreffenden Ware in den Zolltarif.


Gründe:

Der Klägerin und Beschwerdegegnerin (Klägerin) sind von der Beklagten und Beschwerdeführerin (Oberfinanzdirektion --OFD--) am 21. Dezember 1999 vier verbindlichen Zolltarifauskünfte über thailändische Fertiggerichte mit Hühnerfleisch bzw. Rindfleisch, Gewürzmischungen mit verschiedenem Gemüse und gegartem Jasminreis, wobei jeweils das Curry und der Reis in verschiedenen Beuteln aus Kunststoff-Aluminium-Verbundfolie zusammen in einer Pappfaltschachtel verpackt sind-- erteilt worden. Darin sind die Waren jeweils als Warenzusammenstellung in Aufmachung für den Einzelverkauf mit einem charakterbestimmenden Anteil an vorgekochtem Reis, anderweit weder genannt noch inbegriffen, in die Unterpos. 1904 90 10 der Kombinierten Nomenklatur (KN) eingereiht worden.

Auf die nach erfolglosem Einspruch der Klägerin hin erhobene Klage hob das Finanzgericht (FG) die vZTA und die Einspruchsentscheidung vom 11. Juli 2000 auf und verpflichtete die OFD, die Waren jeweils in die Unterpos. 2106 90 98 KN einzureihen. Zu dieser Tarifauffassung gelangte das FG unter Anwendung der Allgemeinen Vorschrift (AV) 3b, wobei es im Gegensatz zur Auffassung der OFD den charakterbestimmenden Bestandteil der Warenzusammenstellungen unter Berücksichtigung der Aufmachung und Verpackung jeweils in dem mengen- und gewichtsmäßig überwiegenden Currygericht sah; der in separatem Beutel beigefügte gegarte Jasminreis habe nur die Bedeutung einer Beilage. Das Tarifierungsergebnis stehe nicht im Widerspruch zu den zur Unterpos. 1904 90 ergangenen Tarifavisen zum Harmonisierten System (HS), denn die dort aufgeführten Gerichte seien traditionelle Reisgerichte, die im Unterschied zu den streitgegenständlichen Currygerichten Speisen seien, bei denen die weiteren Zutaten (Fleisch, Gemüse, Gewürze) in den Reis vermengt seien und in diesem Zustand eingeführt und dargeboten würden. Dagegen lägen bei den streitgegenständlichen Waren gesonderte Bestandteile (Currygericht einerseits und Reis andererseits) vor, die auch gesondert dargeboten und verspeist werden könnten und bei denen der Reis (lediglich) die Bedeutung einer Zutat besitze.

Gegen dieses Urteil des FG richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde der OFD. Die OFD trägt vor, die Einreihung des FG verletze die KN 2000 in Bezug auf die AV 3 sowie die dazu ergangenen Erläuterungen und Avise der Weltzollorganisation (WCO) zur Pos. 1904 HS --ErlKN 1904 (AV) Rz. 01 bis 05--. Die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung, weil eine vZTA alle Zollbehörden in der Gemeinschaft hinsichtlich der zolltariflichen Einreihung der Waren binde. Ein Widerspruch zu den Einreihungsentscheidungen der WCO zu Fertiggerichten der Pos. 1904 sei nicht hinnehmbar.

Die Beschwerde ist unzulässig, denn die OFD hat in der Beschwerdeschrift die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtsfrage (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) nicht in einer den Anforderungen entsprechenden Weise dargelegt (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO).

1. Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO, wenn eine Rechtsfrage zu entscheiden ist, an deren Beantwortung ein allgemeines Interesse besteht, weil ihre Klärung das Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Es muss sich um eine aus rechtssystematischen Gründen bedeutsame und auch für die einheitliche Rechtsanwendung wichtige Frage handeln (Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 27. Juni 1985 I B 23/85, BFHE 144, 133, BStBl II 1985, 605), die klärungsbedürftig und im konkreten Streitfall auch klärungsfähig ist (ständige Rechtsprechung, vgl. die Hinweise bei Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl. 2002, § 115 Rz. 23). Nach § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO muss die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache in der Beschwerdeschrift (schlüssig und substantiiert) dargelegt werden. Dazu ist erforderlich, dass der Beschwerdeführer konkret auf die Rechtsfrage, ihre Klärungsbedürftigkeit und ihre über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung sowie darauf eingeht, weshalb von der Beantwortung der Rechtsfrage die Entscheidung über die Rechtssache abhängt (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Beschluss vom 30. März 1983 I B 9/83, BFHE 138, 152, BStBl II 1983, 479).

An diesen hergebrachten Anforderungen an die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache und deren Darlegung hat das seit 1. Januar 2001 geltende neue Revisionszulassungsrecht der §§ 115, 116 FGO nichts geändert; lediglich das Darlegungserfordernis ist nunmehr (statt wie bisher in § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO a.F.) inhaltsgleich in § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO geregelt (vgl. BFH-Beschluss vom 17. Oktober 2001 III B 65/01, BFH/NV 2002, 217, m.w.N.).

2. Die bezeichneten Anforderungen an die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache und deren Darlegung gelten grundsätzlich auch für Rechtsfragen aus dem Bereich des Zolltarifrechts, nachdem die zulassungsfreie Revision in Zolltarifsachen durch das Zweite Gesetz zur Änderung der Finanzgerichtsordnung und anderer Gesetze (2.FGOÄndG) vom 19. Dezember 2000 (BGBl I, 1757) mit Wirkung ab 1. Januar 2001 abgeschafft worden ist und damit die Zolltarifsachen dem allgemeinen Revisionszulassungsrecht der FGO unterstellt worden sind. In der Begründung des Entwurfs der Bundesregierung zum 2.FGOÄndG (BTDrucks 14/4061, S. 7) heißt es hierzu u.a.: "Die freie Revisibilität in diesen Sachen war aus der Erwägung eröffnet, dass Entscheidungen in Zolltarifsachen stets über den Einzelfall hinaus Bedeutung hätten (vgl. Bundestagsdrucksache IV/1446). Die Praxis hat jedoch gezeigt, dass dies nicht in allen Fällen zutrifft. Es ist daher sachgerecht, das Revisionssystem insoweit zu vereinheitlichen. Ist einer Zolltarifsache grundsätzliche Bedeutung beizumessen, kann dem im Wege der Zulassung der Revision Rechnung getragen werden." Die Eingliederung der Zolltarifsachen in das allgemeine Revisionssystem macht es mithin erforderlich, dass auch bei Zolltarifsachen die grundsätzliche Bedeutung i.S. des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO dargelegt werden muss.

a) Allerdings dürfen in Zolltarifsachen die Anforderungen an die Darlegung nicht überspannt werden. Bereits in der Rechtsprechung zu § 115 FGO a.F. war anerkannt, dass auf die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung ausnahmsweise verzichtet werden kann, wenn diese offenkundig ist, denn das Gesetz ist nicht darauf angelegt, dem Rechtsuchenden unnötige Förmeleien aufzubürden (vgl. den BFH-Beschluss vom 9. Mai 1988 IV B 35/87, BFHE 153, 378, BStBl II 1988, 725; Gräber/Ruban, a.a.O., § 116 Rz. 32, m.w.N.). Ist, wie im Streitfall, eine vZTA erteilt und vom betroffenen Beteiligten angefochten worden, weil er die von der Verwaltung zugrunde gelegte Tarifauffassung für falsch hält, und hat sich das FG dieser Betrachtung angeschlossen, die vZTA aufgehoben und noch dazu die Zollverwaltung zu der vom Beteiligten begehrten Einreihung der Ware in den Gemeinsamen Zolltarif verpflichtet, sind bei der sodann von der Zollverwaltung eingelegten und auf grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache gestützten Nichtzulassungsbeschwerde einige der üblichen Darlegungserfordernisse in der Regel so offenkundig, dass auf sie als unnötige Förmeleien verzichtet werden kann.

Unter diesen Umständen gehört dazu zunächst die sonst notwendige Formulierung einer konkreten Rechtsfrage, denn es ist für jedermann klar und offensichtlich, dass diese Frage nur dahin gehen kann, ob die mit der vZTA vorgenommene Einreihung der betreffenden Ware in den Zolltarif (HS bzw. KN) zutreffend ist oder ob das dieser Einreihung widersprechende Tarifierungsergebnis des FG das richtige ist.

Verzichtbar ist in einem solchen Fall ferner die Darlegung der über den vorliegenden Einzelfall hinausgehenden Bedeutung dieser Rechtsfrage, da sich dies unmittelbar aus dem Gesetz ergibt. Denn gemäß Art. 12 Abs. 2 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 (ZK) des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Nr. L 302/1) bindet eine vZTA alle Zollbehörden der Gemeinschaft hinsichtlich der zolltariflichen Einreihung entsprechender Waren, für die vom Berechtigten nach dem Zeitpunkt der Erteilung der vZTA und innerhalb ihrer Geltungsfrist (Art. 12 Abs. 4 ZK) die Zollförmlichkeiten in der Gemeinschaft erfüllt werden. Schon diese über den nationalen Bereich hinausreichende Rechtswirkung der vZTA begründet ihre besondere, über den Einzelfall hinausreichende Bedeutung, ohne dass hierzu noch ergänzende Erwägungen angestellt werden müssten.

Schließlich wird es in aller Regel auch keinerlei Ausführungen zu der Entscheidungserheblichkeit der Rechtsfrage in einem künftigen Revisionsverfahren bedürfen, denn Gegenstand des erstrebten Revisionsverfahrens soll offensichtlich gerade und ausschließlich die Frage der zutreffenden Einreihung der betreffenden Ware, also die Frage sein, ob die Tarifierung der vZTA oder die davon abweichende Auffassung des FG zutreffend ist.

Für nicht verzichtbar hält der Senat hingegen im Einklang mit den allgemein gestellten Darlegungsanforderungen ein konkretes Eingehen des Beschwerdeführers auf die Rechtsfrage der zutreffenden Tarifierung einschließlich der Darlegung ihrer Klärungsbedürftigkeit. Ein konkretes Eingehen auf die Frage der Tarifierung sowie die Darlegung ihrer Klärungsbedürftigkeit bedeutet, dass der Beschwerdeführer unter Heranziehung der zu dieser Frage ggf. vorhandenen Literatur und Rechtsprechung der europäischen und der nationalen Gerichte sowie der einschlägigen Zolltarifmaterialien (Avise, Erläuterungen u.a.), und, falls dem Beschwerdeführer --wie etwa der Zollverwaltung-- Tarifdatenbanken der Gemeinschaft zugänglich sind, auch unter Vorlage vergleichbarer vZTA aus anderen Mitgliedstaaten Zweifel an der Einreihung der Ware durch das FG erweckt und aufzeigt, aus welchen Gründen der in der vZTA zum Ausdruck gebrachten Tarifauffassung möglicherweise der Vorzug vor derjenigen des FG gegeben werden könnte. Gewisse Mindestdarlegungen in dieser Richtung sind auch deswegen unabdingbar, um dem BFH als Beschwerdegericht die Prüfung der Frage zu ermöglichen, ob sich ggf. Auslegungszweifel oder Gültigkeitsbedenken in Bezug auf das anzuwendende gemeinschaftliche Zolltarifrecht ergeben könnten, die zur Zulassung der Revision schon deshalb zwängen, weil im Revisionsverfahren voraussichtlich eine Vorabentscheidung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften nach Art. 234 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft einzuholen wäre.

b) Im Streitfall hat die OFD in ihrer Beschwerdebegründung lediglich behauptet, die Einreihung der streitgegenständlichen Waren in die Unterpos. 2106 90 98 sei falsch, weil das FG die AV 3 sowie die Erläuterungen und Avise der WCO zu Fertiggerichten der Pos. 1904 HS [Tarifavise Nr. 1 bis 4 in ErlKN 1904 (AV) Rz. 01.0 bis 05.0] verletzt habe und dieser Widerspruch nicht hingenommen werden könne.

Dieses Vorbringen erfüllt die Darlegungspflicht hinsichtlich der Klärungsbedürftigkeit der Einreihung der streitgegenständlichen Waren in den Zolltarif nicht und ist nicht geeignet, irgend welche Zweifel an der vom FG für richtig gehaltenen Tarifierung zu wecken. Da die streitgegenständlichen Waren nicht identisch mit den Waren sind, zu denen die bezeichneten Tarifavise ergangen sind (dort handelt es sich um tiefgefrorene Reisgerichte verschiedener Provenienzen; im Streitfall liegen jeweils Warenzusammenstellungen aus einem Currygericht und gegartem Jasminreis, der separat verpackt ist, vor), ist das bloße Vorbringen der OFD, die Tarifauffassung des FG stehe im Widerspruch zu Einreihungsentscheidungen der WCO nicht plausibel. Ferner fehlt jegliches Eingehen der OFD auf die vom FG gegebene Ableitung seiner Tarifauffassung, etwa ein Eingehen darauf, weshalb die Anwendung der AV 3 durch das FG und die Qualifizierung des Reises lediglich als Beilage fehlerhaft sein könnte. Insgesamt ist der Vortrag der OFD nicht geeignet, die Zulässigkeitshürde für eine auf grundsätzliche Bedeutung gestützte Nichtzulassungsbeschwerde zu überwinden.

Ende der Entscheidung

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